Beckmann wirft Kultusministern Unehrlichkeit vor, wenn sie den Eltern normalen Unterricht in absehbarer Zeit versprechen

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BERLIN. Der Bundesvorsitzende des VBE, Udo Beckmann, hat den Kultusministern vorgeworfen, unehrlich zu sein – nämlich: Eltern vorzugaukeln, dass es in nächster Zeit wieder normalen Unterricht wie vor der Corona-Krise geben kann. Weil das aber schon aufgrund des Lehrermangels unmöglich sei, schüre die Politik so den Unmut vieler Bürger, der sich dann gegen die Lehrer richte. „Macht Euch endlich ehrlich!“, so fordert Beckmann von der KMK mit Blick auf die in dieser Woche anstehende Sitzung.

Im Fokus der Kameras: VBE-Chef Udo Beckmann. Foto: VBE

Udo Beckmann platzt der Kragen. „Je mehr die Kultusministerien öffentlich die Rückkehr zum Normalbetrieb proklamieren und eine flächendeckende Realisierbarkeit suggerieren, zieht die einzelne Schule, an der das nicht umgesetzt werden kann, und schlussendlich die einzelne Lehrkraft, den daraus entstehenden Unmut der Eltern auf sich“, sagt der Bundesvorsitzende des VBE mit Blick darauf, dass immer mehr Bundesländer ankündigten, auf die Abstandsregel zu verzichten, um die Schulen wieder „in den Regelbetrieb“ zu bringen (News4teachers berichtet laufend darüber – hier zum Beispiel).

Lehrermangel wächst sich aus – auch schon vor Corona

„Die Kultusministerien sind es, die mit intransparenter Kommunikation, dem fehlenden Abgleich mit der Realität und der Schnelligkeit der Änderung ihrer Pläne zu einem schlechten Bild von Lehrkräften beitragen. Weil Schule gar nicht ausreichend Zeit gegeben wird, auf die sich ständig ändernden Vorgaben einzugehen, weil die Beteiligten nicht ausreichend in den Entscheidungsprozess einbezogen werden – und weil sich die Planungen an Wunschvorstellungen, aber nicht an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren. Damit schaffen die Kultusministerien eine ideale Bühne für ‚Lehrerbashing‘.“ Damit müsse Schluss sein. In ihrer Sitzung am Donnerstag und Freitag solle sich die Kultusministerkonferenz „endlich ehrlich machen“, fordert er.

Und das bedeutet: “Es wird auf absehbare Zeit keinen kontinuierlichen und flächendeckenden regulären Schulbetrieb geben.“ Das verhindere der von der Politik zu verantwortende Personalmangel. Beckmann: „Schon vor Corona war klar, dass die Personaldecke trotz Einstellung von Seiteneinsteigenden und Reaktivierung älterer Lehrkräfte aus Pension und Rente zu knapp ist.“ Verschärft werde der Lehrermangel durch die 10 bis 15 Prozent durch ein entsprechendes Attest freigestellten Lehrkräfte, die Risikogruppen angehören. „Zudem werden vielerorts schon wieder Schulen aufgrund neu auftretender Infektionsfälle geschlossen.“

Beckmann stellt fest, dass die weitere Entwicklung des Infektionsgeschehens in Deutschland derzeit nicht prognostizierbar sei. Er fordert daher: „Die Kultusministerien müssen verschiedene Szenarien entwerfen, die unterschiedliche Verläufe und deren Auswirkungen auf Schule mitdenken. Neben dem von den Ministerien favorisierten (1) regulären Schulbetrieb muss erörtert werden, wie ein (2) ‚normalisierter Schulbetrieb‘ funktionieren kann, ggf. mit Ausdünnung der Stundentafel oder einem eingeschränkten Betreuungsangebot. Zudem braucht es weiter Überlegungen zur (3) Parallelität von Unterricht vor Ort und Arbeitsaufträgen für das Lernen zu Hause, ggf. auch Impulsen per digitalem Weg und (4) dem eigenständigen Lernen zu Hause.“ (Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat dazu ein umfassendes Konzept vorgelegt – News4teachers berichtete ausführlich darüber, und zwar hier.)

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Jede Lockerungsmaßnahme gegenüber Lehrern und Eltern begründen

Doch diese Planungen müssten nicht nur entworfen werden, so Beckmann, sie seien auch allen Beteiligten zugänglich zu machen – indem sie verständlich und transparent kommuniziert würden. Besonders wichtig sei hierbei, den Schulleitungen konkrete Rahmenanforderungen zu setzen, welche die Eigenverantwortung unterstützen, aber laut Beckmann kein Mittel zum Abschieben von Verantwortung sein dürfen. Die Haftung für alle Lockerungsmaßnahmen trägt ihr zufolge die Politik. „Deshalb muss auch jede Aufhebung von Schutzmaßnahmen an Schulen wohlüberlegt sein und gut begründet sowie ausführlich kommuniziert werden. Bei jeder Lockerung ist von der Politik zu erläutern, welche alternativen Schutzmaßnahmen getroffen werden“, fordert Beckmann. Der Gesundheitsschutz müsse weiter im Fokus stehen.

Essenziell sei, dass sich alle Planungen an den zur Verfügung stehenden Ressourcen orientieren und ausreichend Zeit eingeplant wird, um das Erlebte aufzuarbeiten und wieder in Strukturen zurückzufinden.  Dafür müssten, wo notwendig, starre curriculare Anforderungen ausgesetzt werden.

Der VBE-Chef spricht sich dafür aus, zunächst zu versuchen, die starke Heterogenität des Lernfortschritts schrittweise auszugleichen: „Wir sehen, dass es teilweise gravierende Lernrückstände gibt und innerhalb der Lerngruppen große Unterschiede. Hier braucht es individuelle Förderung, für die mehr Personal, zum Beispiel durch den Einsatz von multiprofessionellen Teams, notwendig ist. Außerdem muss es gelingen, die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte schnellstmöglich mit digitalen Endgeräten auszustatten und Lehrkräfte qualitativ hochwertig fortzubilden.“

Gesellschaft darf sich nicht gegen die Lehrer wenden

Gleichzeitig verweist Beckmann jedoch auch darauf, dass es wichtig sei, die Wertschätzung für die in der Krise neu erlernten Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler auszubauen: „Die defizitorientierte Betrachtung von Lernrückständen versperrt uns die Sicht darauf, dass die Kinder und Jugendliche teilweise existenzielle Erfahrungen gemacht und sich persönlich weiterentwickelt haben. In einer sich schnell ändernden Welt haben sie beweisen müssen, dass sie mit neuen Anforderungen zurechtkommen. Auch die Lehrkräfte haben in der Zeit der Krise gezeigt, mit wie viel Engagement und Herzblut sie ihrem Beruf nachgehen. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich die Gesellschaft nicht gegen die Lehrkräfte wendet, sondern genauso wütend wird wie wir, wenn die Kultusministerien über die Schulen hinweg Entscheidungen treffen, die nicht eingehalten werden können, und Erwartungen weckt, die nicht einzulösen sind.“

So, wie die Kultusminister derzeit agierten, spielten sie Eltern und Lehrkräfte gegeneinander aus. Beckmann: „Sie verantworten damit, dass sich Lehrkräfte weniger wertgeschätzt fühlen, der Beruf unattraktiver wird und sich in Zukunft noch weniger Personen dafür interessieren werden, in diesem Feld zu arbeiten. So wird sich die sowieso schon bedenkliche Personalknappheit weiter verschärfen.“ News4teachers

Böhm: Normaler Unterrichtsbetrieb ist auch nach den Sommerferien nicht absehbar

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OlleSchachtel
3 Jahre zuvor

Klasse Aussage!

Palim
3 Jahre zuvor

Vielen Dank an Herrn Beckmann!

Auf die nun sicher folgende klare Kommunikation mit fertigen, realistischen, ebenso klar formulierten Rahmenkonzepten, die auch durch die Schulträger anerkannt und unterstützt werden, freuen wir uns und hoffen auf zeitnahe Veröffentlichung, denn das neue Schuljahr startet bald und die erwünschten Schritte müssen auch noch realisiert werden können – entsprechend der aufgezeigten Modelle vierfach!

Don Simon
3 Jahre zuvor

<3
Guter Mann.

Mary-Ellen
3 Jahre zuvor

Danke, Herr Beckmann!!!
Realitätsnah, zukunftsbezogen und differenziert formuliert! Ich hoffe, es wird von vielen gelesen!

Timon Mönig
3 Jahre zuvor

Ich kann nicht nachvollziehen, dass Öffnungen begründet werden müssen. Begründet muss werden, wenn der derzeitige Ausnahmezustand so erhalten wird. Wollen wir wirklich eine verlorene Schülergeneration? Es muss alles dafür getan werden, dass möglichst schnell wieder Regelunterricht stattfindet. Ausgefallenen Unterricht hat es auch vor der Pandemie gegeben, den wird es auch weiterhin wahrscheinlich auch vermehrt geben, trotzdem müssen die Kinder wieder jeden Tag zur Schule gehen! Es wurde immer Solidarität mit den Alten und Kranken gefordert. Wer ist denn solidarisch mit unseren Kindern?
Freundliche Grüße

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Timon Mönig

Wie wollen Sie denn den „Regelunterricht“ gestalten, wenn rund 15% der Lehrkräfte nicht einsetzbar sind? – Und das an Schulen die im Regelprinzip nur über durchschnittlich 93% der Vollzeitstellen verfügen, die ihnen zustehen.

Gehen Sie einmal von einer 100%igen Besetzung einer Schule mit um die 1200 SuS von Klasse 5 bis 13 aus. Diese Schule hätte so um die 100 Vollzeitstellen nach den gesetzlichen Vorgaben.
Davon können Sie von vornherein ca. 7 Stellen abziehen, die unbesetzt sind, da es keine bewerber gibt. Des Weiteren können Sie bis zu 17% der bestzten Stelleninhaber wegen eines vorgelegten Attestes in Coronazeiten abziehen, also noch einmal 15 bis 16 Vollzeitstellen. Der SL stehen somit nur um die 78 Vollzeitstellen mit 25,5 Wochenstunden zur Verfügung, um sie unterrichtlich einzusetzen. Es müssen also von vornherein 22% der Regelstundentafel gem. Vorgaben gestrichen werden.

Für SuS im Ganztag an Schulen in NRW beträgt die gesamte Wochenstundenzahl bis zum zehnten Jahrgang 188 Wochenstunden gem. APO-SI. Von den 188 Wochenstunden (WS) in der SekI – das sind umgerechnet ca. 32 WS je Jahrgang – ein Fünftel abziehen, da diese Stunden nicht mit Lehrkräften abgedeckt werden können. Mehr als 25 Wochenstunden Unterricht lassen sich bei diesem „Regelbetrieb“ überhaupt nicht umsetzen. d.h. es kann keinen Ganztag geben, einmal abgesehen von den Schließungen der Mensen. Mit viel Anstrengungen sind also allenfalls vier Unterrichtstage a 6 Stunden und ein Unterrichtstag mit 4 Stunden leistbar. Und das ohne dass es weitere krankheitsbedingte Ausfälle gibt. Die nächste erkältungswelle schließt sich an den Zeitraum der Herbstferien nahtlos an. Der zeitraum zwischen den Sommer- und den herbstferien beträgt um die 6 Schulwochen.
Worüber diskutieren wir bzw. das MSB unter der leitung von Y.G. eigentlich?

Mein Tipp:
Spielen Sie Lotto. Ihre Chancen auf einen Gewinn liegen höher, als die Wahrscheinlichkeit das die SuS zu einem Regelunterricht entsprechend der Vorgaben der derzeit (noch) gültigen schulrechtlichen Bedingungen nach den Sommerferien zurück kommen werden.

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Timon Mönig

Die Öffnung muss nicht begründet werden. Sie ist aufgrund der Schulgesetze der Regelfall.
Begründet werden muss die Aufhebung des Abstandsgebotes, dass ja einer Ausbreitung der Infektionen entgegenwirken soll.

Das MSB in NRW erklärt ja auch lediglich, wie es den Eltern bezüglich der Kinderbetreuung durch eine „Rückkehr zum Regelbetrieb an Grundschulen“ entgegen kommen möchte. Es wird aber nicht erklärt, wie dieser Regelbetrieb unter Berücksichtigung der derzeitigen Bedingungen, Persoanlsituation, Raumsituation (Sporthallen, Schwimmbäder, Spotanlagen etc.), Verfügbarkeit von ausreichend zur Verfügung stehenden, hygienischen Grundsätzen entsprechenden Sanitärräumen für alle SuS, Reinigungssituation etc. aussehen soll und welche Planungen es bezüglich einer Anpassung der Kernlehrpläne für das kommende Schuljahr geben wird.

Die Eltern übersehen mit Blick auf den eigenen Nachwuchs die Tatsache, dass das Land der Arbeitgeber respektive Dienstherr einer großen Zahl von Lehrerinnen und Lehren ist, der bei seinen Planungen eben auch die rechtlichen Vorgaben von Bundesbehörden ausreichend berücksichtigen muss. Hierbei darf die Tatsache, dass es 600.000 Grundschüler – und somit max. 1,2 Millionen wahlberechtigte Elternteile – und allenfalls 30.000 Grundschullehrkräfte gibt, nicht der ausschlaggebende Punkt bei der Entscheidungsfindung sein. Von diesem Standpunkt aus betrachtet bedarf es sehr wohl einer nachvollziehbaren Begründung.

Cornelia
3 Jahre zuvor
Antwortet  Timon Mönig

@Timon Mönig
Also von verlorener Schülergeneration kann nicht die Rede sein! Als zum Beispiel in den 60ern ein halbes Schuljahr fehlte, weil 2 Schuljahre in den Kurzschuljahren auf 1 1/2Schuljahre reduziert wurden, hat man auch nicht von verlorener Generation geredet, obwohl viele ein Schuljahr wiederholen mussten!
Auch ging es uns in den letzten Monaten nicht so schlecht wie unseren ausländischen Nachbarn. Die Kinder in unserem Land konnten in der Natur spielen, mit Abstand ihre Freunde sehen, Radfahren usw. Die Enkelkinder meines Bruders im Elsass mussten 2 Monate im Haus verbringen, die Großeltern durften nicht zur Betreuung kommen, sie hätten ein hohes Bußgeld riskiert im 3stelligen Bereich, im Wiederholungsfall über 1000 Euro.
Zudem haben Sie sich nicht nur aus Solidarität für die Risikogruppen eingeschränkt, sondern auch für sich selbst und Ihre Angehörigen. Keiner konnte und kann die Entwicklung der Pandemie vorhersagen, auch jetzt nicht!
Übrigens vermissen auch vorkrankte Kinder ihre sozialen Kontakte, allerdings ist bei ihnen abzuwägen, was schlimmer ist: eine schwere Erkrankung mit unabschätzbaren Folgen oder ein längerer Zeitraum, in denen sie nicht mit Freunden und Klassenkameraden zusammenkommen dürfen.

Mareike
3 Jahre zuvor

Dürfen Risikokinder denn überhaupt weiterhin zuhause lernen oder müssen auch sie nach den Sommerferien wieder in die Schule? Dazu sagt keiner was. Konnte unser Kind gestern kaum beruhigen. Seit Wochen tut es alles, um sich zu schützen und muss zunehmend feststellen, dass es nun doch in die Durchseuchung gezwungen wird. Schade!