Was Eltern und Lehrer antreibt, eine Montessori-Schule zu gründen – ein Interview

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OSNABRÜCK. Maria Montessori wäre in diesen Tagen 150 Jahre alt geworden. Passend zum Jahrestag hat in Osnabrück mit Schuljahresbeginn die Freie Montessori-Grundschule eröffnet, eine auf einer Elterninitiative basierende, staatlich anerkannte Ersatzschule. Was ist das Besondere an der Montessori-Pädagogik, dass Eltern und Lehrer den in Deutschland besonders mühsamen Weg einer Privatschul-Gründung auf sich nehmen? Wir sprachen darüber mit Niels van Ommering, einem der beteiligten Pädagogen, kurz vor der Eröffnung.

Kurz vor der Eröffnung: Lernraum in der Freien Montessori-Schule Osnabrück. Foto: privat

News4teachers: Eine Schulgründung in diesen Tagen ist eine aufregende Sache, oder?

van Ommering: Eine Schulgründung ist sowieso schon aufregend. Und durch die Corona-Situation ist vieles schlecht planbar. Es gibt für alle Menschen Unsicherheiten. Für uns auch, klar. Aber bis jetzt sind uns keine großen Probleme begegnet.

News4teachers: Also läuft alles plangemäß?

van Ommering: Es gibt hier und da etwas längere Lieferzeiten. Einige Möbel müssen noch kommen. Es ist schon alles ziemlich ‚kurz vor knapp‘, aber hätte schlimmer kommen können.

News4teachers: Sieht es denn schon nach einer echten Schule aus?

Nienhuis Montessori

Maria Montessori. Foto: Nienhuis Montessori

Kennen Sie Albert Nienhuis? Der niederländische Zimmermann stellte in enger Zusammenarbeit mit Maria Montessori Lernmittel her, die ihrer pädagogischen Vision entsprachen. 1929 gründete er Nienhuis Montessori, den weltweit führenden Anbieter von Montessori-Materialien.

Seit über 85 Jahren vereint das Unternehmen Handwerkskunst mit technischer Finesse. Die Produktwelt von Nienhuis Montessori ermöglicht es Kindern heute so gut wie zu Albert Nienhuis Zeiten, ihre Welt eigenständig zu erkunden. Wir nutzen nur beste Materialien, verarbeitet mit Sorgfalt, Hingabe, dem Blick fürs Detail – und einer tiefen Verbundenheit mit der Pädagogik Maria Montessoris. Seit Jahrzehnten bereits ist Nienhuis Montessori offiziell von der Association Montessori Internationale anerkannt.

Hier bekommen Sie weitere Informationen über Nienhuis Montessori.

van Ommering: Es sieht schon nach einer echten Schule aus. Unsere Schule ist am Stadtrand von Osnabrück, mitten in einem großen Neubaugebiet. Sie ist in einem alten Offizierscasino untergebracht, auf einem Kasernengelände, in dem früher die Briten stationiert waren. Fast alles wurde abgerissen, nur dieses Gebäude steht davon noch. Und das haben wir umgebaut und renoviert. Dort, wo jetzt unser Lernraum ist, stand eine große Theke. Und alles war rot gestrichen. Das alles haben wir entfernt. Nur die goldenen Türklinken haben wir erhalten. Die Eltern und alle anderen, die an unserer Schule beteiligt sind, haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Und jetzt ist alles gestrichen und geputzt – und es sieht schon richtig schön aus.

News4teachers: Erklären Sie doch mal, was für eine Schule Sie aufbauen. Die Eltern sind sehr stark involviert. Das heißt, es ist eine von den Eltern getragene Privatschule?

Der Pädagoge Niels van Ommering. Foto: privat

van Ommering: Ja, genau, es ist eine Elterninitiative. Es gab bislang hier in Osnabrück keine reformpädagogisch arbeitende Schule. Es gab aber Eltern, die gesagt haben, wir möchten für unser Kind eine andere Schule als eine Regelschule. Und dann haben sie sich auf die Suche nach einem pädagogischen Konzept begeben – und sind dann bei Montessori gelandet. Das entsprach ihren Vorstellungen am meisten. Es war es ihnen allerdings auch wichtig, dass wir eine freie Montessori-Schule sind. Bei Montessori gibt es verschiedene Richtungen. Wir haben, anders als Schulen, die klassisch nach Montessori arbeiten, eher eine etwas freiere Auffassung von ihren Theorien. Wir machen schon eine Montessori-Schule, wir sind auch mit Montessori-Material ausgestattet, wir arbeiten aber auch noch mit anderen Materialien. Und es fließen auch andere reformpädagogische Ansätze – zum Beispiel der von Rebeca Wild – mit ein.

News4teachers: Also nicht dogmatisch.

van Ommering: Genau, ja. Vielleicht nenne ich mal ein Beispiel. Es gibt das klassische Montessori-Material. Das hat Maria Montessori entwickelt und das ist sehr schön. In der Ausbildung zum Montessori-Lehrer bekommt man eine ganz genau beschriebene Anleitung, was man als Pädagoge oder Lernbegleiter mit diesem Material zu tun hat. Die Schritte soll man genau befolgen und dann erst darf das Kind etwas damit machen. Es gibt klar beschriebene Abläufe. Wir möchten das freier gestalten – so, dass Kinder auch mal ohne weitere Erklärung mit dem Material explorieren, experimentieren und selbst entdecken dürfen.

News4teachers: Ist es eine Grundschule, die Sie aufbauen? Wie viele Kinder gehen an den Start?

van Ommering: Wir starten als Grundschule mit 16 Kindern, darunter 12 Erstklässler und vier Zweitklässler. Unsere Vision ist, an dem Standort ein komplettes Montessori-Bildungshaus aufzubauen – mit einem Kinderhaus und einer weiterführenden Schule. Wir fangen mit der Grundschule an und möchten dann in drei bis vier Jahren, dass unsere Schülerinnen und Schüler in der weiterführenden Schule weitermachen können. Unser Projekt ist also groß. Die Grundschule ist der erste Meilenstein, den wir jetzt erreicht haben. Die wird in vier Jahren ihre maximale Größe von zwei Lerngruppen mit jeweils 26 Kindern erreichen. Das geben die Räumlichkeiten her.

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News4teachers: Eine Privatschule zu gründen, ist in Deutschland nicht ganz so leicht. Gab es Schwierigkeiten?

van Ommering: In Niedersachsen bekommen wir erst ab dem vierten Betriebsjahr Zuschüsse vom Land. Man muss erst mal die ersten drei Jahre frei finanzieren, also die Gehälter, die Miete und das Material bezahlen. Zunächst war es nicht so leicht, ein Gebäude zu finden. Als wir das hatten, mussten wir in die Abstimmung gehen mit dem Bauamt und mit der Landesschulbehörde. Das ist schon ein Riesenaufwand. Zumal die Landesschulbehörde eine Schule erst dann genehmigt, wenn es auch genügend Eltern gibt, die diese Schule wollen. Also braucht man ausreichend Anmeldungen. Aber Eltern melden ihr Kind natürlich nicht so gerne an einer Schule an, die es noch nicht gibt. Wir haben die Genehmigung deshalb auch erst offiziell vor drei Wochen bekommen.

News4teachers: Mit vielen Lehrern geht die Schule an den Start?

van Ommering: Mit drei. Also eine Schulleiterin, die auch eine Lernbegleiterin ist und dann ich als Lernbegleiter und eine pädagogische Mitarbeiterin. Dass wir die Schule jetzt eröffnen, ist eine positive, sehr besondere Geschichte.

News4teachers: Was ist das Besondere an Montessori, dass sich so viel Engagement für Sie als Lehrer lohnt?

van Ommering: Ich sehe das auch als eine Art gesellschaftliche Aufgabe. Die Haltung, die hinter der Montessori-Pädagogik steckt, ist eine gute und wichtige Grundhaltung, die zu wenig vertreten ist. Unsere Gesellschaft ist auf Konkurrenz ausgerichtet, aufs Vergleichen und Normieren. Wir möchten andere Akzente dagegensetzen. Die Schulzeit ist für Kinder in ihrer Entwicklung enorm wichtig. Oft heißt es: Mit der Schule fängt der Ernst des Lebens an. Ab dem Zeitpunkt bestimmen die Erwachsenen, was die Kinder zu welchem Zeitpunkt zu lernen haben. Wir möchten hingegen, dass die natürliche Neugier der Kinder, die angeboren ist, bestehen bleibt, dass Kinder den Raum bekommen, selbst zu entdecken und sich auszuprobieren und noch mal zu probieren. Diese Unbefangenheit und Freude beim Lernen zu erhalten, das ist eine der wichtigsten Aufgaben für mich Lernbegleiter.

News4teachers: Sie selbst nennen sich Lernbegleiter – und nicht Lehrer. Auch das ist eine deutliche Akzentverschiebung…

van Ommering: Ja. Das Lernen fängt nicht bei uns an, weil wir Lehrer sind. Lernen ist bei Kindern ein ständiger Prozess und da brauchen sie manchmal Begleitung und manchmal wollen sie auch ganz gerne in Ruhe gelassen werden. Sie brauchen Begleiter an ihrer Seite, die, wenn sie die Hilfe brauchen, auch da sind, aber die vor allem einen sicheren Rahmen schaffen, in dem sie gesehen und wertgeschätzt werden. Dazu kommt: Ich selbst werde auch ganz viel lernen. Mit der Schulgründung habe ich unglaublich viel für mich gelernt. Wir verstehen uns auch als Lernende, weil wir von den Kindern lernen, was sie eigentlich brauchen. Das ist ein Perspektivwechsel. Das kann man schon so sagen.

News4teachers: Jetzt wenden Kritiker ein, für eine bestimmte Schicht von lernwilligen Kindern mag das funktionieren, aber gerade Leistungsschwächere schaffen es nicht, sich selbstständig zu motivieren und zu organisieren – und fallen dann hinten runter. Was entgegnen Sie dem?

van Ommering: Schon diese Einteilung in leistungsstark und leistungsschwach ist uns fremd. Jeder Schüler und jede Schülerin arbeitet und lernt und lebt nach seinen oder ihren Möglichkeiten. Bei uns gibt es die Norm nicht, bei der manche Kinder drüber sind und andere drunter – und einige fallen sogar herunter. Nein, jedes Kind entwickelt sich in seinem Tempo. Wir erarbeiten mit jedem Kind den nächsten Entwicklungsschritt, was braucht dieses Kind als nächstes zum Lernen? Das ist ein sehr individueller Ansatz.

Der ist auch möglich, weil wir uns anders strukturieren – nicht frontal. Bei uns gibt es kein Vorne und kein Hinten in der Klasse, sondern die Kinder sind verteilt über den Raum, auf dem Boden, am Tisch. Und wir sind drumherum oder auch manchmal nicht und sind mal in der individuellen Begleitung, mal in Kleingruppen. In einer frontalen Situation wäre ich als Lehrer auch komplett überfordert, wenn ich jedes einzelne Kind individuell irgendwie begleiten müsste.

Ich stelle fest, dass Lehrer an Regelschulen oft in ihrem System feststecken. Sie sagen: Das geht ja bei uns gar nicht. Und das stimmt auch, weil man es anders organisieren muss. Das entsprechend zu tun, das ist unsere Vision. Wir wollen nicht mit Regelschulen konkurrieren, sondern wir wollen inspirieren. Wir möchten eine offene Schule sein, in die Menschen kommen, in der sie hospitieren und sich das mal angucken und sich mit uns austauschen können. Wir möchten einfach eine Möglichkeit darstellen und zeigen, dass es auch anders geht. Schwierigkeiten werden wir aber natürlich auch haben. Andrej Priboschek führte das Interview / Agentur für Bildungsjournalismus

Der  Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

 

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