Bund und Länder wollen „Brennpunktschulen“ stärken – Pläne jedoch zu „halbherzig“?

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Welche Bildungs- und späteren Karrierechancen Kinder und Jugendliche haben, hängt in Deutschland stark von der sozialen Herkunft ab. Die Politik will nun mehr für sogenannte Brennpunktschulen tun, damit alle Kinder mitgenommen werden. Opposition und Verbände üben jedoch Kritik an der Initiative, an der zunächst nur 200 Schulen beteiligt werden.

BERLIN. Mit einem auf zehn Jahre angelegten Förder- und Forschungsprogramm wollen Bund und Länder Hunderten sogenannter Brennpunktschulen in Deutschland unter die Arme greifen. So sollen die Bildungschancen der Schüler dort verbessert werden. „Es kann nicht sein, dass wir anhand der Postleitzahl einer Schule die Qualität der Bildung ablesen könne, die ein Kind dort erhält“, sagte Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Vorstellung des Programms „Schule macht stark“ in Berlin.

Bonjour tristesse: Bild aus Duisburg-Marxloh. Foto: Sascha Kohlmann (CC BY-SA 2.0) Wikimedia Commons
Gute Bildung soll es in Deutschland überall geben – auch in sogenannten Brennpunkten (hier: Duisburg-Marxloh). Foto: Sascha Kohlmann (CC BY-SA 2.0) Wikimedia Commons

Gemeinsam mit dem hessischen Bildungsminister und Präsidenten der Kultusministerkonferenz, Alexander Lorz (CDU), und Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) präsentierte Karliczek die Details des Programms. Bund und Länder wollen dafür zusammen 125 Millionen Euro bereitstellen – verglichen mit anderen Programmen, wie dem milliardenschweren sogenannten Digitalpakt Schule, eine sehr kleine Summe. Darum gehe es aber hier auch nicht, sagte Rabe, sondern um die Frage, „was wirkt wirklich“.

Wissenschaftler entwickeln neue Strategien

Konkret geplant ist Folgendes: Bis Oktober 2020 werden in einem ersten Schritt aus allen Brennpunktschulen in Deutschland 200 ausgewählt. Dort werden dann mit Hilfe von Wissenschaftlern neue Strategien und Unterrichtskonzepte entwickelt und ausprobiert, um die Leistungen der Schüler in Bereichen wie Lesen, Schreiben und Mathematik zu verbessern. Die Erkenntnisse werden untereinander ausgetauscht und wissenschaftlich ausgewertet. Die Schulen sollen sich darüber hinaus stärker mit Eltern, örtlichen Vereinen und der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe vernetzen. Konzepte, die gut funktionieren, sollen danach in einem zweiten Schritt auf weitere Schulen übertragen werden.

Rund ein Viertel der Schüler in Deutschland wachse in einer „schwierigen sozialen Situation auf“, sagte Karliczek. „Gute Bildung muss es überall im Land geben – in den Villenvierteln, aber auch an Orten, in denen die Situation vor Ort nicht einfach ist.“ Ihren Angaben zufolge haben Schülerinnen und Schüler in „sozial begünstigten Schulen“ einen Leistungsvorsprung von bis zu fünf Jahren gegenüber Kindern, die sogenannte Brennpunktschulen besuchen. In Ballungsgebieten oder Stadtstaaten sind das rund zehn Prozent der Schulen, sagte Hamburgs Schulsenator Rabe.

Zahl der Brennpunktschulen hat zugenommen

KMK-Präsident Lorz sagte der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch: „Die Zahl der Schulen, die aufgrund der Zusammensetzung ihrer Schülerschaft vor besonderen Herausforderungen stehen, hat ohne Zweifel zugenommen.“ Es werde mit Programmen zwar bereits dagegen angearbeitet, aber man sei noch nicht an dem Punkt, wo man sagen könne, alles Mögliche wurde getan. Die Bund-Länder-Initiative solle nun Instrumente entwickeln, die wirken und dann flächendeckend eingesetzt werden könnten.

Kritisch äußerte sich der Verband Bildung und Erziehung (VBE). VBE-Chef Udo Beckmann begrüßte in einer Mitteilung am Mittwoch zwar grundsätzlich das Vorhaben von Bund und Ländern, nannte es jedoch gleichzeitig „halbherzig“. Die Umsetzung werde erst zum Schuljahr 2021/22 starten. „Das grenzt an Verschleppung. Zumal in der ersten Phase nur 200 von 32 577 allgemeinbildenden Schulen beteiligt werden.“ Die Bildungsexpertin der Grünen, Margit Stumpp, kritisierte, dass sich das Programm vor allem auf die Erforschung von Methoden konzentriert. „Noch einmal fünf Jahre Forschung sind wieder fünf Jahre verlorene Zeit für Schülerinnen und Schüler.“ Jörg Ratzsch, dpa

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2 Kommentare
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xxx
4 Jahre zuvor

Von deren 125 Mio € wird vermutlich der überwiegende Teil als Gehalt für die Forscher verwendet werden, die als Ergebnis realitätsferne, ideologische oder triviale Allgemeinplätzchen präsentieren. Der Erziehungsauftrag der Eltern kommt darin wahrscheinlich nicht vor.

Palim
4 Jahre zuvor

Ich frage mich, ob sich unter den aufgeführten 32 577 allgemeinbildenden Schulen, von denen ja nicht alle Schulen im Brennpunkt sind, um die es gehen sollte, überhaupt 200 finden werden,
deren Lehrkräfte bereit sind, 5 Jahre lang unentgeltlich und zusätzlich zu den sonstigen, schon viel zu umfangreichen Aufgaben samt Herausforderungen im Brennpunkt auch noch der Forschung zu dienen und weitere Konferenzen und Konzepte nicht nur auszuhalten, sondern zu erarbeiten, durchzuführen, zu dokumentieren, zu evaluieren …
Was haben die Schulen davon, abgesehen von Mehrarbeit und der Vorstellung, sich selbst an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen zu sollen?