Immer mehr Notbetreuung: „Der Infektionsschutz wird hierdurch konterkariert“

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STUTTGART. Mancherorts könnte man beim Blick in Kitas und Grundschulen meinen, die Corona-Pandemie sei vorbei. Denn dank Notbetreuung kommen viele Kinder – trotz Lockdowns. Das Kultusministerium verteidigt seinen Kurs, doch bei Lehrerinnen und Erziehern brodelt es.

Corona-Schutz? Gibt es in Kitas praktisch nicht (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Angesichts weiter steigender Zahlen von Kindern in Notbetreuung schlagen Baden-Württembergs Lehrer- und Erzieherverbände Alarm. In sehr vielen Kitas und Grundschulen gebe es eine Auslastung von 60 bis 70 Prozent, erklärte ein Sprecher des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). «Dies ist dann in der Tat eine Öffnung durch die Hintertür. Der Infektionsschutz wird hierdurch konterkariert.» Die Gewerkschaft Verdi bemängelte, dass Kitas durch die unverbindlichen Regelungen faktisch die ganze Zeit offen seien – mit Teams in voller Besetzung. Das Kultusministerium will jedoch an den Zugangsbedingungen nichts ändern – und nennt weit niedrigere Zahlen.

Der VBE fodert „klare Kante“ bei der Notbetreuung: Nur Eltern mit systemrelevanten Berufen dürfen sie nutzen!

Bund und Länder hatten sich am Dienstag darauf verständigt, den Lockdown zur Eindämmung der Corona-Pandemie bis zum 14. Februar zu verlängern. Baden-Württembergs Landesregierung plant jedoch eine schrittweise Öffnung von Kitas und Grundschulen ab dem 1. Februar, sofern die Infektionszahlen das zulassen. Für Kita-Kinder und Schüler der Klassen 1 bis 7 soll es aber schon vorher wie bislang die Möglichkeit einer Notbetreuung geben. Die Voraussetzungen dafür sind recht vage formuliert.

Genau das stößt bei den Verbänden auf Kritik. Der VBE forderte «klare Kante und klare Regeln»: Es müssten systemrelevante Berufe definiert werden. Nur Eltern, die beide in solchen Berufen arbeiteten und nachweisen könnten, dass sie an der Arbeit unabkömmlich seien, dürften ihre Kinder in Notbetreuung schicken. Mit den derzeitigen Regelungen könne nicht die Rede von geschlossenen Kitas sein.

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Bei Verdi heißt es, die pädagogischen Fachkräfte fühlten sich durch die unverbindlichen Vorgaben und mangelhaften Schutz im Stich gelassen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg sieht ebenfalls eine Verschärfung der Aufnahmebedingungen als möglichen Lösungsweg, wie ein Sprecher erklärte – oder aber die Öffnung weiterer Gruppen mit mehr Personal, etwa Lehramtsstudenten.

Kultusministerium: Es stellt sich die Frage, ob eine Öffnung der Kitas und Grundschulen nicht der angemessenere Weg wäre

Das Kultusministerium hingegen sperrt sich gegen strengere Regelungen. Nicht nur Eltern in systemrelevanten Berufen könnten auf eine Betreuung ihrer Kinder zwingend angewiesen sein, betonte eine Sprecherin. Dass Eltern keinen Nachweis über ihren Bedarf erbringen müssten, liege daran, dass der Vorlauf bis zur Inanspruchnahme der Notbetreuung oft sehr kurz sei.

Der Vorwurf, manche Eltern nähmen das Angebot «missbräuchlich» in Anspruch, sei nicht angebracht. Der Anteil der Schüler, die in Notbetreuung seien, sei zuletzt um etwa ein Drittel gestiegen und liege landesweit bei etwa 15 Prozent. Bei Kitakindern seien es zwischen 25 und 50 Prozent, wobei die Betreuungsquote in Einzelfällen deutlich darüber liegen könne.

Viele Familien seien von der aktuellen Situation extrem belastet und fänden möglicherweise keine eigenen Lösungen mehr zur Betreuung ihrer Kinder, erklärte die Ministeriumssprecherin. Es stelle sich die Frage, ob eine Öffnung der Kitas und Grundschulen nicht der angemessenere Weg wäre. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) setzt sich seit Wochen dafür ein. Auch der Gemeindetag befürwortet nach Angaben einer Sprecherin diesen Weg und nennt wieder andere Zahlen zur Auslastung: Bei einem Großteil der befragten Kitas und Grundschulen liege diese bei 30 bis 50 Prozent. dpa

Kita- und Schulöffnung durch die Hintertür? Notbetreuung immer stärker in Anspruch genommen – Gewerkschaften schlagen Alarm

 

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Grundschullehrer
3 Jahre zuvor

Liebe Grundschulkolleginnen in BaWü! Ihr seid derzeit mit die wichtigsten Personen im Bildungswesen, weil ihr euch täglich ohne Infektionsschutz in volle Klassenzimmer stellt und den Betrieb aufrechterhaltet. Weil ihr als Grundschullehrerinnen Bildung und Erziehung UND Betreuung der Kinder zu verantworten habt und dafür nicht mal Masken gestellt kriegt. Ihr und eure Arbeit seid gesellschaftlich unverzichtbar. Eure Arbeit und das tagtägliche Zusatz-Engagement werden dabei stets von allen als selbstverständlich erachtet. Macht euch stark und verlangt die nötige, längst überfällige Wertschätzung! A13/ E13 für Grundschullehrerinnen! Es ist gesellschaftlich längst überfällig!

Erna Miok
3 Jahre zuvor
Antwortet  Grundschullehrer

Ist ja recht, aber warum bestehen Sie nicht darauf, dass alle KITAS, Schulen mit Luftfiltergeräte n ausgestattet werden, die sowohl Erzieher wie Kinder schützen. Sie wurden von Bundeswehrhochschule in Neubiburg getestet un empfohlen.Der Preis ist bei ca. 1.200€. Wenn die Kultusminister sowieso unfähig sind etwas effizientes zu bringen. Das Lüften jetzt im Winter, ist wohl billiger, aber hat sich erwiesen, dass es nicht reicht. Es müsste jede 8 Minuten gelüftet werden, was jeder normale Mensch versteht, außer vieler Politiker.

RIKE
3 Jahre zuvor

Ich erlebe es Tag für Tag, dass Kinder „nicht systemrelevanter Eltern“ früh im Dunkeln auf der Matte stehen. Notbetreuung steht an….
Wenn mir die Kinder nicht leid täten, ich mehr Zeit hätte und es machbare rechtliche Möglichkeiten gäbe, würde ich entsprechende Eltern vor den Kadi zerren. Unverschämt, dreist und mit unlauteren Mitteln den „Persilschein zur Notbetreuung“ erschlichen… so läuft das hier in diesem Land.
Und dafür riskieren Lehrer und Erzieher unsere Gesundheit und ich solle doch dabei mal „nicht so genau hinsehen“.
Das wurde mir geraten, als ich protestierte, Schüler zu betreuen, deren Eltern nachweislich zuhause sind und nicht mal im homeoffice arbeiten müssen.
Ich kann und möchte diese Willkür des Staates und diverser Kultusminister nicht mehr stützen und mich mit moralischen Erpressungen ruhig stellen lassen. Mich von bequemen und unfähigen Eltern für dumm verkaufen lassen.
Darauf läuft es hinaus!!!!
Ich stehe selbst in der Notbetreuung zur Verfügung, mache hier gegen mein Gewissen meinen Job und erwarte das gottverdammtnochmal genauso von allen betreffenden Eltern. Wenn dieselben nicht in der Lage sind, ihre eigenen Kinder in der Pandemie zu betreuen, dann sollten sie einen Sitter einstellen und vor allem aufhören, die Schulen ihrer Kinder zu belügen. Das fällt mittlerweile sehr auf.
Rike

AvL
3 Jahre zuvor
Antwortet  RIKE

Was sie beschreiben entspricht leider der gängigen Praxis in vielen Kitas in NRW !
Eigentlich sollten die Kitas nur jenen Eltern zur Verfügung stehen, bei denen beide Eltern gleichzeitig arbeiten, oder Eltern die sich nach dem abgeleisteten Nachtdienst für den nächsten Nachtdienst ausschlafen müssen. Da kann man keine Betreuung stellen und den Distanzunterricht unterstützend begleiten.

Benny
3 Jahre zuvor

Es gibt aber auch Kita Leitungen, die sich weigern Kinder deren Eltern sämtliche Bedingungen für die Notbetreuung erfüllen aufzunehmen… Bei uns war eine Eilentscheidung des Gerichtes und eine Abmahnung für die Kitaleitung notwendig damit unser Sohn in die Kita durfte.

Und ich habe großen Respekt vor dem was Kita-Mitarbeiter und Lehrer/innen aktuell leisten. Aber es gibt auch anderen Menschen wie ich z.B. die in der aktuellen Situation ihre Gesundheit riskieren da kräht auch kein Hahn danach. Dieses ewige rumgemeckere nervt echt einfach nur noch -.-

Sunshine
3 Jahre zuvor
Antwortet  Benny

Benny, da haben Sie sich ja richtig beliebt gemacht in der Kita.
Solche Eltern will keiner in der Kita haben.
Sie sind wahrscheinlich auch noch stolz darauf.

Aber warum?
3 Jahre zuvor
Antwortet  Sunshine

Ich finde, er hat recht. Wenn alle Kriterien erfüllt sind, erschließt sich mir nicht, warum die Kitaleitung sich querstellt. Letztlich sind die Kita gegenüber solchen Beschlüssen weisungsgebunden. Traurig ist, dass Eltern zu solchen Maßnahmen gezwungen werden.

Erna Miok
3 Jahre zuvor
Antwortet  Aber warum?

Ich kann immer nicht verstehen, warum die Leitungen, Erzieher usw. Sich nicht für effiziente Hygieneregeln einsetzen. Luftfiltergeräte, geprüft und empfohlen von der Bundeswehrhochschule in Neubiburg, um ca.1.200€. Diese schützen Kinder und Erzieher. Genügend Schulbusse und ein Präsenzunterricht könnte stattfinden. Aber die Kultusminister scheinbar sind nicht fähig….

Sally
3 Jahre zuvor

Also da kannst du ja nicht in NRW wohnen. Wir haben eine verkürzte Betreuungszeit, sind somit geöffnet von 8-16 Uhr, aber keine Bedingungen, heißt: jeder der Minister Stamps Appell folgt handelt verantworungsbewußt. Es gibt aber keine grundsätzlichen Ausschlußkriterien….so kann jeder sein Kind bringen der will.

Sunshine
3 Jahre zuvor

By the way:
Bei uns in der Kita sind 50 Prozent der Kinder da.
Von diesen Eltern ist nicht eine einzige Partei systemrelevant!
Aber bei den lockeren Vorgaben, sind auch den Trägern die Hände gebunden.
Es ist wirklich unfassbar, wie dreist die Eltern einem offensichtlich in’s Gesicht lügen.
Oder einfach so die Betreung einfordern.
Ob Mütter mit Baby in Elternzeit, Mütter die schwanger sind, Friseurläden die plötzlich alle renovieren, Hauptsache das Kind kann in die Kita.
Weil es nämlich anstrengend sein kann, sich selbst zu kümmern. Wo mein sein Kind doch sonst bequem in die Ganztagesbetreuung bis 17 Uhr,oder täglich in den Mittagskindi schickt, um seine Ruhe zu haben.
Mit Notbetreuung hat das alles nichts zu tun.
Und auf ein Einsehen und das Apellieren an die Vernunft der Eltern braucht man wahrlich nicht hoffen!

Nur mal so nebenbei
3 Jahre zuvor

Auf der Internetseite zu Öffnung der Kitas der Stadt Lüneburg in Niedersachsen steht das eine Erweiterung der Betreuung auf 70% vertreten werden kann.

Mary-Ellen
3 Jahre zuvor

@Nur mal so nebenbei:

Die 7-Tages-Inzidenz/Landkreis Lüneburg war (zumindest vor 4 Tagen) in den Dreißigern – die niedrigste in der gesamten Bundesrepublik. Vielleicht deshalb.

Halte ich trotzdem für eine ungünstige Vorgehensweise:
Wenn das Virus von außerhalb in eine „gelockerte“ Umgebung gerät, hat es freies Spiel;
dann sind die Zahlen auch gern schnell wieder oben.

Für die ErzieherInnen (auch alle anderen sowie LuL) tut es mir einfach nur leid!