Söder verpflichtet die Schulen zu alljährlicher Projektwoche „Alltagskompetenz“

4

MÜNCHEN. Eigentlich hatte die bayerische Landesregierung ein Schulfach «Alltagskompetenz» angekündigt, in das auch Naturschutzthemen einfließen sollten. Spätestens seit dem erfolgreichen Volksbegehren „Rettet die Bienen“ weiß Ministerpräsident Markus Söder (CSU), wie gut Umweltschutz-Initiativen beim Wahlvolk ankommen. In Zeiten des Lehrermangels aber ließ sich das neue Schulfach wohl nicht umsetzen. Nun sieht das Vorhaben etwas anders aus – preiswerter.

Hat sein Herz für den Umweltschutz entdeckt: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Foto: Bayerische Staatskanzlei

An den bayerischen Schulen soll es vom kommenden Schuljahr an verpflichtende Projektwochen geben, in denen die Schülerinnen und Schüler tatsächlich «fürs Leben» lernen sollen: Ernährung und Landwirtschaft, Gesundheit, Verbraucherverhalten, Umweltverhalten und Haushaltsführung – in diesen Bereichen sollen den Kindern und Jugendlichen praktische Alltagskompetenzen vermittelt werden. Geplant sind mindestens eine fünftägige Projektwoche an den Grundschulen und eine fünftägige Projektwoche an weiterführenden Schulen. Dieses Konzept beschloss das Kabinett am Montag in München.

„Eine noch engere Verknüpfung von Schule und Alltagswelt“

Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) betonte nach der Kabinettssitzung, Ziel der Projektwochen sei eine noch engere Verknüpfung von Schule und Alltagswelt. Auch externe Fachleute sollen eingebunden werden. An den Schulen passiere zwar schon das eine oder andere, insbesondere an den Grundschulen, sagte Piazolo. Es gebe Besuche auf Bauernhöfen und anderes. Mit verpflichtenden Projektwochen wolle man dem Ganzen aber eine neue Bedeutung geben. Als Beispiele, worum es in den Projektwochen auch gehen könnte, nannte Piazolo den Umgang mit Geld, Handyverträgen und ähnlichem.

Ein neues Schulfach «Alltagskompetenz», wie es die schwarz-orange Koalition ursprünglich angekündigt hatte, wird es damit nun nicht geben. Er halte das neue Vorgehen aber für sinnvoll, sagte Piazolo. Der Ansatz sei effektiver und zielführender und könne schneller verwirklicht werden. Und: Projekte blieben länger im Gedächtnis.

Die Idee basiert auf einer Initiative der Landfrauen in Bayern, die schon 2013 fast 100.000 Unterschriften gesammelt hatten, damit ein Schulunterricht zu Themen wie Erzeugung von Lebensmitteln, gesunde Ernährung und nachhaltige Lebensführung stattfindet. Die Idee für «Alltagskompetenz» als neuem Schulfach wurde dann nach dem erfolgreichen Volksbegehren «Rettet die Bienen» bei den Beratungen über ein großes Umwelt- und Artenschutzpaket geboren.

Ein eigenes Schulfach hätte Lehrerstellen gebunden

Kerngedanke war, in diesem Fach beispielsweise Wissen über die heimische Natur und Landwirtschaft sowie Klimaschutz zu vermitteln. Ende vergangenen Jahres hatte die schwarz-orange Koalition die Idee dann einkassiert – und stattdessen die Projektwochen angekündigt. Ein eigenes Fach hätte Lehrerstellen gebunden; ein schwieriges Unterfangen in Zeiten des Lehrermangels.

Der Landesschülerrat und der Philologenverband lobten das neue Konzept. «Die Umsetzung in Form von Praxistagen sowie die weitreichendere Verankerung als fächerübergreifendes Bildungsziel können wir als Landesschülerrat durchweg begrüßen», sagte der Koordinator des Landesschülerrats, Joshua Grasmüller. Der Vorsitzende des Philologenverbands, Michael Schwägerl, betonte: «Es ist richtig, das Thema Alltagskompetenz und Lebensökonomie projektartig an den Schulen umzusetzen und kein eigenes Schulfach einzuführen.» Nur ein solcher fächerübergreifender Ansatz werde der Komplexität des Themas gerecht und biete genug Raum für Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort.

Die Landfrauen zeigen sich der „Main-Post“ zufolge geradezu begeistert. Landesbäuerin Anneliese Göller spricht laut Bericht gar von einem „Meilenstein, mit dem wir Erfahrungen sammeln können“. Die Schüler profitierten zudem sehr von Lerninhalten, „die Bezug zum eigenen Leben haben und durch Profis in ihrem Fachbereich praxisnah vermittelt werden“, meint Göller. Eine Aufstockung auf den Umfang eines vollwertigen Schulfachs bleibe deshalb „jederzeit möglich“.

Kritik kommt von der SPD: Eine Woche „Crash-Kurs“ reicht nicht

Die oppositionelle SPD mag in den Lobgesang allerdings nicht einstimmen: Eine Woche „Crash-Kurs“ reiche nicht, um fehlende Grundkenntnisse der Schüler über Ernährung, Haushaltsführung oder den Umgang mit Geld auszugleichen, kritisiert laut „Main-Post“ die Bildungsexpertin Simone Strohmayr. Solche Inhalte müssten vielmehr „dauerhaft und fächerübergreifend behandelt werden“. Dafür sei aber zusätzliches Personal nötig.

Dass allzu viele Innovationen von den Projektwochen nicht zu erwarten ist, machte auch Bayerns größter Lehrerverband, der BLLV, deutlich. Mit den nun angekündigten Projekt-Wochen könnten die Schulen leben, denn es verpflichte nur auf etwas, was dort bereits freiwillig geschehe, so zitiert die „Main-Post“ die Präsidentin Simone Fleischmann. Sie sagt: „Wir greifen aktuelle Themen in den Schulen ohnehin längst auf.“ News4teachers / mit Material der dpa

Im Wortlaut

Die bayerische Staatsregierung hat zum Kabinettsbeschluss eine Pressemitteilung herausgegeben. Darin heißt es wörtlich:

«Mit dem neuen Konzept „Schule fürs Leben“ werden den Schülerinnen und Schülern in Bayern künftig Alltagskompetenzen im Unterricht verstärkt vermittelt. Der Fokus liegt dabei auf Praxisbezug und Lebenswirklichkeit. Die jungen Menschen werden in der Schule damit künftig noch besser auf das Leben vorbereitet. Die Staatsregierung hat das entsprechende Konzept heute beschlossen, der Start erfolgt mit dem Schuljahr 2020/2021.

Das Konzept unter der Dachmarke „Schule fürs Leben“ umfasst den gesamten Bereich „Alltagskompetenz und Lebensökonomie“. Dazu zählen die fünf Handlungsfelder Ernährung, Gesundheit, selbstbestimmtes Verbraucherverhalten, Umweltverhalten und Haushaltsführung. Die allgemeinbildenden Schulen und Wirtschaftsschulen führen dazu verpflichtende Praxismodule durch. Der Umfang beträgt mindestens eine fünftägige Projektwoche an den Grundschulen (Klasse 1 bis 4) und eine fünftägige Projektwoche an den weiterführenden Schulen (Klasse 5 bis 9).

Schulen erhalten „Projektvorschläge“ und „Modulskizzen“

Damit werden Alltagskompetenz und Lebensökonomie im Schulleben ausgebaut. Mit qualifizierten externen Experten und außerschulischen Lernorten öffnen sich die Schulen noch stärker nach außen. Die eigenverantwortliche Umsetzung der Schulen ermöglicht, den örtlichen Gegebenheiten optimal gerecht zu werden. Möglich sind Kooperationen mit Bauernhöfen, Initiativen für Nachhaltigkeit und Umweltschutz oder Programme für eine gesunde Schule. Nach ihrer Teilnahme an den Modulen erhalten die Schülerinnen und Schüler ein Zertifikat.

Unterstützungsangebote für eine eigenverantwortliche Umsetzung erhalten die Schulen in Form von Projektvorschlägen und Modulskizzen. Die Lehrkräfte können etablierte Programme wie etwa „Erlebnis Bauernhof“, „Landfrauen machen Schule“, „Wissen wie’s wächst und schmeckt“, „Partnerschule Verbraucherbildung“ und „Umweltschule in Europa“ in ihre Projektarbeit einbeziehen. Außerdem werden die Inhalte und Kompetenzen aus den einzelnen Fachlehrplänen im LehrplanPLUS zu einem eigenen Lehrplan für Alltagskompetenz und Lebensökonomie zusammengeführt. Ergänzend dazu werden unterrichtspraktische Materialien zur Verfügung gestellt. Die Einführung von „Schule fürs Leben“ wird im Rahmen eines Monitorings begleitet. Für Lehrer ist ein bedarfsgerechtes Fortbildungsprogramm geplant.»

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Schüler klagen: Alltagskompetenzen kommen in der Schule zu kurz – deshalb…

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

4 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Marie
4 Jahre zuvor

Und noch was oben drauf… Von wegen „externe Experten“. Wo sollen die denn für alle Schulen herkommen? Die fallen auch in Bayern nicht einfach so vom Baum… Und ganz nebenbei: Wie soll sich das dann finanzieren?

ysnp
4 Jahre zuvor

Toll, dass das ausgerechnet jetzt noch kommt, wo wir uns in den Grund- und Hauptschulen aufregen und die Maßnahmen zur Deckelung des Lehrerbedarfs diskutiert werden. Man merkt einen schwindenen Vertrauensverlust in die, die über uns bestimmen.
Und jetzt nochmal das obendrauf! Hat die Regierung kein Feingefühl? Wo bleibt die Fürsorgepflicht?

By the way: Umlängst hatten wir eine verpflichtende Fortbildung gerade zu diesem Thema. Da ging es darum, wie diese Inhalte im Lehrplan verankert sind. Und wir haben viele Berührungspunkte gefunden. Kennt das Ministerium überhaupt die Inhalte des Lehrplans PLUS? Fast alles, was gefordert wird, ist schon im Lehrplan verankert (Bauernhof, gesunde Lebensmittel, Umwelt… ) Bitte einfach einmal den HSU Lehrplan lesen!
Mit einer Projektwoche müssen bei 38 Unterrichtswochen (und sind bei dem Umfang von Lehr- und Lernstoff nicht viele) wieder andere wichtige Inhalte in den Hauptfächern Deutsch und Mathematik gekürzt werden, zumal man wegen anderer Aktionen nie diese gesamte Zeit im Schuljahr zur Verfügung hat.

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

Ich hatte schon erwartet, dass die Inhalte ohnehin in den Lehrplänen sind.

Alltagskompetenz? Umgang mit Geld, Ernährung?
Dann werden diese Unterrichtsthemen eben in die verpflichtende Projektwoche geschoben und in diesem Zeitraum unterrichtet, statt an anderer Stelle.

Wieder ein Vorschlag, der NICHTS Neues bringt, außer Aufwand für Lehrkräfte.

„Umgang mit Größen? Nein, das machen wir in den Grundschulen nun nicht mehr mitten im Jahr. Das Ministerium wollte doch, dass diese Alltagskompetenzen in Projektwochen ausgelagert werden!“

Aber ich denke, ich ergänze Herrn Söder in meiner Liste der an Bildung so sehr Interessierten, dass sie gerne im Sinne des Konnexitätsprinzips das „Innovationsjahrzehnt“ finanziell unterstützen:
100 zusätzliche Lehrkräftestellen und 200 zusätzliche Stellen weiteren Personals für die Schulen in BY … hm, vielleicht etwas wenig für sein Vorhaben.

… Platz 4 auf der Liste der Bildungsbefürworter:
Nr. 1 Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, 8.1.2020, “massive Bildungsoffensive” und Vorbereitung auf die Digitalisierung,
Nr. 2 Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, 12.1.2020, verbesserte Sprachförderung vor und nach der Einschulung,
Nr. 3 Bundesernährungsministerin Julia Klöckner, 13.01.2020, Ernährungsbildung
Nr. 4 Ministerpräsident Markus Söder, 14.01.2020, Projektwoche Alltagskompetenz

Da deckt er auch gleich mehrere der von ihm selbst geforderten Themen ab: Umgang mit Geld, Haushaltsplanung, Lebensökonomie und Gesundheit (der Lehrkräfte wohlgemerkt).

lehrer002
4 Jahre zuvor

Was für ein Schwachsinn! Aber das macht ja offensichtlich gewissen Politikern Spaß, dass sie Leute zu etwas verpflichten können. Unterricht ist immer in irgendeiner Form alltagsbezogen. MAn braucht dafür keine Projektwochen. Unglaublich!!!! Als ob die Lehrer nicht ehe schon genug zu tun hätten!