Kurswechsel: Hamburg setzt auf Vorsicht im Kita- und Schulbetrieb – dass Kinder kaum ansteckend seien, davon ist jetzt keine Rede mehr

6

HAMBURG. Rund 60 Prozent der Hamburger Schüler sollen nach den März-Ferien wieder Unterricht in ihren Schulen bekommen – vorausgesetzt, die Infektionslage verschlimmert sich nicht. Der Hamburger Bildungssenator, der noch bis vor Kurzem die Schulen immer wieder für sicher erklärt hatte, zeigt sich bei der Ankündigung ungewohnt kleinlaut. Augenscheinlich hat sein Chef einen Kurswechsel vollzogen.

Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe ist als Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland auch auf Bundesebene ein einflussreicher Mann. Foto: Daniel Reinhardt / Senatskanzlei Hamburg

Tests, Wechselunterricht, Masken: Hamburgs Schulen sollen am 15. März – also nach den heute begonnenen Ferien – für einzelne Jahrgänge wieder vorsichtig öffnen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Infektionslage sich nicht erheblich verändere, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Freitag in ungewöhnlich vorsichtigen Tönen. Dann könnten nach den Ferien Schüler der Klassen 1 bis 4 in halbierten Klassen im Wechselmodell tageweise in der Schule lernen. Darüber hinaus auch Schüler der Stufen 9, 10 und 13 der Stadtteilschulen sowie der Klassenstufen 6, 10 und 12 der Gymnasien. Eingeplant sind auch die Abschlussklassen der beruflichen Bildungsgänge. Rabe betont aber: „Die Präsenzpflicht bleibt aufgehoben, niemand wird gezwungen, in die Schule zu gehen.“

„Schule und Unterricht sind wesentlich sicherer als die Freizeit und das Zuhause“

Das hatte vor Kurzem noch ganz anders geklungen. Noch im Dezember behauptete der Hamburger Bildungssenator in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“, dass in Schulen kaum Infektionen stattfänden. „Schule und Unterricht sind wesentlich sicherer als die Freizeit und das Zuhause – das gilt für Schülerinnen und Schüler genauso wie für die Schulbeschäftigten“, so schrieb er den Hamburger Schulleitungen in einem Brief. Im November hatte er in einer Pressekonferenz eine Datensammlung der Schulbehörde präsentiert, die diese These angeblich belegen sollte. Die Daten sollten Wissenschaftlern zur Begutachtung übergeben werden. Seitdem hat man nichts mehr davon gehört. Zuvor hatte Rabe – als Koordinator der SPD-geführten eine zentrale Figur in der deutschen Schulpolitik – behauptet, „dass Kinder kaum andere Kinder infizieren“.

Davon ist mittlerweile keine Rede mehr. Rabe sagt jetzt: Eine Teststrategie für mehr Sicherheit ist geplant. „Künftig sollen alle Schulbeschäftigten zwei Mal pro Woche die Möglichkeit für einen Selbsttest bekommen.“ Diese Selbsttests seien erst vor wenigen Tagen zugelassen worden und würden eine große neue Chance bieten. Sie seien leicht anzuwenden: „Ich glaube, das kann wirklich jeder.“ Er sei sehr froh, dass es der Stadt gelungen sei, ein sehr großes Potenzial dieser Selbsttests zu reservieren.

Wenn genügend Tests zur Verfügung stehen, sollen nach Angaben des Senators auch Schüler wöchentlich getestet werden. „Wenn sich das neue Testangebot bewährt, besteht die große Hoffnung, schrittweise auch weitere Klassenstufen in der Schule zu unterrichten.“ Gleichzeitig werde mit Hochdruck daran gearbeitet, die Schulbeschäftigten frühzeitig zu impfen. Kontakt dürfen die Schüler nur innerhalb ihrer Jahrgangsstufe haben. Eine Notbetreuung an unterrichtsfreien Tagen wird es laut Rabe daneben weiter geben. Das Personal und alle Schüler ab 14 Jahre müssen in der Schule medizinische Masken tragen, alle jüngeren Jungen und Mädchen Mund-Nasen-Bedeckungen.

Der Wechselunterricht soll in den Klassen so organisiert werden, dass die Hälfte der Unterrichtsstunden in der Schule erteilt wird. Alle Schulfächer würden angemessen berücksichtigt, sagt Rabe. Aber Sport- und Musikunterricht bleibe stark eingeschränkt. «Nach unserem Modell können rund zwei Drittel aller Schülerinnen und Schüler tageweise zur Schule gehen.»

Anzeige

„Ich appelliere an alle Hamburger, die dringend notwendige Schulöffnung durch verantwortungsvolles Handeln zu ermöglichen“

Der Politiker betont, die Infektionslage in der Hansestadt bleibe schwierig. „Ich appelliere an alle Hamburgerinnen und Hamburger, die dringend notwendige Schulöffnung durch verantwortungsvolles Handeln zu ermöglichen“, sagt Rabe. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz in Hamburg lag am Freitag bei 81,5. Vor einer Woche hatte dieser Wert noch bei 68,1 gelegen. In der Gesundheitsbehörde sieht man einen Zusammenhang zwischen den steigenden Corona-Zahlen und dem Rodel-Vergnügen vor knapp zwei Wochen, dem sich viele Hamburger bei kalt-trockenem Wetter hingegeben hätten, wie ein Sprecher erklärte. „Es gibt durchaus Anhaltspunkte, dass wir das jetzt auch in den Neuinfektionszahlen sehen.“

Und auch die inzwischen frühlingshaften Temperaturen locken die Menschen weiter auch in großen Gruppen ins Freie. Dutzende Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln leitete die Hamburger Polizei binnen 24 Stunden bis Donnerstagmorgen ein – zumeist gegen Jugendliche und junge Erwachsene, die Abstandsregeln nicht eingehalten hätten, wie eine Sprecherin sagte. Gruppen mit jeweils mehr als 150 Personen seien der Polizei von Anwohnern oder Passanten im Jenischpark, am Jungfernstieg und im Park Fiction am St. Pauli Fischmarkt gemeldet worden.

Rabe betont jedoch, es mache keinen Sinn, nun einen Wert festzulegen, ab dem eine Schulöffnung doch nicht möglich sei. Man müsse sich die Dynamik des Infektionsgeschehens insgesamt anschauen, sagte er. Es brauche „eine kluge Analyse von vielfältigen Faktoren“.

„Öffnungsschritte darf es erst geben, wenn der Einfluss der Mutationen auf das Infektionsgeschehen beurteilt werden kann“

Dass der Bildungssenator die Schulen mal eben wieder für sicher erklärt, ist allerdings nicht zu erwarten. Denn Rabes Chef, Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), hat unlängst einen scharfen Kurswechsel vollzogen. Noch Anfang Januar wehrte sich Tschentscher gegen Einschränkungen im Kita- und Schulbetrieb und erklärte – mit Blick auf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – öffentlich, er erwarte, „dass der Bund darlegt, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage beziehungsweise Datengrundlage er eine weitere pauschale Schließung von Kitas und Schulen fordert“.

Das hat die Kanzlerin dann offenbar getan. Denn vor dem jüngsten Bund-Länder-Gipfel am 10. Februar zeigte sich Hamburgs Bürgermeister plötzlich sehr einverstanden mit Merkels Position. Tschentscher: „Öffnungsschritte darf es erst geben, wenn der Einfluss der Mutationen auf das Infektionsgeschehen beurteilt werden kann. Das ist derzeit noch nicht der Fall.“ Tatsächlich blieb der Präsenzbetrieb der Bildungseinrichtungen in der Hansestadt bislang deutlich stärker eingeschränkt als in den anderen Bundesländern. Die Anzahl von Rabes öffentlichen Auftritten auch. News4teachers / mit Material der dpa

Affäre um mutmaßlich vertuschte Studie: Rabe räumt ein, frühzeitig informiert gewesen zu sein – und er verstrickt sich in Unwahrheiten

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

6 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Leseratte
3 Jahre zuvor

Da gibt es gerade neue Daten aus Österreich:

++ 15:15 Antigen-Tests an Österreichs Schulen legen Hunderte Neuinfektionen offen +++
Bei den Corona-Tests in Österreichs Schulen sind seit der Rückkehr zum Präsenzunterricht am 8. Februar rund 1500 positive Fälle entdeckt worden. Allein in der nun dritten Woche seien es 904 gewesen – 619 bei Schülern sowie 285 bei Lehrern und Verwaltungspersonal, teilte ein Sprecher des Bildungsministerium am Freitag mit. Insgesamt wurden seit Montag 1,4 Millionen Tests in den Schulen gemacht. „Es ist gut, dass wir die Fälle finden. Nur so kann man die Schulen aufhalten“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Alle 1,1 Millionen Schüler müssen sich selbst mindestens einmal die Woche mit einem sogenannten Nasenbohrer-Test in der Schule auf eine etwaige Infektion untersuchen.“
https://www.n-tv.de/panorama/17-24-Studie-Bereits-eine-Dosis-Biontech-Impfstoff-kann-Virusausbreitung-bremsen–article21626512.html

Was man bei uns wohl an Infektionen finden würde, wenn genau so getestet würde…
In Thüringen gibt es aktuell offiziell Infektionen an etwa 60 Kitas und Schulen aller Schulformen. Und das ohne intensive Testung. Die freiwilligen Tests für die Abschlussklassen werden zumindest an unserer Schule nur sehr begrenzt angenommen.

Wunder SAM
3 Jahre zuvor

„Wenn genügend Tests zur Verfügung stehen, sollen nach Angaben des Senators auch Schüler wöchentlich getestet werden.“

Wird wahrscheinlich auch so eine Luftnummer, wie sein KM-Kollege Tonne dies zum Thema ‚Selbsttests von Schülern‘ aktuell mitgeteilt hat:
– KM Tonne –
„“Wir werden diese Selbsttestungen für Schülerinnen und Schüler auf jeden Fall ermöglichen“, betonte Tonne, warnte aber gleichzeitig vor allzu großen Erwartungen, was das Tempo der Umsetzung betrifft.“

Tja, immer diese Erwartungen; so stellte Tonne für nächste Woche schon einmal klar:
‚Schulöffnungen: Kultusminister schließt Sonderweg nicht aus‘
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Schuloeffnungen-Kultusminister-schliesst-Sonderweg-nicht-aus,corona6876.html

… same procedure as every year!

Silent Bob
3 Jahre zuvor
Antwortet  Wunder SAM

Ich stimme Ihnen zu.

Ich muss da mal was loswerden
3 Jahre zuvor

Das war echt der bekloppteste Spruch, den der Rabe jemals hat rauslassen können:

„Schule und Unterricht sind wesentlich sicherer als die Freizeit und das Zuhause – das gilt für Schülerinnen und Schüler genauso wie für die Schulbeschäftigten“

Shelly
3 Jahre zuvor

Zu schön,wie die Natur dabei ins Handling spielt….die Rodelfreunde und wenige Tage später die Frühlingsanbeter…nun ja..sehr,sehr gefährlich.Waren da jeweils mehr Personen,als in einer Schule beisammen? Wahrscheinlich sind in jeder grösseren Kita wesentlich mehr Menschen..wohlgemerkt,befinden sich diese jedoch nicht an der frischen Luft…Oder kann der Virus auf andere Schlitten springen und in Räumen verzieht er sich schmollend in eine Ecke…was wiederum erklären würde, weshalb Kinder einer Klasse/Gruppe nicht in Kategorie 1 fallen?

Teacheress
3 Jahre zuvor

Bitte, auch das gehört zur Hamburger Wahrheit. Wir hatten an der Grundschule unserer Stadtteilschule eine Auslastung bis zu 50 Prozent und an der weiterführenden in jedem Jahrgang bis einschließlich 10 jeweils 2 Gruppen in der “Notbetreuung”. Und wenn ich die Karawane von meinem Arbeitszimmer-Fenster aus beobachtete, die zur gegenüberliegenden Grundschule zog, begleitet von Mami oder Papi, dann ist also die Schule, an der ich tätig bin, kein Einzelfall. Die Schulen in Hamburg waren nicht geschlossen und die Notbetreuung wurde über das Notwendige ausgereizt. Und hier ist Hamburg kein Einzelfall!