Rückstau in den Kitas durch mehr Schulrücksteller befürchtet

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BERLIN. Kitabetreiber und Elternvertreter warnen vor einem neuen Problem, das sich in der Pandemie auftun könnte: Mehr verunsicherte Eltern lassen möglicherweise ihre Kinder vom Schulstart zurückstellen. Knappe Kitaplätze könnten noch knapper werden.

Möglicherweise bleiben in diesem Jahr mehr Kinder in der Kita als üblich. Foto: Shutterstock

Bekommt mein Kind einen der knappen Kitaplätze? Diese Frage entscheidet sich für viele Eltern normalerweise im Frühjahr und im besten Fall unterschreiben sie in diesen Wochen ihre Verträge mit den Kitas. Doch die Corona-Pandemie sorgt für noch mehr Unsicherheit als ohnehin schon. Eltern und Träger berichten von einem zusätzlichen Problem: Mehr Eltern von Vorschulkindern wollen den Schulstart verschieben, die Kitaplätze werden noch knapper.

«Es ist auffallend, dass mehr Eltern ihr Kind nicht in die Schule schicken wollen. Das führt zu einem Rückstau und zu einem handfesten Problem», sagt etwa der Geschäftsführer der BOOT Kitas Berlin, Wolfgang Freier. Noch könne er keine verlässlichen Zahlen nennen, aber: «Normalerweise stellen bei uns ein bis zwei Prozent der Eltern ihre Kinder zurück. In diesem Jahr könnten es etwa bis zu zehn Prozent werden», schätzt er.

Die Kita-Fachreferentin Dorothee Thielen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband spricht von einer möglichen «Rückwärtslawine», wenn mehr Kinder in der Kita bleiben und weniger mit der Schule beginnen. Es ließe sich aber noch nicht sagen, wie groß das Problem tatsächlich sei. «Eltern können in der Regel bis Ende Januar einen Antrag auf Schulrückstellung stellen. Bis Ende März finden dann in der Regel die ärztlichen Untersuchungen bei den Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten statt. Und erst danach erfolgt eine Bereinigung der Daten», erklärt Thielen.

Auch der Senatsverwaltung für Bildung ist das Thema bekannt. Nach  Auskunft der Spitzenverbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege  sowie des Dachverbandes der Berliner Kinder- und Schülerläden bemühten sich mehrere Eltern um eine Zurückstellung ihres Kindes vom Schulbesuch, berichtet Verwaltungssprecher Ralph Kotsch. Auch er verweist auf die unklare Datenlage: «Die Entwicklung bis zum Sommer bleibt abzuwarten».

«Eine Rückstellung ist sinnvoll, wenn es Entwicklungsrückstände gibt. Aber anderen Kindern tut man damit keinen Gefallen»

Laut Dorothee Thielen gab es bereits im vergangenen Jahr eine leichte Tendenz nach oben: «Die Quote der Schulrückstellungen hatte sich in Berlin schon zum Schuljahr 2021 von 11,7 auf 12,8 Prozent erhöht».

Zum Teil seien die Eltern sehr verunsichert, wie der Schulbeginn unter den jetzigen Bedingungen ablaufe. «Eine Rückstellung ist sinnvoll, wenn es Entwicklungsrückstände gibt. Aber anderen Kindern tut man damit keinen Gefallen», ist BOOT-Geschäftsführer Freier überzeugt.

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«Während manche Kinder in den letzten Wochen auch zuhause große Entwicklungsschritte tun konnten, zeigen anderen deutliche Defizite in ihrer Entwicklung, sodass eine Rückstellung vom Schulbesuch angezeigt sein könnte», berichtet Michaela Liebezeit von den Kindergärten City. Einzelne Kitas des Trägers hätten berichtet, dass es etwas mehr Rücksteller sein könnten als in den Vorjahren.

«Es gibt Eltern, die Bedenken und Sorgen haben, ob der Übergang in die Schule gut funktioniert», sagt auch die Vorsitzende des Landeselternausschusses Kita (LEAK), Nancy Schulze. Schließlich funktioniere der Unterricht derzeit in einigen Schulen gut, in anderen weniger gut. «Andererseits: Wohin mit den neuen Kindern, wenn es viele Schulrücksteller gibt? Das sind unsere Bedenken. Man kann die neuen Kinder ja schlecht im Keller oder in der Küche aufbewahren. Es gab schon immer Platzmangel in Berliner Kitas», so Schulze.

«Wenn man sich das Kitasystem wie ein Gummiband vorstellt, muss man sagen, dass dieses Gummiband im Moment nicht in der Lage ist, auf solche Situationen angemessen zu reagieren. Es ist einfach zu klein und zu eng. Wir brauchen mehr Plätze», fordert auch Thielen. Die Senatsverwaltung schätze, dass bis 2025 weitere 23 000 Plätze gebraucht werden. Davon sei aber nur für 15 000 die Finanzierung geklärt. Sie zweifle daran, dass selbst diese Plätz pünktlich geschaffen werden können, so Thielen.

«Grundsätzlich verweisen wir darauf, dass der Kitaplatzausbau mit Landes- und Bundesprogrammen weiter vorangetrieben wird, um allen Kindern auch perspektivisch ein Betreuungsangebot unterbreiten zu können», beton Verwaltungssprecher Kotsch. Die Planung für die Kitas 2020/2021 bis 2025/2026 berücksichtige ohnehin einen Anteil zurückgestellter Kinder von rund elf Prozent, so Kotsch.

«Viele Eltern machen sich Sorgen, dass die fehlende Anwesenheit in der Kita zu Entwicklungsverzögerungen führt»

Andere Träger wiederum, wie etwa der Berliner Eigenbetrieb Kindertagesstätten Südost, berichten, dass sie keinen spürbaren Anstieg der Rückstellungswünsche verzeichnen. «Wir konnten aber feststellen, dass viele Eltern sich Sorgen machen, ihre Kinder würden durch die Pandemie und die fehlende Anwesenheit in der Kita, Entwicklungsverzögerungen erfahren», sagt Regionalleiter Ole Rasmus.

«In den meisten Fällen ist diese Sorge aber unbegründet und es konnten Wege gefunden werden, durch Kleingruppenarbeit die Kinder intensiver zu begleiten und die Vorbereitung auf den Schuleintritt weiterzuführen», so Rasmus.

Auch in den Kitas der AWO Berlin deute sich bislang an, dass es keine Rückstellungen im hohen Maße geben werde, berichtet Sprecher Markus Galle. Das Thema werde sich auf Einzelfälle beschränken. «Da wir jedoch in einer hoch dynamischen Zeit leben, ist auch diese Tendenz mit Vorsicht zu genießen», so Galle. Von Anja Sokolow, dpa

 

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Georg
2 Jahre zuvor

Wenn Eltern Entwicklungsrückstände durch fehlenden KiTa-Besuch befürchten, fällt das auf sie selbst zurück, weil sie ihr eigenes Kind diesbezüglich vernachlässigt haben.

Übrigens befürchten Grundschulen möglicherweise auch übervolle Klassen, weil Kinder freiwillig wiederholen. Entsprechend auch die weiterführenden Schulen in der fünften Klasse bzw. der ersten Klasse der Sek II. In allen anderen Jahrgangsstufen erwarte ich eine mehr oder weniger Kompensation der Wiederholer, also dem Zuwachs aus der Stufe drüber und dem Abgang in die Stufe drunter.

Regen
2 Jahre zuvor

Ich denke manche Eltern haben auch die Sorge, dass sich die teils chaotischen Zustände gerade am Schulanfang negativ auf ihre Kinder auswirken könnten.
(Aus dem Gespräch mit einer Mutter heraus gehört.)

Vielleicht haben sie auch die Hoffnung, dass die Hygienemaßnahmen (vor allem die Masken) gelockert werden und ihre Kinder somit einen „normalen“ Schuleintritt erfahren, so wie die Eltern ihn selber noch in Erinnerung zu haben glauben.

Teilweise verstehe ich diese Sorgen, mein Sohn geht auch dieses Jahr in die Schule. Und obwohl ich versuche meine Kinder zuhause möglichst viel zu fördern, habe auch ich Sorge er könnte nicht optimal auf die Schule vorbereitet sein. Denn ich habe nur begrenzt Zeit und in der Kita wurde aufgrund von Corona die besondere Förderung, sowie die Maxiarbeit offiziell ausgesetzt (nicht durchgängig).

Die letzten Monate (ca. ab September 2020) kamen vereinzelt Aufgabenblätter per E-Mail, deren Potential hinsichtlich einer sinnvollen Förderung im Kontext der Vorschulvorbereitung jedoch zu hinterfragen ist. Leider war die Schulvorbereitung in der Kita meiner Kinder, laut Aussagen von Eltern deren Kinder jetzt in der Schule sind, bereits vor Corona nicht existent.