VDR-Vorsitzender Böhm zur Schulpolitik: „Staatliche Kontrolle versagt auf ganzer Linie!“

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MÜNCHEN. „Die Schulen flächendeckend zu öffnen ohne geeignete und praktikable Test- und Impfstrategie war und ist ein großer Fehler“, sagt Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Deutschen Realschullehrerverbands (VDR) – und verweist auf die Warnungen von Wissenschaftlern und Epidemiologen zu den massiv zunehmenden Infektionszahlen unter Jugendlichen seit der Schulöffnungen und besonders seit Auftreten von Mutationen. Böhm kritisiert auch die KMK, weil die künftig auf Inzidenzwerte als Entscheidungsgrundlage verzichten will.

Zeigt sich entsetzt: Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des VDR. Foto: Marco Urban / VDR

Die Schulen seien vielerorts im Bundesgebiet als „Versuchslabore“ und auf Biegen und Brechen geöffnet worden, so Böhm, ohne entsprechend kontrollierte Teststrategien oder Impfangebote. Manche Bundesländer verböten ihren Schulen und den Kommunen gar, die Schulen bei Inzidenzwerten von über 200 zu schließen und Distanzunterricht anzubieten (gemeint ist Nordrhein-Westfalen – News4teachers berichtete). Auch die Kultusministerkonferenz (KMK) stelle eine Schulöffnung zum Beginn der dritten Welle über die Sicherheit der Beteiligten. „Wer Tests nicht kontrolliert und keine Konsequenzen daraus ableitet, der braucht auch keine Tests anbieten! Hier versagt gerade die staatliche Kontrolle auf ganzer Linie und nicht nur in den Schulen“, so Böhm.

Dieser Zustand sei schier unglaublich. Lange Zeit wurde schlichtweg ignoriert, dass sich auch Kinder und Jugendliche mit dem Virus anstecken können oder es zumindest weiterverbreiten. An die Angehörigen und die Familien wurde bei aller Ignoranz nicht gedacht. Manche Lehrkräfte kämen sich dabei wie Versuchskaninchen vor, die in einer Testphase verschiedene Szenarien ausprobieren sollten.

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„Was wir brauchen sind endlich und verbindlich vernünftige Teststrategien, bei denen die Gesundheit sowohl der Lehrkräfte als auch der Schüler maximal geschützt wird. Dazu gehört es nicht, die Schüler in vollen Bussen bis zum Klassenzimmer zu karren, um sie dort zu testen und dann mit einem positiven Testergebnis wieder nach Hause zu schicken!“, meint der Bundesvorsitzende.

Am besten wäre es, die Kinder würden zu Hause unter Aufsicht der eigenen Eltern getestet und kämen so gar nicht erst in Kontakt mit weiteren Mitschülern. Alternativ müssten externe Expertenteams diese Testungen an den Schulen übernehmen. Allein die Entsorgung der gebrauchten und womöglich positiven Tests sei ein Problem (auch darüber berichtet News4teachers aktuell). „Lehrkräfte sind schließlich kein medizinisches Personal und Klassenzimmer keine Testzentren!“, beharrt Böhm. „Wir können uns nur wiederholen: Was wir jetzt brauchen sind klare, praktikable, sichere und kontrollierbare Teststrategien, schnelle und unbürokratische Impfangebote für alle Lehrkräfte und die Umsetzung der Hygienemaßregeln. Und dazu gehört die Einhaltung der Inzidenzwerte!“, schließt Böhm.

Hintergrund: Die Kultusministerkonferenz hatte am Donnerstag beschlossen, dem Inzidenzwert künftig weniger Beachtung schenken zu wollen. Durch die geplanten Schnelltests an Schulen, so heißt es zur Begründung, würden ja auch mehr Infektionen bekannt. News4teachers

Kultusminister verabschieden sich vom Inzidenzwert – weil Schüler jetzt getestet werden

 

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Mutter_aus_HH
3 Jahre zuvor

– – Die Kultusministerkonferenz hatte am Donnerstag beschlossen, dem Inzidenzwert künftig weniger Beachtung schenken zu wollen. – –

So lange
A) noch nicht mal die Risikogruppe 1 komplett durchgeimpft ist und
B) in der Risikogruppe 2 noch nicht mal ernsthaft begonnen wurde zu impfen
ist eine Verabschiedung von niedrigen Inzidenzwerten als sehr wichtiges Kriterium für Öffnung bzw. den Betreib von Kitas und Schulen einfach nur Irrsinn.
Und für alle Teilnehmenden natürlich unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen wie verkleinerte Gruppengrößen, Testungen vor Eintritt in die Einrichtung, Maskenpflicht und gerne auch endlich mal technische Unterstützung zur Reduzierung von Aerosolbelastung sowie Trennwände.

Mir reicht es langsam echt, dass mit der psychischen und physischen Gesundheit meiner Kinder gespielt wird und massiv mit meiner Gesundheit und meinem Leben!

Klaus Lehmkuhl
3 Jahre zuvor

“ Versagt auf ganzer Linie “ . Besser kann man nicht zusammenfassen , was wir seit Monaten fassungslos mitansehen . Abstreiten , ankündigen , schön reden – mehr kommt nicht von 16 Kultusministern . Seit einem Jahr . Und alle noch im Amt . Außer Eisenmann . Die hat sich ja gnadenlos verkalkuliert .

Elly
3 Jahre zuvor

Jürgen Böhm hat 100 % Recht!! (Wenn man vor zwei Jahren ein solches Szenario, wie wir es derzeit erleben müssen, gelesen hätte…das hätte keiner glauben können.) Ich frage mich langsam;
Agieren die Kultusminister eigentlich als Handlanger der Querdenker!?

Elly
3 Jahre zuvor

Danke an news4teachers für die unermüdliche, menschenfreundliche Arbeit.

Hier ein Kommentar, warum Menschen für die Aussetzung der Präsenzpflicht sind:
„Es ist unfassbar, wie mit dem Leben und der Gesundheit der Kinder und ihrer Familien gespielt wird, mir welch menschenverachtender Ignoranz über das unendliche Leid, das für so viele Menschen mit einer Erkrankung verbunden ist, hinweggegangen wird!
Immer wieder sitze ich da, schüttele den Kopf und versuche, diese Realität zu akzeptieren, die mir oft wie ein schlechter Traum vorkommt. Passierr das alles wirklich? Mit der Pandemie und ihren Folgen komme ich klar, aber mein Menschenbild und mein Vertrauen in unseren Staat zerbröselt regelrecht. Kann es wirklich sein, dass in Deutschland Minister:innen eiskalt den Tod tausender Menschen in Kauf nehmen, weil ihnen echte Schutzmaßnahmen zu teuer sind? (Nabiha Ghanem)
Bitte unterschreiben Sie auch! Es ist wichtig!
https://www.change.org/p/an-die-regierungen-aller-16-deutschen-bundesl%C3%A4nder-pr%C3%A4senzbefreiung-w%C3%A4hrend-der-pandemie?recruiter=false&utm_source=share_petition&utm_campaign=psf_combo_share_initial&utm_medium=whatsapp&utm_content=washarecopy_27855023_de-DE%3A4&recruited_by_id=e9ec2980-871a-11eb-8afe-477d73a08d61

Everdiena
3 Jahre zuvor

Wenn ein Schüler sich gerade im Bus angesteckt hat wird der anschließende Test in der Schule wohl kaum positiv sein. Genauso wenig wie der Test vorher zu Hause. In der nächsten Woche ist der test dann positiv. Bis dahin hatte er/sie enorm viele Kontakte. Geht doch.

Everdiena
3 Jahre zuvor

Es würde mich nicht wundern, wenn vorgeschlagen würde, dass sich 2 Schüler einen Test teilen. Macht man doch auch, wenn zu wenig Computer Arbeitsplätze vorhanden sind 🙂

Elly
3 Jahre zuvor
Antwortet  Everdiena

@Everdiena: oh Mann! Danke für den Lacher. Und dann geben die Schüler den Test an den LehrerIn weiter zur Auswertung

inib
3 Jahre zuvor

Endlich mal klare Worte! Bravo! Ich hoffe, dass da nicht nur für die Realschulen gesprochen wurde, sondern für alle Schulen. Grundschulen sind in vielen Bundesländern wieder im Vollbetrieb, Kitas ebenso. Abstand Fehlanzeige. Zur täglichen Angst, uns anzustecken, kommt jetzt noch das drohende Szenario der Testaufsicht beim Selbsttesten. Es ist ein Daueralbtraum bei uns in den GS in BW, seit die GS am 29.6.2020 in Vollpräsenz geöffnet wurden. Jedes Mal bangen wir nach Krisengipfeln, wie es für uns Lehrer*innen- Versuchskaninchen weitergeht. Kommt Schutz? Wenn ja, wie lange? Jedes Mal Unruhe, die Ungewissheit und Angst zerren an den Nerven. Gerade auf Wechselunterricht eingestellt, für die Hälfte zuhause den Unterricht aus dem Klassenzimmer übertragen, dafür von allen Eltern die schriftliche Einverständniserklärung eingeholt. Alles Aufwand- wofür? 3! Wochen später ist wieder alles anders und die liebe KM beschließt Vollpräsenz mit – wichtig! – Religion, Kunst und Musik. Damit wir als Fachlehrer*innen noch ordentlich rumkommen in den Klassen, wenn wir uns das Virus schon nicht in der eigenen Klasse holen. Es ist alles eine solche Zumutung, dass man gar nicht weiß, über was man sich zuerst aufregen soll. Stundenlang Ffp2 Masken tragen und sie nie abnehmen, weil wir NIE Pause haben, um schließlich völlig dehydriert nach 6 h Unterricht aus dem Schulhaus zu gehen? Oder dass das Klassenzimmer nicht wärmer als 14 Grad wird bei der Lüfterei und man immer und dauernd friert? Oder dass wir keine Pause haben, gar gar niemals und dann beim Beaufsichtigen auf dem Schulhof weiterfrieren müssen? Ach, es gäbe so vieles mehr Furchtbares zu berichten. Und es kommt immer etwas Neues hinzu. Es ist nur noch frustrierend und vor allem beängstigend, was man alles mit sich machen lassen muss, ohne die Chance, sich zu wehren. Wir sind müde, desillusioniert und enttäuscht. Das war einmal ein schöner Beruf- jetzt ist er ein Albtraum.

Frett
3 Jahre zuvor

Es ist alles nur noch unbegreiflich , was Kindern und Lehrern bei der sich bei der jetzt stark ausbreitenden Mutation zugemutet wird.

Masken, dicke Jacken, Lüften, Desinfektionl,Abstand.Wie bitte sollen das Kinder, die zum GLUECK unbedarft sind , über Stunden aushalten.
Jetzt kommen nochTestungen dazu.
Das hat doch mit Bildung und den nötigen Kontakten nichts mehr zu tun.
Jetzt würde endlich digitaler Distanzunterricht eingeführt und Dieser wird doch auch besser.
Man schickt die Schulfamilie wissentlich in die größte Katastrophe , die die ganze Welt zur Zeit erlebt.
Man könnte ehrlich nur noch WEINEN.

Quo vadis KMK
3 Jahre zuvor

Bitte beachten:
Würde die KMK nun endlich umschwenken, ihre Dauerschleifen-Litanei der üblichen Floskeln und Slogans abwerfen und selbst für Schließungen plädieren, so würde sie sich damit selbst das fatalste Zeugnis ausstellen, welches besagt,
dass sie – zumindest im Herbst 2020 bis vor Weihnachten – völlig falsch gehandelt haben,
das Wegreden von Infektionen und Infektiosität unter Kindern/Schülern von Grund auf falsch war,
die hartnäckige Dauer-Forderung nach Schulöffnung somit ebenso falsch war,
ohne dass Schutz-Ausstattung für Schulen/Kitas oder Entzerrung im ÖPNV je realistisch erfolgte
und echte pädagogische und psychologische Auffangsysteme für Kinder/Schüler mit besonderem Bedarf weit und breit nicht aufgebaut wurden –
kuzum dass ihre Handlungsrichtung ein riesiger, fortgeführter Fehler war.

Also warum agiert die KMK, wie sie agiert?

W.
3 Jahre zuvor
Antwortet  Quo vadis KMK

@Quo vadis KMK

Weil sie es (= eben genau das) können.
Sonst können sie nix.
(Womit sich partei-intern dann die Entsorgungsfrage dringender stellt als bei gebrauchten Schnelltests.)

Elly
3 Jahre zuvor
Antwortet  Quo vadis KMK

@Quo vadis KMK….Weil Bildung wichtiger als die Gesundheit anderer Menschen ist. Und weil es sich nur um eine harmlose kleine Grippe handelt. Ironie off

Lametta
3 Jahre zuvor
Antwortet  Quo vadis KMK

Das scheint tatsächlich eine plausible Erklärung zu sein.
Aber wie erbärmlich ist das denn!

Tina+2
3 Jahre zuvor
Antwortet  Quo vadis KMK

Weil die KMK lieber Kinder, Lehrer und Eltern in den Tod oder Langzeiterkrankung schickt als „das Gesicht zu verlieren“.

Ich hoffe von ganzem Herzen, dass diese eigentlich nur noch als kriminell zu bezeichnende Bande sich irgendwann vor Gericht dafür verantworten muss.

Mir ist heute auf jeden Fall schon den ganzen Tag schlecht vor lauter Panik. Weil wir nur noch die Wahl haben zwischen Familie durchseuchen lassen oder aber uns mit der Schule und den dahinter stehenden Behörden anzulegen. Wir haben uns für Letzteres entschieden und jetzt hab ich Panik, wie es weiter geht und was uns für Strafen daraus entstehen, dass wir nichts anderes für unsere Kinder und uns wollen als Schutz.

Ein Schutz, der außer in den Schulen zwangsverordnet wird, der umgekehrt aber für die Schulen genauso zwangsweise verboten wird. Mir ist speiübel.

Vik
3 Jahre zuvor
Antwortet  Tina+2

Daumen hoch für Ihre Entscheidung u Die anderer Eltern, Ihre Kinder nicht in die Schule zu schicken!!
Vielleicht können wir bussgeld sammeln für die betroffenen Familien… (das gibt es auch im Freilerner Umfeld, die kennen sich damit ja aus…)

Mthdnmnn
3 Jahre zuvor

Und inwiefern unterscheidet sich die „Dauerschleifen-Litanei der üblichen Floskeln und Slogans“ der KMK von den ganzen leeren Worten der – gefühlt 1,8 Mio. – zahnlosen Interessensgruppen der Lehrer?