Sollen schlechte Schüler freiwillig sitzenbleiben? Lehrerverbände streiten darüber

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DRESDEN. Der Sächsische Lehrerverband (SLV) hat sich gegen einen Vorschlag von Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, gewandt, schwache Schüler sollten freiwillig das Schuljahr wiederholen. „Wenn es vor der Schulschließung keinen Grund für ein freiwilliges Wiederholen der Klassenstufe oder eine Nichtversetzung gegeben hat, gibt es ihn auch danach nicht“, betont SLV-Landesvorsitzender Jens Weichelt – mit Blick auf Sachsen. Die meisten Bundesländer wollen in diesem Schuljahr großzügig versetzen.

Sitzenbleiben wird in diesem Jahr in den meisten Bundesländern kaum möglich sein – die Bundesländer wollen großzügig mit Versetzungen verfahren. Foto: Shutterstock

„Die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer nutzen verschiedene Wege und Möglichkeiten, um den Schülerinnen und Schülern Lernaufgaben zur Verfügung zu stellen und mit ihnen zu kommunizieren. Gerade in der Ausnahmesituation ist dieses Engagement ganz wichtig. Unsere Schüler erhalten sinnvolle Aufgaben und haben kompetente Ansprechpartner. Das wird nicht in allen anderen Bundesländern so umfassend und verpflichtend praktiziert“, meint Weichelt.

Natürlich könnten die häuslichen Lernaufgaben den regulären Unterricht nicht ersetzen, sie seien aber in dieser besonderen Zeit ein fester Bestandteil des Lernprozesses. Nach Wiederaufnahme des normalen Unterrichtsbetriebs werde es Möglichkeiten geben, die wesentlichen Lehrplanziele in allen Fächern und Klassenstufen so zu erreichen, dass keine Wissenslücken entstünden. Auch beim Übergang in weiterführende Schulen und bei den Schulabschlüssen dürften den Schülern keine Nachteile in Folge der Schulschließungen entstehen.

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„Eine Panikmache ist unangebracht“

„Die Lehrerinnen und Lehrer werden auch die unterschiedlichen Bedingungen des Lernens zu Hause berücksichtigen. Das betrifft die technischen Gegebenheiten, das Lernumfeld und auch die persönlichen Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern. Es wird keine überzogenen Forderungen geben. Deshalb warnt der SLV vor überstürzten Entscheidungen zur freiwilligen Wiederholung des Schuljahres. Eine Panikmache vor oder während des Osterfestes ist unangebracht.“

Meidinger, der selbst Schulleiter an einem Gymnasium in Bayern ist, hatte an Schüler mit schlechten Leistungen und deren Eltern appelliert, ein freiwilliges Wiederholen ins Auge zu fassen, statt mit großem Rückstand die nächste Klassenstufe zu beginnen (News4teachers berichtete). Diese Empfehlung gelte aber nur für Schüler, bei denen es bereits vor der Corona-Epidemie so große Leistungsdefizite gegeben habe, dass ein Erreichen des Klassenziels auch unter normalen Umständen unwahrscheinlich gewesen wäre. News4teachers

„Da gehört Druck rausgenommen“: Lehrer sorgen sich darum, wie ihre Schüler möglichst unbeschadet aus der Krise kommen

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4 Kommentare
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Lehrer9735
3 Jahre zuvor

Also nach momentaner Lage fehlen 3 Wochen Unterricht. Wenn es jetzt um das Wiederholen einer Klassenstufe geht, kenne ich viele Schüler aus Klasse 9/10, die noch in der 1. Klasse wären.

Palim
3 Jahre zuvor

Die Aufgaben in meinem BL waren freiwillig.
Wenn nun – ganz freiwillig – manche Kinder meiner Grundschulklasse gar nichts gemacht haben sollten, wäre ich zum einen überrascht, zum anderen aber sicher, dass dies nicht solche extremen Auswirkungen haben würde, dass innerhalb weniger Wochen sämtliche bisher erlangten Fähigkeiten verloren gegangen sind.

Sorgen mache ich mir am ehesten um diejenigen, bei denen es zum Halbjahr oder vorher schon schwierig war und eine Wiederholung oder ein sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf bereits im Gespräch war.
Die Aussage „Wenn es vor der Schulschließung keinen Grund für ein freiwilliges Wiederholen der Klassenstufe oder eine Nichtversetzung gegeben hat, gibt es ihn auch danach nicht“ von Herrn Weichelt trifft es ganz gut.

Sollten die Schulschließungen länger anhalten, wird man unterschiedliche Wege finden, Aufgaben zu verteilen und Rückmeldungen zu erhalten, sodass man über die Lernfortschritte einen Überblick erhält.

Prof. Wolfgang Beywl
3 Jahre zuvor

Was unbedingt mitgedacht werden muss: „Sitzenbleiben“ kostet die Gesellschaft sehr viel Geld, das dann für alternative Einsätze in den Schulen (z. B. Schulassistenzen) fehlt. Ist es daher an der Zeit, die Option Sitzenbleiben in der Situation drohender Haushaltssperren und des chronischen Mangels an aus- und fortgebildeten Lehrkräften in die Diskussion zu bringen? Statt Wiederholende den ganzen Stoff nochmals durcharbeiten zu lassen müssen sie wenn immer möglich (und das sind mehr als 2/3) in der Klasse bleiben können (social connectedness) und differenziert in denjenigen Fächern gefördert werden, in denen sie Aufholbedarf haben. Der Schwarze Schwan Corona zeigt: Je älter die Lernenden, desto weniger Präsenzunterricht ist nötig, desto mehr individuelle Anleitung und Beratung ist effektiv. Und dazu bedarf es einem Mehr an Fortbildung, auch für distante Formate, und dafür muss dringend Zeit freigespielt werden, denn die sich weiterbildenden Lehrkräfte dürfen nicht überlastet werden. Sitzenbleiben ist eine sehr sparsam einzusetzende ultima ratio.

Prof. Wolfgang Beywl

Carsten60
3 Jahre zuvor

Dann erklären Sie doch mal bitte, wieso es jetzt so oft eine „Schuleingangsphase“ von bis zu 3 Jahren gibt, die regulär den ersten beiden Schuljahren entspricht? Etliche Kinder verweilen dann 3 Jahre in eben dieser Phase und werden als „Verweilkinder“ bezeichnet. Sie sind somit mindestens 5 Jahre in der 4-jährigen Grundschule. Das kostet also kein Geld? Wenn die aber sitzenbleiben würden, dann würde es Geld kosten? Oder heißt das andersherum, dass die Finanzminister Druck machen, damit möglichst viele Kinder nur 2 Jahre (oder gar nur 1 Jahr) in der Eingangsphase verbleiben? Ist der schnöde Mammon schließlich die Ursache dafür, dass an Gemeinschaftssschulen bis Klasse 9 sowie innerhalb der gymnasialen Oberstufe jeder automatisch versetzt wird? Warum macht man eigentlich nicht Werbung für das Überspringen einer Klassenstufe bei guten Schülern? Würde das nicht auch Geld sparen? Man könnte auch viel sparen, wenn man die Versetzung in die gymnasiale Oberstufe restriktiver handhaben würde. Damit könnte man Oberstufenlehrer einsparen. Sagen Sie doch gleich ehrlich: Die Einführung des G8-Gymnasiums war primär durch finanzielle Einsparungen motiviert, einen pädagogischen Grund gab es nie. Mein Fazit: In Deutschland wird die Schulpolitik vom Finanzminister gemacht. Ich schlage vor, den bürokratischen Wasserkopf der vielen Landesinstitute für Schulentwicklung radikal zu verkleinern, um Geld zu sparen. Deutschlandweit sind das mindestens 3000-4000 Leute, Tendenz: steigend durch die Gründung neuer Landesinstitute.