Immer mehr Provokationen in KZ-Gedenkstätten – auch von Schulklassen. „Der Hass aus dem Netz bricht sich Bahn.“

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LOHHEIDE. KZ-Gedenkstätten sind Denkmale, Museen und oft auch große Friedhöfe. In Bergen-Belsen etwa starben allein in den Monaten vor der Befreiung 1945 mindestens 35.000 Häftlinge. Die überwiegende Mehrheit der Besucher zollt den Opfern Respekt – doch es gibt immer mehr Störer. Besonders irritierend: Auch von Schülern, die im Rahmen ihres Unterrichts Gedenkstätten besuchen, häufen sich Provokationen.

Die Gedenkstätte für Anne Frank und ihre Schwester Margot im ehemaligen KZ Bergen-Belsen. Es ist kein Grab: Die Leichname liegen irgendwo in den Massengräbern verborgen, über denen die Heide wächst. Foto: Shutterstock

Angemeldete Besucher entpuppen sich als Mitglieder der rechtsextremen Szene, Schüler zweifeln bei Rundgängen Opferzahlen an: Mehrere Gedenkstätten an Verbrechensorten des Nationalsozialismus berichten von einer Zunahme von provozierende Fragen. «Es ist nicht überraschend, dass es auch an Schülerinnen und Schülern nicht spurlos vorbeigeht, wenn sich in der gesamten Gesellschaft die Grenzen des Sagbaren nach rechts verschieben», sagt Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen in der Lüneburger Heide. Bedingt werde dies durch Vorstöße aus Reihen der AfD und anderer Rechtspopulisten. Alexander Gauland etwa bezeichnete 2018 in einer Rede als AfD-Chef «Hitler und die Nazis» als «Vogelschiss» in der deutschen Geschichte.

Historischen Lügen wird in manchen Gruppen nicht klar widersprochen

In dem damaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen wurden in den Jahren 1943 bis 1945 mehr als 100.000 Männer, Frauen und Kinder gefangen gehalten. Nach Angaben der Gedenkstätte starben mehr als 52.000 von ihnen. Zu den Todesopfern zählte auch Anne Frank, die mit ihren Tagebüchern postum weltbekannt wurde.

Laut Wagner behaupten die Provokateure zum Beispiel, dass in Bergen-Belsen 1945 lediglich so viele Menschen starben, weil es Versorgungsengpässe wegen der Luftangriffe gegeben habe. Schuld an dem Massensterben trügen damit die Alliierten, nicht die SS, die das Lager verwaltete. Solchen geschichtsrevisionistischen Positionen werde in einigen Gruppen nicht klar widersprochen, beobachtet der Historiker. «Die Rechten versuchen mittels Provokationen und Einschüchterungen, die Diskurshoheit zu bekommen.»

Im Fall von Holocaust-Leugnungen oder Volksverhetzung erstatten die Gedenkstätten Anzeige, zudem werden Störern Hausverbote erteilt. Die Gedenkstätte Bergen-Belsen zwang einen Rechtsextremisten dazu, einen auf Youtube veröffentlichten Film zu löschen, in dem er Schüler auf dem Gelände beschimpfte und die Biografie von Anne Frank anzweifelte. Im November 2019 provozierten zudem der örtlichen Polizei bekannte Rechtsextreme in der südniedersächsischen KZ-Gedenkstätte Moringen.

Ob alle Gedenkorte in Deutschland betroffen sind, kann Wagner nicht sagen. Die Verwaltung der Gedenkstätten ist Ländersache. Zwischenfälle mit rechtsextremem Hintergrund werden in Niedersachsen erst seit Ende 2019 zentral erfasst.

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„Nicht jeden Tag eine indoktrinierte Schulklasse, aber…“

Die KZ-Gedenkstätte Buchenwald in Thüringen macht dies schon länger. Leiter Volkhard Knigge will keine konkreten Zahlen nennen. Ihm zufolge hatten sich 2018 die rechtsradikalen Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. «2019 haben wir die Zahl drücken können durch verschärfte Wachmaßnahmen», sagt er. «Es stehen nicht jeden Tag eine Gruppe Neonazis oder eine indoktrinierte Schulklasse in der Gedenkstätte. Aber es gibt eine qualitative Veränderung, eine Radikalisierung in den Auftritten.» In Gästebücher werde zum Beispiel geschrieben, dass man in bestimmten Situationen Lager brauche, etwa wenn man zu viele Ausländer habe.

«Es schwindet auch der Respekt vor den Orten und den Opfern», sagt Knigge. So hätten sich zwei junge Leute für ein Foto auf einen Einfuhrschieber gefläzt, mit dem tote Häftlinge in Krematorien geschoben wurden. In einen Transportbehälter für Leichen sei ein Hakenkreuz eingeritzt worden. «Hakenkreuz-Schmierereien gab es immer, aber eher in der Peripherie. Jetzt geht es dicht an die Toten», sagt Knigge.

Die Besuche müssen von Lehrern vor- und nachbereitet werden

Juliane Wetzel vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung sieht die Hetze im Internet als einen Grund für Grenzüberschreitungen bis hin zu Straftaten. «Dieser Hass, der über die sozialen Netzwerke verbreitet wird, bricht sich Bahn in der Realität beim Besuch einer Gedenkstätte.» Die Historikerin betont, dass die Besuche der früheren Konzentrationslager sehr gut vor- und nachbereitet werden müssten. «Manche Schüler machen vielleicht auch Witze, weil sie mit der schweren Kost nicht zurechtkommen.»

Die Rundgangsleiter in Dachau bei München werden geschult, wie sie mit Besuchern umgehen, die rechtsextreme Thesen äußern. Dies sei ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung, teilte die Gedenkstätte mit, die jährlich rund 900 000 Besucher zählt. In dem ehemaligen KZ kommt es nach Angaben eines Gedenkstätten-Sprechers «gelegentlich zu Störungen durch Einzelpersonen», Zahlen liegen dazu aber nicht vor.

Im Geschichtsunterricht kommt die NS-Zeit zu kurz

«Im Geschichtsunterricht ist der Nationalsozialismus häufig zusammengeschmolzen auf wenige Stunden», kritisiert Gedenkstättenleiter Knigge. Das, was dort nicht behandelt werde, könnten die Gedenkstätten nicht kompensieren. Am wirkungsvollsten seien möglichst mehrtägige Angebote, bei denen Schüler selbst auf Spurensuche in Archiven oder auf dem Gelände gehen. «Junge Leute wollen nicht gesagt bekommen: „Identifiziert euch mit Opfern!“ oder „Seid freundlicher zu diesen oder jenen!“ Moralisierende Pädagogik funktioniert nicht, sondern detektivisches Lernen.» Von Christina Sticht, dpa

Angestachelte Schüler

LOHHEIDE. Der Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, Jens-Christian Wagner, sieht sich nach Kritik an der AfD mit Anfeindungen im Internet konfrontiert. «Fälle von Beleidigungen und Drohungen zeige ich bei der Polizei an», sagte der Historiker im Gespräch. Der 54-Jährige, der auch Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten ist, hatte in einem Interview von einer Zunahme provozierender Fragen von Besuchern berichtet. In einem Fall habe sich auch die begleitende Lehrerin einer Schülergruppe irritiert gezeigt und gesagt, sie sei kurzfristig für einen Kollegen – einen «AfD-Mann» – eingesprungen. Die Jugendlichen seien offenbar angestachelt worden, sagte Wagner.

@MemorialsNds-Leiter Wagner hatte Medien von Störungen durch Schüler, deren Lehrer #AfD-Mann war, bei einem Besuch in Bergen-Belsen berichtet. In einem offiziellen Schreiben unterstellt die AfD-Landtagsfraktion ihm nun, das erfunden zu haben. Hier die Antwort an die Fraktion. pic.twitter.com/IoBM2kPSHn

— Stiftung niedersächsische Gedenkstätten (@MemorialsNds) January 15, 2020

Die Fraktionschefin der AfD im niedersächsischen Landtag, Dana Guth, sagte: «Falls das stimmen sollte, möchten wir der Sache nachgehen und gegebenenfalls parteirechtliche Schritte gegen dieses Mitglied ergreifen.» Die AfD hätte nach eigenem Bekunden gerne mehr Informationen zu dem angeblichen «AfD-Mann». Zuvor hatte die AfD-Fraktion Wagner allerdings unterstellt, den Fall erfunden zu haben.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen will er aber keine Details nennen. Wagner sagte: «Es ist unser ausgesprochenes Ziel, dass Schülerinnen und Schüler kritisch nachfragen.» Geschichtsbewusstsein brauche kritisches Nachhaken. «Provokationen sind das Gegenteil: Sie sollen den Austausch von Argumenten verhindern.» dpa


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Schüler singen Nazi-Lied nach Gedenkstätten-Besuch – Schule geht in die Offensive

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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Die Saat der völkisch-nationalen Geschichtsrevisionisten, andere Geschichtsleugner durch öffentlich vorgetragene geschichtsfälschende Äußerungen zum offenen Widerspruch gegen unser demokratisches Selbstverständnis eines freien Zugangs zur Geschichte und gegen unseren selbstverständlichen Umgang mit unserer deutschen Geschichte zu bewegen, scheint aufgegangen zu sein.
Es ist deshalb um so wichtiger, die systematische Aufklärung über den nationalsozialistischen Unrechtsstaat im Geschichtsunterricht weiter zu betreiben, weil immer mehr überlebende Zeugen dieser bestialischen und im deutschen Namen begangenen systematisch organisierten Verbrechen und des klar organisierten Angriffskrieges gegen unsere europäischen Nachbarvölker altersbedingt sterben und nicht mehr als lebende Zeugen zur Verfügung stehen.
Wir müssen uns deshalb zwar langsam mit dem Zustand anfreunden, dass ähnlich wie bei den Zeugen des ersten Weltkrieges, auch der zweite Weltkrieg zum festen Bestandteil einer zeugenlosen Vergangenheit wird. Allerdings helfen dokumentierte Zeugenaufnahmen der Opfer auch in der Zukunft authentische Augenzeugenberichte an die nachfolgenden Generationen zu vermitteln.
Wer die eigene Geschichte nicht kennt, der läuft Gefahr aus den Lehren der Vorfahren keine Erkenntnisse ziehen zu können und er läuft Gefahr, dass er diese bitteren Erfahrungen selbst einmal erleben muss.
Den Geschichtsrevisionisten muss noch entschiedener widersprochen werden und ihre Äußerungen müssen öffentlich angemahnt werden.
Wer die deutschen Armeen des zweiten Weltkrieges, eines Eroberungs- und in Teilen eines Vernichtungskrieges gegen die Nachbarländer, als eine der besten Armeen bezeichnet, dem spricht der Faschismus aus dem Innersten. Wer, wie Herr Gauland die 12 Jahre des nationalsozialistischen Terrorregimes mit 60.000.000 Toten als Fliegenschiss bezeichnet, der gehört zu Recht öffentlich angeprangert zu werden.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Ich glaube, die Provokationen in den Gedenkstätten haben weniger mit der politischen Gesinnung oder Antisemitismus zu tun als mit generell schlechtem Benehmen und Spaß an Grenzüberschreitungen. Man muss sich nur mal die Chatverläufe und Nicknamen unmoderierter Youtube-Streams anschauen. Der Drachenlord lässt leider grüßen.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Wenn Schüler, wie in dem beschriebenen Fall systematisch beschrieben manipuliert werden, den Holocaust mit vorbereiteten Fragen und mit provozierenden Behauptungen in Frage zu stellen, dann muss dieses manipulierte Verhalten für den verantwortlichen Geschichtslehrer disziplinarische Folgen haben, wenn dieser nicht sogar beruflich abgestraft werden muss und nicht mehr tätig werden darf.
Das ist ein Fall für ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren !

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

welchen beschriebenen Fall meinen Sie?

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Unter der „Angestachelte Schüler“ ist beschrieben, dass eine Lehrerin vertretungsweise für den Geschichtslehrer, einen AfD-Mann, mit nach Bergen-Belsen gefahren sei und sich sehr irritiert über die Fragen der Schüler gezeigt hätte, die vom Kollegen angestachelt worden seien.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@xxx
Jetzt fehlt nur noch, dass sie ergänzend die rassistischen Äußerungen Grenzüberschreitungen des völkisch-nationalen Flügels der AfD ebenso als Ausdruck schlechten Benehmens und Spaß an Grenzüberschreitungen herunterspielen.
Diese Schüler wurden in diesem beschriebenen Fall von einem Geschichtslehrer indoktrinierend beeinflusst. Es wird Zeit, dass der zuständige Staatsanwalt aktiv wird, denn die Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus und die Übertragung der Verantwortung der Ermordeten von Ravensbrück auf die Alliierten Bomberkommandos stellt eine bewusste Falschdarstellung der Verantwortlichkeit für die begangenen Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverbrechen dar.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Welchen in dem Artikel geschilderten Fall einer Schülergruppe meinen Sie? Das mit den Alliierten steht drin, aber nur als abstraktes Beispiel. Wenn Sie sich auf einen anderen Artikel beziehen, müssen Sie den verlinken.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Ich hoffe die vertretende Lehrerein meldet die Vorfälle über den AfD-Lehrer bei der Schulbehörde, schließlich ist diese für derartige Fälle zuständig und nicht irgend welche Parteiportale von Rechtsextremisten.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@xxx
Ich beziehe mich auf den obigen Artikel unter dem Titel „Angestachelte Schüler“. Mein Kommentar bezieht sich auf diesen Beitrag hier und nicht auf einen anderen Beitrag im Netz.
Es drängt sich bei mir der Verdacht auf, dass sie bewusst versuchen, diesen derartig beschriebenen Vorfall einer vollzogenen Indoktrinierung von heranwachsenden Schülern im Geschichtsunterricht durch einen rechtsextremen Geschichtslehrer, diesen zu relativieren versuchen.

unverzagte
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

die kollegin ist verpflichtet (sic!) der schulbehörde diesen vorfall zeitnah zu melden.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@Wrobel Ich habe keinen Beitrag im Netz gelesen. In der Sache gebe ich Ihnen recht, Sie sollten aber auch für sich selbst dieselben Maßstäbe anlegen wie bei mir auch, was sich insbesondere auf saubere Quellen bezieht. Wenn Sie keine seriöse Quelle finden, dann können Sie das Beispiel nicht verwenden.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@xxx
Der angehängte Artikel „Aufgestachelte Schüler“ mit dem abgedruckten Brief ist aussagekräftig genug, um Ermittlungen gegen diesen betreffenden AfD-Lehrer einzuleiten.
Wer Schüler mit rechtsextremen und geschichtsrevisionistischem Gedankengut zu beeinflussen versucht, dieses Gedankengut an diese heranträgt und diese zu indoktrinieren versucht, der hat in deutschen Schulen nichts zu suchen !

Pälzer
4 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Wenn ein Lehrer Schüler zu geschichtlich falschen und den Nationalsozialismus beschönigenden oder verherrlichenden Aussagen anstachelte, dann muss das bestraft werden. Kann man das vertrauensvoll der Schulbehörde überlassen, die ja auch nicht datenschutzrechtlich ausgebremst ist? Hoffentlich wird News4Teachers dann über das Urteil berichten.