Hochschulen stellen weitgehend auf digitalen Unterricht um – im Schnellverfahren

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WÜRZBURG. Überfüllte Hörsäle, Studenten dicht gedrängt im Labor: Diese üblichen Szenen an den Hochschulen wird es im anstehenden Semester wohl nicht geben. Stattdessen: Laptop raus, Videos ansehen, Seminare per Webcam. Wehe dem, dem es an Selbstdisziplin mangelt.

Vorlesungen gibt’s im kommenden Semester wohl weitgehend online. Foto: Shutterstock

Constantin Pittruff ist angehender Wirtschaftsingenieur der Hochschule für angewandte Wissenschaften München. Der schlaksige 28-Jährige mit den wuscheligen Haaren ist einer von etwa 400.000 Studierenden allein in Bayern, auf die ein in dieser Art noch nie dagewesenes Sommersemester zukommt: Angestoßen durch die Corona-Krise müssen die Universitäten und Fachhochschulen im Galopp den Sprung in die digitale Zukunft machen. «Das Problem der Online-Lehre ist, dass sie viel zu schnell implementiert wird», kritisiert Pittruff, stellvertretender Vorsitzender des Studentischen Parlaments. «Denn das Angebot ist einfach noch nicht überall da. Das liegt vor allem an der technischen Ausstattung der Hochschulen.»

Medizin, Informatik, Geschichte, Architektur – je nach Studiengang ist das Lernen nahezu ausschließlich über den heimischen PC oder Laptop mit Hilfe digitaler Inhalte der Dozenten eine Herkulesaufgabe. Am 20. April beginnt das Sommersemester. Nicht jeder Student hat einen schnellen Rechner oder gar eine geeignete Bandbreite für Videokonferenzen. Und nicht jeder Professor und jede Professorin das Know-how, Lehrinhalte in eine digitale Form zu gießen. Laborpraktika sind online wohl kaum durchführbar.

Nicht jeder Lehrende ist begeistert über digitalen Unterricht

Nach Worten von Sarah König, Leiterin des Instituts für medizinische Lehre und Ausbildungsforschung der Uni Würzburg, ist nicht jeder Dozent begeistert über den Wechsel von analog zu digital: «Die Aussicht auf ein Online-Semester hat verschiedene Reaktionen hervorgerufen», umschreibt sie höflich. Gerade in der Medizin bedürfe das Online-Lehren einiger Kreativität – schließlich müssten angehende Ärzte auch Patienten untersuchen können. «In der Medizin zeichnet sich ein großer Kulturwandel ab.»

Auf die Schnelle würden nun Powerpoint-Präsentationen vertont, Praktikumsinhalte im Video festgehalten und online gestellt. Wie ein EKG (Elektrokardiogramm) ausgewertet wird, könne gut per Videoclip erklärt werden. Kniffeliger wird, Studierenden etwa die Funktionen der Gelenke digital zu vermitteln. Gelerntes soll künftig mit Altklausuren im Multiple-Choice-Format überprüft werden. Doch schon jetzt ist klar: «Wir werden eine große Nachlese nach dem Sommersemester machen müssen – was hat funktioniert, wo müssen wir nachbessern?», sagt König.

«Keiner hat sich diese Herausforderung gewünscht», gibt Würzburgs Uni-Präsident Alfred Forchel unumwunden zu. Doch das Coronavirus Sars-CoV-2 zwingt die Hochschulen zu drastischen Maßnahmen. Die sonst teils überfüllten Hörsäle sind zu, Seminarräume geschlossen, Bibliotheken bis auf weiteres nicht geöffnet. Die Lehrbetriebe von München über Regensburg bis nach Aschaffenburg können sich nicht peu à peu auf das Online-Lehren einstellen – sondern es muss quasi über Nacht geschehen.

Technische Ausstattung ist sehr gut – Verbindung nicht immer

«Flexibilität, Flexibilität, Flexibilität» ruft Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) bei einem Besuch an der Uni Würzburg den Lehrenden zu, die an diesem Tag per Video aus Homeoffice oder Büro zu einer Informationsveranstaltung zugeschaltet sind. Es werde nicht alles immer «topoptimal» und auf einem medienpädagogischen «High-End-Standard» sein, was die Studierenden in den nächsten Wochen digital vermittelt bekommen. «Das Equipment ist bei uns sehr gut, die Verbindung nicht immer», berichtet etwa Studiendekanin Maria Eisenmann von der Philosophischen Fakultät. «Das hakt tatsächlich mal, das können wir nicht ändern.»

Viele Studierende sind nach Pittruffs Eindruck verunsichert. «Die Online-Lehre ist noch weit entfernt von der Präsenzlehre.» Vor allem die begrenzten Möglichkeiten des schnellen Austausches mit Kommilitonen wie etwa im Hörsaal sieht er problematisch. «Es fehlt die Interaktion», wenn jeder täglich stundenlang Webvorlesungen ansehe und Übungen alleine am PC zu Hause mache. Gerade bei gestalterischen Studiengängen wie Design oder Architektur mit vielen Praktika sei fraglich, wie diese angesichts von Ausgangsbeschränkung und Mindestabstand sinnvoll fortgeführt werden können.

Die Hochschulen sind derweil neben inhaltlichen auch mit vielen rechtlichen Fragen befasst. Rechenzentren müssen plötzlich Campus-Lizenzen für Software beschaffen, damit digitale Vorlesungen mit 1000 Teilnehmern überhaupt möglich werden. Die Uni Regensburg bietet einen «Erste Hilfe Koffer für Digitale Lehre» an. «Lehrende finden darin zahlreiche Anregungen, Ideen und Hilfestellungen, wie sie didaktische Elemente aus der Präsenzlehre in digitalen Veranstaltungen abbilden können», heißt es auf ihrer Webseite. «Bei der Auswahl der Methoden und Tools wurde darauf geachtet, dass alle Vorschläge ohne großen technischen Aufwand oder Vorkenntnisse umgesetzt werden können.»

Lernen mit Videoclips und Webinaren braucht Disziplin

Damit Studenten das monatelange Studium mit Videoclips und Webinaren im Homeoffice auch durchhalten, braucht es jede Menge Disziplin. «Es ist nicht kompletter Ponyhof», warnt Frédéric Thiesse vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik in Würzburg. «Studenten tendieren dazu, sich die Videos verspätet und alle auf einmal anzusehen.» Und nicht jeder Studierende hat nach Pittruffs Erfahrung auch die technische Kompetenz, mit rein digital vermitteltem Stoff umzugehen.

Wie die jungen Frauen und Männer im Sommersemester an analoges Material – sprich das klassische Lehrbuch – kommen, steht auch längst noch nicht überall fest. Die Uni Regensburg schreibt: «Die Universitätsbibliothek arbeitet intensiv daran, die Literaturversorgung unter den gegebenen Umständen aufrechtzuerhalten.» E-Books, elektronische Zeitschriftenartikel, eine elektronische Zeitschriftenbibliothek – auch vor der Corona-Epidemie war schon längst nicht mehr alles analog.

Bei Bedarf würden auch Bücher gescannt, in Grenzen natürlich. «Bitte geben Sie, so weit wie dies möglich ist, nur kleinere Teile eines Werkes zum Scannen in Auftrag.» Wer trotzdem nicht an ein bestimmtes Buch kommt, soll es auf dem gewohnten Weg versuchen: «über den kollegialen Austausch» – mit Sicherheitsabstand, versteht sich. Von Angelika Resenhoeft, dpa

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