Missbrauch: Beauftragter will Schulen und Kitas gesetzlich zu Schutzkonzepten verpflichten

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BERLIN. Zehn Jahre nach Bekanntwerden zahlreicher Fälle von Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen zieht der Regierungsbeauftragte Rörig eine ernüchternde Bilanz. Und er verbindet damit einen Appell an alle.

Setzt auch auf Kitas und Schulen: Der „Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“, Johannes-Wilhelm Rörig. Foto: Christine Fenzl / UBSKM

In einem eindringlichen Appell an Politik und Gesellschaft hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, dazu aufgerufen, mehr für den Schutz von Kindern zu tun. Auch im Jahr 2020 werde in Deutschland beim Thema sexuelle Gewalt «ohrenbetäubend geschwiegen», sagte Rörig am Dienstag in Berlin bei einer Pressekonferenz. Anlass war der zehnte Jahrestag des Bekanntwerdens der Missbrauchsfälle am katholischen Elitegymnasium Canisius-Kolleg in Berlin, in dessen Folge viele weitere Fälle in katholischen Einrichtungen in Deutschland ans Licht kamen.

„Durch Achtsamkeit und Prävention solche Verbrechen verhindern“

Rörig sagte, es habe zwar Fortschritte in den vergangenen zehn Jahren gegeben. Er nannte das 2012 in Kraft getretene Bundeskinderschutzgesetz oder die Verlängerung von Verjährungsfristen bei Kindesmissbrauch. Dennoch sei er «immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird».

Mit der katholischen Kirche wurde nach Rörigs Angaben mittlerweile eine Erklärung ausgehandelt, wonach zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen künftig auch externe Experten Zugang zu den Kirchenakten bekommen sollen. Dazu müssen sich allerdings alle Bischöfe erst noch verpflichten. Um Entschädigungszahlungen für Betroffene wird außerdem weiter gerungen. Die Deutsche Bischofskonferenz teilte anlässlich des zehnten Jahrestages mit: «Wir empfinden das bis heute als tiefen Einschnitt, der uns beschämt und herausfordert. Wir werden auch weiterhin entschieden daran arbeiten, durch Achtsamkeit und Prävention solche Verbrechen zu verhindern.» Die Zusammenarbeit mit kirchlichen und zivilen Stellen werde man kontinuierlich fortsetzen.

Matthias Katsch, der als ehemaliger Schüler am Canisius-Kolleg die Fälle dort wesentlich mitaufgedeckt hatte, kritisierte am Dienstag auch die evangelische Kirche. Diese ducke sich weg, weil alle auf die katholische Kirche schauten.

Gesamtgesellschaftlich hat das Thema Kindesmissbrauch nach Ansicht des Missbrauchsbeauftragten noch einen viel zu niedrigen Stellenwert. Rörig forderte für Deutschland einen «Pakt gegen Missbrauch». Parteien sollten klare politische Vorgaben in ihre Programme schreiben, Jugendämter, Fachberatungsstellen und Ermittlungsbehörden personell und finanziell enger zusammenarbeiten. Für Ermittler forderte Rörig mehr Befugnisse, um Hersteller und Verbreiter von Missbrauchsdarstellungen und sogenannter Kinderpornografie besser im Netz verfolgen zu können. «Datenschutz darf nicht über Kinderschutz stehen.»

Bundespräsident sollte auf das Thema eingehen

Zudem sollten alle Einrichtungen, denen Kinder anvertraut sind – also vor allem Kitas und Schulen -, gesetzlich zur Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten gegen sexuellen Missbrauch verpflichtet werden. Und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Staatsoberhaupt sollte dem Thema nach Ansicht Rörigs mehr Gewicht verleihen, indem er zum Beispiel in der Weihnachtsansprache darauf eingehen könnte, schlug Rörig vor.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt stimmte Röring zu. Die Politik müsse handeln, sagte sie. «Röring hat recht, wenn er uns ins Stammbuch schreibt (…), dass wir handeln müssen, dass wir etwas tun müssen.» Das betreffe aber auch die digitale Welt. Es gebe klare Möglichkeiten mit Hilfe von Voreinstellungen sicherzustellen, dass Kontakte von unbekannten Erwachsenen zu Kindern nicht mehr möglich seien.

Mit einem eindringlichen Fernseh- und Kinospot der auf eine zentrale Hilfehotline hinweist und der seit diesem Dienstag auch über Soziale Medien ausgespielt wird, sollen die Menschen nun verstärkt auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Der Clip, an dem Regisseurin Caroline Link («Nirgendwo in Afrika») beteiligt war, zeigt großformatige Aufnahmen von Kindergesichtern, unterlegt mit Kinderstimmen, die zum Beispiel fragen: «Darf er das?», «Muss ich das?», «Bin ich schuld?».

Caroline Link sagte bei der Pressekonferenz: «Es bricht mir das Herz, wenn ich diese Geschichten höre und begreife, wie groß das Ausmaß von Kindesmissbrauch in Deutschland ist.» Der Bundesbeauftragte Rörig verwies auch auf aktuelle Fälle wie in Lügde oder Staufen. Seinen Angaben nach ist davon auszugehen, dass in jeder Schulklasse oder jeder Kindergartengruppe mindestens ein Kind von Missbrauch betroffen ist. dpa

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Sachverständige kritisieren: Schulen entdecken Kindesmissbrauch zu selten

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Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

„Zudem sollten alle Einrichtungen, denen Kinder anvertraut sind – also vor allem Kitas und Schulen -, gesetzlich zur Entwicklung und Anwendung von Schutzkonzepten gegen sexuellen Missbrauch verpflichtet werden.“ Absolut richtig. Ich unterstütze den Vorschlag.