Bundesweit fehlen über 23.000 Musiklehrer in den Grundschulen – Tendenz steigend

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GÜTERSLOH. Für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern ist Musik wichtig, sagen Experten. Sie könne auch Inklusion und Integration fördern. Musikalische Bildung werde aber unterschätzt. Eine aktuelle Studie bestätigt, dass der Musikunterricht zunehmend an den  Rand gedrängt wird. Dramatischer Befund: Den Grundschulen in Deutschland gehen die Musiklehrer aus. Wenn dort überhaupt noch Musik unterrichtet wird, dann häufig von fachfremden Lehrern. Der VBE nennt den Befund „mehr als besorgniserregend“.

Musikunterricht in der Grundschule fördert Integration und Inklusion – wenn er denn stattfindet. Foto: Shutterstock

Musik ist einer Studie zufolge wichtig für die Persönlichkeitsbildung von Kindern, findet aber in den ersten Schuljahren zu wenig statt. Musik werde in den Grundschulen zu selten unterrichtet und dann auch noch häufig «fachfremd» von nicht dafür ausgebildeten Lehrkräften. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Untersuchung hervor, die die Bertelsmann Stiftung, der Deutsche Musikrat und die Landesmusikräte-Konferenz beauftragt hatten. Die Studie liefert erstmals belastbare Zahlen zur Situation des Musikunterrichts auf Länderebene.

Demnach haben die Grundschüler in den ersten vier Schuljahren je nach Bundesland einen Anspruch von ein bis zwei Stunden Musik in der Woche. Zu rund 43 Prozent werde der Unterricht von Musiklehrern und zu etwa 50 Prozent «fachfremd» erteilt – sieben Prozent der Sollstunden fielen aus. Es gebe größere regionale Unterschiede. Wie für alle Schulformen und fast alle Fächer bestehe auch bei Musikpädagogen ein Mangel.

40.000 Musiklehrer werden benötigt – 17.000 gibt es

Demnach gibt es in den 14 Bundesländern, deren Daten für die Auswertung herangezogen werden konnten, einen Bestand von rund 17.000 Musiklehrerinnen und -lehrern. Um den in den Lehrplänen der Länder vorgegebenen Umfang an Musikunterricht fachgerecht abzudecken, würden rechnerisch jedoch rund 40.000 Musiklehrkräfte benötigt. Im Ergebnis fehlen in den 14 untersuchten Ländern also rund 23.000 grundständig ausgebildete Musikpädagogen. Dies führt dazu, dass lediglich 43 Prozent des von den Ländern vorgeschriebenen Unterrichts von grundständig ausgebildeten Musiklehrkräften erteilt wird. Die Lücke werde sich ohne Maßnahmen noch vergrößern, heißt es.

In manchen Bundesländern ist die Lage noch trauriger. Beispiel Nordrhein-Westfalen: An Grundschulen in NRW wird der Musikunterricht der Studie zufolge nur in 28 Prozent von dafür ausgebildeten Fachlehrern erteilt – die anderen fast drei Viertel dagegen «fachfremd». An mehr als einem Drittel der Grundschulen (rund 36 Prozent) unterrichtet keine einzige Musiklehrkraft. Und fünf Prozent der Grundschüler in Nordrhein-Westfalen haben gar keinen Pflichtunterricht in Musik erhalten. Der Schnitt sieht auch nicht besonders gut aus: Demnach werden in allen vier Grundschuljahren je Schule durchschnittlich zusammen rund 5,8 Musikstunden wöchentlich erteilt – also pro Schuljahr lediglich knapp anderthalb Stunden im Wochen-Durchschnitt.

Grundschulverband: Musikunterricht wird unterschätzt

Bei Einstellungen seien die Schulen oft bemüht, zunächst die Hauptfächer zu besetzen, sagte Maresi Lassek, Bundesvorsitzende des Grundschulverbands. Die Fächer Musik, Kunst und Sport fielen da hinten herunter. Die Bedeutung des Musikunterrichts werde unterschätzt, der musisch-ästhetische Bereich in der Grundschule «total vernachlässigt.» Sie betont: «Musik und Musikunterricht sind bedeutsam für die kulturelle Bildung.» Der Mangel sei besonders gravierend für Kinder aus ärmeren Familien, die kaum die Möglichkeit hätten, ins Theater zu gehen oder eine Musikschule zu besuchen und ein Instrument zu lernen. «Das Erleben von Musik fehlt vielen Kindern.»

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Singen, Tanzen und Musikmachen lösen positive Emotionen und Gemeinschaftsgefühl aus, schildert Lassek. Musik erschließe den Kindern Erfahrungen, die das Interesse an der Kultur insgesamt wecken könnten. «Das ist auch zentral für den weiteren Bildungsverlauf.» Es brauche deutlich mehr Musiklehrer. «Manche Grundschulen träumen davon, wenigstens eine ausgebildete Musikfachkraft zu bekommen.» Denn: «Ohne eine Fachkraft kann die Schule auch keinen Chor ins Leben rufen, wird es keine Anleitung für die Instrumente geben und auch keine Musikaufführungen.»

„Musikalische Bildung an Grundschulen bald Vergangenheit, wenn…“

Der Deutsche Musikrat sprach von einem «Weckruf». Werde nicht gegengesteuert, «ist die musikalische Bildung an Grundschulen bald Vergangenheit», warnte Generalsekretär Christian Höppner laut Mitteilung. Sie sei aber wichtiger Baustein für die Bildung der Persönlichkeit von Heranwachsenden und gehöre zu den elementaren Kulturtechniken. Es müssten deutlich mehr Musiklehrer ausgebildet werden, aktuell tätige Fachlehrer sollten ihren Stundenanteil ausweiten, vorübergehend seien Seiteneinsteiger sinnvoll.

Mit der Studie habe man für das Grundschulfach Musik erstmals belastbare Zahlen zu Stundentafeln, erteiltem Unterricht und Lehrkräften. «Das Thema Musikunterricht in den Grundschulen braucht mehr Gewicht», forderte Liedtke. Über Musik könne die Empathie- und Kommunikationsfähigkeit der Schüler gestärkt werden. Gemeinsames Musizieren unterstütze auch die Inklusion von Kindern mit Beeinträchtigungen und die Integration von Zugewanderten mit noch schwachen Sprachkompetenzen.

In die Untersuchung waren Daten aus Länderministerien, Statistikämtern und Kultusministerkonferenz eingeflossen. Die Studie bezieht sich nur auf 14 Bundesländer – nicht auf Bayern und das Saarland. Die dortigen Ansätze seien nicht vergleichbar, erläuterte die Vorsitzende der Landesmusikräte-Konferenz, Ulrike Liedtke. News4teachers / mit Material der dpa

Hier – auf der Seite der Bertelsmann Stiftung – gibt es eine interaktive Karte mit den einzelnen Länderergebnissen.

Statement des VBE

BERLIN. „Die in der Studie aufgezeigte Entwicklung ist nicht neu, aber mehr als besorgniserregend, wenn nicht einmal die Hälfte des Musikunterrichts von grundständig ausgebildeten Musikpädagogen erteilt wird“, erklärt der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann. „Es ist wie in allen anderen Fächern auch: Je intensiver sich eine Lehrkraft mit dem Fach auskennt, desto besser kann sie Inhalte vermitteln, Begeisterung wecken und neue Horizonte erschließen. Daher müssen gezielt Maßnahmen getroffen werden, um mehr Musiklehrkräfte für den Lehrberuf an Schulen zu gewinnen“, fordert er.

Der VBE-Chef stellt fest: „Gerade in Zeiten wachsender Digitalisierung sind Fähigkeiten wie Kreativität von besonderer Bedeutung. Diese werden durch die musisch-künstlerischen Fächer besonders gefördert. Der VBE hat in der Vergangenheit immer wieder darauf hingewiesen, dass es falsch ist, wenn angesichts des Lehrkräftemangels an den Schulen vorrangig Fächer wie Kunst, Musik und Sport gestrichen werden, um den Unterricht in den Kernfächern wie Mathematik, Deutsch und Fremdsprache, vielleicht noch Sachunterricht, aufrechtzuerhalten oder anders ausgedrückt in den Fächern, in denen regelmäßige Vergleichstests wie VERA anstehen. Für das Fortkommen der Schülerinnen und Schüler sind aber nicht nur ihre Rechenleistungen wichtig, sondern auch der kreative Umgang mit Sprache und Kunst. Dies zu fördern ist Aufgabe dafür ausgebildeter Musikpädagogen – von denen wir dringend mehr brauchen!“

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Bundeskongress: Der Lehrermangel setzt dem Musikunterricht massiv zu – Verband fordert mehr Wertschätzung

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2 Kommentare
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Michael Kahl
4 Jahre zuvor

Wie währe es studierte Musiker an die Grundschulen zu bringen? Zum Beispiel wenn jemand sehr gut Trompete spielen kann, kann dieser bestimt auch besser Musik bvermitteln als ein Fachfremder Kolege. Ich sehe es bei uns an der Grundschule. Seit 20 Jahren kein studierter Musiklehrer keiner kommt, die letzte die ernsthhaft Musik uterichtet hart hatte war vor 15 Jahren und die hatte ein Zuatzzertifakt erhalten, das ist ein Begleitseminar. Woanders an den Grundschule wird jetzt in 3.+4. Klasse ein Blasinstrument oder Schlagwerk erlernt iun der einen Klasse und in der anderen Blockflöte. Dies wird meistens in Kooperation mit einem Blsorchester gemacht und der Dirigent macht dann den Unterricht. Manchmal werden auch Gymnasiallehrer indie 3.+4. Klasse gesteckt um den Bedarf zu vermindern.

unverzagte
4 Jahre zuvor

Studierte Musiker*nnen arbeiten bereits an Grundschulen, insbesondere wenn diese mit der Jugendmusikschule kooperieren. Leider steht der geringere Verdienst in keinem Verhältnis zur Leistung der Kolleg*innen.
Unattraktive Arbeitsbedingungen wie z.B. eine erste Klasse in der allerletzten Stunde mit den dann ca. 25 überdrehten, müden SuS allein unterrichten zu dürfen, tragen leider nicht wirklich zu einer Veränderung des Mangels an Fachkräften vor Ort bei…die Forderung nach mehr Wertschätzung ist hübsch, wie konkret wird sie umgesetzt werden können?