Immer mehr Seiteneinsteiger kommen in den Lehrerberuf – der VBE spricht schon von einem „Albtraum für alle Beteiligten“

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DÜSSELDORF. Der Anteil der Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf steigt aufgrund des Lehrermangels deutschlandweit stetig an. Laut einer Erhebung der „Rheinischen Post“ lag bei den Neueinstellungen in den Schuldienst der Anteil derjenigen ohne pädagogische Qualifikation zum Schuljahresbeginn im Bundesdurchschnitt bei rund 16 Prozent – allerdings seien die Unterschiede gewaltig. Sie schwanken dem Bericht zufolge zwischen 61 Prozent (Berlin) und vier Prozent (Rheinland-Pfalz). Lehrerverbände schlagen Alarm. Von einem „Albtraum für alle Beteiligten“ ist die Rede.

Per Seiteneinstieg geht’s schneller in den Lehrerberuf. Foto: Shutterstock

Westdeutsche Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen liegen der Abfrage unter den 16 Kultusministerien der Länder zufolge zwischen zehn und zwölf Prozent, die meisten ostdeutschen Länder kommen dem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge auf Werte um 30 Prozent. „Diese Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger helfen den Schulen dabei, den hohen Lehrerbedarf zu decken und Unterrichtsausfall zu vermeiden. Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger sind mit ihrer persönlichen Berufsbiografie vielfach eine Bereicherung für das Schulleben“, so heißt es beim Schulministerium NRW.

Keine Seltenheit, dass Seiteneinsteiger ohne Vorbereitung vor der Klasse stehen

Dass Seiteneinsteiger allerdings ohne jegliche Vorbereitung eine Schulklasse unterrichten müssen, ist keine Seltenheit. „In den Ländern gibt es viele verschiedene Modelle für die Qualifizierung von Seiteneinsteigern oder Quereinsteigern – von einem vollwertigen Referendariat mit ergänzendem pädagogischen Seminar bis hin zu einer eigenen Ausbildung über zwei Jahre, die dann aber nebenher geschieht, während die Arbeit in der Schule schon läuft“, erklärt Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung. Der Verband vertritt Lehrerausbilder. „Verschärfend“, so Klaßen, kommt hinzu: „Der Lehrermangel hat in einigen Regionen bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass dort eigentlich jeder Kandidat in den Schuldienst durchgewunken wird. Selbst diejenigen, die am Ende durchfallen, bekommen hinterher eine unbefristete Stellte im Lehramt.“

Der VBE schlägt in dieselbe Kerbe. Er fordert „eine angemessene, mindestens halbjährige Vorqualifizierung, die berufsbegleitende Weiterqualifizierung und die Möglichkeit für das Kollegium, die neu Hinzukommenden angemessen zu beraten. Dafür braucht es Kooperationszeit und Zeit für Unterrichtsbegleitung“. All das werde aber in den meisten Bundesländern nicht ausreichend gewährleistet, beklagt VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. „Und damit wird der Traum von der Behebung des Lehrermangels zu einem Albtraum für alle Beteiligten: Die Seiten- und Quereinsteigenden werden von Beginn an alleine gelassen, das Kollegium muss für die notwendige Einarbeitung Überstunden einlegen und der Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen ist nicht mehr gesichert.“

„Fundiertes fachliches und didaktisches Wissen nötig“

Problemverschärfend kommt hinzu: Der Lehrermangel ist an den Grundschulen am größten – also dort, wo eine pädagogische Qualifikation am wichtigsten ist. „In der Grundschule ist der Seiteneinstieg nur für die Fächer Kunst, Musik, Sport und Englisch möglich. In den Fächern Mathematik und Deutsch ist der Seiteneinstieg in der Grundschule nicht möglich, denn in diesen Fächern sind die Anforderungen besonders hoch“, so heißt es auf der Seite des Schulministeriums NRW. „Die Vermittlung dieser beiden Fächer erfordert fundiertes fachliches und didaktisches Wissen sowie vertiefte Kenntnisse über die Entwicklungsphasen der Schülerinnen und Schüler.“

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Die GEW berichtet allerdings, dass diese Vorgabe in den Schulen nicht mehr eingehalten werden könne. Häufig sei der Mangel so groß, dass die Seiteneinsteiger nach kurzer Zeit auch Mathe und Deutsch unterrichteten, berichtet die Landesvorsitzende  Maike Finnern der „Rheinischen Post“. Dies gelte insbesondere für Vertretungslehrer. VBE-Chef Beckmann zeigt sich empört: „Kinder, die auf Lehrkräfte angewiesen sind, die mit besonders viel pädagogischem Geschick bilden und erziehen, wird besonders viel Unterricht durch dafür nicht angemessen qualifizierte Seiteneinsteigende gegeben. Hier setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, die bald nicht mehr aufzuhalten ist.“

Und der Lehrermangel nimmt dramatisch zu: Bis zum Jahr 2025 werden Prognosen der Bertelsmann-Stiftung zufolge mindestens 26.300 Lehrer an Grundschulen fehlen (News4teachers berichtete). Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Eine Leserin kommentiert die Debatte um die Qualifikation von Seiteneinsteigern für den Schuldienst auf der Facebook-Seite von News4teachers:

Wenn Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf ohne pädagogische Qualifikation vor der Klasse stehen… Verband bak Lehrerbildung schlägt Alarm

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4 Kommentare
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Heinz
4 Jahre zuvor

Die Situation ist wirklich extrem übel, weil dadurch gleichzeitig auch immer mehr Aufgaben für die richtigen Lehrer übrig bleiben. Klassenleitung, Fachleitung, Verantwortung in jeglicher Hinsicht bekommen viele Schulfremde erst nach etlichen Jahren hin und manchmal auch gar nicht.

Wobei ich wirklich großen Respekt vor jeden Seiten- und Quereinsteiger habe, aus denen kann zum Teil wirklich was werden, so dass man sie nach ein paar Jahren nicht mehr von Lehrern unterscheiden kann auf den ersten Blick.

Was mich aber wirklich stört, und was ein echter Skandal ist, sind die ganzen dubiosen Vertretungskräfte!!!!!!! Weil im Schulsystem mittlerweile alle gnadenlos überlastet sind, wird als Vertretungslehrkraft genommen, was halbwegs stehen kann, und sich nicht vollkommen von Kindern tyrannisieren lässt. Wir hatten da schon so große Katastrophen, dass man sich nur denkt: „Naja, wenn die Kinder keinen Lehrer hätten, wäre es halt schlimmer, weil wir vertreten müssten, aber die hätten genauso viel gelernt.“ Viele von denen sind einfach vollkommen ungeeignet.

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  Heinz

Ich stimme dem uneingeschränkt zu.

Zu differenziere wäre zudem,
a) welche unterschiedlichen Qualifizierungen für Seiten-/ Quereinsteiger in den verschiedenen Bundesländern vorgesehen sind oder wo sie ohne Qualifizierung sofort eigenverantwortlichen Unterricht erteilen
und
b) welche Qualifizierung Vertretungskräfte nachweisen müssen. Auch da wird es große Unterschiede geben.

Es ist anstrengend, bei stetigem Wechsel immer neue Kräfte einarbeiten zu müssen.
Gerne werden auch Referendare an die Schulen mit Lehrkräftemangel gesetzt, weil sie die Unterversorgung ein Stück weit auffangen können. Gleichzeitig brauchen sie aber ebenfalls Betreuung und Anleitung, sodass das Kollegium auch hier mit Mehrarbeit belastet wird.

Schwierig ist auch, dass diejenigen, die neu und wenig qualifiziert in die Schule kommen, teilweise verquere Vorstellungen von den Fächern und ihren Inhalten haben. An dieser Stelle braucht es Unterstützung in fachlichen und pädagogischen Belangen.

Die Abordnungen anderer Schulformen haben sich zudem gewünscht, zu Beginn wenigstens ein paar Stunden hospitieren zu können, aber auch das ist nicht gegeben und lässt sich in einer anhaltenden Notsituation nicht realisieren.

Der Mangel ist an den Schulen am größten, an denen die Herausforderungen sehr hoch sind, sodass gerade dort viele Vertretungen eingesetzt werden. Irgendwann hat die Schule so wenig ausgebildete Lehrkräfte, dass die Vertretungskräfte den Unterricht in Klasse 1 und 2 samt Klassenleitung übernehmen müssen, weil der Unterricht ansonsten ausfallen würde.

Herr Mückenfuß
4 Jahre zuvor

Zitat: „Immer mehr Seiteneinsteiger kommen in den Lehrerberuf – der VBE spricht schon von einem “Albtraum für alle Beteiligten”“

Diesen Titel empfinde ich als eine Zumutung. Er geht davon aus, dass Seiteneinsteiger per se schlechte Lehrer und Lehrer mit Lehrerausbildung per se gute sind. Es gibt aber auch unter den „echten Lehrern“ gute und schlechte (je nachdem, was man gut und schlecht findet). Manche haben beste Prüfungsnoten und scheitern doch im Schulalltag – vor allem an den Kindern.

Seiteneinsteiger bringen außerschulische (Berufs-)Erfahrung mit und das kann sehr wertvoll sein. Sie benötigen natürlich auch ein Minimum an Ausbildung. Naturtalente gibt es unter ihnen womöglich genauso wenige wie unter den Lehrern mit Lehrerausbildung.

Ohne Seiteneinsteiger sähen wir an den Schulen ziemlich alt aus. Wahrscheinlich wäre das Stundensoll noch höher und die Klassen noch größer, weil es einfach gar nicht mehr anders ginge!

Steven
4 Jahre zuvor

Da bin ich ja ausnahmsweise mit Ihnen einer Meinung Herr Mückenfuß. Habe selbst vor einiger Zeit den Quereinstieg durchlaufen. Hatte aber glücklicherweise pädagogische Vorerfahrung. Die Organisation am StudSeminar und die Betreuungssituation war durchwachsen und die Belastung hoch. Ich wünsche mir für alle folgenden QEs eine bessere Ausbildung (Land Niedersachsen).
Mittlerweile bin ich Beamter, habe viel gelernt und bin zufrieden. Habe aber auch in der Zeit fähige und unfähige Lehrkräfte kennengelernt die das reguläre System durchlaufen haben. Da bin ich ganz bei Ihnen, pauschale Urteile sind hier nicht angebracht.