Rassismus ist ein Alltagsphänomen – auch in der Schule. Dort betrifft er Lehrer und Schüler mit Migrationshintergrund gleichermaßen

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CHEMNITZ. Böse Blicke, blöde Bemerkungen – Ausgrenzung beginnt im Alltäglichen. Ganz frei von Vorurteilen sind die wenigsten. Am Tod von Daniel H. in Chemnitz und der politischen Instrumentalisierung des Falls wird Rassismus ganz besonders deutlich, finden Chemnitzer Wissenschaftler. Sie haben einen Sammelband  vorgelegt, der Erkenntnisse zum Thema bündelt. Auch in der Schule, so berichtet ein Forscher, ist Rassismus ein Alltagsthema. Und zwar eins, das Schüler und Lehrer mit Migrationshintergrund gleichermaßen betrifft.

Immer wieder müssen Schüler in Deutschland Diskriminierungserfahrungen machen. Foto: Shutterstock

«Alle erschießen», sagt die ältere Dame gut hörbar, als die junge Frau mit Kopftuch an der Chemnitzer Zentralhaltestelle an ihr vorübergeht. Heidrun Friese klingt noch immer ein wenig ungläubig, wenn sie von diesem Beispiel erzählt, das sie selbst erlebt hat. Dabei beobachtet die Professorin für Interkulturelle Kommunikation an der TU Chemnitz solche Szenen immer wieder. «Wie muss sich das anfühlen, tagtäglich mit so etwas konfrontiert zu werden? Da braucht es noch nicht einmal den körperlichen Angriff. Es sind die kleinen, alltäglichen Demütigungen, die zeigen: „Du bist anders, du gehörst nicht hierher.“»

Gemeinsam mit Kollegen aus ganz Deutschland hat sich die Chemnitzer Wissenschaftlerin nach den rassistischen Ausschreitungen vom Sommer 2018 damit beschäftigt, wie der Tod von Daniel H. instrumentalisiert wurde. Ein Ergebnis der Forscher: Rassistisches Denken gehört zu unserem Alltag. Aufgeheizt durch rechte Akteure habe dies die Bilder von Chemnitz erst möglich gemacht. «Es sind Blicke, es ist ein blöder Witz, das Gespräch in der Kneipe oder bei einer Familienfeier: Keiner von uns ist frei von Vorurteilen, darauf wollen wir aufmerksam machen.»

Die Mehrheitsgesellschaft schiebt das Thema Rassismus von sich weg

Die Sozialwissenschaftler haben nun einen Sammelband mit dem Titel «Rassismus im Alltag – Theoretische und empirische Perspektiven nach Chemnitz» herausgegeben. Hervorgegangen sind die interdisziplinären Beiträge aus einer Tagung Ende 2018. Eine zweite Konferenz mit Nachwuchswissenschaftlern folgte diesen Herbst. Mit den Ergebnissen wollen die Forscher nun auch in Schulen gehen, insbesondere im ländlichen Raum.

«Nach den verstörenden Ausschreitungen wollten wir Stellung beziehen», ergänzt Frieses Kollege Marcus Nolden. Die Untersuchungen der Wissenschaftler zeigten demnach, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft das Thema Rassismus nach wie vor gern von sich wegschiebe und die Betroffenen von Rassismus selten zu Wort kommen lasse. So hätten sich etwa bei den Chemnitzer Bürgerdialogen hauptsächlich «Weiße mit Weißen über Andere unterhalten», sagt Nolden, der speziell dieses Dialog-Format untersucht hat.

Zudem stelle er sich die Frage, wo im September vor einem Jahr die 230 000 Chemnitzer gewesen seien, um den rassistischen Umtrieben laut zu widersprechen. Im Nachgang habe sich in Chemnitz zwar viel bewegt und viele Menschen hätten sich engagiert, aber eine wirklich breite Stadtgesellschaft vermissen die Wissenschaftler bis heute. «Die Gesellschaft steht auch nach diesen Geschehnissen noch immer nicht im Großen auf, das muss man so deutlich sagen», meint Friese.

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Im Gegenteil: Mit dem Aufkommen von Pegida und dem Erstarken der AfD zeige sich eine Diskursverschiebung. Was an Klischees und Stereotypen latent vorhanden gewesen sei, werde befeuert und wieder salonfähig. So erforschten die Wissenschaftler anhand der Facebook-Seite von «Pro Chemnitz», mit welchen Strategien der Tod von Daniel H. für politische Zwecke vereinnahmt worden sei.

Man habe ihn zunächst zu einem Helden stilisiert, den dann eine breite Masse von Chemnitzern als einen von «ihnen» betrauern konnte. «Über das Konstruieren persönlicher Betroffenheit und eines Schockerlebnisses wurden dann strategisch rassistisches Gedankengut verbreitet und letztlich Wähler mobilisiert. Der Tote wurde als soziales Kapital genutzt», so Miriam Schreiter, die sich speziell mit der rechtsextremen Chemnitzer Organisation beschäftigt hat.

Die Gesellschaft schafft es nicht, Antisemitismus in die Schranken zu weisen

Doch auch die Reaktionen nach Chemnitz oder dem Anschlag von Halle am 9. Oktober seien problematisch. «Entweder schweigen wir Themen weg oder wir schieben sie an die Ränder», sagt Nolden. So sei der Täter von Halle zunächst als geistig verwirrter Einzeltäter dargestellt worden, also ein Mensch abseits der Normalität. «Damit ist es etwas, was wir von uns weisen können.»

Als sich diese These als nicht haltbar erwiesen hat, sei die nächste Randgruppe ins Visier geraten, die Gamer. «Letztlich wurde damit wieder nicht über das eigentliche Thema gesprochen: Eine Gesellschaft, die es nicht schafft, Antisemitismus in die Schranken zu weisen. Das aber ist ein Versagen der Gesellschaft, nicht der Computerspieler», sagt Nolden.

Patentrezepte könnten sie ebenso wenig liefern, räumen die Professorin und ihre Mitarbeiter offen ein. Auch ihnen selbst falle es mitunter schwer, die Perspektive zu wechseln. Entscheidend sei es, das laute Schweigen zu brechen. Friese ergänzt: «Letztendlich ist es mit dem „Schmuddelthema“ Rassismus wie mit einer Psychotherapie: Verarbeiten, nicht verdrängen.» Von Claudia Drescher, dpa

Rassismus in der Schule - ein Gespräch

„Überall dort, wo Menschen zusammenkommen, spielen auch Ungleichheitsstrukturen eine Rolle. Es gibt keine Räume, die frei sind von Rassismus. Es gibt keine Schule ohne Rassismus“, sagt Karim Fereidooni , Juniorprofessor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum in einem Interview mit tagesschau.de. Davon seien Schüler und Lehrer mit Migrationshintergrund gleichermaßen betroffen.

„Die Diskriminierungen, die Schüler oder Lehrer mit sogenannter Zuwanderungsgeschichte erleben, sind oft ähnlich. Beispielsweise existieren Sprachverbote und Sprachhierarchien in den Klassenräumen, aber auch in den Lehrerzimmern. In Bezug auf die Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte geht die meiste Diskriminierung von anderen Lehrkräften und von Vorgesetzten aus“, erklärt er. „Rassismus hat immer etwas mit Machtstrukturen zu tun. Und das äußert sich dann ganz unterschiedlich. Die zugeschriebene Herkunft, die Erstsprache oder die Religionszugehörigkeit wird abgewertet.“

Was lässt sich dagegen tun? „Man sollte nicht schweigen, sondern die Erfahrungen thematisieren“, sagt der Rassismusforscher. Auch im Unterricht müsse Rassismus stärker thematisiert werden. Freidooni: „Es geht um die Sensibilisierung der Lehrkräfte. Zum Beispiel im Geographie-Unterricht: Wie wird Afrika dargestellt? Zeigen die Schulbücher Großstädte oder dörfliche Strukturen? Im Geschichtsunterricht kann man fragen, ob es im Schulbuch auch ein Kapitel zu den Errungenschaften Afrikas gibt? Oder fängt die afrikanische Geschichte erst mit dem Zeitalter der Kolonialisierung an? Man muss nicht auf den großen Wurf warten, es kann mit dem vorhandenen Schulmaterial gearbeitet werden.“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Rassismus-Debatte: Biologie-Lehrplan sieht vor, dass Schüler „Merkmale von europiden, negriden und mongoliden Menschen“ lernen

 

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11 Kommentare
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Bernd
4 Jahre zuvor

Wie verbreitet Alltagsrassismus leider auch unter Lehrerinnen und Lehrern ist, zeigen immer wieder auch die Diskussionen hier auf News4teachers – zum Beispiel diese hier am Fuß des Beitrags: https://www.news4teachers.de/2019/12/gewalt-an-schulen-ein-tabuthema-allermeistens-sind-die-taeter-maennlich/

Dort schreibt eine Grundschullehrerin zum Beispiel (und sie meint es nicht mal böse): „Es ist selten, dass Migrantenkinder viel aus sich machen.“

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Das ist kein Rassismus, das ist eine empirische Beobachtung. Höchstens könnte man der Kommentierenden vorwerfen, eine Gegenprobe von den nicht-Migranten einzuholen. Die im Schnitt schlechteren Schulabschlüsse würden aber für die Beobachtung sprechen.

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Quod erat demonstrandum.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

Bitte widerlegen Sie doch die Beobachtung durch entsprechende Studien oder wenigstens Erfahrungsberichte aus dem Grundschulbereich.

Gerd Möller
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Es wird immer absurder, xxx:
Da verallgemeinert jemand eine persönliche Einschätzung ohne Belege (die zit. Lehrerin). Dann verlangen Sie von demjenigen (Bernd), der dies mit Recht anprangert, dass er die nicht belegte Behauptung durch Studien widerlegt.
Ganz nach dem Motto: Ich kann einfach etwas behaupten, dass soll mir erst mal jemand widerlegen. Eine merkwürdige „Logik“.
Kommt mir bei einer Partei bekannt vor!

Gerd Möller
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Könnte es sein, xxx, dass Sie Ursache und Wirkung vertauschen, um Ihr Vorurteil zu bestätigen?

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Gerd Möller

Mir ist — mich selbst eingeschlossen — kein Fall bekannt, der Menschen aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe, Herkunft, Kultur, Nasenlänge, Brustumfang, sexueller Orientierung oder sonst was diskriminiert wird.

Wohl aber sind mir Fälle bekannt, die sich so etwas als Opfer einbilden oder gewisse Gruppen als diskriminierend bzw. andere Gruppen als diskriminiert definieren und daraus politisches oder finanzielles Kapital schlagen wollen.

Sehr wohl habe ich das Recht, Muster zu erkennen und sehr direkt auf gewisse Korrelationen hinzuweisen. Die Häufung in gewissen Bevölkerungsanteilen nenne ich sehr direkt. Es liegt an diesen Gruppen, das zu ändern oder auch nicht.

Bernd
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Aberwitzig. Hier erklärt ein weißer, älterer, deutscher Mann, dass es keinen Rassismus gibt, weil er noch nie zum Rassismus-Opfer wurde. Wie beknackt ist das? Gibt’s dann auch keine Vergewaltigungen und keinen Mord?

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Erstens bin ich kein Deutscher, zweitens muss ich mich entschuldigen. Die einzigen, die bei n4t wenn man es so nennen möchte, diskriminiert werden, sind Kritiker wie ich.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Es ist immer wieder lustig zu lesen und zu hören, wie sich jemand so selbstzufrieden als menschlicher Lehrer wahrgenommen sehen will, der sich dann eben auch schon einmal dazu sprachlich versteigt, abfällige Bemerkungen über Araber zu äußern, denen er dann eben auch noch mitleidig eine genetisch bedingte Minderbegabung als Grund für deren schlechtere Bildungserfolge attestiert, um dann seinem Ohrensessel-Humanismus Geltung zu verleihen.
Man weiß derartige Bemerkungen als regelhafte sprachliche Quasi-Begleittextur und wiederkehrende und meinungssteuernde, systematische Propaganda einzuordnen, die einzig dem Zweck dient, Vorurteilen in der Lehrerschaft zu mehr Akzeptanz zu verhelfen, nach dem Motto: Wir verteidigen hier die Meinungsfreiheit, auch wenn deren Inhalte sich als noch so dumm und rassistisch formuliert darstellen.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ganz nüchtern betrachtet ist eine „genetisch bedingte Minderbegabung“ ein sehr guter, weil nicht behebbarer Grund für schwächere schulische Leistungen. Kulturelle Gründe, die hauptsächlich unter „Migrationshintergrund“, „sozialer Brennpunkt“, „Bildungsferne“ usw. versteckt werden, sind dagegen prinzipiell behebbar und folglich nur eine Ausrede.

Mit „Kultur“ im obigen Sinne fasse ich hier alles zusammen, was Ehrgeiz, Durchhaltevermögen, Fleiß, Respekt, Zuverlässigkeit usw. negativ beeinflusst.