Psychologe sieht junge Generation durch Corona-Krise besonders belastet

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GÖTTINGEN. Die Einschnitte durch die Corona-Pandemie könnten schwerwiegende Folgen für die junge Generation haben, befürchtet der Göttinger Psychologe Youssef Shiban.

Noch immer legt die Corona-Pandemie das öffentliche Leben lahm, auch wenn demnächst zumindest eine schrittweise Öffnung der Schulen startet, befürchtet der Göttinger Psychologe Youssef Shiban schwerwiegenden Auswirkungen auch auf die junge Generation. „Unsicherheit und starkes Angsterleben sind auch bei jungen Erwachsenen angekommen“, stellt Shiban fest.

Der Göttinger Psychologe Youssef Shiban sieht die junge Generation derzeit besonders belastet. Foto: PFH Göttingen

Die angeordnete soziale Isolation, gekoppelt mit einer durch Unterrichts- oder Vorlesungsausfall fehlenden Tagesstruktur, könnte nach Meinung des Wissenschaftlers, der sich in seiner Forschungsarbeit unter anderem mit der Behandlung von Angst- und Traumafolgestörungen befasst, dazu führen, dass bei Personen, die bereits unter Vorerkrankungen leiden, bestehende psychische Probleme wieder auftreten oder sich intensivieren.

Abitur- und andere Prüfungen wurden verschoben, der Vorlesungsbeginn an den Hochschulen ist noch offen. Das Bild sorglos „Coronapartys“ feiernder junger Erwachsener sei jedoch kaum zutreffend. „Viele haben zu Beginn vielleicht die Ernsthaftigkeit der Situation nicht richtig eingeschätzt und vor allem nicht berücksichtigt, dass Sie selbst auch Träger des Virus sein könnten“, so Shiban. Bei jungen Erwachsenen sei jetzt vor allem die Sorge um ältere Angehörige besonders ausgeprägt.

Zudem litten junge Menschen unter der Ungewissheit, wie es für sie in naher Zukunft weitergeht. „Einschnitte ins Privatleben bergen vor allem die Gefahr, dass sie die Zahl psychischer Störungen in die Höhe treiben könnten“, befürchtet Shiban. Die angeordnete soziale Isolation, gekoppelt mit einer durch Unterrichts- oder Vorlesungsausfall fehlenden Tagesstruktur, könnte dazu führen, dass bei Personen, die bereits unter Vorerkrankungen leiden, bestehende psychische Probleme wieder auftreten oder sich intensivieren.

„Dieser Effekt konnte 2005 beim Hurrikan Katrina beobachtet werden. Danach verdoppelte sich die Anzahl milder bis moderater psychischer Störungen von 9,7 Prozent auf 19,9 Prozent in den betroffenen Gebieten“, erläutert der Psychologe. Er gehe deshalb von einer Zunahme von Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen durch die psychischen Folgen starker Veränderungen aus. Dem erwarteten Anstieg an psychischen Störungen kann seiner Meinung nach durch Maßnahmen entgegengewirkt werden, mithilfe derer der Verlust an Struktur und das große Maß an Veränderungen durch Stabilisierung und Alternativbeschäftigungen ausgeglichen wird.

Der Experte beobachtet jedoch auch positive Effekte der Corona-Krise: „Meine Studierenden berichten von einem stark gestiegenen Gemeinschaftsbewusstsein und dem Gefühl, dass sie mit ihrem Verhalten und ihrem Handeln die Welt verändern können“. Der Wunsch, der Gesellschaft jetzt etwas zu geben, drücke sich beispielsweise in den allerorts entstehenden Nachbarschaftsinitiativen und Unterstützungsprojekten aus.

Konkrete Aufgaben und Tätigkeiten gäben Struktur und damit auch Sicherheit. Bei vielen neuen oder außergewöhnlichen Verhaltensweisen, die Menschen gerade vermehrt zeigten, handele es sich um normale Reaktionen auf eine Veränderung der Lebensumstände.

Youssef Shiban rät deshalb, sinnhafte Tätigkeiten zu finden und den gedanklichen Fokus auf Ausgleich oder Chancen zu legen, die sich durch die momentane Situation ergeben. Statt sich etwa über die Prüfungstermine den Kopf zu zerbrechen, könnten Schüler und Studierende sich jetzt in ihrem eigenen Tempo mit den Lerninhalten beschäftigen, ohne von Abgabe- oder Prüfungsstress getrieben zu sein. Die Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten seien nun aufgefordert, auch Angebote zu schaffen, um das zu ermöglichen, wie beispielsweise Online-Vorlesungen oder Zugang zu wichtiger Literatur. (pm)

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Heinz
3 Jahre zuvor

Jede ausgedehnte Krise ist für jeden Menschen und in besonderem Maße für Kinder und Jugendliche sehr belastend. Egal um welche Krise es sich handelt, lässt sich allerdings nicht vermeiden, den Kindern und Jugendlichen kann ja auch keine heile Welt vorgespielt werden.

Nebenbei bemerkt, von allen großen Krisen, die mir einfallen, die uns hätten treffen können, oder uns ggf. auch irgendwann mal noch treffen werden (ohne dass wir es beeinflussen können), finde ich diese ja noch quasi am harmlosesten, weil wir hier noch einen großen Spielraum haben, die Krise abzumildern.