Schulöffnungen – Philologen in Sorge: Reicht die Hygiene? Bleibt Zeit für Unterricht?

4

STUTTGART. Der Philologenverband Baden-Württemberg – der rund 9.000 Gymnasiallehrer im Land vertritt – hat große Sorge geäußert, dass die notwendigen Hygienemaßnahmen in der schulischen Praxis nicht immer eingehalten werden können. „Sehr viele Gymnasien haben sich die größte Mühe gegeben, ab Montag mit dem eingeschränkten Personal, das ihnen aufgrund der Risikogruppen zur Verfügung steht, der Hygieneverordnung gerecht zu werden“, sagt Vorsitzender Ralf Scholl. Er fragt: „Aber wird das ausreichen?“

Das Coronavirus wirbelt den Schulbetrieb durcheinander. Illustration: Shutterstock

Mit Einfallsreichtum und an jede Schule angepasste Lösungen hätten die Schulleitungsteams, die Krisenteams, die Personalvertretungen vor Ort und viele weitere Kolleginnen und Kollegen unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften Konzepte für den Schulbeginn der Kursstufen am 4. Mai ausgearbeitet, so heißt es. Trotzdem bleiben Zweifel, ob die Maßnahmen ausreichen.

Der Philologenverband führt Beispiele an:

  • „Da in den meisten Gängen kein Sicherheitsabstand gewährleistet werden kann, mussten teilweise Einbahnstraßen –Systeme entwickelt werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen bereits von Frühaufsichten an den Bushaltestellen und Parkplätzen abgeholt und eingewiesen werden, damit Kontakte aufgrund Missachtung der Abstandsregeln vermieden werden.“
  • „Zu Beginn der Stunden sollen Hände gewaschen werden, zumindest an den Schulen, die noch Waschbecken in den Klassenzimmern haben. Ebenso nach dem Raumwechsel und vor und nach dem Essen.“
  • „Es werden, sofern möglich, an den Eingängen Desinfektionsspender aufgestellt.“
  • „Die Schülerinnen und Schüler sollen, wenn sie nicht am Platz sitzen, ihren Mund- Nasen-Schutz tragen, wie im ÖPNV und beim Einkaufen.“
  • „In den Toiletten, von denen es meist zu wenige gibt, herrscht deshalb ein großer Andrang. Man muss aber auch hier den Sicherheitsabstand einhalten können. Für viele Schulen heißt das: maximal ein bis zwei Schüler gleichzeitig im Toilettenraum.  Hier werden zum Teil individuelle „Toilettenkarten“ an die Schülerinnen und Schüler ausgegeben und vor der Toilettentür deponiert, damit man sehen kann, wie viele Personen bereits im Raum sind.“
  • „In den Unterrichtsräumen gibt es sehr strenge Sitzordnungen, damit das Wechseln der Tische auf ein Minimum reduziert werden kann.“
  • „Auch der Wechsel der Räume soll von den Lehrkräften, die auf dem gleichen Stockwerk unterrichten, individuell abgesprochen werden, um das Gedränge auf den Fluren zu minimieren — sofern dieser Wechsel nicht durch neue Stunden- und Raumpläne ganz vermieden werden kann.“
  • „Die großen Oberstufenkurse wurden geteilt und auf zwei Zimmer nebeneinander verteilt. Die Lehrkräfte betreuen diese halben Kurse gleichzeitig, wodurch ein normales Unterrichten sehr schwierig wird. Ebenso sind alle Unterrichtsmethoden mit engerer Schülerzusammenarbeit, wie Gruppen oder Partnerarbeit, Kugellager oder Schülerversuche) aufgrund des Abstandsgebots derzeit untersagt.“
  • „Kopien sollen möglichst vermieden werden, und der Austausch von Materialien mit den Sitznachbarn ist untersagt.“

Martina Scherer, Landesvorsitzende der Jungen Philologen Baden-Württemberg, fragt: „Wie viel Zeit wird dann eigentlich noch für den eigentlichen Unterricht übrig bleiben bei Einhaltung der Hygienestandards, parallel stattfindenden Kursen, Schülerlenkung ab der Bushaltestelle, einer geforderten Präsenz der Lehrerinnen und Lehrer in und vor den Räumen vor und nach dem Unterricht?“

„Die Kolleginnen und Kollegen werden angehalten, die Unterrichtsinhalte am besten vor der Präsenzzeit an der Schule digital an die Schülerinnen und Schüler zu geben, damit eine Lehrkraft überhaupt die auf zwei Räume verteilten Schüler betreuen kann“, so Ralf Scholl weiter. „Ich sehe da eine hohe Belastung auf die Kolleginnen und Kollegen zukommen.“ In der Schule bleibe so nur relativ wenig Zeit für Fragen oder das Einführen von neuen Inhalten.

Zu Hause muss viel gearbeitet werden – von Schülern und Lehrern

Viel Arbeit müsse weiterhin zu Hause geleistet werden, von Lehrerinnen und Lehrern, wie auch von Schülerinnen und Schülern. Und die Klassen 5 bis 10, die ohnehin noch zu Hause bleiben, müssten parallel von den gleichen Lehrkräften aus dem Home-Office betreut werden. Es werde nicht möglich sein, unter diesen Vorgaben die Anzahl der Schüler im Präsenzunterricht wesentlich über die zwei Abschluss-Jahrgänge hinaus zu erhöhen, meint Scholl. „Für die Klassen 5-10 ist momentan an den Gymnasien schlicht kein Platz vorhanden, und während der Zeit des Abiturs schon gar nicht.“

Für eine Rückkehr zu einem geregelten Schulbetrieb für alle Schüler ab Mitte Juni (nach den Pfingstferien) gebe es nur einen einzigen sicheren, zielführenden Weg: Die Abstandsgebote müssten in den kommenden sechs Wochen deutschlandweit konsequent weiter eingehalten werden, was aufgrund der gelockerten Einschränkungen nicht einfach werden wird. Gelinge es nicht, bis Mitte Juni die täglichen Neuinfektionen deutschlandweit auf weniger als 20 bis 50 zu senken, werde eine Aufnahme des Schulunterrichts mit allen Schülern in diesem Schuljahr ein Wunschtraum bleiben.

Scholl: „Es gilt jetzt, trotz der zunehmenden ökonomischen Probleme noch weitere vier bis sechs Wochen konsequent die Kontaktverbote durchzuhalten. Abrechnen kann man erst dann, wenn die Seuche unter Kontrolle ist.“ News4teachers

Hunderttausende Schüler kehren in die Schulen zurück – begleitet von Unsicherheit

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

4 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
ysnp
3 Jahre zuvor

Und diese Regeln stelle man sich jetzt einmal auf Grundschüler umgesetzt vor!
Nicht durchführbar!
Die Lehrkraft muss zusätzlich auch noch Distanz halten.

Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor
Antwortet  ysnp

„Im Westen nichts Neues.“

Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor

Nettes Teaser-Bild. In vielen anderen Artikeln buntr Bildchen oder Gesichter, hier ein Virusbild. Muss wohl ein GEW-Beitrag sein. Ach nein, etwas vom Philologenverband. Einige nennen soetwas schlicht framing.