Nikab im Unterricht: Bizarrer Einzelfall – oder Anlass für Gesetzesverschärfung?

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BERLIN. Dürfen Mädchen mit vollverschleiertem Gesicht am Unterricht teilnehmen? Diese Frage wirft ein Fall in Hamburg auf. Gerichte geben einer 16-Jährigen recht, die einen sogenannten Nikab trägt (News4teachers berichtete). Mehrere Bundesländer wollen nun ihre Schulgesetze verschärfen.

In Hamburg gibt es jetzt tatsächlich den Fall einer 16-Jährigen, die im Niqab zur Schule kommt. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

In regelmäßigen Abständen wird in Deutschland über ein Kopftuchverbot an Schulen diskutiert. Ein Fall aus Hamburg rückt nun ein anderes, deutlich spezielleres Thema in den Fokus: Es geht um den sogenannten Nikab, einen Gesichtsschleier, der nur die Augen freilässt. Eine 16-jährige Hamburger Berufsschülerin hatte sich das Recht erstritten, diesen im Unterricht tragen zu dürfen. Hamburg reagierte mit der Ankündigung, sein Schulgesetz zu ändern und ein Verhüllungsverbot an Schulen einzuführen. Pläne dafür gibt es auch in Schleswig-Holstein. Baden-Württemberg kündigte nun am Dienstag ebenfalls eine Verschärfung seines Schulgesetzes an.

Weil die Bundesländer in Deutschland für Bildung zuständig sind, ist das Thema uneinheitlich geregelt. Wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Ländern ergab, gibt es Länder mit einem Verbot der Gesichtsverschleierung an Schulen und Länder ohne gesetzliche Regelungen – manche sehen dafür auch gar keine Notwendigkeit.

Im Schulgesetz fehlt eine explizite Regelung

Zum Hintergrund: Die Schulbehörde in Hamburg hatte der Mutter einer 16-Jährigen aufgetragen, dafür zu sorgen, dass die Tochter in der Berufsschule ihr Gesicht zeige und ein Zwangsgeld von 500 Euro angedroht. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht wiesen das jedoch zurück. Für eine solche Anordnung fehle die rechtliche Grundlage im Schulgesetz. Dort ist bisher nicht explizit geregelt, dass eine Verhüllung des Gesichts verboten ist.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe sagte am Dienstag dem Sender «NDR 90,3»: «Ich will, dass alle Schüler ihr Gesicht zeigen und wenn die Urteile sagen, dass wir dazu das Gesetz ändern müssen, dann werden wir das jetzt schnell tun.» Es gehe nicht, dass jemand im Unterricht sitze und keiner wisse, wer hinter der Maske sei.

Hamburg will sich laut Rabe am Schulgesetz des Nachbarlands Niedersachsen orientieren. Dort gibt es seit 2017 ein Verschleierungsverbot: «Schülerinnen und Schüler (…) dürfen durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung die Kommunikation mit den Beteiligten des Schullebens nicht in besonderer Weise erschweren», heißt es darin. Auch in Bayern dürfen Schülerinnen und Schüler in der Schule «ihr Gesicht nicht verhüllen, es sei denn, schulbedingte Gründe erfordern dies», wie es im Schulgesetz des Freistaates heißt. Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) sagte: «Unterricht und Erziehung brauchen offene Kommunikation. Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler müssen sich in der Schule ins Gesicht schauen können.»

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Eisenmann kündigt Regelung für die Schulen an

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) kündigte am Dienstag ebenfalls eine Änderung des Schulgesetzes in ihrem Bundesland zur Einführung eines Verschleierungsverbots an. Rückendeckung bekam sie von Ministerpräsident Winfried Kretschmann: Auch wenn es nur sehr wenige Fälle gebe, sei es sinnvoll, das rechtlich zu regeln, sagte der Grünen-Politiker.

Andere Länder sehen keinen Handlungsbedarf: Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) sagte am Dienstag in Düsseldorf, Burka und Nikap hätten an Universitäten und Schulen nichts zu suchen. Man müsse aber aufpassen, Einzelfälle nicht aufzubauschen. Aus dem sächsischen Kultusministerium in Dresden hieß es, bisher habe es keinen Anlass für eine Änderung des Schulgesetzes gegeben. Thüringen teilte mit, es gebe keine Regelungen zum Umgang mit Vollverschleierungen. Es seien diesbezüglich auch keine Veränderungen geplant.

Hessen sieht ebenfalls keinen neuen Regelungsbedarf. Durch das hessische Schulgesetz sei geregelt, dass schulische Bildung und Erziehung auf Kommunikation zwischen den Lehrkräften und Schülern angewiesen sei, erklärte ein Ministeriumssprecher in Wiesbaden. Die Teilnahme am Unterricht durch eine Schülerin, deren Gesicht durch das Tragen einer Burka nicht mehr erkennbar sei, sei in Hessen nicht zulässig. Aus anderen Bundesländern kamen ähnliche Antworten. Bremen verwies darauf, dass es keinen «uns bekannten Fall von „Vollverschleierung“ von Schülerinnen in der Stadt» gebe. «Wir reden von etwas, was nicht stattfindet», sagte eine Sprecherin der Bildungsverwaltung.

Beckmann: Lehrer müssen in Gesichter schauen können

Lehrervertreter sprachen sich für ein Verbot aus. Für eine offene Kommunikation sei es unerlässlich, dass das Gesicht des Gegenübers zu erkennen sei, sagte der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. «Damit Schulen dies einfordern können, bedarf es einer klaren schulgesetzlichen Regelung in den einzelnen Bundesländern.» Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hatte bereits am Montag gesagt, er plädiere für ein bundesweites Nikabverbot in allen Bildungseinrichtungen. «Das passt nicht zu dem offenen Umgang, den wir im Unterricht pflegen wollen.» Von Jörg Ratzsch, dpa

GEW ist skeptisch

KIEL. Die GEW in Schleswig-Holstein zeigt sich skeptisch, ob ein Verbot der Vollverschleierung in Schulen tatsächlich Probleme löst. „Gesichtsschleier von Schülerinnen haben in Schulen, die sich den Menschenrechten und der Gleichberechtigung von Frau und Mann verpflichtet fühlen, keinen Platz. Die Persönlichkeitsentfaltung von Schülerinnen könnte durch das Tragen eines Niqabs beeinträchtigt werden. Eine offene Kommunikation ist ebenfalls nicht möglich. Da gehören auch Mimik und Gestik dazu“, so stellt Landesvorsitzende Astrid Henke klar.

Sie meint aber auch: Mit gesetzlichen Regelungen allein ist es nicht getan. „Viele Fragen werden mit einer Schulgesetzänderung leider nicht beantwortet. Wie soll ein Verbot durchgesetzt werden? Wer soll es durchsetzen? Die Lehrkräfte? Die Polizei? Welche Konsequenzen drohen Niqab-Trägerinnen, wenn sie weiter im Niqab zur Schule kommen? Ausschluss aus dem Unterricht trotz Schulpflicht? Ordnungsstrafe? Je intensiver wir uns mit diesen Fragen befassen, desto klarer wird: Auch eine Schulgesetzänderung löst nicht so einfach die Probleme.“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Gericht erlaubt Schülerin den Nikab im Unterricht – Schulamt scheitert mit Beschwerde. Nun will Rabe das Schulgesetz schnell ändern

 

 

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Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Eine vollständige Unkenntlichmachung des Gesichtes durch eine Nikab muss einen Ausschluss aus dem Unterricht nach sich ziehen, da man die Person nicht erkennt und sich jeder hinter dieser Maskerade verstecken könnte. Es ist eine Beurteilung der personenbezogener Leistungen nicht möglich. Darüber hinaus bedeutet dieses Verhalten für mich eine Ignoranz und Ablehnung anderer Personen im schulischen Umfeld, da die gesamte Mimik verdeckt wird und so eine soziale Kommunikation nahezu ausgeschlossen wird.
Die Gesetze sollten in dieser Richtung des Verbots der Vollverschleierung ausgedehnt werden.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Wie viele Personen wären von einer Sanktionierung durch ein Totalverschleierungsverbot betroffen und wie wirkt sich das Verhalten auf deren spätere berufliche Integration aus.
Die Anzahl der tatsächlich betroffenen Personen wird gering sein.
Eigentlich sollte unsere pluralistische Gesellschaft ein derartiges Verhalten bei einer derart geringen Anzahl an betroffenen Frauen aushalten können.
Allerdings ist bei einer Totalverschleierung eine Beurteilung personenbezogener Leistungen nicht möglich, da die Identität nicht eindeutig bestimmbar ist.
Somit wird es keine personenbezogenen Leistungsbeurteilungen und auch keine Schulabschlüsse für derartige Personen geben !
Derartige Personen werden wohl auch später keine Ausbildungsstelle erhalten, außer innerhalb des näheren Verwandten- und Freundeskreises, ganz davon abgesehen, dass sie später dann auch keine berufliche Anstellung finden werden.
Entspricht es einem intoleranten Verhalten, wenn die Eltern minderjähriger Mädchen finanziell für ein derartiges Verhalten der Totalverschleierung finanziell bestraft werden.
Wohl nicht, denn im Koran steht lediglich an einer einzigen Stelle, dass sich die Frauen zur äußeren Abgrenzung von unfreien Sklavinnen, sich den damals getragenen Körperumhang über den Kopf ziehen sollen, wobei das Gesicht frei bleibt.
Somit entspräche eine Sanktionierung der Eltern Minderjähriger keinem Verstoß gegen die Religionsfreiheit in enger Auslegung an die schriftlichen Einlassungen des Koran, wohl aber einer selbstgewählten Auslegung des Koran durch die Eltern und ähnlich denkende Zeitreisende der Geschichte.
Wer würde von einem derartigen Verbot profitieren ?
In erster Linie würden die Rechtspopulisten von einer derartigen Gesetzesinitiative profitieren, und diese sähen sich in ihrer intoleranten Haltung bestätigt und ihrer wiederkehrenden Hetze gegen Moslems bestätigt, wenn die demokratischen Parteien das Thema groß in die öffentliche Diskussion tragen würden und zum es zum Wahlkampfthema machen.
Die eigentlich Geschädigten sind und bleiben aber die betroffenen Mädchen, die sich unter dem Druck der sozialen und häuslichen Situation dem Willen der Eltern unterwerfen.

xxx
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Interessant und überaus kreativ konstruiert, wie Sie die Verantwortung für das unmögliche Verhalten sehr streng muslimischer Eltern ihrer Töchter in angeblich rechtspopulistischen Strömungen sehen. Mit anderen Worten ist die Forderung nah einer Gleichberechtigung der muslimischen Frau frauenfeindlich und rechtspopulistisch.

Ihre juristische Einschätzung des Gesetzes dagegen finde sehr nachvollziehbar und vernünftig. Gerade wegen der Prüfungssicherheit ist ein Gesichtsschleierverbot absolut notwendig und das notfalls per Gesetz. Bei den heutigen sehr kleinen und kabellosen Ohrhörern sind verdeckte Ohren schon so eine Sache.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Es ist schon interessant zu beobachten, wie mögliche und relativ gut verständlich formulierte Antworten, aus sich im Zusammenhang mit einem schulöffentlichen Kopftuch-Verbotsverfahren ergebende Fragen, hier wieder einmal von bekannter Seite aus umgedeutet werden.
Der gesamte Problemkomplex ist nicht mit einfachen Antworten zu lösen, obwohl in Teilbereichen deutliche Antworten aus dem schulischen Fehlverhalten sich ergeben.
Einen störrischen Esel wird man allein mit drastischen Sanktionsmaßnahmen nicht zur Vernunft bringen können.
Erst mit der nachhaltigen Vermittlung und der Verdeutlichung von möglichen negativen Konsequenzen für sich und die schutzbefehligten weiblichen Angehörigen, die stellvertretend für eine archaische Männerwelt die Ehre hochhalten sollen, gelingt es eventuell, ein von Vernunft getragenes Verhalten auf dieser Seite zu entwickeln.
Gelingt dies nicht, so werden die Reaktionen dieser Minderheit von ohnmächtigem Unverständnis getragen sein.
Einfache Antworten sind meist die schlechtesten im Sinne der Vernunft.

Papa51
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Ich würde einfache Antworten nicht in Bausch und Bogen verdammen. Auf vieles gibt es nun mal einfache Antworten und sie sind beileibe nicht immer die schlechtesten.
Ich beobachte eine gewisse Mode, klare und einleuchtende Antworten, die nicht gefallen und unerwünscht sind, als zu einfach zu bezeichnen und damit als dümmlich aus der Diskussion zu kicken.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor

Natürlich ist das Tragen einer Vollverschleierung in Schulen und in Universitäten unmöglich und nicht hinnehmbar, weil keine Benotung erfolgen kann und weil es unwürdig für alle Beteiligten ist, sich einer derartigen Maskerade ausgesetzt zu sehen.
Kommunikation läuft eben auch nonverbal ab, und so sollte es möglich sein, die Gegenseite, hier die archaisch anmutenden Verteidiger einer altertümlich anmutenden Trachtenordnung, in der die Frauen die Rolle der Verteidigung der Familienehre zu übernehmen haben, wie auch immer gestaltet, zur Vernunft zu bewegen.