Telefonisch Gedichte abfragen: Wie kreativ Lehrer in der Corona-Krise unterrichten

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POTSDAM. Auf flächendeckenden Online-Unterricht ist Deutschland nicht vorbereitet. Jede Schule muss nun selbst sehen, wie ihre Schüler den Unterrichtsstoff bearbeiten können. Die Lehrer werden dabei kreativ – müssen sie häufig auch, denn die von den Bildungsministerien bereitgestellten Lernplattformen sind auf den Nutzeransturm nicht vorbereitet.

Oft muss die gute alte E-Mail als Transportvehikel für Unterrichtsmaterial herhalten – nicht selten noch vom Privataccount der Lehrkraft. Foto: Shutterstock

Selbstgedrehte Erklärvideos, Aufgaben per Mail und Gedichte aufsagen am Telefon: Lehrer in Deutschland werden bei der Unterrichtsgestaltung in Zeiten von Corona kreativ. Es gebe keine einheitliche Lösungen, wie der Lernstoff während der Schulschließungen vermittelt wird, sagt etwa der Präsident des Brandenburgischen Pädagogen-Verbands, Hartmut Stäke. Viele Lehrer schicken demnach Aufgaben per Mail an ihre Schüler. «Das System klappt natürlich vor allem bei Schülern, die selbstständig gut lernen können.»

Lernpaket am Vorabend – bis 18 Uhr kommen dann die Lösungen

Stäker selbst unterrichtet am Oberstufenzentrum Dahme Spreewald Physik. Derzeit schickt er am Vorabend per Mail ein Lernpaket an seine Schüler. Bis 18 Uhr verlangt er die Antworten zurück und schickt dann eine Musterlösung raus. Tagsüber ist er telefonisch und per Mail erreichbar. Stäker denkt darüber nach, in den kommenden Wochen auch kurze Erklär-Videos aufzuzeichnen oder auf Material zurückzugreifen, das es schon im Internet gibt. Hundertprozentig klappen werde das nicht immer – «aber so ist das in der Schule beim normalen Unterricht ja auch».

Nach Angaben des Potsdamer Hasso Plattner Instituts nutzen 51 Schulen in Brandenburg schon seit August 2019 die Schulcloud mit digitalen Lernmaterialien. «Dort funktioniert das einwandfrei, das sind jetzt natürlich die Leuchttürme», sagte René Mertens, Sprecher des Landeselternrats Brandenburg. Zum Vergleich: In Brandenburg gibt es rund 850 allgemeinbildende Schulen.

Grundschüler sollen zwei bis drei Stunden arbeiten

Andere Schulen laden Selbstlern- und Aufgabenblätter auf ihren Schulwebseiten oder passwortgeschützt auf dem Schulserver hoch – auch Grundschulen. Die Comenius-Grundschule in Oranienburg schreibt beispielsweise auf ihrer Homepage, dass Grundschüler von der ersten bis zur dritten Klasse jeden Tag etwa zwei Stunden an den Aufgaben arbeiten sollen, von der vierten bis zur sechsten Klasse etwa drei Stunden.

Nach Angaben von Mertens schreiben einige Schulen auch Tests online. Von einer Lehrerin weiß er wiederum, dass sie telefonisch Gedichte abfragt. «Ich bin hocherfreut und begeistert, wie kreativ die Lehrer werden, um mit den Schülern in Kontakt zu bleiben.» Der Elternrats-Sprecher ist guter Hoffnung, das auch die kommenden Wochen bis zu den Osterferien so gut überstanden werden.

Nicht alle Schüler haben jedoch zu Hause einen eigenen Rechner. Und wenn die Eltern im Home Office sind, kann das Internet auch mal schlapp machen. Stäker plädiert nichtsdestotrotz dafür, lösungsorientiert zu denken. Von einer Schule weiß er, dass dort Aufgaben abgeholt werden können.

Lernplattformen gehen in die Knie

Lernplattformen, die von Kultusministerien bereitgestellt werden – ob Moodle in Baden-Württemberg oder Mebis in Bayern – gehen derweil unter dem Nutzeransturm häufig in die Knie (News4teachers berichtete). Jetzt musst auch das sächsische Kultusministerium Server-Probleme mit der landeseigenen Lern- und Kommunikationsplattform LernSax einräumen.

Die Nutzerzahlen hätten sich innerhalb einer Woche von rund 100.000 auf 308.000 mehr als verdreifacht, teilte das Ministerium am Donnerstag in Dresden mit. Insgesamt nutzten jetzt 1230 Schulen diese Plattform. Die Serverkapazitäten sollen am Wochenende erhöht werden, kündigte das Kultusministerium an. Aufgrund der Arbeiten am System werde LernSax voraussichtlich am Freitag und über das Wochenende zeitweise nicht erreichbar sein. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Ministerien setzen in der Corona-Krise auf digitalen Unterricht – Lehrer und Schüler müssen sich durch instabile Plattformen quälen

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Andreas Müller
4 Jahre zuvor

Ich nöle hier rum wegen Datenschutz. Ich habe verstanden, dass kein Schüler in diesem Land gezwungen werden kann, sein häusliches Internet auch nur eine Minute für die Schule zu nutzen. Ich bin Lehrer und agiere auf einer Lernplattform mit meinen Schülern, würde aber den ganzen derzeitigen digitalen Unterricht auf Null runterfahren. Der ist zwar coronafrei, macht aber die zu Gewinnern, die schon immer Gewinner sind. Wir können ja mal überlegen, welche sozialen Schichten profitieren und welche verlieren. Darüber sollten wir reden.
1. Staatlicher gleichversorgender Netzausbau
2. Technik kostenfrei für alle Schüer
3. digitaler Unterricht, dann gern durch Gesetz dazu verpflichten.
So wie jetzt sind wir aktiv an der sozialen Ungerechtigkeit beteiligt. Sie lässt sich zwar nie abschaffen, aber bisher war die Schule noch ein Hort des Widerstandes. Nun hat sie sich deutschlandweit flächendeckend davon zurückgezogen.
Lehrer in Saxen und Fan von LernSax