Befragung: Mütter tragen Hauptlast der Pandemie

3

DÜSSELDORF. Macht die COVID-19-Pandemie Fortschritte bei der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen zunichte? Eine Frage, die noch zu Beginn des ersten Lockdowns heiß diskutiert wurde und angesichts der dramatischen Entwicklungen etwas in den Hintergrund gerückt ist. Im Hinblick auf ihre Erwerbsarbeitszeiten sind aber offenbar Frauen weit stärker betroffen als Männer, zeigt eine Erhebung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die Geschlechterschere bei der Erwerbsarbeitszeit hat sich in der Coronakrise weiter geöffnet. Das zeigen neue Daten aus der Erwerbspersonenbefragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vom November 2020. Arbeiteten Frauen vor Ausbruch der Pandemie im Durchschnitt fünf Stunden pro Woche weniger als Männer in einem bezahlten Job, betrug die Differenz bei den tatsächlichen Arbeitszeiten im Herbst 2020 sechs Stunden. Damit war sie kaum kleiner als während des ersten Lockdowns im Frühjahr.

Die Betreuung von Kindern während der Schulschließungen lastet besonders auf den Schultern der Mütter. Foto: Feelgoodjunkie / Pixabay (P. L.)

Bei Erwerbstätigen mit betreuungsbedürftigen Kindern lag die Differenz zwischen Männern und Frauen im Herbst bei elf Stunden pro Woche. Vor der Krise waren es noch zehn gewesen und im ersten Lockdown im Frühjahr war die Differenz auf 12 Stunden gestiegen. Für die Erwerbspersonenbefragung wurden im November mehr als 6100 Erwerbstätige und Arbeitsuchende online befragt. Dieselben Personen hatten bereits im April und im Juni Auskunft gegeben.

Vor Ausbruch der Pandemie arbeiteten die befragten Männer im Durchschnitt rund 40 Stunden pro Woche im bezahlten Job, die Frauen rund 35. Während des ersten Lockdowns im April erreichte die durchschnittliche tatsächliche Arbeitszeit bei beiden Geschlechtern mit 34 Wochenstunden bei den Männern und 28 bei den Frauen den Tiefpunkt. Seitdem sei die Arbeitszeit sowohl bei Männern als auch bei Frauen wieder deutlich gestiegen, doch auch im November (als nach der tatsächlichen Arbeitszeit von Oktober gefragt wurde) hinkten die weiblichen Erwerbstätigen bei der Normalisierung weiterhin etwas hinterher: Bei Frauen betrug die durchschnittliche Arbeitszeit rund 32 Stunden in der Woche, bei Männern 38.

Deutlich größer noch waren die Abstände bei der Betrachtung von Erwerbstätigen mit betreuungsbedürftigen Kindern: Vor der Krise arbeiteten hier die Männer im Schnitt 41 Stunden pro Woche, die Frauen wegen weitverbreiteter Teilzeit durchschnittlich 31 Stunden. Im April waren die tatsächlichen Erwerbsarbeitszeiten auf 36 bzw. 24 Stunden pro Woche gesunken und die geschlechtsspezifische Differenz damit parallel von zehn auf 12 Stunden angewachsen. Im Oktober waren die Männer 39 Stunden wöchentlich mit Erwerbsarbeit beschäftigt, die Frauen 28 Stunden, die Differenz betrug somit noch 11 Stunden.

„Der zusätzliche durchschnittliche Rückstand der Frauen von einer Stunde in den vergleichsweise ruhigen Herbstmonaten ist erheblich“, stellt Bettina Kohlrausch fest, Professorin an der Universität Paderborn und wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Eine Ursache für den während der Krise gewachsenen Abstand vermutet die Wissenschaftlerin darin, dass vor allem Frauen zusätzliche Sorgearbeit übernommen haben, etwa in Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen, und dafür im Beruf kürzertreten mussten.

Dass sich die zusätzliche Lücke im Herbst nicht wieder geschlossen habe, könnte Kohlrausch zufolge auch damit zusammenhängen, dass im November erstaunlich wenige Erwerbstätige vorwiegend im Homeoffice gearbeitet hätten: Zu Beginn des „Lockdowns Light“ Anfang des Monats seien es 14 Prozent gewesen. Während der ersten großen Corona-Welle im April waren es hingegen etwa 27 Prozent. Außerdem spiegele sich in den Zahlen, dass trotz generell geöffneter Schulen und Kitas wegen lokaler Corona-Ausbrüche individuell immer wieder Betreuungsbedarf entstanden sei.

Von Kurzarbeit waren Frauen und Männer im November in fast identischem Umfang betroffen: Unter den befragten männlichen Erwerbstätigen arbeiteten sieben Prozent kurz, bei den weiblichen acht Prozent. Spürbare Unterschiede habe es hingegen bei den finanziellen Folgen der Kurzarbeit gegeben. Denn zum einen verzeichneten erwerbstätige Frauen im Schnitt niedrigere Einkommen. Zum anderen erhielten die befragten Frauen seltener eine Aufstockung des Kurzarbeitsgeldes über das gesetzlich vorgesehene Niveau hinaus: Während davon im November 46 Prozent der kurzarbeitenden Männer profitierten, waren es unter den Kurzarbeiterinnen lediglich 36 Prozent.

Nach wie vor übernähmen Frauen deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer. Im November gaben demnach 66 Prozent der befragten erwerbstätigen Frauen mit Kindern, die in einer Partnerschaft lebten, an, den größeren Teil der Kinderbetreuung zu übernehmen. Sieben Prozent sahen den Hauptpart bei ihrem Partner, 27 Prozent sprachen von einer Gleichverteilung der Sorgearbeit. Die befragten Männer sahen das mit Abweichungen ähnlich. „Damit“, stellt Bettina Kohlrausch fest, „war die Ungleichverteilung bei der Kinderbetreuung wieder fast so groß wie vor Ausbruch der Pandemie“.

Durch den aktuell verschärften Lockdown Zwei dürfte der Rückstand der Frauen bei der bezahlten Arbeitszeit noch einmal wachsen, vermutet die Wissenschaftlerin. Durch die verlängerten Weihnachtsferien von Schulen und Kitas sei erneut erheblicher zusätzlicher Betreuungsbedarf entstanden. Hinzu komme, dass mit dem Einzelhandel eine Branche mit vielen weiblichen Beschäftigten stark von Schließungen betroffen ist. Daher könnten außerdem jetzt mehr Frauen als Männern die Kurzarbeit drohen. Diese sichere zwar zahlreiche Jobs, bringe Frauen aber oft noch empfindlichere finanzielle Einbußen als Männern.

Generell bringe die Corona-Krise für Familien große Herausforderungen. „65 Prozent der Befragten mit betreuungsbedürftigen Kindern im Haushalt empfinden ihre familiäre Situation als belastend,“ fasst Kohlrausch zusammen. Bei den Alleinerziehenden hätten dies sogar 71 Prozent gesagt. Unter den Befragten ohne Kinder seien es dagegen nur 48 Prozent gewesen. Zwar erleichtere die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gerade in der Pandemie. „Aber beides im Alltag zu verbinden, ist oft anstrengend. Zudem zeigt die neue Befragungswelle, dass im November zunächst überraschend wenige Erwerbstätige überwiegend im Homeoffice waren – trotz vorangegangener Regierungs-Appelle an die Arbeitgeber“, sagt die Wissenschaftlerin. Dennoch befürchtet Kohlrausch, könnte ein Teil der Frauen, die ihre Arbeitszeit im Lockdown deutlich reduzieren mussten, Schwierigkeiten haben, zu ihrer alten Arbeitszeit zurückkehren zu können. „Es besteht die Gefahr, dass manche Arbeitgeber sagen: Einmal reduziert, immer reduziert.“, so die WISI-Direktorin. (zab, pm)

Gastkommentar: Homeschooling oder Präsenzpflicht? Pragmatische Gegenvorschläge

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Koogle
3 Jahre zuvor

In vielen Familien haben Frauen auch heute noch eher einen Job mit weniger Arbeitsstunden.
Daher hatten sie auch vor der Pandemie mehr Anteil an Hausaufgabenbetreuung. Jetzt wo Distanzunterricht und Wechselunterricht auch an Grundschulen da ist, bleibt evtl. auch mehr an den Müttern mit reduzierter Arbeitszeit hängen.

Bei Familien wo beide Eltern voll arbeiten, teilen sich natürlich auch beide die Betreuung der Kinder.

Offensichtlich wird jedoch die Argumentation, dass Distanzunterricht und Wechselunterricht abzulehnen sind, um feministische Errungenschaften aufrecht zu erhalten.

Das ist in einer Pandemie eine tödliche Haltung.
Schutz der Gesundheit muss zur Zeit Priorität haben.

Wichtig ist es, Eltern in dieser Situation zu unterstützen und nicht den Unterricht für eine ganze Woche bei den Eltern abzukippen in der Meinung Grundschulkinder organisieren sich selbst und lernen von alleine.
Distanzunterricht in der Grundschule ist eher eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung als wirklich Schule.
Machen wir gemeinsam Eltern, Lehrer und Kinder, das Beste daraus.

Georg
3 Jahre zuvor

Seit 50 Jahren versuchen SPD und Grüne ein Jahrtausende altes Konzept abzubauen. 2020 stand das neue Modell vor seiner ersten Belastungsprobe und versagte kläglich, weil die Paare wieder in die klassischen Verhaltensmuster zurückfielen. Man könnte glatt von einer genetischen Programmierung sprechen. Sehr eigenartig …

Mimi
3 Jahre zuvor

Die Betreuung der eigenen Kinder oder anderer Familienmitglieder als „Last“ zu sehen finde ich merkwürdig. Mit einem Wechsel der Perspektive kann das auch anders aussehen.

Ich selbst habe mich an mehreren Stellen bewusst dafür entschieden, diese „Last“ zu tragen.

(Psst! Ich traue mich kaum es laut auszusprechen!
Da droht schnell die Einordnung in die „Hausmütterchen ohne Karriere“ – Schublade!)

In der Zeit vor der Familiengründung hatte ich schon die Idee, dass ich, sollte ich mal Kinder haben, diese nicht schnellstmöglich fremdbetreuen lassen möchte.
Ich mag Kinder. Mit ihnen zu arbeiten ist toll und erfüllend. Die eigenen Kinder zu begleiten ist noch schöner!

Ich fand das allgemein übliche Vorgehen, möglichst früh das eigene Kind fremden Menschen zu überlassen, damit ich, trotz Trennungsschmerz auf beiden Seiten, die Kinder anderer Menschen betreuen kann, absurd.

Nach meiner langen Familenpause kamen, vor allem von kinderlosen Kolleginnen, verständnislose Nachfragen.

Auch jetzt bin ich nicht im Dienst, um Zeit für die Pflege meiner alten Mutter zu haben.
Auch das verstehen viele nicht.

Ich sehe eine ähnliche reflexartige Abwehrhaltung, was den Verzicht auf Präsenzunterricht angeht.

Das darf nicht sein, das kann nicht funktionieren, die Bildung der Kinder ist in Gefahr, alle werden blöd und fett, …

Hier haben schon verschiedene Personen sinngemäß kommentiert, dass weniger schlaue Schüler durch Präsenzunterricht nicht schlauer werden und pfiffige Schüler durch Distanzunterricht auch selten verblöden.

Also: Einfach mal durchatmen und überlegen, ob das zu erreichende Ziel den zu zahlenden Preis wirklich wert ist!

Viele unterwerfen sich zweifelhaften gesellschaftlichen Zwängen und stressen unnötig durchs Leben. Wozu?

Natürlich gibt die finanzielle Situation das nicht immer her, aber bei uns hat es gereicht, dass zeitweise nur einer das Geld verdient.

Ich war und bin sehr glücklich, dass wir uns den Luxus dieser „Last“ erlauben können!