Nur „ausreichend“: Schulleitungen zeigen sich unzufrieden mit der Bildungspolitik

4

DÜSSELDORF/DORTMUND. Einmal im Jahr bekommt die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen von den Schulleitungen ein Zeugnis ausgestellt. Wie 2019 spiegelt sich darin auch 2020 die Unzufriedenheit der Leitungskräfte. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Gesamtnote für die Schulpolitik noch einmal verschlechtert. Die Ergebnisse der zugehörigen Umfrage lassen auf mögliche Gründe schließen und zeigen alarmierende Tendenzen: An vielen Stellen fehlen die notwendigen Ressourcen – personell sowie materiell. Besonders auffällig und in der Corona-Krise mehr denn je spürbar: die völlig unzureichende digitale Ausstattung der Bildungsstätten.

Daumen runter
Aus Sicht der Schulleitungen in NRW ist die Bildungspolitik des Landes gerade einmal „ausreichend“, Note vier. Foto: shutterstock/Alliance Images

In Nordrhein-Westfalen haben viele Schulleitungen mit Lehrkräftemangel und unbesetzten Stellen zu kämpfen. Darauf weist eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa hin, die der Verband Bildung und Erziehung noch vor den Schulschließungen hatte durchführen lassen. Vom 8. Januar bis zum 17. Februar 2020 befragte Forsa bundesweit 1.302 Leitungen allgemeinbildender Schulen in Deutschland telefonisch oder online – darunter 264 in NRW (wir berichteten bereits ausführlich über die bundesweiten Ergebnisse). Nun liegen die Ergebnisse für Nordrhein-Westfalen vor:

LEHRKÄRFTEMANGEL: Mehr als jede zweite Schulleitung bundes- und landesweit benannte im Zuge der Umfrage den Lehrkräftemangel als größtes Problem an der Schule. Auch in den beiden Vorjahren stand das Thema bereits auf Platz eins der Mängelliste. Konkret betroffen sind sogar noch mehr: 70 Prozent der Befragten im bevölkerungsreichsten Bundesland gaben an, gegen Lehrkräftemangel und unbesetzte Stellen ankämpfen zu müssen – deutlich mehr als im Vorjahr (60 %) und weit über dem bundesweiten Wert (59 %). „Das System ist zu sehr auf Kante genäht“, kritisierte Stefan Behlau, Vorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in NRW.

UNBESETZTE STELLEN: Bei den Schulleitungen, die in NRW zum Zeitpunkt der Befragungen mit Lehrkräftemangel und Vakanzen rangen, waren neun Prozent der Lehrerstellen unbesetzt (bundesweit: 10 %).

DIGITALISIERUNG: 60 Prozent der Schulleiterinnen und Schulleiter in NRW (bundesweit: 64 %), die sich an der Umfrage beteiligt haben, verfügen nicht in allen Klassen- und Fachräumen über Breitbandinternet und WLAN. Fast genauso viele haben auch keine Tablets und Smartphones für ihre Klassen. „Corona macht diesen Mangel jetzt noch spür- und sichtbarer“, stellte Behlau fest. „Es sollte möglichst schnell eine Digitaloffensive für die Schulen anlaufen, die diesen Namen auch verdient.“ Der Mix aus Lernen auf Distanz und Präsenzunterricht erzwinge nun einen Investitionsschub.

SCHULGEBÄUDE: Etwa jede dritte Leitungskraft in NRW bemängelte im Zuge der Umfrage den Zustand der Gebäude und die Ausstattung an ihrer Schule – im Vorjahr tat das erst jede vierte. Bundesweit klagt darüber nur jede fünfte.

Anzeige

SEITENEINSTEIGENDE: Laut der Umfrage gibt es in NRW einen massiven Anstieg von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern an den Schulen. Demnach arbeiten 75 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen mit Personal aus anderen Ausbildungs- und Berufszweigen und damit deutlich mehr als im Vorjahr (58 %) und als im Bundesdurchschnitt (53 %). Rund 70 Prozent der Schulleitungen mit Seiteneinsteigenden im Kollegium sagten, diese hätten vor ihrem ersten Unterrichtseinsatz nicht mal eine mindestens halbjährige Vorqualifizierung erhalten. Auch dieses Versäumnis verschärfe in Zeiten von Corona den Mangel an geeigneten Fachkräften, betonte Behlau.

INKLUSION und INTEGRATION: Gut jede vierte Schulleitung landes- und bundesweit fühlt sich, wie schon in den beiden Vorjahren, mit der Eingliederung behinderter und ausländischer Kinder und Jugendlicher überfordert. Ebenso viele benannten in NRW Arbeitsbelastung und Zeitmangel als eines der größten Probleme an ihrer Schule (bundesweit: 36 %).

BELASTUNGEN: Befragt nach den größten subjektiven Belastungsfaktoren für Schulleiterinnen und Schulleiter landete bundes- wie landesweit – ebenso wie in den Vorjahren – das stetig wachsende Aufgabenspektrum mit rund 90 Prozent auf Platz eins, gefolgt von steigenden Verwaltungsarbeiten (Bund und Land rund 85 %) und praxisfernen Politikerentscheidungen (NRW: 85 %, Bund: 82 %).

EMPFEHLUNG: 28 Prozent der befragten Leitungskräfte in NRW würden ihren Beruf „auf keinen Fall“ oder „wahrscheinlich nicht“ weiterempfehlen. Im Vorjahr sagten das erst 16 Prozent. Bundesweit fiel die Quote der Nein-Sagenden mit 36 Prozent allerdings noch schlechter aus.

NOTE: Bei der Gesamtbewertung der Schulpolitik in Noten landet NRW mit 4,1 bei „ausreichend“ – im Vorjahr hatte der Wert bei 3,9 gelegen. Im Bund sieht es mit 3,9 (2019: 3,7) kaum besser aus. „Es ist überfällig, die Schulen endlich spürbar zu stärken und zu entlasten“, bilanzierte Behlau. Dass die schrittweise Öffnung der Bildungseinrichtungen in der Coronakrise unter diesen Bedingungen dennoch gelinge, sei eine große Leistung der Lehrkräfte. (dpa)

Schulleiter-Umfrage ergibt: „Berufszufriedenheit an Schulen im freien Fall“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

4 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Pälzer
3 Jahre zuvor

In RLP wären die Zahlen noch schlechter. Aber da erhebt keiner.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Die Befragung der Schulleitungen im Februar des Jahres erfolgte seitens der VBE bundesweit, folglich auch in RLP. Die VBE in NRW hat die Daten für NRW lediglich den Bundeszahlen gegenübergestellt. Und siehe da, das Land NRW, das einen Anteil von 22% bis 23% der bundesdeutschen Bevölkerung beheimatet, hat prozentual schlechtere Werte als der Rest. Dass damit auch die absoluten Zahlen schlechter sind, muss jetzt nicht besonders erläutert werden. Da NRW zahlenmäßig die meisten und die größten Städte im Bundesvergelich hat, die verschuldet sind, sind die Folgen für die Aussattung und den Unterhalt der Schulen absehbar. Ebenso ist klar, dass bei der bevölkerungsdichte die Klassenfrequenzen am höchsten sind. So potenzeiern sich halt Problemlagen.

Die Finanzierungsprobleme vieler NRW-Kommunen mit großer Industriegeschichte sind ja nicht nur der „Großmannssucht“ längst vergangener Zeiten geschuldet, sie sind Folgen der jüngeren Sozialgesetzgebungen und dem Wegfall kommunaler Einnahmen infolge der Transformation vom Industrieland zu „nichts Genaues weiß man nicht“.

D. Orie
3 Jahre zuvor

Ein wichtiger Beitrag, vielen Dank! Ich sehe aber oft nicht mehr ein „Auf-Kante-Genäht“, da sind nur noch Löcher: „LEHRKRÄFTEMANGEL: Mehr als jede zweite Schulleitung bundes- und landesweit benannte im Zuge der Umfrage den Lehrkräftemangel als größtes Problem an der Schule.“ Das ist schlimm und passiert etwas in Bezug auf eine verstärkte Lehrkräfteausbildung? Nein, nichts! Konkret sieht es so aus, dass z. B. eine befristet (und nicht verbeamtet) eingestellte Professorin für den Bereich Grundschule/Deutschdidaktik an der Uni Rostock gehen muss (die Stelle wurde ausgeschrieben und ist nun mit einer Einer-Liste beim Ministerium, normal sind Dreier-Listen). Wenn die neue Bewerberin nun ablehnt, was häufig vorkommt, dann wird diese Stelle wieder ausgeschrieben und und und … Das dauert alles schon mal locker ein paar Jährchen. Und so etwas passiert nicht selten. Auf diese Art und Weise bekommen wir keine ausreichenden und gut ausgebildeten Nachwuchslehrkräfte!

Marie
3 Jahre zuvor

Die Befragung sollte man mal jetzt im allgemeinen Coronachaos wiederholen. So weit runter kann die Notenskala gar nicht gehen, wie gerade die allgemeine Stimmungslage in den Schulen ist. Schule zu, Schule auf, ach nein, lieber doch nicht, jetzt dann doch, aber nicht für alle, ohne Risikogruppen, mit Risikogruppen, Maske ja, Maske nein usw. usf. Jeden Tag kommen irgendwelche neuen Informationen, die die Planung des letzten Tages schon wieder kippen. Die Kollegen, die Präsenz- und Fernunterricht gleichzeitig organisieren müssen, sind fix und alle und arbeiten deutlich über ihrem Stundenkontingent, nur um sich von „aller Welt“ auch noch permanent als faule Säcke bezeichnen lassen zu müssen, die in den letzten Wochen entspannte Coronaferien gemacht hätten. Im Umgang mit der Krise zeigt sich, was der Landesregierung wirklich wichtig ist ( z.B. Möbelhäuser im „ Land der Küchenbauer“)- Kinder und Lehrer / Erzieher und ihre körperliche und seelische Gesundheit sind es definitiv nicht.