Ist Religionsunterricht in der Corona-Krise verzichtbar – oder gerade wichtig?

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STUTTGART. Die Fächer Deutsch, Englisch und Mathe sind wichtig, keine Frage. Aber Religions- oder Ethikunterricht? Kann der in Krisenzeiten – und die haben wir gerade – wegfallen? Oder sind moralische Fragestellungen für Schüler gerade wichtig, um die aktuelle Situation zu verstehen? Religionslehrer sorgen sich um ihr Fach. Aus gutem Grund: Corona-bedingt müsse man sich auf die Kernfächer konzentrieren, heißt es beispielsweise aus dem baden-württembergischen Schulministerium.

Ist Religion – also das Fach, in dem auch die moralische Dimension der Corona-Krise besprochen werden könnte – wirklich verzichtbar? Foto: Shutterstock

«Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir», schrieb der römische Philosoph Seneca vor fast 2000 Jahren. Doch was ist wichtig im Leben? Wofür lohnt es sich zu leben? Diese Fragen werden in der Schule nur selten gestellt. Am ehesten noch im Religionsunterricht. Doch ausgerechnet der ist in der Corona-Krise, in der sich viele grundsätzliche Sinnfragen stellen, ins Hintertreffen geraten. An vielen Schulen wird das Fach derzeit – wie Sport und Musik – nicht unterrichtet. Hauptfächer und Naturwissenschaften stehen im Vordergrund. Ob sich das im nächsten Schuljahr ändern wird?

«Kinder haben in den vergangenen Monaten Erfahrungen gemacht, die besprochen und verarbeitet werden sollten», mahnt der renommierte Religionspädagoge Friedrich Schweitzer von der Universität Tübingen. Der Religionsunterricht sei daher überaus wichtig. Inhaltlich gehe in dem Fach nicht in erster Linie um die Kirche, sondern darum, dass Schüler eine Orientierung in ihrem Leben fänden.

Die baden-württembergische Landesverfassung gibt dem Fach eigentlich eine sehr starke Stellung. Die Jugend sei «in Ehrfurcht vor Gott» und «im Geiste der christlichen Nächstenliebe» zu erziehen, heißt es darin. Und Artikel 18 macht klar: «Der Religionsunterricht ist an den öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach.»

Es hängt von der Schulleitung ab, ob das Fach als wichtig gilt

Die Schuldekanin Amrei Steinfort aus Balingen macht sich trotzdem große Sorgen: Derzeit hänge es sehr vom jeweiligen Schulleiter ab, ob das Fach als wichtig angesehen werde. Das Kultusministerium müsse zum nächsten Schuljahr verbindlich dafür sorgen, dass Religion wie alle kleinen Fächer wieder in den Präsenzunterricht komme. Die beiden Fachverbände evangelischer Religionslehrer in Baden und Württemberg haben Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) einen entsprechenden Brief geschrieben.

Das Ministerium hält nach Angaben einer Sprecherin nichts davon, «einzelne Fächer gegeneinander auszuspielen, nach dem Motto „Mathe ist wichtiger als Kunst, Sport oder Religion“». Alle Fächer sollen stattdessen zusammen zu einer ganzheitlichen humanistischen Bildung beitragen. Im aktuellen Schulbetrieb müsse man sich aber coronabedingt auf die Kernfächer konzentrieren.

Existenzielle Fragen im Religionsunterricht

Der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, zeigt Verständnis dafür, dass derzeit die Prüfungsfächer im Vordergrund stehen, mahnt aber: «Der spezifische Beitrag, den der Religionsunterricht zur Bewältigung der Corona-Krise und zur Thematisierung existenzieller Fragen leisten kann, ist nicht hoch genug zu bewerten.» Religionslehrer seien immer auch unterstützend und seelsorgerlich an den Schulen präsent. «Deshalb setzte ich mich dafür ein, dass der Religionsunterricht so schnell wie möglich wieder in vollem Umfang erteilt werden kann.»

Der Landesvorsitzende des Philologenverbands, Ralf Scholl, bestätigt: «Religion ist im Moment bei den meisten Schulen auf verlorenem Posten.» Dies liege auch an organisatorischen Problemen: Zur Eindämmung der Corona-Pandemie sollen die Schüler möglichst in festen Lerngruppen bleiben. Aber für den Reli-Unterricht müssen oft aus mehreren Klassen jeweils katholische und evangelische Schüler zusammengeführt werden, während eine weitere Gruppe von Schülern den Ethikunterricht besucht. Mancherorts kommt auch noch islamischer Religionsunterricht hinzu.

Schuldekanin Steinfort schlägt zur Lösung des Problems gemischt-konfessionelle Lerngruppen vor: Die Kirchen seien in dieser besonderen Situation sehr offen dafür. Bereits an mehreren Hundert Schulen im Südwesten wird der Unterricht in katholisch-evangelischer Zusammenarbeit erteilt, wie Prof. Schweitzer berichtet. Dieses Angebot werde sehr gut angenommen. Bernward Loheide, dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

„Kosinussatz streichen! Lyrik verkürzen!“: Das nächste Schuljahr kann nur gelingen, wenn die Lehrpläne abgespeckt werden

 

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Richard
3 Jahre zuvor

Bei diesem Problem sind die meisten Schulen, insbesonders Gymnasien noch gar nicht angekommen. Das gesamte Homeschooling per Email ist eine Katastrophe. Statt Schulpflicht muss auch Unterrichtspflicht gelten. Zum Schuljahresende sollten alle Lehrer transparent (an Schulleitung und Eltern) melden, welcher Stoff laut Curriculum nicht behandelt wurde. Das würde natürlich auch Religion berücksichtigen. Und gerade Religion wäre für virtuellen Unterricht per Video gut geeignet.

Georg
3 Jahre zuvor

Es ist eher eine Grundsatzfrage, ob ein übergreifender Werte- oder Ethikunterricht statt Religion in die nicht konfessionsgebundenen Schulen soll oder nicht. So oder so soll Religion nicht mehr als Hobby sein, negativen Einfluss auf Schulbildung oder Berufsausübung darf es keinen geben.

Volker Schulze
3 Jahre zuvor

Religionsunterricht sollte grundsätzlich fakultativ sein. Denn seit meinem Religionsunterricht hat sich das damalige Gelehrte als unwahr erwiesen und es wird mehr. Aber die Kirche legt den Mantel des Schweigens darüber und warum. Es könnte ja den warmen Hintern kosten wenn…

Heinz
3 Jahre zuvor

Wichtig ist doch, dass man die ständige Diskussion, ob es wichtigere und unwichtigere Fächer gibt erst gar nicht zulässt. Auf uns Lehrer kamen, gerade noch einmal in der Coronazeit vermehrt, etliche Anfragen zu, warum jetzt gerade dieses Fach gegeben würde, wenn die Kinder doch eh nur zweimal pro Woche in die Schule kämen und es doch viel wichtigere gäbe.

Da wir aber einen allgemeinen Schulabschluss vergeben, bei dem die Kinder zum einen ihre Interessen und Fähigkeiten kennen lernen sollen und zum anderen die Grundlagen für die meisten Berufe besitzen sollen, erübrigt sich die Diskussion mit wichtiges und unwichtiges Fach.
Bei uns werden Fächer nicht unterrichtet, weil sie in getrennten Gruppen oder in der Sporthalle stattfinden müssten, was unter den Hygieneregeln beides bei uns verboten ist, alles andere wird unterrichtet.

Meine persönliche Meinung, zum Thema Religionsunterricht sieht übrigens so aus, dass ich es persönlich ein Unding finde, dass Staat und Kirche immer noch so weit getrennt sind, ich fände einen allgemeinen Ethikunterricht für alle Schüler gut, in dem auch alle Religionen objektiv behandelt werden.
Ganz sollte man auf die Vermittlung von Informationen zu Religionen nicht verzichten, da die Kinder sonst womöglich in einem Stadium, in dem sie sehr offen sind, von irgendwelchen komischen Sekten, Fanatikern und Extremisten angelockt und beeinflusst werden.

Alec
3 Jahre zuvor

Die Kirchen und Ihre Dogmen haben keinerlei Relevanz für Menschen seit der Aufklärung. Grober Unfug wie Transsubstantiation – und dann noch das Aufessen dieses Hokuspokus – hat in einer Bildungsanstalt nichts zu suchen! Das gehört als privates Hobby in die Pfarrheime und Kirchen, da können ja diejenigen Kinder hingehen, deren Eltern es wichtig finden, Menschenopfer als Kult zu glorifizieren. Bei uns hier hängt an jeder Ecke eine ausgemergelte Leiche an einem Folterinstrument aus der Bronzezeit.

Ich bin jetzt schon begeistert, wenn für meine Kinder wieder das Heidenhüten beginnt, eine Zeit, in der sie nur rumsitzen und beaufsichtigt werden, statt etwas lernen. Beispielsweise MINT in der Grundschule wie in anderen entwickelten Staaten. Aber hier in der Kirchenrepublik wird statt Algorithmen Transsubstantiation gelehrt.

Wahnsinn: Keine Digitalisierung. Kein Plan. Nichts. Aber die Religiösen sind wieder auf dem Plan.