Gespanntes Verhältnis zum eigenen Körper – Wie Influencer den Perfektionierungsdruck auf Jugendliche erhöhen

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WITTEN. Das Gefühl, direkt mit dem Gegenüber wie mit einem Freund in Kontakt zu treten, macht für viele Jugendliche den Reiz soziale Medien aus. Doch die Kommunikation mit Influencern hält keineswegs immer was sie verspricht. Wie Influencer und Nutzer kommunizieren, haben Forscherinnen aus Witten anhand der Fitness- und Gesundheits-Online Stars untersucht.

Bis zu drei Stunden täglich verbringen 12- bis 17-Jährige durchschnittlich in sozialen Netzwerken. Über ein Drittel der Jugendlichen steuert dabei gezielt die Seiten sogenannter Influencer an, also von Menschen, die in sozialen Netzwerken besonders einflussreich sind. In den sozialen Medien schätzen die jungen Menschen nach eigenen Aussagen vor allem das Gefühl, persönlich angesprochen zu werden und überzeugende Erklärungen von Vor- und Nachteilen zu bestimmten Themen zu erhalten.

Die Ästhetik der Werbung beherrschen auch Influencer, Jugendliche unterliegen auch beim „chilligen“ surfen einem permanenten sozialen Druck. Foto: 5132824 / Pixabay (P. L.)

Die sozialen Medien sind zu einer eigenen Lebenswelt geworden. Trotz üppiger Berichterstattung in den klassischen Medien, sind die meisten Erwachsenen über 35 von einem tieferen Verständnis dieser jugendlichen Welt weit entfernt. Es herrscht ablehnendes Unverständnis über die Virtualisierung jugendlichen Lebens.

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Mit ihrem physisch realen Körper haben es Jugendliche indes nicht leicht. Nahezu ständig umgeben sie einem sportlichen Schönheitsideal verpflichtete, oft computertechnisch optimierte Bilder, verbunden mit der Suggestion, das jedermann ein solches Ideal erreichen könne. Die implizite Forderung nach der Selbstperfektionierung stellt einen permanenten Stressfaktor dar.

Rund 20 Prozent der Jugendlichen in Deutschland sind denn auch unzufrieden mit Figur und Gewicht oder leiden an Heißhungeranfällen, jeder sechste zwischen 14 und 17 leidet an Übergewicht. Die Zahl von Minderjährigen mit Essstörungen von Magersucht bis Übergewicht gibt vielen Anlass zu Besorgnis: Familien, Schulen und Krankenkassen versuchen, Einfluss zu nehmen und die Entwicklung zu bremsen.

Wie Influencer zu gesundheitsrelevanten Themen kommunizieren und Jugendliche in ihrem Verhalten beeinflussen, haben jetzt Forscherinnen der Universität Witten/Herdecke untersucht. Dazu haben Sie haben 1.000 Bilder von Deutschlands Top-50 Fitness-Influencern unter die Lupe genommen und teilweise Kommunikationsstränge mit bis zu 2.000 Kommentaren analysiert.

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Die Ergebnisse sind eindeutig: Fitness-Influencer vermitteln Ernährung und Bewegung als Stellschrauben für die Perfektionierung des eigenen Körpers. Auf mehr als der Hälfte der Bilder war ein muskulöser nackter Bauch zu erkennen. Sichtbare Muskulatur und ein geringer Anteil an Körperfett sind Ideale des aktuellen Körperkults, der Schönheit nur durch aktive Formung des eigenen Äußeren erlaubt. Durch Kontrolle erschaffene, gestaltete Körper folgen einem unrealistischen Schönheitsideal. Sie werden aber als Signale für Gesundheit und Selbstbestimmung umkodiert und als Indikator für Kontrolle, Leistung und Macht angesehen.

„Jugendliche kommunizieren mit Influencern über das Internet wie mit besten Freundinnen, sie klagen über ihre Figur, kommentieren umfangreich das Aussehen, die Kleidung, das Essen ihrer Idole, und sie suchen Rat, wie auch sie so perfekt werden können“, erklärt Katharina Pilgrim, die zu dieser Thematik ihre Doktorarbeit verfasst hat. „Dass die dargestellten Fotos aufwändig in Szene gesetzt und umfangreich bearbeitet sind, ist ihnen oft nicht bewusst.“ Professor Sabine Bohnet-Joschko, Betreuerin der Arbeit, ergänzt: „Jugendliche bewegen sich täglich mehrere Stunden in sozialen Netzwerken, dort informieren sie sich auch über gesundheitsrelevante Themen wie Ernährung und Bewegung. Wir müssen diese Art der Kommunikation und ihre Hintergründe verstehen, wenn wir gesundheitsfördernde Maßnahmen planen, sonst zielen wir an der Lebenswelt der Jugendlichen vorbei.

Es geht natürlich auch um Geld. Influencer verdienen über den Verkauf der Produkte, die sie auf ihren Bildern präsentieren. „Nicht ständig, aber doch regelmäßig geht es auch um die Vermarktung von Produkten wie Sportbekleidung und Nahrungsergänzungsmittel,“ erläutert Pilgrim. Jugendliche gewännen den Eindruck, dass die von ihren Idolen genutzten Produkte einen etwas einfacheren Weg zum angestrebten Äußeren bieten. Insgesamt wurde auf zwei von drei Bildern ein Hersteller, ein Produkt, eine Marke oder ein Unternehmen eingebunden, wobei nur die Hälfte als Werbung gekennzeichnet war. Die Vermarktung und damit einhergehende Einnahmen stehen somit speziell bei Fitness-Influencern eindeutig im Fokus des Interesses. „Konsum, Schönheit und Glück werden so in einen direkten Zusammenhang gestellt“, so Sabine Bohnet-Joschko. Im Ergebnis stellten die Forscherinnen fest, dass auf fast der Hälfte der Bilder Nahrungsergänzungsmittel in Pulver oder Pillenform abgebildet waren.

„Die Fitness-Influencer prägen Jugendliche heute maßgeblich in ihren gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen. Dabei betreiben diese keine Gesundheitsförderung, sondern wollen Geld verdienen. Es besteht also ein deutlicher Bedarf, Jugendliche in ihrer psychischen und physischen Entwicklung zu schützen und zu begleiten“, betont Katharina Pilgrim. „Aktuell sehen wir großes Interesse in der Medienwelt, wenn Influencer wegen Schleichwerbung abgemahnt werden. Aber viel wichtiger ist es, Lehrende, Erziehungsberechtigte sowie Entscheiderinnen und Entscheider zu befähigen, Minderjährige angemessen aufzuklären, zu beraten und zu schützen. Dazu gehört auch das Umdenken, die sozialen Medien als eigene Lebenswelt wahrzunehmen. Sie also nicht pauschal zu verdammen, sondern sie zu nutzen, um mit wirklicher Gesundheitsförderung die Jugendlichen zu erreichen“, legt Bohnet-Joschko nach. (zab, pm)

• Die Studie ist im Fachmagazin BMC Public Health veröffentlicht (DOI: 10.1186/s12889-019-7387-8)

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