Studie: Gehen verändert das Sehen, das Denken und das Lernen

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WÜRZBURG. Wenn ein Mensch herumläuft, verarbeitet er visuelle Eindrücke anders als in Ruhe und das beeinflusst das Lernen: Doch nur selten werden wissenschaftliche Experimente zur Wahrnehmung in Bewegung durchgeführt. Die Würzburger Neurowissenschaftlerin Barbara Händel will das ändern.

Wie nimmt der Mensch seine Umwelt wahr? Was bewirken die Sinnesreize im peripheren Nervensystem, was im Gehirn? Dafür interessiert sich die Wissenschaft aus vielen Gründen. So bestätigen Studien, dass Menschen in Bewegung besser lernen. Langfristig könnten Erkenntnisse aus dieser Forschung außerdem dazu beitragen, Krankheiten wie ADHS oder Parkinson besser zu verstehen.

Bewegung beeinflusst auch kognitive Prozesse. Foto: Lisa Runnels / Pixabay (P.L.)

Die Wahrnehmung und die zu Grunde liegenden Nervenaktivitäten werden allerdings meistens bei sitzenden oder liegenden Versuchspersonen gemessen, zum Beispiel im Kernspintomografen. Der Kopf ist dabei in der Regel fixiert, und die Probanden sind angehalten, möglichst nicht zu blinzeln. Die Messungen laufen also unter gut kontrollierten, aber eher unnatürlichen Bedingungen ab.

Bei der Verarbeitung visueller Reize macht es aber einen Unterschied, ob der Mensch sitzt oder sich bewegt: Beim Umherlaufen wird der periphere Anteil des Gesichtsfeldes im Vergleich zum zentralen Anteil viel deutlicher ausgelesen als in Ruhe. Das lässt sich sowohl an der Wahrnehmung der Probanden als auch an deren Gehirnantwort nachweisen.

Diese Verschiebung der optischen Präferenz macht Sinn. „Es ist vor allem die periphere visuelle Information, die uns Aufschluss über die Richtung und Geschwindigkeit unserer Bewegung gibt und damit für unsere Navigation eine wichtige Rolle spielt“, sagt Barbara Händel, Neurowissenschaftlerin von der Universität Würzburg.

„Von Tieren war bekannt, dass eine gesteigerte Körperbewegung zu einer erhöhten Feuerrate in visuellen Arealen des Gehirns führt“, sagt Dr. Händel. Für Menschen liegen bislang nur wenige Verhaltensexperimente vor, die den Einfluss von Bewegung auf sensorische Gehirnareale untersuchen. Manches deutet aber auf eine Verbindung zwischen kognitiven Prozessen und dem Bewegungszustand hin. Es gebe etwa Hinweise darauf, dass Menschen in Bewegung besser lernen. Die zu Grunde liegenden neuronalen Mechanismen seien aber bisher nicht detailliert getestet worden.

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Genau solche Wissenslücken will Barbara Händel mit ihrer Arbeit schließen. Um die Kopplung von Bewegung und Wahrnehmung zu erforschen, ist ein ausgefeiltes technisches Equipment nötig. Während die Versuchspersonen umherlaufen, tragen sie Elektrodenkappen, die ihre Gehirnströme erfassen. Die EEG-Daten gehen drahtlos an einen Laptop, den die Probanden in einem Rucksack mit sich führen. Bewegungssensoren, Videobrillen und mobile Geräte zur Aufzeichnung der Augenbewegungen vervollständigen das Setting.

Ein ziemlicher Aufwand. „Aber wir müssen diesen Schritt gehen, wenn wir die Wahrnehmungsstrategien des Menschen während seines natürlichen Verhaltens verstehen wollen“, begründet Händel. Noch sei die Erforschung der Wahrnehmung bei Menschen in Bewegung ganz am Anfang. Es sei nun Sache der Wissenschaft, schlaue Fragen zu stellen und herauszufinden, welche davon sich mit der mobilen technischen Ausrüstung beantworten lassen.

Als Nächstes will die Wissenschaftlerin den Effekt der veränderten Wahrnehmung weiter untersuchen. Tritt er nur bei visuellem Input auf oder möglicherweise auch in anderen sensorischen Bereichen? Spielt er, neben der Navigation, vielleicht auch bei anderen kognitiven Fähigkeiten wie Gedächtnisleistung und Kreativität eine Rolle?

Das alles sei gut möglich: Aus Experimenten mit Ratten ist bekannt, dass die Tiere besser lernen, wenn sie in Bewegung sind. Und die Vorstellung, dass Gehen die Kreativität steigert, gibt es schon seit der Antike. „Die Peripatetiker, eine philosophische Schule um Aristoteles, diskutierten zum Beispiel meist im Gehen, wovon sich auch ihr Name ableitet“, erläutert Barbara Händel.

Eine Verbindung gibt es auch zwischen Kreativität und Augenbewegungen: „Man weiß, dass Menschen öfter blinzeln, je kreativer sie eine Aufgabe lösen. Und wir haben herausgefunden, dass Menschen beim Umherlaufen ebenfalls häufiger blinzeln als in Ruhe.“ Offenbar gibt es also zwischen den Bewegungen des Körpers, der Augen und der geistigen Leistungsfähigkeit vielerlei Verknüpfungen. Deren Erforschung könnte noch interessante Aspekte zutage fördern. (pm)

„Das Spielen von Ego-Shootern wirkt sich positiv auf unsere Aufmerksamkeit aus“ – Interview mit Wissenschaftlerin Daphne Bavelier

• Die Studie ist im Fachmagazin PLOS Biology veröffentlicht und kostenlos zugänglich

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4 Kommentare
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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Bei diesem Thema wird es jetzt aber schwierig für die Stahlhelmfraktion eine Verbindung zum Nationalsozialismus herzustellen.
Aber vielleicht klappt es ja über den Bezug des Marschierens als Bewegungsablauf im Stechschritt unter Fahnenbannern.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Doch, das ist sehr einfach: Gehen heißt Bewegung und steht daher im Widerspruch zur Digitalisierung und ist daher rückwärtsgewandte Bildungspolitik. Rückwärtsgewandt = Stahlhelmträger. Fertig.

Und jetzt mal ernsthaft: Wenn Ihr Kommentar kein Scherz ist, brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Sie andauernd von Haltungen politisch rechts von der SPD angefeindet werden.

Beate S.
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Muss auch dieses Thema wieder mit der NS-Zeit verbunden und für den Kampf gegen rechts eingespannt werden?

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Beate S.

Das war ein ironischer Beitrag in Bezug auf die im Diskussionsforum stattgefundene Diskussion um das Setzen der Deutschlandfahne an Schulgebäuden. Den Bezug der Deutschlandfahne zum Nationalsozialismus hatten eine Maja und andere hergestellt.

Die Fahne im Nationalsozialismus war die schwarz, weiß und rote Fahne aus der Kaiserzeit, die auch noch heute bei Rechtsextremisten als solche benutzt wird.