Schüler singen Nazi-Lied nach Gedenkstätten-Besuch – Schule geht in die Offensive

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GRÜNBERG. Nachdem Schüler auf der Rückfahrt von einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald ein antisemitisches Lied gehört und mitgesungen haben sollen – der Fall machte bundesweit Schlagzeilen –, geht die Schule offensiv gegen Antisemitismus und Fremdenhass vor. Jüngste Aktion: In einer Zeitungsanzeige, die aus Spenden finanziert wurde, äußert sich die Schulgemeinde der Theo-Koch-Schule im mittelhessischen Grünberg „tief betroffen über den furchtbaren Hass“, der in dem Text des Liedes zum Ausdruck komme. „Wir bekennen uns uneingeschränkt zu unserer Verantwortung. Freiheit hört da auf, wo die Menschenwürde verletzt wird“, so heißt es in der Anzeige.

„Seh‘ ich auf der Mütze den Totenschädel blitzen“: Drei befreite Kinder am Stacheldrahtzaun des Kleinen Lagers in Buchenwald. Foto: U.S. Signal Corps, nach dem 11. April 1945. National Archives, Washington

Mitte Oktober sollen mehrere Schüler des 9. Jahrgangs auf der Rückfahrt vom Besuch der Gedenkstätte in Thüringen antisemitische Lieder abgespielt und mitgesungen haben (News4teachers berichtete). Die Schulleitung hatte den Vorfall daraufhin bei der Polizei angezeigt, die Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung einleitete. Es werde weiterhin gegen vier Schüler ermittelt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Gießen am Montag.

In der Schule stehen nach den Weihnachtsferien Projekttage auf dem Programm

Die Schule selbst erklärte laut einem Bericht des «Gießener Anzeigers», gegen die Jugendlichen schulische Maßnahmen verhängt zu haben. „Außerdem wurde und wird mit diesen und allen anderen Schülerinnen und Schülern intensiv pädagogisch gearbeitet. Nach den Weihnachtsferien stehen für die Jahrgangsstufe 9 Projekttage auf dem Programm, die vom ‚Netzwerk Demokratie und Courage‘ durchgeführt werden. Fest im Jahresplan verankert, bieten diese eine weitere Gelegenheit, sich produktiv mit dem zentralen Leitmotiv der ‚Schule ohne Rassismus‘ auseinanderzusetzen.“ Die Theo-Koch-Schule engagiert sich bereits seit 1997 in der bundesweiten Initiative „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.

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„Rückblickend auf die Ereignisse des Jahres 2019 haben wir im Herbst beschämt und erschüttert zur Kenntnis nehmen müssen, dass judenfeindliches und antisemitisches Gedankengut auch unter uns Raum gefunden hat“, so heißt es nun in der Anzeige. „Daher ist uns wichtig zu sagen: Wir stehen ein für eine Schule, an der alle Schülerinnen und Schüler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihrer Religion und ihres Geschlecht in Würde leben und lernen können und an der es keinen Platz für menschenverachtende Ideologien, Hass und Ausgrenzung jeder Art gibt. Wir sind tief betroffen über den furchtbaren Hass, der in dem Text eines antisemitischen Liedes zum Ausdruck kam, das von Schülerinnen und Schülern unserer Schule ausgerechnet nach dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald gehört wurde.“

Antisemitismus-Beauftragter: Schule reagiert vorbildlich

Auch der Beauftragte der Hessischen Landesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Uwe Becker, hatte sich eingeschaltet. Er traf sich vergangene Woche mit der Schulleitung der Theo-Koch-Schule. «Bei allem Entsetzen über das Abspielen judenfeindlicher Lieder durch vier Schüler der Theo-Koch-Schule auf dem Rückweg vom Besuch der KZ-Gedenkstätte Buchenwald überwiegt nach dem Gespräch meine Überzeugung, dass die Schule in vorbildlicher Weise auf den antisemitischen Vorfall reagiert hat», erklärte er.

Nach Informationen der „Bild“-Zeitung sollen die Schüler das verbotene Neonazi-Lied „Mein Opa war Sturmführer bei der SS“ der 2003 aufgelösten Rechtsrock-Band „Landser“ gehört und gesungen haben. In dem Song heißt es etwa: „Seh‘ ich auf der Mütze den Totenschädel blitzen und weiß, dass all die Schweine bald schon wieder flitzen“. News4teachers / mit Material der dpa

Wie rechte Eltern Druck auf Lehrer machen

„Neonazistisches Gedankengut ist in Sachsen tief in der Gesellschaft verwurzelt. Ein Beispiel: In einer Schulklasse im Erzgebirge soll in Vorbereitung für den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald das Buch ‚Tagebuch der Anne Frank‘ gelesen werden. Daraufhin beschweren sich mehrere Eltern (ein Drittel der Klasse!) bei der Lehrkraft darüber, dass die Gedenkfahrt stattfinden soll und wollen verhindern, dass das Buch gelesen wird“, so berichtet der Journalist Tim Mönch auf Twitter.  „Die schockierende Begründung: Das Buch sei veraltet, es würde nur eine Perspektive dargestellt und man wisse doch gar nicht, ob das damals alles so stattgefunden habe.“

Neonazistisches Gedankengut ist in #Sachsen tief in der Gesellschaft verwurzelt. Ein Beispiel:
In einer Schulklasse im #Erzgebirge soll in Vorbereitung für den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald das Buch „Tagebuch der Anne Frank“ gelesen werden. 1/8#Thread

— Tim Mönch (@moenchtim) 17. Dezember 2019

Die Lehrkraft habe gegenüber den Eltern ihre Entscheidung, das Buch mit der Klasse zu lesen und nach Buchenwald zu fahren, verteidigt. Mehrere Eltern hätten daraufhin angekündigt, sich beim Schulamt darüber beschweren zu wollen. „Wichtig zu erwähnen ist allerdings auch, dass es Eltern gab, die sich vehement gegen die rechten Forderungen ausgesprochen haben.“ Mönch: „Der beschriebene Fall ist offenbar kein Einzelfall. Immer öfter kommt es wohl vor, dass Eltern versuchen zu verhindern, dass ihre Kinder in der Schule etwas über die Verbrechen des Nationalsozialismus lernen. Solche Vorfälle zeigen, wie wichtig es ist, dass in der Schule politische Bildungsarbeit betrieben wird und Lehrer*innen zeigen, dass sich solche Verbrechen nie wiederholen dürfen.“

Meron Mendel, Erziehungswissenschaftler und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank kommentiert den Bericht ebenfalls auf Twitter: „Solche Vorfälle begegnen uns in der @BS_AnneFrank nicht nur in Sachsen: Eltern versuchen zu verhindern, dass das Tagebuch von Anne Frank in der Klasse gelesen wird.“

Wenn der Imam und der Rabbi gemeinsam in der Schule auftreten – gegen Antisemitismus

 

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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Der Sachsenmonitor bestätigt ebenso eine fehlende Reflexion der dortigen Bevölkerung in Bezug auf den Nationalsozialismus. In den Zeiten eines realexistierenden Sozialismus wurde eine kritische Aufarbeitung des SS-Staates verhindert und die Verantwortung für die im Namen des Deutschen Volkes begangenen Verbrechen auf die Bundesrepublik Deutschland als Nachfolgestaat abgeschoben. Jetzt dürfen wir uns mit den Folgen und den Wahlerfolgen von hochkarätigen Faschisten und Nationalsozialisten, wie Bernd Höcke und Andreas Kalbitz, die allesamt aus dem Westen stammen, herumschlagen.