GEW fordert fürs nächste Schuljahr Kleingruppen, Projekt-Unterricht, dünnere Lehrpläne

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BERLIN. Berlins Schulen und Kitas sollen – wie die Schulen und Kitas in allen anderen Bundesländern auch – nach den Sommerferien zum Normalbetrieb zurückkehren. Aus Sicht der Berliner GEW kann das allerdings nicht bedeutet, dass wieder so unterrichtet werden kann wie vor der Corona-Krise. Die Gewerkschaft fordert ein Gesamtkonzept für das neue Schuljahr. Darin enthalten: die Erprobung neuer Lehr- und Lernformen, die der besonderen Situation Rechnung tragen – und eine Arbeitsteilung innerhalb der Kollegien, die auf die Risikogruppen innerhalb der Lehrerschaft Rücksicht nimmt.

Die GEW rechnet vor allem an den weiterführenden Schulen mit einem notwendigen Wechsel von Fern- und Präsenzunterrichtsphasen. Foto: Shutterstock

Die Berliner Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) verlangt von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) Verhandlungen über einen Corona-Bildungspakt. «Wir fordern Gespräche über ein Gesamtkonzept, wie Schule und Bildung ab August aussehen kann», sagte Berlins GEW-Vorsitzender Tom Erdmann am Donnerstag. Nötig sind aus Sicht der GEW kleinere Lerngruppen, zusätzliche Fachkräfte, die Schaffung einer digitalen Infrastruktur und die Sicherung der Hygienemaßnahmen in Berlins Schulen und Kitas. Ein Schreiben mit ihren Forderungen hat die GEW nach eigenen Angaben bereits an die Bildungssenatorin geschickt.

Vorschläge für eine Neuorganisation des Unterichts

Darin enthalten sind auch Vorschläge für eine Neuorganisation des Unterrichts, die im kommenden Schuljahr aus Sicht der Gewerkschaft sinnvoll wäre – zum Beispiel in Form fächerübergreifender Projekte. Konkret heißt es:

  • „Das Lernen in Form von epochalen Lernbüros und Projekten ermöglicht es, dass zwei bis drei Lehrkräfte mit unterschiedlichen Qualifikationen (in Haupt- und Nebenfächern) über mehrere Wochen hinweg nur einer Lerngruppe fest zugeordnet werden. Die Anzahl der Sozialkontakte von Lehrkräften und Schüler*innen und damit ihr Infektionsrisiko würde so um ein Vielfaches sinken. Themen könnten zudem aus verschiedenen fachlichen Perspektiven und mit größerer Komplexität bearbeitet werden. Der fächerübergreifende und projektorientierte Ansatz wäre auch bei erneuter Notwendigkeit für die Begleitung des Fernlernens von Vorteil. Die Lehrkräfte müssten lediglich für eine Lerngruppe ansprechbar sein. Für Schüler*innen und Eltern gäbe es eine überschaubare Kommunikation.“
  • „Pädagog*innen, die zu Risikogruppen gehören, könnten bei der Konzipierung und Entwicklung der Lernbüros/Projekte unterstützen und auf diese Weise die Pädagog*innen, die vor Ort präsent sind, entlasten. Generell könnten Kolleg*innen, die aufgrund von gesundheitlichen Risiken nicht vor Ort sind, andere schulische Aufgaben wie Planung, die Erstellung individueller Förderpläne und Beiträge zur Schulentwicklung übernehmen und so die Lasten der Krise in den Kollegien verteilen.“
  • „Grundsätzlich sollten an allen Schulen Klassenleitungsteams etabliert werden, die selbst möglichst viele Fächer in der Lerngruppe abdecken und verlässlich mit den anderen Fachlehrkräften kommunizieren können. Teamarbeit erfordert Zeit. Die schulischen Entlastungspools sind entsprechend auszubauen. Insbesondere in den weiterführenden Schulen ist bei einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen in Berlin eine zeitweise Reduzierung von Präsenzunterricht und somit die Erhöhung von Fernlernphasen denkbar. Dafür bedarf es dringend durchdachter, praktisch umsetzbarer und klar kommunizierter Konzepte für das digitale Lernen. Die Kolleg*innen vor Ort müssen durch Fort- und Weiterbildungen sowie adäquate Ausstattung dafür befähigt werden.“
  • „Bei einer möglichen Reduzierung der Unterrichtsstunden darf keine Fokussierung auf die Kernfächer erfolgen. Für mehr Flexibilität müssen stattdessen die Rahmenlehrpläne ausgedünnt werden. Alle Fächer ebenso wie Arbeitsgemeinschaften und Angebote im Ganztagsind wichtig für die Bildung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der Ganztag muss eine Aufwertung erfahren. Er sollte in das freie und projektorientierte Lernen eingebunden werden. Auch neue Formen der Leistungsbewertung sollte erprobt werden. Es könnte an allen Schulen auf Noten und Notenzeugnisse bis Klasse 9 verzichtet werden und als Alternative Zertifikate für das Erreichen von Niveaustufen und verbale Zeugnisse ausgegeben werden. Diese stehen für ein pädagogisch motiviertes Leistungsverständnis.“

Gerade in Zeiten von Corona sei es wichtig, die Qualität von Bildung im Blick zu behalten. «Wir fordern, dass wir aus dieser Krise mit einem Wumms herausgehen», sagte Erdmann. «Frau Scheeres ist hier in der Verantwortung.»

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GEW: 20 Prozent der Lehrer und Erzieher gehören zur Risikogruppe

Die Co-Vorsitzende der Berliner GEW, Doreen Siebernik, erklärte, das Lernen in kleinen Gruppen sei der Schlüssel zum Bildungserfolg und die Grundvoraussetzung für den Gesundheitsschutz von Kindern, Jugendlichen und Pädagogen. Das habe Corona deutlich gezeigt. «Die Verkleinerung der Gruppen muss daher oberstes Ziel der Senatsbildungsverwaltung sein.» Ein Sprecher der Bildungsverwaltung wies das am Donnerstag zurück: «Die Einrichtung kleinerer Lerngruppen würde bedeuten, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler wieder im Regelbetrieb beschult werden können», erklärte er. Denn dann würden nicht genug Räume zur Verfügung stehen.

Nach Einschätzung der GEW gehören bis zu 20 Prozent der Beschäftigten in Berlins Schulen und Kitas zur Corona-Risikogruppe. Sie dürften während der Pandemie auch künftig nicht im Präsenzbetrieb eingesetzt werden. Die Senatsverwaltung müsse deshalb für qualifiziertes Vertretungspersonal sorgen. «Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es verantwortungslos, die Gruppen- und Klassengrößen wieder auf das Vor-Corona-Niveau anzuheben und auf Abstandsregeln zu verzichten», kritisierte Siebernik. Die GEW wirft der Bildungsverwaltung vor, Schulen und Kitas mit der Sorge um fehlende Fachkräfte allein zu lassen.

Hygiene lässt in vielen Schulen noch zu wünschen übrig

Aus Sicht der Gewerkschafter gibt es außerdem noch Schwierigkeiten beim Umsetzen der während der Corona-Pandemie vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen in den Schulen. Das fange beim regelmäßigen Lüften an, sagte Erdmann. In manchen Schulen ließen sich die Fenster gar nicht öffnen. Nötig sei deshalb eine Großoffensive in den Sommerferien, um solche Probleme zu beheben. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

„Kosinussatz streichen! Lyrik verkürzen!“: Das nächste Schuljahr kann nur gelingen, wenn die Lehrpläne abgespeckt werden

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Hellus
3 Jahre zuvor

Ohne eine geregelte Raumlüftung (mit Wärmerückgewinnung, neben diversen anderen Maßnahmen) sehe ich schwarz für den Regelunterricht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass im Herbst wieder alles auf Null gefahren werden muss.
Seit Jahren bin ich während der Heizperiode mit einem CO2-Messgerät im Unterricht. Selbst wenn ein Klassenraum gut gelüftet war, ist die Raumluft nach 10 Min. schon wieder so verbraucht, dass erneutes gründliches Lüften nötig wäre. Bei der Aerosol-Konzentration wird es ähnlich aussehen. Man kann aber nicht alle 10 Min. den Klassenraum durchlüften, weil es den Unterricht stört, die Kinder frieren, die Fenster nicht genug zu öffnen sind etc.
Für Großraumbüros gibt es Vorschriften, u.a. dass pro Person 12 qm Fläche zur Verfügung stehen müssen. Und dafür gibt es gute Gründe, z.B. raumhygienische.
Für Schüler und Lehrer gilt das nicht. In der Schule steht jedem Schüler nur ein Minimum von 2 qm zu. Wie sollen da Abstand und gute (aerosolarme) Raumluft möglich sein?

Emil
3 Jahre zuvor
Antwortet  Hellus

Sie haben völlig Recht. Ich befürchte aber mittlerweile, dass die Schulen so gut wie gar nicht mehr geschlossen werden. Die Politik ist gerade derart besessen von Komplettöffnungen, dass Verstand und Logik leider abhanden gekommen sind.

OlleSchachtel
3 Jahre zuvor

@Hellus: sehe ich auch so. Ich möchte nicht wissen was passiert wenn es draußen nass und kalt wird und die Fenster nicht die ganze Zeit offen stehen können, weil wir sonst alle ruck-zuck erkältet sind. Oder ist Corona plötzlich nach den Sommerferien verschwunden??

Pälzer
3 Jahre zuvor

Die GEW beschreibt – diesmal als Corona-Konsequenz verpackt – aufs Neue die Bildungspolitik, die sie schon immer propagiert und an Gesamtschulen praktiziert und die vor allem darauf ausgelegt ist, Unterschiede zwischen „guten“ und „benachteiligten“ Schülern dadurch zu verringern, dass alle weniger lernen. Diese Denkweise ist nur was für Leute mit *.

Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Genau so ist es.

Und dann setzten sie genau das um, wovor sie selber immer warnen: Dass die Bürger zu Rädchen in einer globalisierten Welt werden. Die Ironie ist derart gut, dass sie einen fast die Idiotie dieser Agenda der GEW vergessen lässt.

Stefan
3 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

GEW / Pfälzer

Dann lernen Sie noch schnell die Internationale, damit Sie später nicht so auffallen.

Felix
3 Jahre zuvor

Im Nach-Corona-Unterricht merkt man erst, was vorher dermaßen schief lief. Es ist so produktiv in kleiner Klassenstärke mit 15 Kindern zu arbeiten. Ich habe Zeit für jeden Einzelnen und seine Anliegen und bekomme endlich mal was von jedem Kind mit. Alle kommen an die Reihe und arbeiten viel konzentrierter und zielstrebiger, weil mehr Platz und weniger Störungen vorhanden sind. Man merkt richtig, wie die Kinder aufblühen und zufriedener und ausgeglichener sind. Auch den Wegfall von Fachunterricht und Raum- und Lehrerwechseln bringt sehr viel Ruhe in den Vormittag und bietet die Möglichkeit, Sachen ohne Stress und hetzen fertigzubekommen. Können wir das bitte beibehalten.

Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor
Antwortet  Felix

Der Einzelfall steht bekanntermaßen nicht fürs ganze.

Emma+Keeboo
3 Jahre zuvor
Antwortet  Felix

@Felix
Genau DAS beobachte ich bei uns an der Schule auch. Die reduzierte Klassengröße steigert die Leistungsmenge, erhöht das Niveau, ermöglicht individuellere Zuwendung und senkt problematisches Verhalten. Schade, dass das nun bald wieder vorbei ist.

Lis
3 Jahre zuvor
Antwortet  Felix

Überall wird gemeckert, dass Kinder nach der Schule nichts mehr können, dass das Niveau sinkt und dass Schule Kinder krank macht. Dabei müsste nur an dem einen Rädchen gedreht und die Gruppengröße verringert werden. Das würde so viele Probleme lösen.

Palim
3 Jahre zuvor
Antwortet  Felix

Ein deutlicher Hinweis aufs Klassenlehrerprinzip und kleinere Klassenteiler!

dickebank
3 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

… und deshalb wird die Hauptschule als Schulform jetzt wieder stark nachgefragt und die Anmeldezahlen an den GY gehen zurück auf 15% bis 20% der GS-Abgänger?

Georg
3 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Die kleineren Gruppen gefallen mir in der Tat. Alles andere ist wieder Bildungssozialismus der Ergebnisgleichheit. Projektarbeit setzt eine Selbstständigkeit bei Schülern und Fürsorgepflicht der Eltern voraus, die deutlich negativ mit der Bildungsferne korreliert, also das Gegenteil dessen, was dadurch erreicht werden soll. Die entschlackten Lehrpläne sollen das auffangen, ruinieren aber auf lange Sicht den Standort Deutschland als innovatives Land bzw. tun es seit 20 Jahren schon.

meinealleine
3 Jahre zuvor

Ja können wir gerne beibehalten. Bin ich voll bei Ihnen und versteh jeden Lehrer und auch jedes Kind in dem Punkt.Nur bitte nicht nur alle 2 Wochen … mein Kind ist viel ausgeglichener seit dieser ersten Schulwoche nach 3 Monaten und ich auch.
Leider wird das ein Wunschtraum bleiben. Zu wenige räumliche Möglichkeiten, zu wenig Lehrer. Das lässt sich nicht so schnell ändern.

Göttler
3 Jahre zuvor

@hellus
Genau gleiches Recht für alle. Schüler sind nicht weniger Wert. Und ja kleine Klassen ist super aber meine haben auch dermaßen vom Heimunterricht profitiert, kein Stress, am Thema bleiben usw, das sie gar nicht mehr zur Schule wollen, schade das Homeschooling in Deutschland, und fast nur hier, verboten ist. Wir waren den Wochenplänen der Lehrer und Abgabeterminen immer vorraus und konnten anders üben und vertiefen.

Heinz
3 Jahre zuvor

Zitat:
„Bei einer möglichen Reduzierung der Unterrichtsstunden darf keine Fokussierung auf die Kernfächer erfolgen. Für mehr Flexibilität müssen stattdessen die Rahmenlehrpläne ausgedünnt werden. Alle Fächer ebenso wie Arbeitsgemeinschaften und Angebote im Ganztagsind wichtig für die Bildung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Der Ganztag muss eine Aufwertung erfahren. Er sollte in das freie und projektorientierte Lernen eingebunden werden. Auch neue Formen der Leistungsbewertung sollte erprobt werden. Es könnte an allen Schulen auf Noten und Notenzeugnisse bis Klasse 9 verzichtet werden und als Alternative Zertifikate für das Erreichen von Niveaustufen und verbale Zeugnisse ausgegeben werden. Diese stehen für ein pädagogisch motiviertes Leistungsverständnis.“

Diese Forderung, die ihr immer wieder stellt, liebe GEW ist übrigens nur ein Grund, warum ich mittlerweile kein Mitglied bei euch mehr bin, sondern mich nach einer Gewerkschaft umsehe, die meine Interessen mehr vertritt.
In der Coronakrise einfach die zur Kompensierung von Lerndefiziten die generelle Abschaffung von Noten zu fordern ist dermaßen bescheuert, dazu fehlen mir wirklich die Worte.