MARBACH. Eine Ausstellung rund um das Thema Schreiben und Schreibenlernen eröffnet das Deutsches Literaturarchiv Marbach am 29. September um 11 Uhr mit einem Gespräch mit der Kinderbuchautorin und Illustratorin Rotraut Susanne Berner. Unter dem Motto “Hands on!” lädt die Ausstellung zum Anpacken, Mitspielen und Ausprobieren ein. Etwa 200 Exponate bekannter Schriftsteller und Schriftstellerinnen dokumentieren die Entwicklung der (individuellen) Handschrift.
“Es fällt auf, dass die Handschrift umso mehr zum Streitthema wird, je weniger sie gebraucht und je mehr sie durch elektronische Verfahren ersetzt wird”, erklärt der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger im Marbacher Magazin zur Ausstellung ›Hands on!‹ Im Mittelpunkt der Ausstellung, die auf eine Anregung Enzensbergers zurückgeht, stehen die Aneignung und Entwicklung der individuellen Handschrift, gezeigt werden Schreibübungen, Schulhefte, erste Gedichte und Briefe vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, von Friedrich Schiller bis Felicitas Hoppe.
Wie haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller schreiben gelernt? Wie wurden aus den Buchstaben der ABC-Schützen erste Texte? Und: Was machen Autoren, um diese Buchstaben-Gemachtheit nicht zu vergessen, wie entwickeln sie ihr eigenes poetische System? Diese Fragen versucht die Ausstellung zu beantworten. Aber auch das scheinbare Gegenteil der Handschrift ist zu sehen: Oskar Pastiors Buchstabengewichte, ein Grammatik-Brettspiel von Sibylle Lewitscharoff und Enzensbergers Poesieautomat, Beweis für die maschinelle Imitierbarkeit individueller Phantasie.
Zur Ausstellungseröffnung spricht der Schriftsteller und Journalist Jan Bürger mit der Rotraut Susanne Berner über das Schreiben mit der Hand. Die Ausstellung hat Heike Gfrereis, Literaturwissenschaftlerin und Kuratorin, zusammen mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach kuratiert und mit Diethard Keppler und Andreas Jung gestaltet.
“Hands on!” zeigt mit rund 200 Exponaten Texte, Schulhefte und Kinderbriefe u.a.
von Ilse Aichinger, Hans Magnus und Theresia Enzensberger, Ursula Unseld-Berkéwicz,
Durs Grünbein, Ernst Heimeran, Erich Kästner, Thomas Kapielski, Alexander
Kluge, Eduard Mörike, Judith Schalansky, Lili Schnitzler, Kurt Tucholsky,
Yoko Tawada und Wilhelm Waiblinger; zudem eigens für die Ausstellung gezeichnete
Alphabete von Rotraut Susanne Berner und Cornelia Funke. Anschaulich
werden nicht nur Techniken des Schreibenlernens, Schönschreibübungen
und die Entwicklung individueller Schreibweisen, sondern auch die vielfältigen
Rückwirkungen auf Autor und Text durch die Erweiterung tradierter Schreibutensilien
durch technische Geräte.
Gänsekiel, Stahlfeder, Füller, Griffel, Kuli und Bleistift sind mit fließenden, kreisenden
oder eckigen, malenden oder rührenden Bewegungen verbunden und mit
dem Arm und der Hand. Schreiben “mit der Hand” bedeutet aber nicht nur
Schreiben mit Stift und Papier; Schreiben mit Schreibmaschine, PC und Laptop,
OLO=Tastatur, Maus und Handy verändern den Bewegungsradius und die Haltung unseres
Körpers wie auch den Einzugsbereich jenseits des Körperlichen oder selbst
Erdachten.
Der Nutzung der Schreibmaschine spricht Hermann Hesse anregende
Kraft zu, die »kalte, druckähnliche« Schrift unterstütze die Selbstkritik. Ein Mangel
an Disziplin, an Formerfüllungswillen oder auch individueller Ausdruckswille
lösen dagegen eigenwillige Buchstabenformen und Schreibhaltungen aus. Kafkas
lateinisches K und Kleists Kurrent-K etwa unterscheiden sich deutlich von den Ks
anderer Schreiber – keines ihrer Ks ist identisch, jedes aber ähnlich, so dass für
Kleist und Kafka inzwischen auch digitale Schriftfonds entstanden sind.
Die Ausstellung wird um experimentelle und erforschende Schreibstationen ergänzt:
um eine Nadeltext-Wand, ein ›Marbacher Alphabet‹, einen Schreib- und einen
Poesiespielraum sowie eine vom Freundeskreis des Deutschen Literaturarchivs
geförderte interaktive Installation, in der mit Licht in die Luft und an die
Museumswände geschrieben werden kann (»Luftschreiber«).
Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung können handgeschriebene Kindergeschichten ersteigert und an Ausstellungsstationen die Zusammenhänge zwischen dem Denken und den unterschiedlichen Bewegungen der Hand beim Schreiben erkundet werden. Im Rahmen des “Netzwerks literarischer Erfahrung” wird diese Ausstellung wie schon bei “Lachen.
Kabarett” mit Frageheften begleitet (die Auswertung erfolgt in Kooperation
mit dem Institut für Wissensmedien, Tübingen).
Weitere Infos unter www.dla-marbach.de.
Zur Ausstellung erscheint das Marbacher Magazin 167 | Hands on! Schreiben lernen,
Poesie machen. Hrsg. von Heike Gfrereis und Sandra Richter. 100 Seiten,
zahlreiche farb. Abb. Fadengeheftete Broschur. Marbach a.N.: Deutsche Schillergesellschaft,
2019. ISBN 978-3-944469-43-0. EUR 12,00.