Ist das Corona-Rotz? Eltern sollen ihre Kinder einen Tag lang begutachten

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DÜSSELDORF. Das monatelange Betreuungsloch in der Corona-Krise hat bei vielen Eltern alle Reserven ausgeschöpft. Nordrhein-Westfalen wagt jetzt den Schritt zum Regelbetrieb in den Kitas – und zu einem lässigeren Umgang mit Kinder-Wehwehchen. Schnupfen ist künftig kein Hinderungsgrund mehr für den Kita-Besuch. Der VBE appelliert an Eltern, kranke Kinder zu Hause zu lassen.

Wenn innerhalb eines Tages kein weiteres Symptom hinzukommt, dann darf das Kind in die Kita. Foto: Shutterstock

Kita-Kinder in Nordrhein-Westfalen können ab dem 17. August zurück in den Regelbetrieb in ihre angestammten Gruppen mit den ursprünglich gebuchten Betreuungsstunden. Ab sofort gilt zudem eine alltagstauglichere Regelung für «Schnupfnasen-Kinder». Dieser nächste Lockerungsschritt in der Corona-Strategie der Landesregierung sei nun verantwortbar, sagte NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Dienstag in Düsseldorf. Die Neuregelungen gelten auch für die Betreuung bei Tageseltern.

Wenn sich die Infektionslage verschlechtere, könne es aber immer wieder zu Einschränkungen kommen, betonte der Minister. Im schlimmsten Fall sei auch die Schließung einer kompletten Kita nicht auszuschließen. Landesweite Kriterien für eine solche Entscheidung der örtlichen Gesundheitsämter gebe es nicht. «Das ist eine sehr individuelle Situation vor Ort.» Mit «Mikro-Management aus Düsseldorf» sei das nicht zu bewältigen.

Auch Kita-Kinder auf Corona testen – fordert die SPD

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) betonte: «Kitas können kranke Kinder weiterhin von Eltern abholen lassen. Schon vor Corona waren Eltern gefragt, ihre kranken Kinder nicht zur Kita zu bringen», unterstrich der VBE. «Das ist jetzt noch wichtiger, damit alle am Kitaleben Beteiligte gesund bleiben.» Dazu müssten aber die freiwilligen Corona-Tests für Erzieher auch auf Kita-Kinder ausgeweitet werden, forderte die SPD-Opposition. Zudem müsse das Angebot über die Herbstferien hinausgehen.

Zum Umgang mit Schnupfen empfiehlt das Ministerium: «Im Falle einer laufenden Nase ohne weitere Krankheitsanzeichen oder Beeinträchtigung des Wohlbefindens des Kindes sollte zunächst für 24 Stunden zu Hause beobachtet werden, ob weitere Symptome wie Husten, Fieber, etc. hinzukommen.» Wenn nicht, könne das Kind wieder betreut werden. Ein ärztliches Attest sei nicht erforderlich.

Stamp räumte ein, seine frühere «apodiktische Aussage, jeder Tropfen in der Nase muss zum Ausschluss führen», habe Anlass für «Missinterpretationen» geboten. Nachdem er letztens seinen Keller aufgeräumt und in dem Staub selbst eine viertel Stunde lang eine laufende Nase gehabt habe, habe er erkannt: «Ich kann jetzt auch nicht in die Kita, wenn ich mich an meine ursprüngliche Formulierung halte.»

Eltern hatten über Betreuungsprobleme geklagt

Deshalb würden alle Vorgaben immer wieder auf Praxistauglichkeit geprüft. Ab sofort seien Kinder mit bereits bekannten, nicht-infektiösen chronischen Erkrankungen in die Betreuung aufzunehmen. Gemeint sind etwa Asthma, Allergien, Heuschnupfen oder Neurodermitis. Kinder, die hingegen Fieber haben oder Symptome, die auf eine akute, ansteckende Krankheit hinweisen, sollen demnach weiterhin nicht betreut werden.

Zahlreiche Eltern hatten in den vergangenen Monaten wegen des in vielen Kitas äußerst restriktiv gehandhabten Ausschlusses ihrer kränkelnden Kinder und wegen des eingeschränkten Betriebs über massive Betreuungsprobleme geklagt. Zwar durften die Kitas in NRW nach monatelanger Corona-Zwangspause schon seit dem 8. Juni wieder für alle Kinder öffnen. Allerdings gelten seitdem verkürzte Betreuungszeiten. Die Höchstbetreuungszeit von 45 Stunden konnte nur noch im Ausnahmefall angeboten werden, in der Regel waren es höchstens noch bis zu 35 Wochenstunden.

«Viele Familien sind bis an die Grenze ihrer Belastbarkeit gekommen», räumte Stamp ein. Überstundenkonten seien leer und Urlaubstage aufgebraucht. «Wir wollen verhindern, dass Familien – und besonders Alleinerziehende – in Existenznot geraten.» Daher werde NRW Druck machen, dass der Bund die bezahlten Betreuungstage für berufstätige Eltern kranker Kinder ausweite.

Erziehermangel: Beim Kita-Personal kommt es zu Engpässen

Zu Engpässen kommt es auch beim Kita-Personal. Rund sieben Prozent der insgesamt etwa 138.000 Beschäftigten fallen laut Stamp derzeit wegen Vorerkrankungen als Corona-Risikogruppe aus. Vor einiger Zeit seien es noch 20 Prozent gewesen. Viele Mitarbeiter, die eigentlich zur Risikogruppe zählten, ließen sich aber ausdrücklich gesundschreiben, um arbeiten zu können.

Insgesamt seien im bevölkerungsreichsten Bundesland seit Anfang Juni insgesamt 45 Corona-Infektionen bei Kindern und 28 bei Mitarbeitern gemeldet worden. Zu Ballungen oder Infektionsketten sei es bisher in keiner der rund 10 500 Kindertageseinrichtungen gekommen.

Zu einer coronabedingten Nachlass bei den Elternbeiträgen auch für den Monat August sei das Land nach massiver Unterstützung für die Träger «nicht mehr in der Lage», sagte Stamp. Dafür stelle das Land kurzfristig weitere 105 Millionen Euro für Arbeitsschutz- und Hygienemaßnahmen zur Verfügung. 94,5 Millionen Euro davon sollen für «Kita-Helfer» zur Verfügung stehen, die das pädagogische Fachpersonal bei alltäglichen Hygienemaßnahmen entlasten – etwa der Reinigung von Spielzeug, regelmäßigem Lüften und Desinfizieren. dpa

Corona-Studie in Kitas: Infektionsrisiko für Kinder und Erzieherinnen weiterhin unklar

 

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Angelika Mauel
3 Jahre zuvor

„Viele Mitarbeiter, die eigentlich zur Risikogruppe zählten, ließen sich aber ausdrücklich gesundschreiben, um arbeiten zu können.“
Das klingt ja sehr nett. Als ob niemand je Druck auf krankgeschriebene Erzieherinnen ausgeübt hätte. – Der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) pflegt jedoch schon mal per Fernheilung spontan und ohne Arztbesuch Kassenpatienten die Arbeitsfähigkeit zu bescheinigen.