Digital Gender Gap: Experten fordern gezielte Förderung von Mädchen

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BERLIN/BIELEFELD. Eine Studie zeigt deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern im Digitalisierungsgrad auf, aber auch in der Arbeitswelt hinsichtlich technischer Ausstattung und Möglichkeiten zum flexiblen Arbeiten. Die Studie gibt Empfehlungen, wie Akteure im Bildungsbereich zu mehr Chancengleichheit in einer digitalisierten Arbeitswelt beitragen können.

Mädchen zeigen weniger Interesse an der Digitalisierung. Das kann für sie zum Nachteil werden. Foto: Shutterstock

Alljährlich erfasst die Initiative D21 den Digitalisierungsgrad der deutschen Bevölkerung in ihrem sogenannten Digital-Index. Gemeinsam mit dem Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit präsentierte die Initiative nun eine Sonderauswertung unter dem Titel „Digital Gender Gap – Lagebild zu Gender(un)gleichheiten in der digitalisierten Welt“. Frauen erreichen demnach einen deutlich geringeren Digital-Index als Männer. Auf der Skala von 0 bis 100 Punkten liegen Frauen bei einem durchschnittlichen Digitalisierungswert von 51 Indexpunkten, Männer bei 61 Indexpunkten.

Differenzen bestanden bereits bei Interesse, Kompetenzen und Wissensaneignung und das über Altersgrenzen hinweg. Auch bei Zugang, Einstellung/Offenheit, Kompetenz und Vielfalt der Nutzung wiesen Frauen geringere Werte als Männer auf. Bei der Einschätzung ihrer Fertigkeiten zur Bedienung einzelner Anwendungen wie Office-Programmen und der Kenntnis von Fachbegriffen aber auch beim Interesse an Digitalthemen oder der Wissensaneignung erzielten Frauen jeweils geringere Werte. Bei den älteren Generationen waren die Unterschiede dabei deutlich stärker ausgeprägt als bei den jüngeren, doch auch bei den 14- bis 24-Jährigen wurden sie sie deutlich sichtbar.

Strukturelle Unterschiede spiegelten sich auch im Berufsleben: Männer arbeiten öfter im Homeoffice. Komplementär sehen sie mobiles Arbeiten auch öfter als Frauen als Chance für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben.

Am Beispiel von Büroarbeitsplätzen zeigte sich zudem, dass in Vollzeit arbeitende Männer deutlich häufiger als Frauen mit mobilen Geräten ausgestattet sind und Zugang zu digitalen Anwendungen wie Videokonferenzsystemen erhalten. Verstärkt werde diese strukturelle Ungleichheit dadurch, dass weniger als ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten (30 Prozent) angab, keine Geräte oder Kollaborationstools zu haben, bei den Teilzeitbeschäftigten mit höherem Frauenanteil waren es beinahe die Hälfte (48 Prozent).

Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21 appelliert an die Arbeitgeber: „Frauen und Männer müssen die gleichen Chancen haben, von mobilem Arbeiten, also räumlicher und zeitlicher Flexibilität, zu profitieren. Das können Arbeitgebende durch die richtige Ausstattung befördern. Wir empfehlen, die geschlechtergerechte Ausstattung mit mobilen Geräten in ihren Institutionen zu evaluieren und die Kriterien der Vergabe zu hinterfragen. Digitale Geräte wie Laptop und Smartphone müssen normales Arbeitswerkzeug sein, kein Statussymbol für bestimmte Positionen im Job.“

Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit, stellt deutliche Forderungen an das Bildungssystem: „Wir brauchen ein gezieltes digitales Empowerment von Mädchen und Frauen entlang der gesamten Bildungskette. Dies ist dringend erforderlich, weil ihnen der Zugang zur Gestaltung digitaler Technologien durch Geschlechterklischees und traditionelle Rollenzuweisungen erschwert wird.“, so die Osnabrücker Professorin für Gender und Diversity Studies. Mädchen und Frauen fehlten somit „auch in den entsprechenden Ausbildungen und Studiengängen, in denen grundlegende Kompetenzen für Zukunftsberufe vermittelt werden. Dabei bringt mehr Diversität in den Entwicklungsteams für digitale Werkzeuge und Anwendungen mehr Nutzen für vielfältige gesellschaftliche Gruppen und mehr an Qualität in den Ergebnissen.“

Ihre Handlungsempfehlungen haben die Studienautoren in drei Bereichen zusammengefasst:

  1. Gendergerechte Qualitätsstandards für digitale Kompetenzen entwickeln: Für mehr Chancengleichheit sollten Aus- und Weiterbildungsangebote geschlechtsspezifische Sozialisationsprozesse und ihre Auswirkungen auf den Kompetenzerwerb sowie die Vielfalt innerhalb der Geschlechter berücksichtigen.
  2. Anreize für gendergerechte Zukunftskonzepte für digitale Arbeitsumgebungen setzen: Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen, die alle ihre Mitarbeiter gleichermaßen mit digitalen Werkzeugen und Anwendungen ausstatten, entsprechend schulen und damit attraktive flexible Arbeitsformen ermöglichen, sollten ausgezeichnet und sichtbar gemacht werden.
  3. Weiterbildungen zu digitalen Kompetenzen für pädagogische Fachkräfte gendergerecht gestalten: In Programmen zur Vermittlung digitaler Kompetenzen müsse die jeweils lebensweltliche Perspektive von Frauen und Männern bzw. unterschiedlicher sozialer Rollen, die weiblich oder männlich konnotiert sind, berücksichtigt werden – entlang der gesamten Bildungskette.

• Die Studie steht kostenfrei auf den Seiten des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit zum Download zur Verfügung.

Arbeitgeberpräsident Kramer fordert “massive Bildungsoffensive”

 

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lehrer002
4 Jahre zuvor

Anderer Ansatz: Vielleicht sind viele Frauen auch froh, wenn sie sich vor dem ganzen Digitalisierungswahn weitesgehend drücken können. Ich bin inzwischen jedenfalls oft genervt, weil alle meinen, als Mann müsse ich gleich ein Computerprofi sein. Word kann ich super bedienen, das reicht mir. Also: Das Ergebnis der Studie muss nicht heißen, dass die Frauen weniger digital werkeln dürfen, sondern eventuell einfach, dass sie nicht so dazu gedrängt werden.

Pälzer
4 Jahre zuvor

In unseren Schulen werden Mädchen und Jungen in gleicher Weise gefördert, durchlaufen die selben Unterrichtseinheiten, erhalten die selben AG-Angebote. Falls sich daraufhin dennoch eine unterschiedliche Kompetenz ergibt, sollte man die Möglichkeit prüfen, ob ein Geschlecht (im Mittelwert) vielleicht mehr Interesse an Computern hat als das andere.
Im übrigen besteht seit vielen Jahren das Forschungsergebnis, dass Mädchen bessere Schulergebnisse haben als Jungen. Folgerung: Mädchen-Förderungs-Programme.
Alle Universitäten rund um uns bieten etliche hochwertige (vor allem naturwissenschaftliche) Projekte nur für Mädchen an. Die Jungs zucken die Achseln, sagen und denken: ist halt ungerecht, kann man nichts machen.

GriasDi
4 Jahre zuvor

Haben denn die MINT-Initiativen für Mädchen, der Girls-Day und andere Aktionen für wesentlich mehr Frauen in den Ingenieur-Berufen gesorgt? Ich habe da meine Zweifel. Frauen haben vielleicht einfach keine Lust darauf. Vielleicht sollte sich die „Digital-Industrie“ auch einmal Gedanken machen, „Digitales“ so zu gestalten, dass auch Frauen davon angesprochen werden.

Palim
4 Jahre zuvor

„Unternehmen, Verwaltungen und Organisationen, die alle ihre Mitarbeiter gleichermaßen mit digitalen Werkzeugen und Anwendungen ausstatten, “

Da können wir ja mit der Ausstattung der Lehrkräfte beginnen, _gleichermaßen_ werden sie für ihre Arbeit mit entsprechenden Werkzeugen ausgestattet, mit Büroarbeitsplätzen, mobilen Geräten und einem Videokonferenzsystem, das dezentrale Fortbildungen unterstützt.
Tatsächlich würde dies die Statistik SOFORT beeinflussen und die „Digital Gender Gap“ verschieben, da in den Schulen eine Menge Lehrerinnen arbeiten.

… Platz 5 auf der Liste der Bildungsbefürworter:
Nr. 1 Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, 8.1.2020, “massive Bildungsoffensive” und Vorbereitung auf die Digitalisierung,
Nr. 2 Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, 12.1.2020, verbesserte Sprachförderung vor und nach der Einschulung,
Nr. 3 Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, 13.01.2020, Ernährungsbildung
Nr. 4 Ministerpräsident Markus Söder, 14.01.2020, Projektwoche Alltagskompetenz
Nr. 5 Hannes Schwaderer, Präsident der Initiative D21, und Barbara Schwarze, Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit, 14.1.20, Ausstattung des Bildungssystems mit digitalen Geräten sowie dazugehörigen Wartungsverträgen

Da es um Ausstattung geht, dürfen sich die Genannten in diesem Fall an der Finanzierung der digitalen Endgeräte und deren Wartung beteiligen.