„Die Ausbildung junger Lehrer ist zurzeit praktisch ausgesetzt“ – das Referendariat wird in der Corona-Krise oftmals zur Trockenübung

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HANNOVER. Der Philologenverband Niedersachsen beklagt massive Probleme bei der Ausbildung junger Lehrkräfte im Referendariat. In einem gemeinsamen Papier mit den Jungen Philologen kritisiert der Verband, dass der schulpraktische Teil während der Corona-Krise praktisch zum Erliegen gekommen sei. Das Kultusministerium wird aufgefordert, endlich praktikable Lösungen zu entwickeln, wie sich die Lehrerausbildung kurzfristig retten lässt – der Vorschlag der Philologen: eine Verlängerung des Referendariats um drei Monate. Helmut Klaßen, Bundesvorsitzender des bak Lehrerbildung, bestätigt, dass die Schwierigkeiten nicht auf Niedersachsen beschränkt sind. In dem Verband sind bundesweit Lehrerausbilderinnen und -ausbilder organisiert.

Der schulpraktische Teil der Lehrerausbildung findet derzeit vielfach am Bildschirm statt. Foto: Shutterstock

„Die Ausbildung junger Lehrerinnen und Lehrer in Niedersachsen ist zurzeit praktisch ausgesetzt“, so schreiben die Jungen Philologen. „Den Ausbilderinnen und Ausbildern an den niedersächsischen Studienseminaren ist es bis mindestens zum 15. Juli untersagt, Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst zu besuchen und im Anschluss an den Unterricht zu beraten. Momentan finden also nur ‚Trockenübungen‘ statt, indem die Ausbildenden mit den Referendarinnen und Referendaren Konzepte erörtern, ohne diese im Unterricht realisieren zu können“, heißt es in der Erklärung.

Und weiter: „Praxisferner kann eine Lehramtsausbildung nicht sein! Das ist für den späteren Berufsalltag eine entscheidende Belastung, da durch den Wegfall der unterrichtspraktischen Bestandteile des Referendariats die elementarsten Grundlagen des Vorbereitungsdienstes fehlen und während des Berufseinstiegs auch nicht mehr nachgeholt werden können.“

Erhebliche Nachteile gegenüber früheren Lehrergenerationen

„Die durch das Corona-Virus betroffenen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst haben neben der ohnehin schon knappen Zeit im Referendariat erhebliche Nachteile gegenüber den bisher ausgebildeten Lehrergenerationen“, so der Vorsitzende der Jungen Philologen in Niedersachsen, Peter Gewald. Die Kompensation fehlender Unterrichtspraxis durch Videokonferenzen sei allenfalls eine ergänzende, aber nicht zu ersetzende Ausbildungsmaßnahme.

„Nicht nur, dass beim Einsatz von Videokonferenzen mit den entsprechenden Tools der Datenschutz und die Datensicherheit nicht gewährleistet sind, auch die digitale Infrastruktur an Schule und Seminar ist für die Nutzung solcher Werkzeuge oft noch nicht ausgelegt“, sagt Gewald, der selbst Informatiklehrer ist. In Zeiten von Homeoffice und Homeschooling würden überall die Mängel in der Digitalisierung und die Defizite in der Didaktisierung digitaler Lernwerkzeuge offen zutage treten.

Konzept für die Neuausrichtung der Lehrerausbildung muss her!

Die geforderten Kompetenzen in den Bereichen Unterrichten und Erziehen könnten so nicht erreicht werden. Und die zurzeit fehlende professionelle Begleitung der Referendare im Unterricht durch die Ausbilderinnen und Ausbilder der Studienseminare könne in der noch verbleibenden Zeit nicht wieder aufgeholt werden. Da nach den Sommerferien mit einem geregelten Unterrichtsbetrieb nicht gerechnet werden kann, werden nicht nur die bereits im Schuldienst stehenden sondern auch die dann neu eingestellten Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst davon betroffen sein. Das Kultusministerium müsse endlich ein Konzept für die Neuausrichtung der Lehrerausbildung vorlegen.

Philologen-Landeschef Horst Audritz moniert: Die vom Verband immer wieder kritisierte zeitliche Enge eines Referendariats in 18 Monaten erweise sich in der Krise als Bumerang, da Defizite und Lücken in einer verkürzten Ausbildung eben nicht mehr kompensiert werden könnten. „Ein Ausbildungsunterricht per Videokonferenz ist jedenfalls kein adäquates Mittel, um die hohe Qualität in der Lehrerausbildung sowie rechtssichere und vergleichbare Bedingungen im Referendariat sicherzustellen“, sagt Audritz.

Ein erster Schritt für die Sicherstellung einer professionellen Lehrerausbildung sei eine Verlängerung des Referendariats auf 21 Monate. Audritz betont, die  Corona-Krise habe einmal mehr vor Augen geführt, dass die enge Taktung von Ausbildungszielen mit ständig neu hinzukommenden Ausbildungsanforderungen wie Differenzierung, Digitalisierung, inklusiver Beschulung bei individuell festgestelltem Förderbedarf der Lernenden, Erwerb zusätzlicher Kompetenzen im Bereich der individuellen Diagnose von Schülerleistungen und dem damit verbundenen Fordern und Fördern in einem nur 18-monatigen Referendariat nicht durchzuhalten sei.

Persönlichkeit der angehenden Lehrer stärken

Das ist Wasser auf die Mühlen des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung, der seit Langem fordert, das Referendariat zu verlängern. „Es geht darum, eine starke kohärente Verschränkung zwischen Theorie und Praxis herzustellen. Dabei ist eine kontinuierliche personelle Begleitung und auch eine individuelle Beratung wichtig, auch um die Persönlichkeit der angehenden Lehrerinnen und Lehrer zu stärken. Das ist nicht mal eben zu machen“, sagt Bundesvorsitzender Helmut Klaßen gegenüber News4teachers. „Wir fordern deshalb 24 Monate, um eine wirklich gute, fundierte Lehrerausbildung gewährleisten zu können.“

Auch hinsichtlich der Kritik an der Lehrerausbildung in Corona-Zeiten zeigt Klaßen Verständnis. Der Verbandschef: „Der bak Lehrerbildung kann die Ausführungen nur unterstützen. Auf digitalem Wege ist einiges möglich, nicht aber eine konstruktive Beratung im Kompetenzbereich Unterrichten. Für eine bestimmte Zeit war es möglich, eine digitale Begleitung zu realisieren, auf Dauer ist dies aber eine unhaltbare Situation. Es wird dringend Zeit, diesen Umstand zu ändern. Die Bemessung von bedarfsdeckendem bzw. eigenverantwortlichem Unterricht hat dem Ausbildungsinteresse zu folgen und muss hoher Qualität von Ausbildung verpflichtet sein; dies kann nur durch Präsenz im Unterricht realisiert werden.“ Einige Bundesländer gingen vorbildlich voran – und ermöglichten bereits wieder Unterrichtshospitationen. Andere eben nicht. News4teachers

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3 Kommentare
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Pälzer
3 Jahre zuvor

Schlechte und zu kurze Ausbildung der künftigen Lehrer wird sich jahrzehntelang rächen.

Georg
3 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

So pessimistisch würde ich das nicht sehen. Der wirkliche Praxisschock beginnt erst mit der Vollzeitstelle unmittelbar nach dem Referendariat.

Vergleichen kann man das in gewissen Grenzen mit dem Führerschein. Nach bestandener Prüfung darf man zwar fahren, man kann es aber dennoch noch nicht richtig.

Maclix
3 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Würden Sie das mit Blick auf den KFZ-Mechatroniker, der ohne vorherige Anleitung eigenverantwortlich Ihre Bremsen repariert, den Installateur, der Ihren Gasanschluss als Praxis-Ersterfahrung erlebt, oder den Chirurg, der ohne gründliche Ausbildung sich an Ihrem Knie versucht, genauso sehen?
In allen Berufen ist eine gute Ausbildung grundlegend – auch im Lehrberuf.