Warum „100-prozentige Unterrichtsversorgung“ nicht 100 Prozent Unterricht ist

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KIEL. Ziel erreicht – wie man es nimmt. Die Unterrichtsversorgung an den Schulen in Schlesig-Holstein ist bei 100 Prozent angekommen, sagt die Regierung. Trotzdem fallen Stunden aus, wenn auch weniger als früher. Der Teufel steckt im Detail.

Sieht erst einmal hübsch aus: die 100. Foto: Shuttesrtock

Eine Unterrichtsversorgung von 100 Prozent an den allgemeinbildenden Schulen hat das Bildungsministerium in Kiel für das Schuljahr 2018/19 vermeldet. Aber fast zehn Prozent des vorgesehenen Unterrichts wurde nicht wie geplant erteilt, wie aus einem Regierungsbericht an den Landtag hervorgeht. Wie passt das zusammen? Die 100 Prozent beziehen sich laut einer Sprecherin auf die Zahl der jeweils vorhandenen Lehrerstellen, die ausreichen, um 100 Prozent zu gewährleisten. Das ist also erst einmal eine theoretische Größe. In der Praxis fielen 2018/2019 zwei Prozent der Stunden ersatzlos aus, zum Beispiel, weil es keine Vertretung für kranke Lehrer gab.

Ohne Seiteneinsteiger läuft in den Schulen Schleswig-Holsteins kaum noch etwas

Weitere 7,6 Prozent wurden nicht planmäßig erteilt, sondern es gab Vertretungsunterricht oder «organisatorische Maßnahmen». Von diesen deckte «EVA» ein Fünftel ab, «Eigenverantwortliches Arbeiten», also ohne Lehrer. «Bei entsprechender Nachbereitung der Aufgaben mit der Lehrkraft ist EVA in allen Stufen ein effizientes und pädagogisch sinnvolles Instrument», heißt es im Regierungsbericht.

Bildungsministerin Karin Prien sieht die Unterrichtsversorgung im Land auf gutem Weg. Für das laufende Schuljahr sei eine Versorgung mit 101 Prozent der Planstellen vorgesehen, sagte die CDU-Politikerin. «Das bedeutet, dass wir bei den Planstellen Überhänge und Reserven aufbauen können, um flexibel auf Unterrichtsausfall etwa durch Schwangerschaft, Eltern- oder Familienpflegezeit reagieren können.»

An den berufsbildenden Schulen sei die Unterrichtsversorgung von 92 Prozent (2017/18) auf 98 Prozent im laufenden Schuljahr gestiegen. «Als ich Bildungsministerin wurde (2017 – Anmerkung der Redaktion), war der Lehrermangel in Schleswig-Holstein noch ein Nischenthema», sagte Prien. Allein zum laufenden Schuljahr seien weitere 376 Planstellen zusätzlich zur Verfügung gestellt worden.

«Bei der Unterrichtsversorgung geht es voran», sagte Bildungsexperte Martin Habersaat von der SPD. Jamaika setze den Kurs der Vorgänger-Regierung fort, trotz sinkender Schülerzahlen mehr Lehrerstellen zu schaffen. Der Grad der Unterrichtsversorgung sage aber nichts darüber aus, ob und wie Stellen tatsächlich besetzt sind. So trage auch eine unbesetzte Stelle bei dieser Darstellung zu einer 100-prozentigen Unterrichtsversorgung bei. Zudem hätten 2018/19 an den Grundschulen fast 10 Prozent der Lehrkräfte ohne abgeschlossene Lehramtsausbildung unterrichtet. «Ohne diese Kräfte geht inzwischen gar nichts mehr an unseren Schulen», sagte Habersaat. Sie bräuchten Unterstützung.

In dem Bericht listet die Regierung viele Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtssituation auf. Dazu gehören mehr Lehrerstellen, die schrittweise Erhöhung der Bezahlung von Grundschullehrern und die geplante 250-Euro-Zulage für neue Lehrer in Problem-Regionen.

GEW: Für vollständigen Unterricht wären 105 oder 110 Prozent nötig

Auch nach Ansicht der Lehrergewerkschaft GEW sind zu viele Stellen nicht oder nicht mit voll ausgebildeten Lehrern besetzt. Um tatsächlich einen vollständigen Unterricht gewährleisten zu können, wären eigentlich 105 oder 110 Prozent nötig, sagte die Landesvorsitzende Astrid Henke. Es müsse mehr getan werden, um ausreichend qualifizierte Kräfte zu finden. Vor allem an Grundschulen und Förderzentren gebe es große Probleme. Besonders dringlich wäre es aus Sicht Henkes auch, die Besoldung der Grundschullehrer schneller auf die Stufe A13 zu heben als von der Regierung geplant. Nach derzeitigem Stand soll die schrittweise Erhöhung bis zum Schuljahr 2025/26 abgeschlossen werden. dpa

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