Viel Arbeit, wenig Anerkennung: Hunderte (Grund-)Schulleiterposten bundesweit unbesetzt

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STUTTGART. Schulleiterposten sind keine Traumstellen. Besonders bei den Grundschulen tun sich alle Bundesländer mit der Neubesetzung vakanter Stellen schwer. Lehrermangel, Ganztagsbetrieb, neue Aufgaben durch Inklusion und Sprachförderung: Die Grundschulen haben zu kämpfen – und werden dabei viel zu wenig wertgeschätzt, sagt beispielhaft ein Schulleiter aus Baden-Württemberg. Er findet: Es sind strukturelle Änderungen nötig.

Schulleitungen, gerade an Grundschulen, sind häufig mit einer Vielzahl an Aufgaben auf sich allein gestellt. Foto: Shutterstock.

Schulleiter Reinhold Sterra muss seinen Interview-Termin eine Dreiviertelstunde nach hinten verschieben. Ein Krankheitsfall, kurzfristig, er übernimmt eine Vertretungsstunde. Nicht ungewöhnlich für Sterra, der sich so viel um Unterricht und Sekretariatsaufgaben kümmern muss, dass ihm immer weniger Zeit für seine eigentliche Aufgabe bleibt: die Leitung einer Grundschule. In seinem letzten Schuljahr vor der Pension blickt der 64-Jährige auf eine 23 Jahre lange Rektorenlaufbahn zurück und stellt fest: die Aufgaben an den Grundschulen haben sich grundlegend gewandelt.

Er begrüßt Ideen des Kultusministeriums, mit denen Grundschulleiter unterstützt werden sollen. Ausreichend sei das aber noch nicht. Die Grundschule sei eine «vergessene Schulart», strukturelle Änderungen seien nötig.

«Das Berufsbild des Schulleiters hat sich stark gewandelt»

Die Kirchhaldenschule liegt in Botnang, einem äußeren Stadtbezirk Stuttgarts. 200 Schüler mit 21 Nationalitäten besuchen die Grundschule. Sterras Umgang mit den Kindern ist herzlich und vertraut. Die Kinder freuen sich, wenn sie den Rektor auf dem Gang sehen, manche drücken ihm im Vorbeigehen die Hand. «Das ist ein Millionenhügel», sagt Sterra in Richtung der repräsentativen Häuser oberhalb des Schulgebäudes. Weiter in Richtung der Innenstadt stünden Sozialwohnungen. Die Schüler kommen aus beiden Gebieten. «Die sind alle hier. Das ist toll!» sagt er. Gerade wegen dieser sozialen Vielfalt würde er sich wieder für den Beruf entscheiden.

Und das, obwohl die Herausforderungen für Schulleiter in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben. Vor 23 Jahren sei es spätestens um 14 Uhr ruhig gewesen, erzählt Sterra. Heute gibt es an der Kirchhaldenschule Ganztagsbetreuung. Elf Kinder würden inklusiv gefördert, viel mehr bräuchten heute Sprachförderung. Schulleiter wie Sterra müssen sich um Inklusionskräfte und Fachkräfte kümmern und mit Flüchtlingsunterkünften oder dem Jugendamt sprechen. «Das Berufsbild hat sich in den letzten Jahrzehnten doch ganz stark gewandelt», sagt Sterra. Konsequenzen habe man aber keine gezogen. «In meinen Augen wurde in den letzten Jahren verschlafen oder man hat es einfach nicht mitbekommen, wie gravierend sich unsere Gesellschaft verändert hat», sagt Sterra.

Gleichzeitig gibt es an baden-württembergischen Grundschulen viel zu wenige Lehrer. Erst 2024 wird es wieder so viele Lehramtsabsolventen geben, wie Stellen zu besetzen sind. 400 Stellen waren im Südwesten zu Schuljahresbeginn unbesetzt. Sterras Schule blieb davon zwar verschont. Schon in der ersten Woche sei aber eine Lehrerin langfristig ausgefallen, sagt er. Eine Krankheitsvertretung, die laut Sterra bis vor fünf, sechs Jahren in solchen Fällen länger ausgeholfen hätte, gibt es nicht. «Da kommt niemand mehr», sagt er. Wenn überhaupt, gebe es für ein paar Wochenstunden Ersatz.

Klassen wurden zusammengelegt, Lehrer stehen vor weit mehr als 30 Kindern, pensionierte Lehrer helfen aus. Wenn man die Eltern mit einbinde, funktioniere so ein Provisorium – das auch an vielen anderen Schulen üblich sei – gut, sagt Sterra. «Aber das ist nur eine „Feuerwehrmaßnahme“.» Auf Dauer sei das keine Lösung. «Wir müssen gucken, dass wir junge Lehrkräfte nicht ausbrennen», sagt er.

Das Kultusministerium will gegen den Schulleitermangel gegensteuern

Immer weniger Lehrer wollen die Verantwortung eines Schulleiterpostens an einer Grundschule übernehmen. 154 Stellen im Land waren Stand Mitte November vakant, mehr als bei allen anderen Schulformen zusammen. Das Kultusministerium will gegensteuern: Schulleiter und kommissarische Leitungen sollen mehr Geld bekommen, auch kleinere Schulen sollen Konrektoren bekommen. Die Maßnahmen sollen kommende Woche mit dem neuen Doppelhaushalt im Landtag abgesegnet werden.

Sterra findet diese Maßnahmen grundsätzlich gut. Sie gehen ihm aber nicht weit genug. «Wir würden uns viel mehr Leitungszeit wünschen», sagt er. Von seinen 26 Stunden müsse er die Hälfte unterrichten, für die Leitungsaufgaben blieben nur 13 Stunden pro Woche. «Das ist nicht sehr viel. Ich bin hier ein „50-Prozent-Schulleiter“», sagt er. Er arbeite 50 bis 70 Prozent mehr, als er angerechnet bekomme. Auch die stellvertretenden Schulleitungen müssten viel mehr Zeit für Leitungsaufgaben bekommen und das Sekretariat gestärkt werden. Die Sekretärin habe aktuell nur eine Dreiviertelstelle. «Das übernehme dann ich, wenn sie nicht da ist», sagt Sterra.

Notwendig sei außerdem ein Pool an Förderstunden, «mit dem wir verbindlich rechnen können», sagt Sterra. Bislang habe man mit der Zahl der zugeteilten Stunden kaum planen können: Mal gab es überhaupt keine, mal vier Wochenstunden pro Schuljahr. Außerdem bräuchten die Schulen mehr Stunden für den Sprachförderunterricht.

Und «eine sehr weitgehende Forderung»: «Ich würde sogar so weit gehen, zu fordern, dass in der Grundschule Unterricht durchweg nur im Team erteilt wird», sagt Sterra. Eine zweite Person, die die Lehrkraft unterstütze, bringe sehr viel. Neun solcher Kräfte sind derzeit an der Kirchhaldenschule – allerdings ehrenamtlich. Laut Sterra haben alle einen Hochschulabschluss, teils seien es pensionierte Kollegen.

Einzelne Maßnahmen würden aber ohnehin zu kurz greifen. «Es ist ein strukturelles Thema», sagt Sterra. Die Grundschule bekommt seiner Meinung nach zu wenig Wertschätzung, es müsse mehr investiert werden. «Es ist in meinen Augen nach wie vor die wichtigste Schulart. Wir sorgen für die Grundlegung von Bildung», sagt er. Alle Begabungen, alle sozialen Schichten seien hier beisammen. «Wir wirken harmonisierend auf die Gesellschaft.» Dieser Wichtigkeit werde gesellschaftlich und politisch aber nicht Rechnung getragen. Die Grundschule sei die «vergessene Schulart». (Gregor Bauernfeind, dpa)

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Palim
4 Jahre zuvor

Vielen Dank, Herr Sterra, für die deutlichen Worte.
Mein Bundesland und meine Schule sind weit entfernt, die Landesregierung eine ganz andere, aber das, was sie ansprechen, gilt gleichermaßen für hiesige Grundschulen.

D. Orie
4 Jahre zuvor

Ganz, ganz traurig und nicht hinnehmbar!

guerrier33
4 Jahre zuvor

Bei diesem Stundenpensum lohnt sich der Gang zum Anwalt – Verletzung der Fürsorgepflicht ! Schließlich muss das Ganze ja wieder beim Kultusministerium landen, dort, wo das Parlament die vielen neuen Aufgaben beschlossen hat, aber die Musik nicht bezahlen will. Sich wehren ist auch eine Tugend, in der man für die Jugend Vorbild sein kann.