Sachverständige kritisieren: Schulen entdecken Kindesmissbrauch zu selten

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DÜSSELDORF. Sexueller Kindesmissbrauch wird an Schulen nach Ansicht von Experten viel zu selten erkannt. Es werde derzeit viel diskutiert über das Versagen von Polizei und Jugendämtern, aber nicht über das Versagen von Schulen, kritisierte die Leiterin der Kölner Kontaktstelle «Zartbitter» gegen sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen, Ursula Enders, im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dort setzte sich der Untersuchungsausschuss zum Thema Kindesmissbrauch am Freitag mit der Opferperspektive auseinander.

ScDie Polizei setzt darauf, dass Grundschullehrer betroffene Kinder erkennen (Symbolfoto). Foto: Jacek NL / Flickr (CC BY – NC 2.0)hulen sollen sich verstärkt um das Thema Missbrauch kümmern. Foto: Jacek NL / Flickr (CC BY – NC 2.0)
Sexueller Missbrauch ist weiter verbreitet, als viele Menschen meinen. (Symbolfoto). Foto: Jacek NL / Flickr (CC BY – NC 2.0)

Alle betroffenen Kindern gäben Signale, sagte Enders. Oft würden sie aber nicht verstanden, Verdachtsfälle würden bagatellisiert und nicht konsequent gehandelt, so dass missbrauchte Kinder erneut verstummten. In den Schulen blieben solche Vorfälle meist in einem geschlossenen System, Fachleute würden nur selten zu Hilfe geholt.

Wenn Lehrer sexualisierte Gewalt ausübten, gebe es an den Schulen «eine Rollenkonfusion», denn derjenige, der dort die Beschwerde bearbeite, sei gleichzeitig Vorgesetzter des betroffenen Lehrers, stellte Enders fest. Die Sozialpädagogin forderte eine unabhängige Beschwerdestelle gegen sexuellen Kindesmissbrauch.

Ein Viertel der Fälle spielten sich in Schulen ab

Ähnlich äußerte sich der Sozialpsychologe Heiner Keupp von der «Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs» in Deutschland. Ein Viertel der rund 2000 Fälle, die seine Kommission angehört habe, hätten sich in Schulen abgespielt. Die Aufarbeitung sei aber schwierig. Von den schulischen Schutzkonzepten gegen Missbrauch komme wenig im Alltag an. «Symbolpolitik», so nennt das Keupp.

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Ein aktueller Bericht des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, listet Vorkehrungen auch in Kitas und Schulen gegen Missbrauch auf (News4teachers berichtete). Das Ergebnis: Es gibt zwar Fortschritte, aber viele Einrichtungen sind selbst nicht der Meinung, dass sie ausreichende Konzepte haben. Die Mehrheit der Kitas oder Schulen gab in der Befragung zwar an, einzelne Maßnahmen ergriffen zu haben. Bei der Selbsteinschätzung, ob sie ein umfassendes Schutzkonzept hätten, stimmten aber nur 13 Prozent der Schulen und 22 Prozent der Kitas zu.

Missbrauchsbeauftragter: Kitas und Schulen brauchen mehr Unterstützung

Rörig forderte die Bundesländer auf, deutlich mehr in den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch zu investieren. Kitas, Schulen, Sportvereine und andere Einrichtungen bräuchten dringend mehr Unterstützung für ihr Engagement gegen sexuelle Gewalt, sagte er. «Von alleine und zum Minimaltarif werden maximaler Schutz von Jungen und Mädchen und optimale Hilfe nicht erreicht werden.» News4teachers / mit Material der dpa

Kampf gegen den Missbrauch

Der Bundestag hat der Polizei neue Möglichkeiten im Kampf gegen Kindesmissbrauch eröffnet. Die Reform, die am Freitag beschlossen wurde, greift an zwei Stellen an, in sozialen Medien und im Darknet:

In Chaträumen, bei Facebook, Instagram, Snapchat oder TikTok, in Onlinespielen und Messengern geben sich Pädophile und Sexualstraftäter als Kinder aus. Sie knüpfen Kontakte zu Jungen und Mädchen, schreiben oft erst harmlose Nachrichten – doch bald fragen sie auch nach Handynummern, bitten um Nacktfotos und schließlich um ein gefährliches Treffen. Mehr als jedes siebte Kind unter 14 Jahren sei Umfragen zufolge bereits Opfer sexueller Belästigung im Netz geworden, sagte der Unionsabgeordnete Thorsten Frei im Bundestag.

Schon jetzt schleichen sich Ermittler verdeckt und als Kinder getarnt in solche Chats ein – doch sie konnten zuletzt wenig tun, wenn jemand versuchte, mit ihnen anzubandeln. Denn bisher war das nicht strafbar, weil der Täter tatsächlich mit einem Erwachsenen kommunizierte. Dass er eigentlich davon ausging, einem Kind zu schreiben, spielte keine Rolle. Künftig ist das anders: Bereits der Versuch eines sexuellen Kontakts wird strafbar. Die Täter handelten schließlich «in der gleichen schrecklichen Absicht, das Vertrauen eines Kindes für eine spätere Missbrauchstat zu gewinnen», sagte Justizministerin Christine Lambrecht (SPD).

Auch in Tauschbörsen, wo grausamste Videos von Missbrauchsszenen zu Tausenden geteilt werden, bekommen Ermittler neue Möglichkeiten. Wie diese Internetseiten funktionieren, erklärte der Chef der Freiburger Kriminalpolizei vor kurzem im Bundestag mit einem einfachen Bild: «Ein Forum für kinderpornografisches Material im Darknet kann man sich wie ein Gebäude vorstellen, an dessen Eingang Sie als Eintrittskarte ein kinderpornografisches Foto oder einen Film vorzeigen müssen», sagte Peter Egetemaier den Abgeordneten.

Bisher kamen die Ermittler nicht in die Hinterzimmer, weil sie selbst keine Missbrauchsvideos hochladen durften. Das hält Lambrecht auch für gerechtfertigt: «Wir dürfen nie vergessen, dass hinter kinderpornografischen Bildern schreckliche Missbrauchstaten an Kindern stehen», mahnte sie. Doch ohne Eintrittskarte bekamen die Ermittler auch keinen Zugang.

Künftig sollen sie sich – streng kontrolliert – mit künstlichen Missbrauchsvideos in die Foren einschleichen. «Diese computergenerierten Bilder sehen echten Bildern täuschend ähnlich, zeigen aber niemals echte Kinder», sagte Lambrecht. Sie dürfen nur dann genutzt werden, wenn sich die Taten nicht anders aufklären lassen und ein Gericht zustimmt. Zur Herstellung dürfen keinerlei Abbildungen echter Menschen verwendet werden. dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrer weist Missbrauchsvorwurf zurück – Schülerin habe Sex gewollt

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