Kekulé kritisiert Drosten – und warnt Kretschmann vor zu schnellen Schulöffnungen

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BERLIN. Um die Drosten-Studie zur Anfälligkeit von Kindern für Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus ist ein Wissenschaftler-Streit ausgebrochen. Prof. Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hält die kritisierten Statistik-Fehler in der Arbeit für tatsächlich so gravierend, dass der Kollege von der Charité seine Arbeit zurückziehen müsste. Anders als die „Bild“-Zeitung, die damit der Politik vorsichtiger Schulöffnungen die Grundlage abspricht, sieht Kekulé dafür allerdings keinen Anlass. Im Gegenteil. Er spricht sogar eine Warnung an Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Kretschmann aus.

So läutet „Bild“ die zweite Runde in ihrer Kampagne gegen Drosten ein. Screenshot

„Auf die heftig umstrittene Frage, ob man Kitas und Grundschulen jetzt zügig öffnen sollte, gibt es auch weiterhin keine eindeutige wissenschaftliche Antwort“, schreibt Kekulé in einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“. Und weiter: „Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bezieht sich derweil auf eine weitere Studie, die angeblich die sofortige Öffnung rechtfertigen soll. Das Beispiel der Charité-Vorveröffentlichung (wie zuvor auch der Heinsberg-Studie) zeigt, dass mit Schnellschüssen am Ende weder der Politik noch der Wissenschaft gedient ist.“

Kretschmann hatte gestern unter Bezug auf eine neue Studie von vier baden-württembergischen Kinderkliniken, die noch nicht veröffentlicht ist, eine weitgehende Öffnung von Kitas und Grundschulen angekündigt (News4teachers berichtet ausführlich darüber, dass immer mehr Bundesländer die Abstandsregeln in Grundschulen kippen – hier geht es zu einem aktuellen Bericht).

„Bild“ fährt eine Kampagne für schnelle Schulöffnungen

Worum der Streit geht: Die Zahl der Viren, die sich in den Atemwegen nachweisen lässt, unterscheide sich bei verschiedenen Altersgruppen nicht, so hatte das Forscherteam um den Virologen Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité in einer (aufgrund des hohen Informationsbedarfs in der Coronakrise) vorab veröffentlichten und noch nicht von unabhängigen Experten geprüften Studie festgestellt. News4teachers berichtete über die Arbeit ausführlich (und zwar hier). „Kinder könnten genauso infektiös sein wie Erwachsene“, schlussfolgerten die Wissenschaftler um Drosten vorsichtig – und warnten aufgrund ihrer Ergebnisse vor einer uneingeschränkten Öffnung von Schulen und Kindergärten in Deutschland. Statistiker hatten jedoch statistische Mängel an der Arbeit kritisiert.

„Bild“, die eine Kampagne für schnelle Schulöffnungen fährt (Belege dafür in unserem gestrigen Bericht – hier), titelte gestern: „Fragwürdige Methoden – Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch! Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?“ Im Bericht heißt es: „Mehrere Wochen nach der Veröffentlichung gerät die Drosten-Studie immer stärker in die Kritik: Wissenschaftler aus mehreren Ländern werfen Charité-Forschern vor, unsauber gearbeitet zu haben – mit verhängnisvollen Konsequenzen. (…) Fiel die deutsche Schulpolitik einer falschen Studie zum Opfer?“ Davon kann tatsächlich keine Rede sein: Schulen und Kitas wurden in Deutschland ab dem 16. März geschlossen. Drostens Vorab-Studie erschien am 29. April. Zudem distanzierten sich alle von „Bild“ zitierten Wissenschaftler von der Berichterstattung.

„Es gibt auch bei Kindern sehr hohe Viruslasten“

„Bild“ stürzt sich deshalb jetzt umso begieriger auf die Kritik Kekulés an Drosten (ohne freilich darauf einzugehen, dass auch Kekulé vor schnellen Schulöffnungen warnt) – und legt nach („Virologen-Zoff eskaliert“). Drosten selbst hält an seiner Arbeit fest. Die Kritik werde eingearbeitet, an der Kernaussage werde sich aber nichts ändern. „Die Aussage ist einfach klar“, sagt er, „es gibt auch bei Kindern sehr hohe Viruslasten“. News4teachers

Antiaufklärungsvirus

Michael Hanfeld, Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, kommentiert den Streit folgendermaßen:

„Mit investigativer Recherche hat das nichts zu tun, man nennt es vielmehr Kesseltreiben, was der ‚Bild‘-Chefredakteur Julian Reichelt hier betreibt. Er macht damit weiter und weiter und spielt die Leute gegeneinander aus. (…) Dass sich nun auch der Mikrobiologe Alexander Kekulé zu Wort meldet und im ‚Tagesspiegel‘ dem Virologen nahelegt, er, Drosten, habe seine Studie im Vorabdruck ‚einfach zurückziehen‘ müssen, weil die Daten zu unsicher und deren statistische Auswertung ungeeignet gewesen seien, zeigt derweil, dass Kekulé nicht einmal mit den grundlegenden Gepflogenheiten des Wissenschaftsdiskurses vertraut ist. Preprint-Artikel müssen keineswegs zurückgezogen werden, sondern können korrigiert und erweitert werden. (…)

So nimmt die Debatte einen Verlauf, wie ihn sich die ‚Bild‘ mit ihrer zerstörerischen Macht wünscht. Sie steckt andere mit ihrem Antiaufklärungsvirus an, von dessen Symptomen wir uns bei dieser Gelegenheit abermals überzeugen können. Sie verdreht Fakten und Zusammenhänge, und sie verdreht den Kopf.“

Hier geht es zum vollständigen Kommentar.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Streit um Schulöffnungen wird nun schmutzig – „Bild“-Kampagne gegen Drosten

 

 

 

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6 Kommentare
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OlleSchachtel
3 Jahre zuvor

Mal sehen, was für einen Aufschrei es gibt, wenn das erste Kind auf Grund des Schulbesuches stirbt. Kalkuliertes Risiko oder ganz banal „Versuchsfeld Grundschule“?
Ich persönlich freue mich, dass ich wieder normal meiner Arbeit nachgehen darf, doch habe ich bedenken, dass etwas bei all den unausgereiften Studien übersehen wurde und dass womögluch Kindern das Leben kostet.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  OlleSchachtel

Dann schreien die Eltern des betroffenen Kindes auf und ggf. ein paar „follower“.
Werden Schule und Kitas nicht geöffnet, empört sich ein größerer Bevölkerungsteil, der wahlberechtigt ist. Politische Entscheidungen beruhen auf Güterabwägungen.

Die Wirtschaftsleistung sinkt, der weibliche Bevölkerungsanteil hat Angst vor Retraditionalsierung, der Anteil von Kurzarbeitern wird längerfristig bestehen bleiben, die Anzahl der Arbeitslosen in ALG I und ALG II wird steigen …
Davon weniger Betroffen sind Beschäftigte im Bereich Bau mit einer Frauenquote im Promillbereich.

Der Schluss daraus ==> Frauen werden stärker vom sozialen Abstieg bedroht, und nur weil Kitas und Schulen nicht zum Regelbetrieb zurückkehren. Und das alles, weil die „faulen Säcke und Säckinnen“ ihre Beamtenprivilegien nicht aufgeben wollen und darauf beharren, nicht mit 30 potentiellen Spreadern in einer Aerosolwolke unterrichten zu müssen und nebenbei noch zu doof sind, einen digitalen Fernunterricht zeitgemäß auf die Beine zu stellen, weil angeblich die Steuerzahler und die Politik es verabsäumt hätten, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen. Die sitzen im gemachten Bett und ich soll stempeln gehen …

Vox populi … (nein, nur bestimmte Parteien sind populistisch. Die Mandtsträger der anderen nicht-populistischen Parteien wollenlLediglich wiedergewählt werden. Das ist ein gewaltiger Unterschied!)

Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor

Wird ein Vergleich zwischen der Aussagekraft Kekulés und der von Drosten gezogen, so ist das ungefähr so, als würde man den Bildungsstand eines Bremer Hauptschülers mit dem eines Bayrischen Gymnasiasten vergleichen.

Drosden hat auch letztlich schlicht wichtigeres zu tun.

D. Orie
3 Jahre zuvor

Man hätte gerne etwas über die genauen Kritikpunkte von Herrn Kekulé erfahren. oder habe da etwas überlesen?

Der handyman
7 Monate zuvor

Das ist typisch Deutschland unbequem wird diskreditiert fertig.
Aber dann müssen viele Beamte ihres Amtes enthobem werden , und nicht weil sie das Versagen der damaligen Regierung deckten sondern mit wirkten im Versagen in der Pandemie.