BERLIN. Erst der Weinberg, dann die Kröten – seit 27 Jahren ist in Berlin Neukölln der Bau einer neuen Grundschule geplant. 2020 sollte es nun eigentlich losgehen. Doch der Baubeginn verzögert sich weiter. Einige Grundschüler haben einstweilen weiter einen Schulweg von 45 Minuten.
Dort, wo seit 27 Jahren eine Grundschule stehen soll, ist nur eine Brache zu erkennen – vom Koppelweg aus in Berlin-Britz, einem Ortsteil von Neukölln. Vorne wuchern dort Hagebuttenhecken. Weiter hinten sind die Ruinen von mehreren Gewächshäusern zu erkennen. Alles begrenzt von einem maroden Zaun. Eine Schule, in der einmal über 400 Kinder lernen sollen? Eine Fata Morgana. Und doch soll am Koppelweg schon seit 1992 eine Schule gebaut werden.
Doch nun soll es 2020 losgehen – vielleicht. Geld ist da, es stammt aus der Berliner Schulbauoffensive. Sie ist das größte Investitionsvorhaben des rot-rot-grünen Berliner Senats. Für das auf zehn Jahre ausgelegte Programm stehen 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung, vielleicht sogar mehr. Ziel ist es, in der ganzen Stadt vorhandene Schulen zu sanieren und neue zu errichten.
Und dies bitte schnell. Denn der Bedarf ist groß. Laut Bildungsverwaltung fehlen in Berlin zum Schuljahr 2021/2022 bis zu 9500 Plätze, wenn Senat und Bezirke nicht gegensteuern. Um die Lücke zu schließen, soll das milliardenschwere Schulbauprogramm beschleunigt werden.
Erst ja, dann nein, dann Komplikationen: Die Geschichte um die geplante Grundschule Koppelweg grenzt indes an eine Groteske. Anfang der 90er wurde ein Bebauungsplan für eine Grundschule mit Sportplatz im Grünen in Britz beschlossen. Pläne, eine Kindertagesstätte zu bauen gab es auch. 1997 wiederum wurde entschieden, die Grundschule doch nicht zu bauen: wegen sinkender Schülerzahlen in jener Zeit. Außerdem war Berlin knapp bei Kasse. «Seit Ende der 90er Jahre gab es in Berlin faktisch keinen Schulneubau», sagt der Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, Martin Klesmann.
Scheeres räumt ein: 9.500 Schulplätze fehlen 2021 – wenn nicht…
Heute ist die Lage eine komplett andere. Die Bevölkerung der Hauptstadt nimmt zu, es gibt mehr Schüler. Und so zeichnet sich seit 2017 auch in Britz wieder Bedarf für eine neue Grundschule ab. Da der Ortsteil mit der zum Unesco-Welterbe gehörenden Hufeisensiedlung weiter wachsen werde, könnten ab dem Schuljahr 2021/22 etwa 240 Schulplätze in Britz fehlen, räumt der Sprecher des Bezirksamtes Neukölln, Christian Berg, ein.
Der Bedarf ist also da, und seit 2017, gemäß der Berliner Schulbauoffensive, auch das Geld für einen Schulneubau. Doch das lange Nichtstun hatte dazu geführt, dass seit nunmehr 15 Jahren Wein angebaut wird, wo eigentlich eine Schule und ein Kindergarten entstehen sollten. Also musste ein neues Grundstück gefunden werden – mit neuem Bebauuungsplan und neuer Ausschreibung für den Schulbau. Alles Dinge, die es für das alte Grundstück schon gegeben hatte. Die neue Schule soll nun in direkter Nachbarschaft des Weinberges entstehen.
Wer nun glaubt, jetzt geht es los, der irrt. Denn in besagter Brache fühlen sich kleine Bewohner sehr wohl, für die erst einmal ein neues Zuhause gefunden werden muss. Ein vom Bezirk Neukölln in Auftrag gegebenes Gutachten ergab, dass auf dem Grundstück und in den dort befindlichen Tümpeln bedrohte Tierarten heimisch sind beziehungsweise dort brüten. Zu dieser vielleicht nicht ganz so typischen Berlin-WG gehören nach Aussage von Bezirkssprecher Berg mehrere Vogelpaare des Girlitz, Fitis und Bluthänfling. Dazu kommen geschützte Teichmolche und Teichfrösche. Den bunten Reigen schließt die Knoblauchkröte ab.
Kinder und Eltern stellt die Situation vor großen Herausforderungen. Die Einzugsgrundschule «Bruno Taut» ist für die Kinder, die eigentlich in die neue Grundschule gehen sollen, teilweise 45 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt. Der Bezirk nehme billigend in Kauf, dass Eltern selbst aktiv werden und Schulplätze für ihre Kinder in anderen Schulen einklagen, kritisiert die Vizechefin des Landeselternausschusses, Daniela von Hoerschelmann. Dazu gehört die näher liegende Carl-Sonnenschein-Grundschule im Nachbarbezirk Tempelhof-Schöneberg. Die Rechtsstreitigkeiten kosten die Eltern Geld und bringen Schulen in eine Situation, in der laut Hoerschelmann «um Schüler geschachert wird».
Doch Besserung ist bisher nicht absehbar. Nach Einschätzung des Bezirksamts Neukölln dürfte sich der vom Senat angepeilte Baubeginn 2020 weiter verzögern. «Zum genauen Baubeginn kann derzeit keine Aussage getroffen werden», lies Bezirksstadtrat Jochen Biedermann (Grüne)erklären. Die geschützten Tiere würden zum Kienpfuhl in der Nähe des Schlangenweges umgesiedelt. Dieser müsse nun erst einmal entschlammt werden.
Neuköllns Bildungsstadträtin Karin Korte (SPD) verhandelt den Angaben zufolge derweil mit dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg über eine gemeinsamen Regelung zur Aufnahme von Kindern an der Carl-Sonnenschein-Schule in Tempelhof. Diese «würde den Schülern und ihren Eltern vorerst die langen, de facto unzumutbaren Schulwege ersparen», verspricht Neuköllns Pressesprecher Christian Berg. (Bianca Hinz, dpa)
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