Zahl der sexuell übertragenen Infektionen steigt – muss Schule besser aufklären?

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BOCHUM. Das Sexleben vieler Menschen ist heute freier als auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie. Allerdings fehlt häufig das Bewusstsein, dass man sich schützen muss. Experten fordern mehr Aufklärung schon in der Schule.

Wer im Ausland studiert, lernt dort auch Menschen kennen - nicht selten sogar den Partner fürs Leben. Foto: Vincent Anderlucci / flickr (CC BY 2.0)
Das Sexualverhalten hat sich gewandelt. Foto: Vincent Anderlucci / flickr (CC BY 2.0)

Weil sich immer mehr Menschen in Deutschland mit sexuell übertragbaren Infektionen anstecken, hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ein neues Online-Angebot gestartet. Experten sollen unter www.liebesleben.de/beratung kostenlos und anonym dabei helfen, das eigene Risiko einzuschätzen. Der Wissensstand zu HIV sei seit vielen Jahren auf einem hohen Niveau, teilte die Behörde mit. Dagegen kennen laut der Studie «Aids im öffentlichen Bewusstsein» zum Beispiel nur 14 Prozent der Bevölkerung die weit verbreitete Chlamydien-Infektion. Von ihr sind vor allem Jugendliche und junge Erwachsene betroffen, nach Schätzungen gibt es bis zu 300.000 Neuinfektionen jährlich.

„Wir müssen in die Schulen reingehen“

Notwendig seien größere Anstrengungen bei der Aufklärung, sagte Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit und Medizin («Walk in Ruhr») in Bochum. Dort kann jeder sich testen oder impfen lassen sowie seine Partner über Ergebnisse anonym informieren. «Wir müssen in die Schulen reingehen», betonte der Mediziner, der auch Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft zur Förderung der sexuellen Gesundheit ist. Der Welttag Sexuelle Gesundheit an diesem Mittwoch (4.9.) soll für das Thema sensibilisieren, das alle sexuell aktiven Menschen betrifft. Es ist immer noch mit Ängsten und Scham behaftet.

Genauere Zahlen gibt es nur für die anonym meldepflichtigen Erkrankungen wie HIV/Aids, Syphilis sowie Hepatitis B. So sank die Zahl der gemeldeten HIV-Neuinfektionen 2017 im Vergleich zum Vorjahr um etwa 7 Prozent auf 2700. Dagegen stieg die Zahl der Syphilis-Erkankungen. Im Jahr 2017 wurden dem Robert Koch-Institut (RKI) 7476 Fälle gemeldet, etwa 4 Prozent mehr als 2016. Syphilis tritt zurzeit vor allem bei Männern auf, die Sex mit Männern haben.

Viele der Infektionen sind nur mit leichten Symptomen wie Juckreiz oder Ausfluss verbunden, können aber schwerwiegende Folgen haben. So können Chlamydien bei Frauen zu chronischen Unterbauchentzündungen und bei Männern und Frauen zu Unfruchtbarkeit führen. Sexuell übertragen werden auch Humane Papillomviren (HPV) – sie gelten als Hauptursache für Gebärmutterhalskrebs. Gegen HPV geimpft werden sollen Mädchen und Jungen möglichst im Alter zwischen 9 und 14 Jahren. Die Impfrate ist in Deutschland laut RKI noch längst nicht auf dem Niveau anderer Länder.

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Hintergrund für die steigenden Zahlen bei verschiedenen Infektionen ist nach Brockmeyers Beobachtung der Wandel des Sexualverhaltens. Erste gängige Kontaktform sei Oralsex. Bei Frauen gebe es auch zunehmend Analverkehr. Damit steige das Ansteckungsrisiko. Dating-Plattformen im Internet tragen dazu bei, dass Menschen mehr Sexualkontakte haben. «Weil man sich vorher in Chatrooms ausgetauscht hat, gaukelt dies Vertrautheit vor und es kommt zu ungeschütztem Sex», sagte Brockmeyer. Der Schutzfaktor von Kondomen bei den sexuell übertragbaren Infektionen mit Ausnahme von HIV liegt dem Experten zufolge bei 50 bis 60 Prozent.

Thema Verantwortung im Sexualunterricht

Im Sexualunterricht müsse viel stärker auch die Verantwortung für sich und andere betont werden, sagte der Mediziner. «Sexualität ist schön, aber entscheidend ist der achtsame Umgang mit einem selbst und mit den Leuten, mit denen man Kontakt hat.» Das Sexualleben ist heute freier als auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie, allerdings gibt es eine größere Verschlossenheit, darüber zu reden. «Es ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu. Es gibt dafür auch keine allgemeingültige Sprache.»

Früh erkannt sind die meisten sexuell übertragbaren Infektionen gut behandelbar und heilen ohne Folgeschäden aus. Brockmeyer wünscht sich mehr Informationen über ihre Ausbreitung in Deutschland. Auch die von Gonokokken ausgelöste Gonorrhö (Tripper) sollte meldepflichtig werden, so der Dermatologe. Die Zahl der Gonokokken-Infektionen wird bundesweit auf etwa 30.000 pro Jahr geschätzt. dpa

Der Fragestellung, muss Schule mehr aufklären, wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Seit nunmehr 50 Jahren gibt es Sexualaufklärung an Schulen – heute ist sie wieder umstritten

 

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5 Kommentare
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drd
4 Jahre zuvor

Gestern noch wollte jemand Digitalkunde als Fach. Jetzt Gesundheitsschäden beim Sex. Wirtschaft ist ja bereits einführt in bw, zu Lasten von Politik, also Demokratieerziehung. Wenn man für alle Lebensaufgaben ein Fach einführt, muss man sich nicht wundern, dass der humanistische Gedanke schulischer Bildung einem Aktionismus weicht.

g. h.
4 Jahre zuvor
Antwortet  drd

Vor allem muss man sich nicht wundern, wenn die Schulabgänger nichts Halbes und nicht Ganzes an Wissen haben und auch nur noch unzureichend lesen, schreiben und rechnen können.

Pälzer
4 Jahre zuvor

Die sexuelle Aufklärung ist auch darum so fruchtlos, weil die Basis jeden vernünftigen sexuellen Verhaltens (rationales, verantwortliches, sich und die eigenen Triebe kontrollierendes Verhalten) in der gesamten Öffentlichkeit kaum angesprochen wird und weil alle Rollenmodelle das Gegenteil leben.

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Aber die Schule soll’s wieder richten.

Anna
4 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Sexuelle Aufklärung gehört natürlich zum Bildungsauftrag von Schule.

Und wieso soll sexuelle Aufklärung fruchtlos sein? Das ist sie nachweislich nicht: “Bewertet man die Teenagerschwangerschaften z. B. im Rahmen internationaler Vergleiche, sind die Zahlen in der Bundesrepublik auf eher niedrigem und sinkendem Niveau”, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Und das hat natürlich mit der vernünftigen Arbeit zu tun, die Lehrerinnen und Lehrer hier leisten.

Weiter heißt es: “Sexualaufklärung schon möglichst früh lebensbegleitend in die Erziehung der Kinder eingebettet sein und altersadäquat umgesetzt werden. Dabei sind alle Handelnden in der Wahrnehmung ihrer jeweiligen Erziehungsaufgabe gefragt. Nicht jede Sozialisationsinstanz ist für alle Fragen der Sexualaufklärung der „passende“ oder gewünschte Gesprächspartner für Kinder und Jugendliche. Elternhaus, Schule, Kindertagesstätten, Kindergärten sowie die offene Jugendarbeit sind in unterschiedlicher Weise gefordert.”

Quelle: https://www.fachdialognetz.de/fileadmin/pfm/formUploads/files/Teenager%20-%20Schwangerschaften%20in%20Deutschland.pdf