Die Schule als Theater? Nein! Aber: „Lehrkräfte müssen Auffallen lernen“ – Ein Gastbeitrag

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BERN/ZÜRICH. „Lehrer müssen Entertainer sein“, zitierte Focus Online einst Schauspieler Armin Rhode. Derselben Meinung war sein Kollege Axel Prahl in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Regisseur Detlev Buck und Moderator Jörg Pilawa schlugen mit Äußerungen gegenüber Medien in die gleiche Kerbe. Seltsamerweise hat keiner von ihnen den Lehrerberuf ergriffen. Doch ganz unrecht haben die Herren Entertainer natürlich nicht, gleicht doch das Klassenzimmer oft einer Bühne, auf der sich Lehrkräfte Aufmerksamkeit verschaffen müssen. Dennoch: Schauspielerei wäre als professioneller Ansatz langfristig völlig fehl am Platz. Vielmehr sollten Lehrerinnen und Lehrer ihre authentische Rolle finden, mit der sie überzeugend und selbstsicher auftreten können, sagt Mathis Kramer-Länger. Der Professor und Leiter der Berufspraktischen Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Zürich erklärt in seinem Vorwort zum Trainingbuch „Jeder Schritt ein Auftritt“ (hep-Verlag Bern), weshalb Schweizer Lehramtsstudierende heute von Beginn an Auftrittskompetenz erlernen. 

Unterricht ist keine Quizshow. Trotzdem hilft es Lehrkräften, wenn sie gekonnt auftreten können. Denn so erweitern sie ihr Handlungsrepertoire. Foto: Shutterstock

Der folgende Gastbeitrag ist dem Buch „Jeder Schritt ein Auftritt“ von Norina Peier, Marcel Felder und Erich Slamanig (hep-Verlag Bern) entnommen. Hier lässt sich das Buch bestellen (kostenpflichtig).

Norina Peier | Marcel Felder | Erich Slamanig: Jeder Schritt ein Auftritt
hep verlag, 180 Seiten, ISBN 978-3-0355-1410-0, EUR 33,00
Auch als E-Book erhältlich, ISBN 978-3-0355-1411-7  Foto: hep-Verlag

Als kurz nach der Jahrtausendwende die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in der Schweiz auf das Bologna-Konkordat abgestimmt wurde, gestalteten die neu entstehenden Pädagogischen Hochschulen ihre Studiengänge und Curricula in Modulen. An der Pädagogischen Hochschule Zürich wurden dabei drei «Trainingsmodule » definiert: Neben einem Modul zum Training von Kommunikationskompetenz, gab es eines, in dem der Umgang mit Konflikten trainiert wurde sowie eines zum Training von Auftrittskompetenz. Zum ersten Mal wurde der Begriff «Auftrittskompetenz» – ergänzend und in Abgrenzung zu den damals bereits gebräuchlichen Begriffen «Kommunikationskompetenz» und «Konfliktkompetenz» – im Rahmen eines (fach-)hochschulischen Curriculums verwendet.

Mit dem Trainingsmodul Auftrittskompetenz, einem Pflichtmodul am Anfang des Studiums, werden seither die Studienanfängerinnen und -anfänger der PH Zürich bei einer für sie neuen Erfahrung unterstützt: der Erfahrung, aufzufallen. Darin – im Auffallen – wurden die meisten Studentinnen und Studenten während ihrer 15-jährigen Schullaufbahn nämlich nicht unterstützt. Im Gegenteil: Oft kommt in der Schule ungeschoren davon, wer nicht auffällt, Tarnung wird als wichtige Kompetenz erlebt, die hilft, die schulischen Anforderungen zu bestehen.

Tarnung taugt nichts

Bereits in der zweiten Semesterwoche ihres Studiums besuchen die Studentinnen und Studenten der PH Zürich zum ersten Mal einen Kindergarten oder ein Schulzimmer. Spätestens wenn die ersten Schülerinnen und Schüler den Raum betreten, realisieren die Studierenden, dass ihnen Tarnung nicht hilft. Ob sie es nun wollen oder nicht: Unter lauter Kindern oder Jugendlichen fallen sie auf.

In dieser Situation reagieren die Studierenden wie alle Menschen in ungewohnten Situationen: Sie greifen auf Bekanntes zurück. Beim ersten Kontakt mit Schülerinnen und Schülern beispielsweise auf die Rolle der älteren Schwester, des älteren Bruders. Oder auf die der Pfadfinderführerin, des Leiters einer Jugendgruppe oder des Unteroffiziers. Oder aber, sie erinnern sich an eine Lehrerin oder einen Lehrer, die sie als Schülerin oder Schüler erlebt haben und sie versuchen, sich an deren Verhalten oder dessen Art zu Sprechen zu orientieren. Ist dies auch nicht ganz falsch, so ist es auch nicht wirklich hilfreich. Denn einerseits stimmen die Situationen, in denen die Studierenden die ihnen bekannten Rollen erprobt haben, nicht mit der Schulsituation überein: Eine große Schwester passt in den familiären Kontext, als Pfadfinder verbringt man im kollegialen Rahmen Freizeit. Andererseits bewirkt die Orientierung an Vorbildern, dass man möglicherweise eine Lehrerin oder einen Lehrer ganz gut imitiert, man bleibt aber immer Imitatorin respektive Imitator und ist damit nicht bei sich und dem Eigenen, man ist nicht authentisch. Das ist auf Dauer nicht nur anstrengend, sondern führt auch zu einem eng begrenzten Handlungsrepertoire.

Im Trainingsmodul Auftrittskompetenz beginnen die Studierenden, das eigene Rollenverhalten zu erkennen und weiterzuentwickeln. Mit Übungen zu Selbstwahrnehmung wird die Aufmerksamkeit für sich selbst aktiviert und differenziert. Mit Übungen zur Wahrnehmung ihrer Umgebung werden sie aufmerksamer gegenüber der sie umgebenden Situation. Das Pendeln zwischen diesen beiden Aufmerksamkeiten, dem «Bei-sich-Sein» und dem «In-der-Situation-Sein», wird mit Übungen zur Mehrfachaufmerksamkeit trainiert. Dabei geht es weniger darum, «richtiges» Verhalten einzuüben. Vielmehr ist es das Ziel, Eigenes, Authentisches zu finden und vielfältig anwenden zu lernen. Und dies immer in Bezug auf die jeweilige Situation, einer Situation des Auffallens. So entsteht Bewusstsein für sich selbst in der neuen Situation des Auffallens – situationsbezogenes Selbst-Bewusstsein.

Mit dem „Eigenen“ auffallen, interagieren und kommunizieren

In Situationen des Auffallens geht es immer auch darum, die Menschen wahrzunehmen, die einen umgeben und mit ihnen zu interagieren und zu kommunizieren. Das «In-der-Situation-Sein» ist also immer auch ein «In-Kontakt-mit-Menschen-Sein». Wer in diesem Sinne mehrfach wahrnehmend, selbst-, situations- und adressatenbewusst interagiert und kommuniziert, entwickelt eine zentrale professionelle Kompetenz für den Lehrberuf – und für viele andere Berufe. Es erstaunt denn auch nicht, dass in den letzten Jahren unter dem Begriff «Auftrittskompetenztraining» verschiedene Aus- und Weiterbildungsangebote außerhalb der Lehrerbildung entstanden, in denen Berufsleute aus unterschiedlichen Bereichen ihren Umgang mit berufsfeldspezifischen Situationen des Auffallens, Interagierens und Kommunizierens trainieren.

Insofern könnte das Trainingsmodul auch «Auffallenskompetenz» oder «situativ-authentische Interaktions- und Kommunikationskompetenz» heißen. Dass es um die Jahrtausendwende zum Begriff «Auftrittskompetenz» kam, hängt wohl damit zusammen, dass die Übungen des Trainingsmoduls dem Fundus der Schauspielausbildung entstammen, in der es – stark vereinfacht ausgedrückt – um den Bühnenauftritt geht.

In diesem Band sind solche Übungen zusammengetragen. Die Zusammenstellung fokussiert darauf, Menschen verschiedener Professionen in ihren authentischen Möglichkeiten des Interagierens und Kommunizierens in Situationen des Auffallens kompetenter zu machen und ihnen so zu einem situations- und adressatenbezogenen Selbst-Bewusstsein zu verhelfen.

Über den Gastautor:

Foto: hep-Verlag

Mathis Kramer-Länger war Primarlehrer und hat als ausgebildeter Theaterpädagoge unter anderem am Schauspielhaus Zürich gearbeitet. Er war Lehrbeauftragter für Rhetorik und Auftrittskompetenz an der Uni Zürich und Lehrbeauftragter an der Hochschule Musik und Theater, bevor er als Professor an die Pädagogische Hochschule Zürich berufen wurde. Dort übernahm er die Leitung Berufspraktische Ausbildung Eingangsstufe.

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