Auch Tonne setzt jetzt auf Mehrarbeit von Lehrern – er betont: „freiwillige“!

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HANNOVER. Am laufenden Band und zu Hunderten stellt Niedersachsen neue Lehrer ein, aber noch reicht dies nicht. Die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren erhöht den Bedarf zusätzlich. Kultusminister Tonne setzt auch auf freiwillige Mehrarbeit von Lehrern – vorübergehend zumindest.

Sind Lehrkräfte zu freiwilliger Mehrarbeit bereit? Illustration: Shutterstock

Die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren wird die Schulbehörden in Niedersachsen im Sommer vor einen noch ungelösten Kraftakt stellen. Auf einen Schlag gibt es 20.000 Schüler zusätzlich, wofür bis dahin die Rekordzahl von 2400 bis 2500 Lehrer eingestellt werden soll, wie Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am Dienstag in Hannover ankündigte. Zwar werden etliche im Moment an andere Schulen abgeordnete Gymnasiallehrer dann an die Gymnasien zurückkehren. Dadurch entstehen aber Lücken etwa an Oberschulen, um deren Schließung das Ministerium im Moment noch intensiv bemüht ist.

Land will Einstellungspraxis von Lehrern ändern

«Eine verpflichtende Mehrarbeit schließen wir aus», betonte Tonne, eine freiwillige Verpflichtung von Lehrern zu vorübergehender Mehrarbeit aber sei eine denkbare Lösung. Auch will das Land seine Einstellungspraxis ändern. Bisher pochten frisch ausgebildete Pädagogen mit Berufsziel Gymnasiallehrer noch bei den Schulbehörden um diese besser bezahlten Stellen, weil das Land händeringend auf Einstellungen angewiesen ist. «Wenn die Stellen unbesetzt geblieben wären, wäre niemandem geholfen», sagte Tonne. Wenn die Versorgung der Gymnasien demnächst aber gewährleistet sei, müssten die Pädagogen auch mit anderen Stellen etwa an Oberschulen vorlieb nehmen.

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Zum Start des zweiten Halbjahrs an diesem Mittwoch gelang es den Behörden bisher, 1164 der rund 1350 ausgeschriebenen Stellen zu besetzen. Weitere Einstellungen in den kommenden Wochen werden erwartet. «Für mich zeigt die Zahl in die richtige Richtung», meinte Tonne. Die Zahl der Neueinstellungen liege damit um rund 400 über der der zumeist wegen Pensionierung ausscheidenden Lehrer, was die Unterrichtsversorgung verbessere. Unbefriedigend sei die Bewerberlage aber noch an den Oberschulen. Teils werde angehenden Lehrern im Moment noch eine Gymnasialstelle angeboten, wenn sie zuvor drei Jahre an einer Oberschule unterrichten.

Zahl der Abordnungen von Lehrern ist gestiegen

Keine Entwarnung konnte der Kultusminister zumindest vorläufig beim Streitthema Abordnungen geben. Die Zahl der Lehrer, die vorübergehend zum Unterricht an andere Schultypen abgeordnet wird, stieg im zweiten Halbjahr auf 2818, nachdem im ersten Halbjahr noch 2309 Lehrer betroffen waren. Ein Grund sei, dass mit Blick auf die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren bereits eingestellte Gymnasiallehrer zunächst an anderen Schulen eingesetzt werden, wo der Bedarf momentan noch höher ist, erklärte der Minister. dpa

Modell gegen den Lehrermangel? Lehrer sollen freiwillig Mehrarbeit ansparen – und nach Jahren abfeiern. Verbände sind skeptisch

 

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3 Kommentare
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Palim
4 Jahre zuvor

Und wieder bleiben Grundschulen ungenannt,
aber über Abordnungen übernehmen dort GymnasialkollegInnen jahresweise Klassenleitungen.
Im 1. HJ 19/20 waren es ca. 4000 Std. direkt vom Gymnasium an die Grundschulen
und ca. 6 900 Std. an SekI-Schulen unterschiedlicher Art,
aber auch viele weitere Abordnungen zwischen anderen Schulformen.

Wie im Artikel gesagt: „Die Rückkehr zum Abitur nach 13 Jahren wird die Schulbehörden in Niedersachsen im Sommer vor einen noch ungelösten Kraftakt stellen.“ – sehenden Auges!

D. Orie
4 Jahre zuvor

Ein gutes Modell gegen Lehrermangel: mehr ausbilden – und besser ausbilden. Ich habe gehört, dass an der Universität Greifswald nun auch Grundschullehrkräfte ausgebildet werden sollen. Gut! Aber bislang ist noch keine einzige Professur (also überhaupt noch keine) dafür geschaffen bzw. ausgeschrieben worden. Sieht so Bildungsplanung aus? Leider Ja!

D. Orie
4 Jahre zuvor

Zitat:
„Schulen geht das Personal aus
In den kommenden Jahren droht ein Lehrermangel. Die Hochschulen bilden zu wenig Pädagogen aus, die Aufteilung des Studiums in Bachelor und Master erschwert den Weg in den Beruf.
Aufgrund der Konjunkturpakete sind bald lang benötigte Investitionen in Schulgebäude möglich. „Der Renovierungsbedarf an den Schulen in Deutschland ist gigantisch“, sagt Klaus Klemm, emeritierter Professor für Bildungsplanung der Universität Essen-Duisburg. Die Atmosphäre des Lernens wird sich also an einigen Orten verbessern – ob das auch für die Betreuung der Schüler gelten wird, bezweifelt der Bildungsforscher jedoch. Denn Deutschlands Schulen droht in zahlreichen Unterrichtsfächern ein dauerhafter Lehrermangel, und der ist nicht wie in der Vergangenheit mit den jährlichen Schwankungen der Zahl der Lehramts-Studierenden und der offenen Stellen zu erklären. Der sich ankündigende Lehrermangel hat strukturelle Ursachen, wie Klemm analysiert.

Zu wenig Studierende. Die Zahl der angehenden Lehrer an der Universitäten reicht bei weitem nicht für den künftigen Personalbedarf der Schulen, so Klemm. Es nehmen zwar mehr Abiturienten ein Lehramtsstudium auf als später benötigt werden. Doch bis zu 40 Prozent gelangen nicht bis in die Schulen: weil sie ihr Studium abbrechen, nach dem ersten Staatsexamen auf das Referendariat verzichten oder nach dem zweiten Staatsexamen nicht den Lehrerberuf ergreifen. Mit der Aufteilung des Studiums in Bachelor und Master ist eine zusätzliche Hürde dazugekommen, kritisiert der Bildungsforscher. Derzeit ist völlig unklar, ob die Hochschulen allen Bachelor-Absolventen den Zugang zu Master-Studiengängen und damit den Abschluss des Lehrerstudiums ermöglichen werden. Möglicherweise verschärft das in einigen Jahren die Personalprobleme an Schulen und führt heute junge Leute in eine Sackgasse.

Zu wenig Geld. Das Konjunkturpaket enthält zwar Investitionen in Gebäude, aber kein Geld für neue Lehrer. Durch Steuersenkungen und wachsenden Schuldendienst könnte das Bildungsbudget künftig knapper werden, warnt Klemm. Das Bildungswesen würde zu den Leidtragenden der Finanzkrise gehören – sofern nicht die Bereitschaft entsteht, einen größeren Anteil des staatlichen Budgets für das Personal von Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten auszugeben.

Der Wissenschaftler hat berechnet, wie viele Fachkräfte in diesen Einrichtungen 2015 gebraucht werden. Aufgrund des Geburtenrückgangs gibt es dann weniger schulpflichtige Kinder und Jugendliche. Dem Staat fällt eine so genannte Demografie-Rendite zu. Er kann das zahlenmäßige Verhältnis von Lehrern zu Schülern konstant halten und dennoch Geld sparen. Bis zur Wirtschaftskrise ging Klemm davon aus, dass deshalb der Betreuungsschlüssel zumindest geringfügig besser wird – sofern es denn qualifizierte Kandidaten gibt. Ein weiterer Teil der Demografie-Rendite könnte im Bildungswesen bleiben und für den Ausbau der öffentlichen Betreuung von Kleinkindern eingesetzt werden. Bund und Länder wollen die Betreuungsquote für Kinder bis drei Jahre mehr als verdoppeln, bis 2013 auf 35 Prozent. Darum werden in diesem Segment laut Klemm über 100.000 zusätzliche Stellen entstehen. Das Versorgungsniveau für Drei- bis Sechsjährige braucht dagegen nicht mehr ausgebaut werden, allerdings müsse der Ausbau ganztägiger Angebote vorangetrieben werden. Auch verändern sich die Anforderungen. Kindergärten bekommen einen zunehmend größeren Bildungsauftrag, also müssen Fachkräfte mit einem Studium vorbereitet werden, etwa auf die frühe Sprachförderung.“ (Quellen: Klaus Klemm: Der Fachkräftemangel im Bildungswesen, Vortrag im Rahmen der DGB-Veranstaltung „Neue Bildung für das Land“ am 20. Oktober 2008 in Berlin)

Dieses lange Zitat stammt aus dem Jahre 2008!!!!