Bildungsminister Tullner im Interview: „Digitalisierung nicht nur ein Notanker in Corona-Zeiten“

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Wochenlang ohne die Klassenkameraden, Unterricht am Küchentisch, Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrern per E-Mail oder über Videochats: Lernen war wegen Corona für Schülerinnen und Schüler zuletzt eine besondere Herausforderung. Was hat Marco Tullner, Bildungsminister Sachsen-Anhalts, in dieser Zeit gelernt?

Sachen Anhalts Bildungsminister Marco Tullner ist überzeugt, dass manche Schüler an Förderschulen besser aufgehoben sind als an allgemeinbildenden. Foto: Verbraucherzentrale Bundesverband / flickr (CC BY 2.0)
Sachsen-Anhalts Bildungsminister Tullner zieht politische und persönliche Lehren aus der Corona-Krise. Foto: Verbraucherzentrale Bundesverband / flickr (CC BY 2.0)

MAGDEBURG. In Sachsen-Anhalt beginnen am Mittwoch für rund 197.000 Schülerinnen und Schüler die Sommerferien. Damit endet ein Schuljahr, das von monatelangem Lernen zuhause, Schule im Tageswechsel und Einschränkungen durch die Corona-Pandemie geprägt war. Bildungsminister Marco Tullner (CDU) sagt im dpa-Interview, warum die Ferien dieses Jahr nicht nur zur Erholung da sind, wie die Lehrersuche läuft und wie es im neuen Schuljahr weitergeht.

Was war Ihr größter Lernmoment in diesem Schuljahr?

Marco Tullner: Corona ist natürlich das Hauptstichwort. Was ich für mich als Bilanz gezogen habe, ist, dass sich sowohl Schulen als auch Schulverwaltung schnell und flexibel auf ungeahnte Herausforderungen einstellen können. Das ist neben allen bleibenden Problemen eine sehr wohltuende Erfahrung.

Und was nehmen Sie ganz persönlich als Erfahrung mit?

Tullner: Es ist gut, schrillen Tönen standzuhalten und sich mit schwierigen Entscheidungen durchzusetzen. Es gab eine laute Kampagne von einer Minderheit, die dafür getrommelt hat, auf die Abschlussprüfungen zu verzichten. Ich bin froh, dass es uns mit der Kultusministerkonferenz gelungen ist, da beieinander zu bleiben und reguläre Abschlüsse zu ermöglichen.

Ihr Haus hat bereits angekündigt, dass es in den Ferien freiwillige Lernangebote gibt. Wie wird das praktisch ablaufen?

Tullner: Wir haben schon Erfahrungen gesammelt, als wir in den Pfingstferien zusätzliche Angebote gemacht haben. Damit sind wir weiter als andere Bundesländer. Wir mussten jetzt entscheiden, wie wir das fortführen. Ferien sollen auch zur Erholung da sein. Wir haben uns entschieden, digitale freiwillige Angebote anzubieten. Schülerinnen und Schüler können digitale Aufgaben lösen und dann auch mit ihren Lehrern Kontakt aufnehmen. Die Lehrer müssen nicht jeden Tag in der Schule sein, aber erreichbar. Zudem wird es auch die Möglichkeit geben, sich analog in der Schule mit den Lehrkräften zu besprechen.

Sachsen-Anhalt will nach den Ferien zum regulären Schulbetrieb zurückkehren. Heißt das, es wird alles wie früher?

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Tullner: Ich wünsche mir das, aber es wird auf jeden Fall kein Start wie in anderen Schuljahren werden. Wir müssen sehen, wo die Lernstandsdefizite sind, die abgebaut werden müssen. Dann müssen wir auch gucken, wie sich die Krankschreibungen bei den Lehrkräften entwickeln und natürlich insgesamt auf die Corona-Zahlen achten. Wir haben ja schon erste Erfahrungen mit Magdeburg oder Salzwedel, wo die Gesundheitsbehörden einzelne Schulen geschlossen haben. Offen ist auch, welche Hygieneauflagen die zuständigen Behörden machen. Aber Stand heute wollen wir weitgehend in den Normalbetrieb übergehen.

Was plant Sachsen-Anhalt, um den digitalen Unterricht, zu verbessern, auch für Schulschließungen wegen Corona-Fällen?

Tullner: Wir wollen zum Schuljahresbeginn mit neuen Strategien und zusätzlichen Unterstützungssystemen an den Start gehen. Dafür werten wir die Erfahrungen aus, die in den letzten Monaten an den Schulen gemacht wurden, weil wir die Erkenntnisse systematisch in den Schulbetrieb übertragen wollen. Digitalisierung soll nicht nur ein Notanker in Corona-Zeiten sein, sondern ein fester Bestandteil des Schulalltags. Es geht dabei auch um technische Gegebenheiten und eine Ausweitung der didaktischen Konzepte. Die Auswertung läuft noch. Wir wollen die Ergebnisse zum Start des Schuljahres vorstellen.

Sachsen-Anhalt hatte schon vor Corona zu wenig Lehrer, wie lief die Suche nach Personal seither?

Tullner: Die alten Probleme begleiten uns weiter. Anders als früher suchen wir Lehrer nicht mehr in Ausschreibungsrunden, sondern stellen dauerhaft Angebote im Internet ein. Darauf melden sich auch Bewerber. In diesem Schuljahr haben wir bisher mehr als 700 Neueinstellungen, von denen etwa 580 zum Beginn des neuen Schuljahrs zur Verfügung stehen.

Ihr eigenes Ziel sind tausend Neueinstellungen pro Jahr, wird sich der Lehrermangel nach jetzigem Stand also verschärfen?

Tullner: Die Zahlen allein sagen nichts, wir müssen tiefer gucken. Wir werden auch in diesem Jahr mindestens 1000 Neueinstellungen schaffen. Aber wir müssen gucken, welches Stundenvolumen wir dadurch generieren. Bei grundständig ausgebildeten Lehrkräften ist da entscheidend, wie viele Vollzeit oder Teilzeit arbeiten, wie viele durch Schwangerschaft und Elternzeit ausfallen. Seiten- und Quereinsteiger müssen sich zu Beginn noch qualifizieren und stehen damit auch noch nicht voll für Unterricht zur Verfügung. Zudem müssen wir besprechen, wie wir mit Lehrkräften umgehen, die zu Risikogruppen gehören. Bisher war es möglich, dass sie für digitalen Unterricht eingesetzt wurden. Wenn wir zum Regelbetrieb zurückkehren, müssen wir neu reflektieren, weil wir jede Kollegin und jeden Kollegen brauchen.

(Interview: Franziska Höhnl, dpa)

ZUR PERSON:
Marco Tullner ist seit dem Frühjahr 2016 Bildungsminister in Sachsen-Anhalt, ist aber schon länger Berufspolitiker. Bereits zwischen 2002 und 2011 saß er für die CDU im Magdeburger Landtag, bevor er fünf Jahre als Wirtschaftsstaatssekretär arbeitete. Der 51-Jährige lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Halle. dpa

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Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

Die Mitarbeiter beim Landesbildungsserver haben tolle Arbeit geleistet! In Sachsen-Anhalt kann man aus den Anfängen der Digitalisierung „was machen“, wenn alle Beteiligten es hinkriegen, hier anzuknüpfen und wenn die Finanzierung gesichert ist.