Wie Fernunterricht als Videokonferenz klappt – und welche Rolle die Eltern dabei spielen: Ein Lehrer berichtet aus seiner Praxis

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STUTTGART. Wie läuft es mit dem Fernunterricht? Wir haben einen Lehrer – Alessandro Totaro, Realschullehrer aus Stuttgart – befragt, der bislang wenig Erfahrung mit digitalen Lehrmitteln hatte und sich dann aber auf das Abenteuer Videokonferenzen eingelassen hat. Seine Erfahrungen mit dem sogenannten Homeschooling sind überaus positiv. 

Fernunterricht wird wohl auch im nächsten Schuljahr zum Alltag vieler Schüler und Lehrer gehören. Foto: Shutterstock

News4teachers: Wie waren Ihre Vorerfahrungen mit digitalem Unterricht? Wie war bei Ihnen die Situation vor den Schulschließungen?

Allessandro Totaro: Leider war ich im digitalen Unterricht nicht sehr gut aufgestellt. An unserer Schule haben wir zwar Laptop-Wägen, jedoch läuft die Arbeit sehr schwerfällig, da sie nicht für alle Schüler einer Klasse ausreichen und die Anmeldung oft sehr lang dauert. Wir haben nun iPads und entwickeln derzeit ein Konzept, wie wir diese Geräte in den Unterricht integrieren können.

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Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit der digitalen Bildung? Woran hapert es? Was klappt denn vielleicht schon gut bei der Digitalisierung von Schulen? Überhaupt: Wohin soll der Weg denn führen? Was sinnvoll – und was nicht?

News4teachers stellt sich immer wieder solchen Fragen – und widmet dem Zukunftsthema Nummer eins in der Bildung ab sofort ein eigenes Ressort. Dort bündeln wir unsere Beiträge zum Thema – künftige, aber auch schon die, die wir in den vergangenen zwei Jahren dazu gebracht haben: nach wie vor aktuelle Praxisreportagen, Interviews (etwa mit dem berühmtesten Bildungsforscher der Welt, Prof. John Hattie, der sich der Frage widmet, was digitaler Unterricht tatsächlich bringt), Service Hintergrundberichte. Stöbern Sie doch mal durch. So manches Highlight lässt sich dort entdecken – hier geht’s zur Übersicht.

News4teachers: Wie sind Sie darauf gekommen, mehr Kommunikation zu ermöglichen, als nur Aufgaben zu verschicken?

Totaro: Als es im März hieß, die Schulen werden geschlossen, waren wir alle überrascht und hatten nur wenig Zeit, um uns auf diese neue Situation vorzubereiten. Jetzt im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich mich aber darauf hätte viel früher einstellen können. In den europäischen Nachbarländern wie beispielsweise Italien wurden die Schulen bereits früher geschlossen und man hätte darauf kommen können, dass dies bei uns auch bald der Fall sein würde. Mir war sofort klar, dass eine reine Kommunikation per Mail nicht ausreicht. Also habe ich anfangs mit meiner Klasse per Skype kommuniziert.

News4teachers: Wie sahen die ersten Schritte aus? Gab es Schwierigkeiten, vielleicht auch lustige Pannen?

Alessandro Totaro Alessandro Totaro (38 Jahre) ist studierter Realschullehrer für die Fächer Mathematik und Französisch. Er unterrichtet an der Anne-Frank-Gemeinschaftsschule Stuttgart und ist Klassenlehrer der Klasse 10c. Foto: privat

Totaro: Die ersten Unterrichtsversuche per Skype haben mich an mein Referendariat erinnert. Ich stand vor neuen Herausforderungen, bei denen ich keine Erfahrung einsetzen konnte. Ich merkte ziemlich schnell, dass mir die Schüler voraus waren. Ich schrieb beispielsweise eine Mathe-Aufgabe auf ein Blatt und hielt dieses Blatt an die Webcam, um sie den Schülern zu zeigen. Sie schmunzelten nur und riefen „Herr Totaro, was machen Sie denn da? Man kann nichts lesen. Sie müssen die Aufgaben in eine PowerPoint-Präsentation tippen und den Bildschirm mit uns teilen.“Also erklärten sie mir erst, wie man den Bildschirm teilt.

Es ist irgendwie auch lustig, wenn zwischendurch mal Eltern ins Kamerabild laufen oder sich kurz vor die Kamera setzen, um mir zuzuwinken. Eine anfängliche Schwierigkeit war auch, dass nicht alle Schüler anwesend waren. Es fehlten sechs Schüler. Aber nach einem Anruf bei den Eltern und der Vereinbarung von eventuellen Maßnahmen wie „Playstation abbauen“ oder „Verbindungskabel vom PC entfernen“ war dies kein Problem mehr. Am nächsten Tag waren sie online pünktlich anwesend.

Schüler können auch ihr Handy als Medium für den Fernunterricht nutzen

News4teachers: Wie sieht Ihre technische Ausstattung aus – und die Ihrer Schüler? Ist die Verbindung stabil?

Totaro: Ich arbeite mit meinem Laptop oder PC. Damit die Schüler meine Stimme gut verstehen, habe ich mir ein Mikro gekauft, welches die Hintergrundgeräusche unterdrückt. Außerdem nutze ich die weiße PowerPoint-Hintergrundfläche als digitale Tafel. Daher habe ich mir ein Grafik-Tablett gekauft. Nun kann ich ganz normal auf dieses Tablet schreiben und mein Schriftbild erscheint in der PowerPoint-Folie. Das Tafelbild sieht nun aus wie im echten Klassenzimmer. Die meisten Schüler arbeiten mit einem Tablet oder Laptop.

Es gibt auch Schüler, die beides nicht besitzen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, das Handy als Medium zu nutzen. Die Smartphones haben heutzutage eine integrierte Kamera. Es gab auch Schüler, die kein digitales Medium besaßen. Unser Schulleiter bat alle Klassenlehrer, ihm solche Fälle zu melden. So konnten wir helfen, indem wir Endgeräte besorgt haben, welche die betroffenen Schülerinnen und Schüler für den „Corona-Zeitraum“ ausgeliehen bekamen. Nun ist es jedoch auch möglich, diesen Schülern einen Notfall-Präsenzunterricht in kleinen Gruppen anzubieten. Sie können dann in die Schule kommen und Übungsaufgaben unter Aufsicht eines Lehrers erledigen.

News4teachers: Haben Sie sich mit dem Datenschutz beschäftigt?

Totaro: Ja. Ich habe ziemlich schnell festgestellt, dass Skype nicht der Königsweg ist, wenn man den Datenschutz berücksichtigen will. Daher sind wir nun auf JITSI Meet umgestiegen. Ein datengeschütztes Videochat-Programm, bei dem sich die Schüler weder registrieren noch persönliche Daten bekannt geben müssen.

News4teachers: Wie läuft der Unterricht jetzt konkret ab?

Totaro: Zuerst prüfe ich die Anwesenheit der Schüler. Bei nicht anwesenden Schülern erfolgt eine Mail oder ein Anruf bei den Eltern. Danach stelle ich alle Schüler auf stumm und teile meinen Bildschirm mit ihnen. Ich öffne eine weiße PowerPoint-Folie und nutze mein Grafiktablett, um ein Tafelbild zu erstellen. Die Schüler werden in der Erarbeitung eines neuen Themas mitinvolviert. Ich nenne zum Beispiel einen Schülernamen. Der Schüler schaltet sein Mikro frei und beantwortet meine Fragen. Wenn ein anderer Schüler etwas fragen möchte, klickt er auf das „Hand“-Symbol bei JITSI. Bei mir wird dann angezeigt, dass Schüler xy etwas fragen möchte. Ich schalte sein Mikro frei und alle hören seine Frage. Nach der Themenerarbeitung löse ich gemeinsam mit den Schülern einfache Basisaufgaben. Den Aufschrieb speichere ich am Ende des Unterrichts als PDF-Datei und sende sie der Klasse per Mail zu, so dass eine Ergebnissicherung garantiert ist.

Als ich Aufgaben mit höherem Niveau mit der Klasse lösen wollte, fragten mich einige Schüler, ob es denn nicht vielleicht möglich wäre, dass 3-4 Schüler, die diese schwierigen Aufgaben im Wahlbereich bearbeiten wollen, sich nochmal extra mit mir im Videochat treffen können. Diese Idee habe ich aufgegriffen und sie war sehr effektiv, da so eine Binnendifferenzierung gewährleistet werden kann. Ich habe die Form der Kleingruppen auch genutzt, um schwächeren Schülern in einer Kleingruppe zu treffen. Mit ihnen konnte ich nochmals sehr einfache Aufgaben kleinschrittig bearbeiten. Eine Differenzierung ist enorm wichtig, da es sonst für die starken Schüler langweilig und für die schwachen Schüler zu schwierig wird. Das optimale Fordern und Fördern der Schüler ist eine pädagogische Herausforderung.

„Die Schüler sind sehr motiviert und dankbar, ihren Lehrer zu sehen“

News4teachers: Wie sieht’s mit der Motivation der Schüler aus? Und wie mit Ihrer?

Totaro: Die Schüler sind sehr motiviert und dankbar, ihren Lehrer zu sehen. Sie haben das Online-Angebot in den letzten Wochen genutzt. Es war sehr schwer, sie über einen so langen Zeitraum motiviert zu halten. Zwischendrin merkte ich, wie ihre Motivation auch wieder sank und sie mit weniger Begeisterung im Online-Unterricht aktiv waren. Aber wir besprachen gemeinsam, wie sie an ihrer Haltung arbeiten, besser lernen und ihren Tag strukturieren können. Sie wissen, dass sie diszipliniert bleiben müssen, da bald die Prüfungen auf sie zukommen.

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News4teachers: Können Schüler den Fernunterricht stören? Wenn ja: Wie?

 

Totaro: Natürlich können sie dort auch stören. Das virtuelle Klassenzimmer schützt die Lehrperson nicht vor Störungen. Es kam bei mir vor, dass ein Schüler sich einen kleinen Spaß erlaubt hat und mal im Hintergrund Musik abspielen ließ. Da ich nicht wusste, wer es von ihnen war, lachten erstmal viele Schüler. Eine tolle Situation für Jugendliche, den Lehrer reinzulegen. Ich habe die Situation mithilfe der Beziehung zur Klasse gerettet und ihnen mitgeteilt, dass es enttäuschend ist, dass mein Engagement in den letzten Wochen so wertschätzt wird. Es hörte kurz danach auf – und der Schüler entschuldigte sich danach in einem Telefonat bei mir. Man darf nicht vergessen, dass es Jugendliche sind, und Jugendliche testen Grenzen aus. Es gibt noch viele Möglichkeiten zu stören. Zum Beispiel kann ein Schüler das Mikrofon des Lehrers stumm schalten oder dem Lehrer andere technische Stolperfallen stellen.

Aber ich finde, es ist die Aufgabe des Lehrers, einen professionellen Umgang mit Störungen zu beherrschen. Im realen Unterrichtsraum können Schüler auch einiges planen, um einen Lehrer zu stören: sich Briefchen schreiben, Tiergeräusche nachahmen oder Papierkugeln durch den Raum werfen. Daher darf die Unterrichtsstörung im Fernunterricht nicht als Vorwand dafür genommen werden, dass diese Methode nicht funktioniert.

News4teachers: Spielen die Eltern eine Rolle?

Totaro. Die Eltern spielen eine zentrale Rolle. Ohne die Eltern wird es schwer. Wenn ein Schüler im Fernunterricht fehlt, muss der Lehrer die Eltern informieren. Diese haben die Aufgabe zuhause dafür zu sorgen, dass ihre Kinder den Online-Unterricht besuchen.

Sollten die Eltern arbeiten, so müssen die Eltern effektive Maßnahmen ergreifen, wenn ihr Kind am Fernunterricht wiederholt fehlt. Da gibt es einige wirkungsvolle Maßnahmen wie Handyverbot, Playstation4-Verbot etc. Eine sehr gute Eltern-Lehrer-Kooperation ist hierbei die Grundlage für erfolgreiches Unterrichten und Erziehen der Kinder und Jugendlichen.

„Wir Lehrer haben uns gegenseitig Webinare angeboten“

News4teachers: Wie reagieren die Schulleitung und Ihr Kollegium?

Auch nach den Schuöffnungen wird weiter Fernunterricht angeboten. Foto: privat

Totaro: Meine Schulleitung und mein Kollegium haben sehr offen reagiert. Wir haben uns gegenseitig Webinare angeboten und die Kollegen für den Fernunterricht fit gemacht. In Online-Lehrerkonferenzen haben wir gemeinsam besprochen, wie wir den Schülern in dieser Corona-Zeit zur Seite stehen und den Eltern helfen den Alltagsrhythmus ihrer Kinder zu strukturieren.

News4teachers: Was würden Sie Kollegen empfehlen, die sich auf den Weg machen möchten?

Totaro: Es ist sehr wichtig, mit einer positiven Haltung zu beginnen. Starten Sie das Projekt „Fernunterricht“ nicht mit der Einstellung: „Jeder Schüler muss anwesend sein!“, „Es wird keine technische Probleme wie schlechter Empfang, Ton- oder Bildprobleme geben!“. Dann werden Sie den ersten Unterricht frustriert verlassen. Gehen Sie mit folgender Haltung hinein: „Sollte es nun bei 4 von 25 Schülern noch nicht funktionieren, ist es schade, aber immerhin konnte ich 21 Schüler unterrichten. Und den anderen vier erkläre ich separat, wie sie das Videochatprogramm nutzen können.“

News4teachers: Was meinen Sie – inwieweit werden Erfahrungen wie Ihre den Unterricht auch in der Zeit nach Corona beeinflussen?

Totaro: Ich weiß, dass ich nach der Corona-Zeit die digitalen Medien gezielter und effektiver nutzen werde. Letztes Jahr war ich mit einer Kollegin während eines Erasmus-Aufenthalts in Finnland und habe mit ihr gemeinsam den Unterricht dort hospitiert. Die Finnen sind uns Jahrzehnte voraus und haben schon längst erkannt, dass das Handy und anderen digitale Medien wie iPads viel wirksamer eingesetzt werden können, als wir denken

Wir alle stehen vor einer für uns neuen Situation. Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir Lehrer Verantwortung übernehmen und den Schülern vorleben, wie man mit Schwierigkeiten umgehen kann, wie man die Chancen der Digitalisierung nutzen kann, um ihnen Mut zu geben und für sie da zu sein.

Ich hoffe, dass viele Lehrer die pädagogische Herausforderung in der Corona-Krise mit einer positiven Haltung annehmen. Diese Lehrerhaltung könnte den Ruf des Berufsbilds eines Lehrers in Deutschland verbessern.  Wenn ich in Deutschland meinen Beruf offenbare, erlebe ich meist Mitleid und Verwunderung, dass ich in dieser Zeit mit diesen „schwierigen“ Jugendlichen arbeiten will.  Wenn ich hingegen in Frankreich, Italien oder Spanien Urlaub mache und dort erzähle, dass ich Lehrer bin, reagieren die Menschen mit Wertschätzung, Respekt und Anerkennung. Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Gespräch.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Lehrer-Umfrage: Die Auf-die-Schnelle-Digitalisierung des Unterrichts in der Krise hat weitaus besser geklappt, als viele meinen

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10 Kommentare
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Georg
3 Jahre zuvor

Mit anderen Worten steht und fällt Unterricht im Allgemeinen und Fernunterricht im Speziellen mit der Fürsorgepflicht der Eltern.

Blau
3 Jahre zuvor

Schade ich hätte gerne noch was zu Einverständniserklärungen der Eltern und der DSGVO gelesen

Clara
3 Jahre zuvor
Antwortet  Blau

Hätte mich persönlich auch interessiert, da laut DSGVO die Eltern bei Kindern unter 16 Jahren ihr Einverständnis erteilen müssen, egal wie viele personenbezogene Daten verarbeitet werden. Daher finde ich es ehrlich gesagt nicht in Ordnung, die Eltern dazu zu nötigen, ihr Kind an Videokonferenzen teilnehmen zu lassen. Es gibt verschiedene Gründe, warum Schüler nicht daran teilnehmen. Hier bekam man den Eindruck, die Schüler wären zu faul dazu gewesen. Diese mag es ja geben, selbst wenn die Eltern ihr Einverständnis dazu gegeben haben. Aber eben nicht nur. Ich finde man muss es auch respektieren, wenn Eltern das nicht wollen. Diese Eltern gibt es nämlich auch. Und diese müssen nicht grundsätzlich etwas gegen die Digitalisierung haben.

lehrer4949
3 Jahre zuvor

Schöner Artikel:

Hat mit meiner Klasse auch bestens funktioniert.

Jedoch ein Grafiktablet braucht man nicht. Ein iPad kann mit Zoom freigegeben werden. Dann noch z.B. Goodnotes 5 drauf und los gehts. Zoom ist zudem technisch dem Tool Jitsu Meet um Welten voraus.

Meine Schüler haben alle Tafelaufschriebe im Heft 🙂

Heiner
3 Jahre zuvor
Antwortet  lehrer4949

Danke für den Tipp! Zumindest zu Beginn von Corona ging das mit der iOS-App aber noch nicht?!

OlleSchachtel
3 Jahre zuvor
Antwortet  lehrer4949

Leider dürfen wir in BW kein Zoom verwenden. Datenschutz

Heiner
3 Jahre zuvor
Antwortet  OlleSchachtel

Hat auch niemand behauptet 😉

LAL
3 Jahre zuvor

Wie ist es mit dem Recht am eigenen Bild? Kann man Videomitschnitte verhindern? Man will ja schließlich nicht als youtube-Star enden.

Heiner
3 Jahre zuvor
Antwortet  LAL

Das ist technisch nicht möglich – du kannst immer alles, was du auf irgendeinem Bildschirm siehst, auch digital „abfilmen“. Ebenso wie man Screenshots technisch nicht (wirkungsvoll) verhindern kann.

Bruni
3 Jahre zuvor

Vielen Dank an diesen engagierten Lehrer, der mutig SEINEN Job macht! Das verstehe ich unter Fern- und Digitalunterricht.