Vorbildlich: Rentner schlichten Streit unter Schülern – und entlasten Lehrer

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MÜNCHEN. Zeitunglesen und Reisen – das kommt für Matthias Kraemer in seinem Ruhestand nicht infrage. Stattdessen arbeitet er ehrenamtlich an einer Grundschule – zwischen Pausenengeln und Pausenbengeln.

Für pensionierte Lehrkräfte eröffnen sich derzeit neue Karriereoptionen - nicht nur in NRW. Foto: Florian Schwalsberger / flickr (CC BY 2.0)
Ist Schulen mit ehrenamtlichem Einsatz geholfen? (Symbolfoto) Foto: Florian Schwalsberger / flickr (CC BY 2.0)

«SOS: Hier spricht Ihr Kapitän. Unser Schiff sinkt und Ihnen bleiben nur noch zehn Minuten um zur Polarstation zu kommen. Retten Sie die gesamte Besatzung.» Es ist Donnerstag, 8.00 Uhr morgens. Der Ort des Geschehens ist nicht das Polarmeer, sondern die Turnhalle der Grundschule an der Zielstattstraße in München. Beim «Eisschollenspiel» trainiert die Klasse 4b ihre Teamfähigkeit. Der Kapitän heißt Matthias Kraemer und arbeitet ehrenamtlich bei «Seniorpartner in School», einem bundesweiten Verein, bei dem Rentner Schüler beim Lösen ihrer Konflikte unterstützen. Bayernweit sind dafür 80 Rentner an mehr als 30 Schulen im Einsatz.

Schüler streiten sich oft

Anlässe für Streit gibt es viele: Die einen können sich beim Fußballspiel in der Pause nicht einigen, wer in welche Mannschaft kommt oder welche Regeln gelten. Andere ärgern sich gegenseitig oder beschimpfen sich nach dem Motto: «Du bist nicht mehr meine Freundin». Die Senioren helfen bei Konflikten aller Art helfen, sagt Kramer.

Seit 2010 ist der Verein in München aktiv. In den vergangenen Jahren konnten die Ruheständler auch Grund- und Mittelschulen in Deggendorf, Eging am See, Ingolstadt und Vilshofen an der Donau von ihrem Konzept überzeugen. Auch in Augsburg und Nürnberg wollen sie tätig werden. Auf Bundesebene gibt es die Streitschlichter seit 2001. Mittlerweile umfasst der Bundesverein mit Sitz in Berlin 14 Landesverbände. Um für den Verein arbeiten zu können, lassen sich die Ruheständler kostenlos zu Mediatoren ausbilden. Anschließend verpflichten sie sich, mindestens 18 Monate lang einen Vormittag pro Woche an einer Schule zu arbeiten.

Kraemer unterstützt in München mit seinen Kollegen Aktivitäten für ein besseres Klassenklima. Sie helfen den Schülern, zu einer Gemeinschaft zusammenzuwachsen und bilden sie zu Streitschlichtern aus. In besonders schweren Fällen werden die Ehrenamtlichen selbst als Konfliktmediatoren aktiv.

Der 68-jährige Kraemer, ein schlanker sportlicher Mann, ist seit 2015 bei den als Streitschlichter unterwegs. In seinem kleinen Büro, das ihm die Schule zur Verfügung gestellt hat, treffen sich an diesem Morgen die Pausenengel aus den vierten Klassen. Kraemer hat die Schüler im vergangenen Jahr ausgebildet. Die zehn Kinder sitzen um den Tisch in der Mitte des Zimmers, in den Regalen an den Wänden sind Kinderbücher und Kisten voller Plüschtiere. Auf der Agenda der wöchentlichen Besprechung stehen diesmal der Dienstplan der nächsten Tage, die allgemeine Situation auf dem Schulhof und die Vorfälle der letzten Woche. Auch Probleme haben die Pausenengel auf dem Herzen. Sie würden von ihren Mitschülern oft nicht respektiert und in Streitigkeiten hineingezogen, beklagen sie. Das geht gar nicht, sind sich die Schüler einig. «Wir sind ja nicht die Pausenbengel», sagt ein Bub.

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Dass Kraemer in solchen Situationen den Kindern zur Seite steht und ihnen Tipps gibt, findet Schulleiterin Monika Engelmayer gut. Kinder hätten Schwierigkeiten, die Probleme von gleichaltrigen richtig zu moderieren, sagt sie. Stattdessen führten sie sich schnell als Sheriffs auf, «die über den Schulhof schlendern und sich einmischen».

Entlastung für das Lehrerkollegium

Seit 2015 unterstützen die Seniorpartner die Schule im Südwesten Münchens. Das sei auch eine große Entlastung für das Lehrerkollegium, berichtet die Rektorin. Oft habe man während des Unterrichts nicht genügend Zeit, Konflikte zwischen Schülern ausreichend zu klären. «Ich gebe es einfach weiter zu jemandem, der die Geduld hat, der die Zeit hat und die Ausbildung, dass angemessen anzugehen.»

Doch das sehen nicht alle Pädagogen so. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), Simone Fleischmann, versteht, dass viele Lehrer die Aufgabe der Konfliktlösung ungern aus der Hand geben. Deshalb sei es sehr wichtig, hohe Qualitätsstandards auch bei externen Unterstützern einzuhalten und gute Absprachen zwischen allen Beteiligten zu treffen.

Der Verein wünscht sich vor allem mehr politische Anerkennung: «Wir wollen kein Geld von der Politik, wir wollen Status. Und das ist im bayerischen Schulsystem nicht einfach», sagt Kraemer. Das Kultusministerium verweist auf Schulpsychologen und Schulsozialpädagogen, zu deren Aufgaben auch das Schlichten von Konflikten gehört. Die Entscheidung nach mehr Unterstützung «treffen die Schulen vor Ort in pädagogischer Eigenverantwortung», heißt es.

Kraemer, der auch Vorsitzender des Landesverbands Bayern ist, ist vom Erfolg seiner Arbeit überzeugt. Kinder und ältere Menschen hätten oft eine besondere Beziehung zueinander. Die Senioren könnten sich Zeit zum Zuhören nehmen, sie hätten viel Lebenserfahrung. Und die Kinder könnten ihnen ihr Herz ausschütten. Von Marie Müller, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

So müsste die Grundschule eigentlich sein: Ein pädagogisches Zentrum – mit multiprofessionellem Kollegium und kleinen Klassen

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4 Kommentare
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Küstenfuchs
4 Jahre zuvor

Solche Streitschlichter mit Opa-/Omabonus wirken oft Wunder, wenn die entsprechenden Personen dies gut können. Diese Erfahrung hab ich an meiner Schule jedenfalls gemacht.

OlleSchachtel
4 Jahre zuvor

Toll, sowas hätte ich gerne an unserer Schule.

lehrer002
4 Jahre zuvor

An sich sehr schöne Idee, aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch bei Rangeleien etc. gefährlich für ältere Menschen werden könnte, sodass sie unbedingt einschätzen können sollten, wo sie dazwischen gehen und wo nicht. Eine schwangere Kollegin würde sich ja auch nicht gerade in einen größeren Streit werfen.

ysnp
4 Jahre zuvor

Wenn sie es gut und einfühlsam machen, ja. Allerdings muss das wirklich professionell sein. Wir sehen an unserem Ganztagspersonal in der Betreuung der Mittagsschiene oder am Nachmittag (keine Lehrer, maximal Erzieher, wenn überhaupt), dass hier bei einigen doch einige pädagogische Grundlagen fehlen.

Dennoch sollten solche Modelle nicht verhindern, dass wir unbedingt mehr bezahlte Sozialarbeiter- und Sozialarbeiterinnenstunden an den Schulen brauchen! Denn die Aufgabe, die oben im Artikel geschildert wurde, übernimmt unsere Sozialarbeiterin.