Nur noch gute Noten und kein Sitzenbleiben in diesem Schuljahr? Philologen wollen das Leistungsdenken nicht aufgeben

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BERLIN. Unabhängig davon, wie es im Schulbetrieb bis zu den Sommerferien weitergeht, ist klar: Das Schuljahr wird ein besonderes. Der massive Ausfall des Präsenzunterrichts macht insbesondere die Leistungsbewertung schwierig. Fast alle Bundesländer haben angekündigt, den Druck für die Schüler senken zu wollen. Schlechte Noten und Sitzenbleiben soll es praktisch nicht geben. Damit sind jedoch nicht alle einverstanden. Insbesondere an den Gymnasien regt sich Widerstand.

Wie viel Leistungsdruck ist in der Coronakrise angemessen? Foto: Shutterstock

Für die Leistungen der Schüler im Homeschooling nach Schließung der Schulen soll es keine Leistungsbewertung mit Noten geben – hat das Brandenburger diese Woche entschieden. «Die abschließende Leistungsbewertung zum Ende des Schuljahres erfolgt auf der Grundlage der bis zum 18. März 2020 erbrachten Leistungen», heißt es in einem Papier. In den Jahrgängen, die nach dem 20. April wieder zur Schule gingen, können zwar die Leistungen im Präsenzunterricht unter bestimmten Bedingungen bewertet werden. Sitzenbleiben soll es aber in diesem Schuljahr in Brandenburg nicht geben. Grundsätzlich sollen alle Schüler in die nächste Jahrgangsstufe versetzt werden, «auch wenn die notwendigen Leistungen nicht erbracht wurden.» Lediglich eine Empfehlung zur Wiederholung der Klasse soll gegenüber schlechten Schülern ausgesprochen werden.

In Mecklenburg-Vorpommern geht Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) sogar noch einen Schritt weiter. Notengebungen sollen im restlichen Schuljahr nur noch dann stattfinden, wenn Schüler so die Chance erhalten, sich zu verbessern, sagte sie. Die, die ihre Noten verbessern möchten, erhielten dazu die Gelegenheit. Ähnlich lautet die Regelung, die die Berliner Bildungsverwaltung getroffen hat: Danach darf sich im Vergleich zu den Leistungen bis zur Schulschließung kein Schüler verschlechtern. Das solle verhindern, dass diejenigen benachteiligt werden, die zu Hause schlechtere Lernmöglichkeiten haben als andere, so heißt es in einem Bericht des Rundfunks Berlin-Brandenburg. „Gute Leistungen aus der Zeit im Homeschooling können Lehrkräfte aber bewerten, wenn sie das für sinnvoll halten.“

„Mit Lernangeboten ist es nicht getan“

Nur noch gute Noten für das gesamte zweite Halbjahr des Schuljahres 2019/2020 – und kein Sitzenbleiben mehr? Das geht dem Philologenverband Schleswig-Holstein zu weit. Nach dessen Auffassung darf die derzeitige Phase des Fernunterrichts und des sehr einge­schränkten Präsenzunterrichts nicht dazu führen, den Leistungsgedanken aus den Gymna­sien zu verbannen. „Damit wird die Botschaft vermittelt, das Engagement in Zeiten von Corona sei beliebig und bleibe folgenlos – zum Nachteil leistungsbereiter Schülerinnen und Schüler“, so sagt die Zweite Vorsitzende des Landesverbandes, Barbara Langlet-Ruck, und betont: „Mit Lernangeboten ist es nicht getan!“

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Der Verband fordert Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) auf, nicht den Weg mancher Bundesländer zu gehen, die in diesem Sommer die Klassenwiederholung ausschließlich auf freiwilliger Basis zulassen. Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Bayern etwa haben das Sitzenbleiben in diesem Schuljahr faktisch ausgeschlossen. „Das wäre der falsche Weg“, so meint Landeschef Jens Finger, „denn dadurch würde Schülern mit unzu­reichenden Leistungen am Schuljahresende die Illusion vermittelt, sie könnten im nächsten Schuljahr ohne Schwierigkeiten den Lernstoff bewältigen.“ Richtig sei es, – wie von Prien vorgesehen – die Zeugnisnoten aufgrund der Leistungen des gesamten bisheri­gen Schuljahres zu vergeben und dabei die Leistungen während der derzeitigen Phase des Fernunterrichts geringer zu gewichten. „Dieses Verfahren erlaubt einen realistischen Blick auf das Leistungsvermögen unse­rer Schüler“, so meint Finger.

Freiwillig in die nächstuntere Klassenstufe wechseln?

Auch der Philologenverband Baden-Württemberg sieht einen generellen Verzicht aufs Sitzenbleiben kritisch.  „Eine generelle Versetzung am Ende des Schuljahres ist nur ein Pflaster auf einer nicht verheilten Wunde: Das eigentliche Problem wird damit nicht kuriert: das Problem der versäumten Lernzeit“, sagt Landeschef Ralf Scholl. Er plädiert dafür, eine „Freischuss-Regelung“ einzuführen, die es den Schülern bei schulischen Problemen bis zum Halbjahreszeugnis 2021 gestattet, freiwillig in die nächstuntere Klassenstufe zu wechseln, ohne dass dies als „Nicht-Versetzung“ gewertet wird. Damit könnten sie sich dann vollständig auf die Aufarbeitung ihrer Lücken konzentrieren.

Der Grundschulverband hält davon wenig. Ein verordnetes „Wiederholen eines Jahrgangs“ einzelner Schülerinnen und Schüler oder das Andienen „freiwilligen Wiederholens“ sei in der aktuellen Situation noch weniger vertretbar als sonst schon, weil „Sitzenbleiben“ meist als Strafe für ein persönliches Versagen begriffen werde. „Die Kinder haben aber keine Schuld an der Pandemie. Klassenwiederholungen bergen eine Menge von Störfaktoren für das Kind, schließen nicht an den Lernstand des Kindes an und sind wesentlich weniger wirksam als eine begleitende Unterstützung und Förderung in der Stammklasse“, so heißt es. „Richtiger wäre das Angebot von zusätzlicher individueller Lernzeit. Damit wäre die unverschuldete Kürzung der Jahresunterrichtszeit bzw. der größere Unterstützungsbedarf wegen fehlender Hilfe während der Schließungszeit aufzufangen. Für andere Kinder ist dagegen eine Verkürzung der individuellen Lernzeit in der Schule möglich, wenn durch starke familiäre Unterstützung auch während der Corona-Phase überdurchschnittliche Fortschritte gemacht werden konnten.“

Keine Notenzeugnisse in diesem Sommer!

Ohnehin: Der Grundschulverband fordert die Kultusminister auf, in diesem Sommer keine Notenzeugnisse in der Grundschule auszugeben, da die Lernergebnisse der Kinder in diesem Schuljahr noch mehr als sonst von dem Anregungspotenzial der Elternhäuser abhingen. „Die wochenlang nur im Elternhaus erarbeiteten Aufgaben dürfen nicht benotet werden, da sich die Lernmöglichkeiten in den verschiedenen Elternhäusern enorm unterscheiden und manche Kinder während der Zeit der Schulschließung überhaupt nicht von den Schulen angesprochen werden konnten. Für eine vergleichende Notengebung fehlt daher –mehr noch als im Regelfall ohnedies – jegliche Basis.“ News4teachers / mit Material der dpa

Solange die Schulen geschlossen sind, müssen Schüler keine schlechten Noten fürchten – auch kein Sitzenbleiben

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Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor

„Kein Sitzenbleiben“ – und so wird fast jedes Bundesland zu Hamburg, wo das leider seit Jahren Gang und Gebe ist.

BK
3 Jahre zuvor

Hoffentlich gilt das dann auch für die IHK-Prüfungen. Sonst haben die Berufsschüler schlechte Karten.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  BK

Stellt doch eh‘ keiner ein. Warum sollten die zukünftigen Arbeitslosen jetzt auch noch einen Berufsabschluss erreichen, wenn sie nicht dauerhaft übernommen werden?

Für den bezug von ALGI oder II ist die erreichte berufliche Qualifikation uninteressant. Das ALG I auf Grundlage der Auszubildendenvergütung in den allermeisten Branchen bedeutet doch ohnehin, den Antrag auf Aufstockung zu stellen

Heinz
3 Jahre zuvor

Vom Philologenverband halte ich zwar rein garnichts, trotzdem wäre auch ich dafür gewesen, dass natürlich weiterhin Schüler sitzen bleiben können.
Den Grundschulverband kann man für Aussagen zur Sekundarstufe I nicht gebrauchen, da die Kinder in der Grundschule überwiegend noch intrinsisch motiviert wird, was mit zunehmender Pubertät häufig nachlässt.

Klar ausgedrückt bedeutet dies nächstes Jahr leider folgendes (falls die Schule wieder normal laufen sollte):
-Viele Schülerinnen und Schüler, die auf ihrer Schulform absolut ungeeignet sind und um psychisch nicht zu viel Schaden zu nehmen, ihr kognitives Defizit durch unangemessenes Verhalten kompensieren, werden auch im nächsten Jahr in ihren Klassen bleiben. Viele Schüler und Eltern, von lernwilligen Schülern, die unter diesen Kindern leiden, müssen also weiterhin leiden. Handelt es sich um Schüler der 6. Klasse, so hat man diese jetzt mindestens weitere 2 Jahre auf der Schule, oder glauben die Politiker wirklich, dass Beratungen in diesem Bereich etwas bringen würden? Wenn dem so wäre, dann wären diese Kinder niemals auf entsprechende Schulform gepackt worden.
-Am Ende der 5. Klasse konnte man bereits nicht zum Wiederholen verdonnert werden, die jetzigen 6. Klässler wird es dauerhaft so vorkommen, als würde ihnen nie etwas passieren. Manche werden sich damit später die Zukunft versauen.
-Die unmotivierten werden das Homeschooling, was häufig sowieso nicht stattfindet, noch eher komplett einstellen, die großen Probleme werden dann nächstes Jahr kommen, zur Zeit und durch solche Regelungen werden die Starken immer stärker und die Schwachen immer schwächer.
-An meiner Schulform bleibt vll. 1 von 10 Schülern sitzen, obwohl sie sich Mühe gegeben haben, die anderen bleiben einfach sitzen, weil ihnen die Schulbildung vollkommen egal ist. An meiner Schulform bekommt niemand eine 5 in einem Nebenfach, der sich ab und zu meldet, und ne ordentliche Mappe führt, das sind fast immer nur Totalverweigerer, die alle anderen mit behindern.

Jedes Jahr predigen wir in allen Klassen, dass das erste Halbjahr wichtig ist, durch diese Maßnahme werden die „Saisonarbeiter“ von denen wir einige habe, nur wieder bestärkt, anstatt, dass die Kinder gestärkt werden, die sich das ganze Jahr hindurch bemüht haben. Keine Ahnung was die Politiker sich denken, aber es würden in der Regel auch nicht viel mehr Schülerinnen und Schüler jetzt sitzenbleiben, wenn man einfach das ganze Schuljahr zur Ermittlung der Note heranziehen dürfte.