Videostudie: Was am deutschen Mathematik-Unterricht besonders gut ist

8

FRANKFURT/MAIN. Für eine internationale Studie haben Forscher Unterrichtsstunden in acht Ländern verglichen und per Video dokumentiert.

Der Umterricht wurde aufgezeichnet. Foto: Shutterstock

Lernprozesse sind besonders erfolgreich, wenn Lehrkräfte das Vorwissen ihrer Schüler berücksichtigen und Lerninhalte systematisch verknüpfen. Das zeigt eine internationale Studie, für die unter anderem Teile einer Unterrichtseinheit zu quadratischen Gleichungen per Video aufgezeichnet und ausgewertet wurden. Die TALIS-Videostudie Deutschland schließt an die internationale „OECD Global Teaching InSights / TALIS Video Study“ an, die in acht Ländern auf drei Kontinenten durchgeführt wurde.

Ziel der Studie war es, ein ganzheitliches Bild des Mathematikunterrichts zu gewinnen und Unterrichtsmerkmale mit dem Lernerfolg der Schüler in Verbindung zu setzen. Neben der Beobachtung von Unterrichtsstunden führte das Forschungsteam insbesondere Leistungstests mit Schülern durch und befragte Schüler und Lehrkräfte direkt. In Deutschland haben 50 Schulklassen teilgenommen, überwiegend aus westdeutschen Gymnasien.

„Ein solcher direkter Einblick in die Unterrichtssituation ist für die Bildungswissenschaft sehr ergiebig“, unterstreicht Prof. Dr. Eckhard Klieme vom DIPF Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, das den deutschen Teil der Studie umgesetzt hat. „Einen Königsweg, wie Lehrkräfte ihren Schülern ein neues Thema wie die quadratischen Gleichungen nahebringen können, gibt es nicht. Weil so viel vom Vorwissen abhängt, ist es auf jeden Fall wichtig, die fachlichen Kompetenzen systematisch aufzubauen und den erreichten Stand genau zu kennen.“

Für Deutschland ergab die Studie insbesondere, dass Lehrkräfte ihre Schüler noch besser kognitiv aktivieren, also zur Auseinandersetzung mit den Lehrinhalten anregen könnten. Das betreffe zum Beispiel die fachliche Tiefe und die Präsentation alternativer Lösungswege. Ausbaufähig sei es daneben im deutschen Kontext, die Inhalte mit anderen mathematischen Themen zu verknüpfen. Verbessern könnten sich die deutschen Lehrer schließlich darin, den Schülern passende Rückmeldungen zu geben, um mit dem Feedback deren Lernschritte zu unterstützen.

Gut abgeschnitten hatten die deutschen Lehrkräfte besonders bei der Klassenführung, also der Fähigkeit, den Unterricht zu steuern und die Aufmerksamkeit zu sichern. Dies war besonders erfolgreich, wenn die Lehrkraft selbst angab, Freude an der Arbeit mit der jeweiligen Klasse zu haben. Positiv bewerteten die Autoren überdies die Unterrichtsatmosphäre in den deutschen Gymnasien, diese sei sehr respektvoll gewesen.

Eine außerordentliche Besonderheit zeigte die deutsche Stichprobe im internationalen Vergleich: Je anspruchsvoller der Lernstoff im Laufe des Unterrichts wurde, umso geringer war das Interesse der Schüler. „Dieses überraschende Ergebnis weist darauf hin, dass wir uns in Deutschland schwerertun als andere Länder, kognitive Förderung und Motivierung zusammenzubringen“, vermutet Klieme.

Es sei nun allerdings keine Lösung, pädagogische Konzepte aus anderen Ländern einfach zu kopieren. International gäbe es große Unterschiede zwischen den Lernkulturen, den Fachdidaktiken, den verwendeten Hilfsmitteln und somit dem kompletten Wirkungsgefüge des Unterrichts, befindet etwa Juliane Grünkorn, Teamleiterin im Rahmen der Studie. „Aus internationalen Vergleichsstudien wie PISA werden oft vorschnelle Schlussfolgerungen gezogen, welche politischen und pädagogischen Maßnahmen umzusetzen seien, um die Leistungen der Schüler zu verbessern“, so Grünkorn. Dabei ließen sich Unterrichtsqualität und Lernergebnisse nur bedingt über Lehrpläne und Standards kontrollieren. Grünkorn: „Wer den Unterricht verbessern und weiter entwickeln will, muss bei den pädagogischen Prozessen und der Didaktik ansetzen.“ (zab, pm)

• TALIS-Videostudie

Internationaler Vergleich: Deutsche Lehrer beim Distanzlehren eher konservativ

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

8 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Gümnasiallehrer a.D.
3 Jahre zuvor

„Lernprozesse sind besonders erfolgreich, wenn Lehrkräfte das Vorwissen ihrer Schüler berücksichtigen und Lerninhalte systematisch verknüpfen.“

Das es für diese Erkenntnis im Jahr 2020 noch eine Studie braucht ist schon hart grenzwertig. Da mussten wohl ein paar Erziehungswissenschaftler mal wieder Geld verbrennen.

lehrer002
3 Jahre zuvor

„Gut abgeschnitten hatten die deutschen Lehrkräfte besonders bei der Klassenführung, also der Fähigkeit, den Unterricht zu steuern und die Aufmerksamkeit zu sichern. Dies war besonders erfolgreich, wenn die Lehrkraft selbst angab, Freude an der Arbeit mit der jeweiligen Klasse zu haben. Positiv bewerteten die Autoren überdies die Unterrichtsatmosphäre in den deutschen Gymnasien, diese sei sehr respektvoll gewesen.“

Welche Neuigkeit!!! Da brauchte man natürlich eine wissenschaftliche Studie für, um zu erkennen, dass
– Lehrer, die den Beruf aus Überzeugung machen, besser sind.
– die zahlreichen Seminare zu Classroom Management an den Unis und den StS fruchten.
– die Gymnasien tendenziell die unproblematischste und respektvollste Schülerschaft haben.

Man könnte jetzt natürlich noch Geld für eine weitere Studie verschleudern, um festzustellen, dass
– Lehrer, die den Beruf halbherzig ausüben, weniger gut sind.
– keine Kenntnisse über CM zu schlechtem CM führen.
– die Grundschulen, vor allem aber Haupt- und Gesamtschulen tendenziell eine durchwachsenere Schülerschaft haben.

Muss man aber nicht, weil es nicht nötig ist, solche Binsenweisheiten zu erforschen. Stattdessen könnte man massiv in die Lehre inverstieren und Professorenstellen und Stellen der wiss. Mitarbeiter in der Grundschulpädagogik (ggf. auch bei der Pädagogik der anderen Schulformen, sollte es dort vereinzelt ähnliche Probleme geben) aufstocken, die Kapazität des Fachbereiches damit erhöhen den NC für das Grundschullehramt abschaffen, um endlich auch mal genug ausgebildete Lehrer für andere Schulformen als das Gymnasium zu haben.

teachinginberlin
3 Jahre zuvor

Mathematik ist mehr, als: wofür brauch ich das.

Zunächst ist die Frage zu stellen, warum Mathematik betreiben. Nun, ich nutze gern ein Beispiel aus dem Sport: Warum machen Menschen Sport? Es gibt mehrere Gründe: Ich trainiere mein Körper, weil dies meiner Gesundheit gut tut. Mathematisch also: Ich trainiere mein Gehirn, weil ich so fitter werde und bleibe.
Ich trainiere, weil es Glückshormone freisetzen kann. Doch bis dahin erzeigt Sport (bei mir) viel Hass. Mathematik: Ein Problem zu lösen erzeugt Erfolgs- und Glücksgefühle, auch Dinge zu verstehen, doch bis dahin kann es auch sehr frustrierend sein. Sportlich sein hilft mir in Alltagssituation flexibel zu sein. Mathematik: ermöglicht spontan und schnell durch logische Schlüsse Probleme zu lösen.

Mathematik ist mehr als seine Inhalte. Ich behaupte wer gut in Mathematik ist, ist auch meist besser in deutscher (und französicher, lateinischer etc.) Grammatik, politsche, historische und sozialwissenschaftliche Analysen und Interpretationen und Argumentationen. Wer abstrakt Denken lernt, kann auch Probleme in anderen Bereichen besser lösen. Das Modellieren ist eine Kernkompetenz, welche ständig im Leben benötigt wird. Ich behaupte: Je mathematisch gebildeter ein Mensch ist, umso erfolgreicher kann er in seiner beruflichen Situation sein. Das fängt bei Kleinigkeiten an, wie beispielsweise den richtigen Handyvertrag finden und geht weiter hinzu eine sinnvolle Kreditfinanzierung.

Quadratische Gleichungen sind erstmal nur ein Inhalt, an dem solche Dinge trainiert werden können. Im Leben selbst benötigen viele (insbesondere Sie scheinbar) das nicht unbedingt, doch lassen sich viele Kompetenzen damit trainieren. Zudem können sinnvoll verknüpft die quadratischen Gleichungen einen Grundstein für Exponentialfunktionen bilden, aber auch noch viel mehr in die höhere Mathematik (Differenzieren) und Extremalprobleme. Immer wieder ist die Grundidee die Rückführung auf eine quadratische Gleichung, die lösbar ist. (Gerade bei Polynomfunktionen).

Sie werden staunen wo dieses Wissen indirekt immer wieder drin ist und auftaucht.
exponentielles Denken haben Sie glaube ich in den letzten Monaten zu genüge Beispiele bekommen (und auch merkt man, wie wenig Menschen exponentiel Denken können)

Das Problem des Mathematikunterrichts ist m.E., das er häufig zu Rezepthaft stattfindet. Die Basisfähigkeiten sind defizitär und es benötigt eine große Anstrengungsbereitschaft, diese zu überwinden und am „Ball“ zu bleiben. Zudem ist es (wie Ihre Aussage belegt) gesellschaftlich akzeptiert, ein „Looser“ in Mathe zu sein, insbesonder weil es gerade in Mathematik Attributionsmuster transportiert wurden, die vor allem auf die Fähigkeit assoziieren (was falsch ist).
Gerade an den Gesamtschulen/IGS/ISS ist das Problem mit der extrem hohen Heterogenität bei innerer Differnzierung ein sehr großes Problem. Und doch kann ein guter Mathematikunterricht Problemorientiert und Differnezierend sehr viel erreichen, dass der Sinn des Faches erkannt wird (Manipulation mit Statistiken, Proportionales und Antiproportionales Denken, Exponentielles Denken, Prozentrechnung (insbesondere Verminderter und Erweiterter Grundwert), Funktionales Denken, Geometrie (Haus, Aufzug-Kühlschrank, Schrank aufstellen (2,38 Meter aufstellbar in einer Wohnung mit 2,45m Deckenhöhe??), Wahrscheinlihckeiten (LOTTO sei hier mal genannt…).

Ich könnte genauso die Frage stellen: Wofür soll ich Gedichte interpretieren und Kurzgeschichten analysieren können, Bilder malen können, im Hochsprung 1,3 Meter springen können (Wie oft Springe ich über Mauern bitte?), den Unterschied zwischen einem cis und fis kennen, das politische System der Vereinigten Staaten kennen, wissen, wie die Römer lebten (sehr nützliches wissen?), Religionen verstehen, Wissen woraus Salz besteht (Wie oft benutzen Sie dieses Wissen aktiv?), etc.

Sie sehen: Schule leistet mehr, als nur lebensnahes Wissen. Ich würde behaupten, ein hohes Sprachniveau in der Sprache, die unterrichtet wird und mathematische Kompetenzen bilden hierbei den absoluten Grundstein für alles. Immerhin soll Schule uns dazu befähigen Probleme und Hindernisse der Zukunft lösen zu können, insbesonder solche, die es heute noch nicht gibt.

Georg
3 Jahre zuvor

„Je anspruchsvoller der Lernstoff im Laufe des Unterrichts wurde, umso geringer war das Interesse der Schüler.“

Ich finde das im Gegensatz zu den Autoren überhaupt nicht überraschend. Denkleistungen sind anstrengend, Durchhaltevermögen, Ehrgeiz, Frustrationstoleranz, Geduld sind kaum noch vorhanden und im Hinblick auf den Schulabschluss auch kaum noch notwendig. Notfalls wird alles per individueller Förderung oder Nachhilfe vorgekaut.

GriasDi
3 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Das ist ja auch ein Befund der Pisa-Studie. In deinem anderen Land war die Motivation beim Bearbeiten der Pisa-Tests so gering wie in Deutschland.

Besorgter Bürger
3 Jahre zuvor

Seit der Studie, dke ergeben hat, dass es beim Unterricht nicht auf die Klassengröße ankommt, traue ich nur noch den Studien, die ich selber gefälscht habe.
😉

GriasDi
3 Jahre zuvor

Zitat:
„Das betreffe zum Beispiel die fachliche Tiefe und die Präsentation alternativer Lösungswege.“
Wie soll fachliche Tiefe erreicht werden, wenn laut Lehrplänen alles nur mal angesprochen werden soll? Wenn laut Lehrplänen fachliche Tiefe gar nicht mehr so gewünscht ist?

GriasDi
3 Jahre zuvor

Zitat:
„Schulmathematik geht am Leben vorbei, deshalb verstehen immer weniger Schüler noch Mathe.“
Kommt drauf an, wie man es betrachtet. Würden sich Schüler für die Technik ihres Smartphones interessieren, würde sehr viel Mathematik (Informatik, Physik) drinstecken. Aber die Schüler interessiert es eben nicht.