Lehrerverband: Zwei Milliarden Euro für differenziertes Lernförderkonzept

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BERLIN. Der Deutsche Lehrerverband hat ein Konzept vorgelegt, um den massiven Schulausfall in der Corona-Krise auszugleichen. Das Papier, das den Zeitungen der Funke Mediengruppe vorliegt, soll ein Vorschlag an Bund und Länder für ein «umfassendes, aber differenziertes und flexibles, längerfristig angelegtes Lern- und Bildungsförderungskonzept» sein. Für die Umsetzung des Programms fordert der Verband mindestens zwei Milliarden Euro bis zum Sommer 2022, «analog dem Digitalpakt».

Konzept entwickelt: Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Foto: Deutscher Lehrerverband

Konkret sieht das Konzept vor, dass Schülerinnen und Schüler mit eher geringen Rückständen im nächsten Jahr eine begleitende Zusatzförderung angeboten wird. Kinder und Jugendliche mit größeren Defiziten soll es möglich sein, das Jahr freiwillig zu wiederholen – «entweder als von zusätzlicher Förderung begleitetes Wiederholen oder in eigenen Lerngruppen für wiederholende Schüler mit angepasstem Lehrplan», zitieren die Zeitungen der Funke Mediengruppe aus dem Konzept.

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Über die Notwendigkeit eines gemeinsamen Programms zur Unterstützung bestehender Fördermaßnahmen sind sich Bund und Länder bereits einig. Über die Details wird derzeit noch verhandelt – etwa, in welcher Höhe genau sich Bund und Länder daran beteiligen und welche Schüler konkret ein Förderangebot bekommen sollen. Bisher war ein Umfang von einer Milliarde Euro im Gespräch. Nach Angaben des Deutschen Lehrerverbands sind seit Beginn der Pandemie 400 bis 600 Unterrichtsstunden weggefallen.

Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger forderte eine schnelle Einigung: «Im Grunde müssten wir im Mai wissen, was für Fördermöglichkeiten im nächsten Jahr da sind», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Man müsse sich jetzt an den Schulen die Zeit nehmen, zu schauen, wo die Kinder stehen, und dann Beratung anbieten. Meidinger geht davon aus, dass etwa ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler im vergangenen Corona-Jahr «stark abgehängt» wurde. (dpa)

Karliczek: Mindestens jeder fünfte Schüler hat vermutlich dramatische Lernrückstände

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Rosa
2 Jahre zuvor

Bei uns in BW haben wir G8 am Gymnasium und alle soziale Schichten haben große Lernrückstände durch die Corona Krise. Herr Ralf Scholl vom PhV-BW hat ein Corona Aufholjahr
G9 gefordert um den Kindern und Jugendlichen eine angemessene Lernzeit zu ermöglichen.
Bei G8 haben die Schüler Hausaufgaben, Nachbereitung, Vorbereitung auf die einzelnen Fächer,
Lernzeit für Klassenarbeiten zu leisten. Dann zusätzlich noch Lernbrücken, Förderprogramme
oder Zusatzstunden bei G8 eine totale Überforderung und keine langfristige Lösung. Die Kinder und Jugendlichen haben eine große Sehnsucht nach persönlicher Entwicklung und Entfaltung. Diese Entwicklungschritte sind schon sehr lange ausgebremst und haben ein großes Bedürfnis in der Gemeinschaft erfahren und erprobt zu werden. Bei G8 würde jede Möglichkeit dieser grundlegenden Erfahrungen genommen werden. Nach der schweren Lebensphase ist es sehr wichtig der heranwachsenden Generation Zeit zu geben diese außergewöhnliche Zeit aufzuarbeiten. Herr Ralf Scholl hat sich in der Pandemie sehr für die Schulen ,Schulleitungen, Lehrer, Schüler und Eltern mit viel persönlichen Einsatz wohlwollende Beiträge geleistet. Er hatte es sehr schwer in dieser Krise Gehör zu finden und
Frau Eisenmann hat keine respektvolle Zusammenarbeit auf Augenhöhe angestrebt.

Rosa
2 Jahre zuvor

Herr Meidinger hat einen wichtigen Satz ausgesprochen: „Was für einen Wert hat Bildung noch“! Frau Rosa stellt eine Gegenfrage: “ Was für einen Wert hat das Menschenleben noch“?
Die KM, Politik und Regierung haben diese Verantwortungund Ihre Entscheidungen mit aller Konsequenz zu tragen. Der Schutz aller kann bei diesem tödlichen Virus nicht gewährleistet
werden und jeglicher gesunde Menschenverstand wird von der KM, Politik, Regierung für die Bevölkerung nicht pflichtbewußt umgesetzt. Viele Virologen, Mediziner und RKI haben trotz vieler Appelle kein Gehör gefunden und kostbare Lebenszeit vergeht. Die Mahnenden sind sprachlos über die KM, Politik und Regierung und fangen mit großer Hoffnungslosigkeit zu
verstummen. Unsere Regierung hat viele Menschenleben auf dem Gewissen und zu Verzeihen ist dieser Fehleinsatz nicht.

kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor

SCH… für alles ist Geld da – aber um Schulen jetzt mit Luftfiltern etc. auszustatten, damit man wenigestens nicht NOCH MEHR Unterricht aussetzen muss, damit wir die Kinder nach einem Jahr Pandemie ruhigen Gewissens wieder in der Schule unterrichten könnten, dafür reichts dann nicht.
Wie lange wollen wir noch hinter der Entwicklung hinterherrennen???
Reicht es nicht langsam?
Ich höre nur Pflästerchen drauf, Testchen machen, Lüftchen reinlassen, Jährchen wiederholen, ein bisschen fördern…
Träumen die immer noch davon, dass im nächsten Schuljahr IRGENDWAS anders ist als jetzt?

Die Lehrer sind nicht geimpft, die Eltern nicht, von den Kindern ganz zu schweigen. Infektionen werden weitergehen. Mutationen werden entstehen.
Wenn wir in Deutschland durch wären, kämen neue Überraschungen aus den Ausland.
Was meinen die eigentlich, wie das nächste Schuljahr dann laufen wird?
Egal, ob die Kids es wiederholen oder nicht!

Entweder die Schulen werden wirksam belüftet und entlüftet (und nicht einfach nur gelüftet, falls Wind weht) und bleiben andernfalls zu – oder wir werden noch viel, viel mehr Probleme haben als ein bisschen weniger gelernt!!!
Dann gibt es nicht „ein vergangenes Corona-Jahr, in dem die Kinder was versäumt haben“, dann gibt es eine Vollkatastrophe!

Aber wir Lehrer reißen dann auch das wieder raus?!
Wir sind ja schon geübt darin, Pychologen zu spielen, da können wir auch noch die Kinder betreuen, die Spätschäden haben oder keine Eltern mehr. Oder sollen dann auch Studenten hergeholt werden, die auf diesem Feld ein bisschen „Behandlung nach Sonderprogramm“ bieten?

WARUM handelt nicht endlich jemand wirksam und verhindert noch mehr Schäden auf allen Gebieten?
WARUM wird nicht SOROFT Geld investiert, um die schulen sicher zu machen, die Schäden zu minimieren, weitere zu verhindern?

Je schneller die Zahlen runtergehen würden, je besser Schulen vor Restinfektionen geschützt werden, umso schneller könnten auch Öffnungen zu verantworten sein.
Dann klappt das auch mit der Nachhilfe besser – denn was die Kinder brauchen, wissen ihre Lehrer!

Ich kann dieses ganze „hätte“, „müsste“, „könnte“, „fordert“, „Leute sind müde“, „Kinder brauchen Schule“… nicht mehr hören!
Keiner ist bereit, wirksam und zukunftsfähig zu handeln!
Diskussionen helfen nicht.
Das Virus lassen wir „handeln“ – wir verhandeln und diskutieren weiter!?!?!?!?!??!?!?!?!

Von einer Bundesregierung – und allen anderen, die von ihr gehört werden – erwarte ich, dass sie die Menschen SCHÜTZT!
Was notwendig ist, haben Virologen und andere Experten klar gesagt.
Welchen Grund kann es geben, jetzt nicht entsprechend zu handeln – und statt dessen wieder ungelegte Eier zu färben?
Wo bleibt ein Runterfahren der Zahlen als einzig wirksame und nachhaltige Grundlage für alles, was danach kommt?

h_exe
2 Jahre zuvor

@kanndochnichtwahrsein
Da gehe ich zu 100 % konform!

BK-Lehrkraft
2 Jahre zuvor

Warum wird dauernd Geld für jeden Mist bereitgehalten, aber nicht für Luftfilter u.ä.???

Lernumgebung morgen in den Abschlussklassen:
1 bis 8 Grad
Schnee
Fenster auf
=
Unglaublich produktive Lern- und Lernumgebung für Schüler und Lehrer.

“ Gibt es eigentlich in Deutschland Vorschriften, was die Temperatur am Arbeitsplatz angeht? Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz hat tatsächlich Regeln, was das Klima beim Job angeht. [2]

Bei sitzender, leichter Arbeit, also zum Beispiel im Büro, sind mindestens 20 °C vorgeschrieben. Je nachdem wie viel Arbeitsschwere gefordert wird, ist die Mindesttemperatur anders. Das heißt, bei schwerer körperlicher Arbeit im Stehen ist eine Temperatur von mindestens 12 °C ausreichend.”
Aus https://www.ergotopia.de/blog/temperatur-am-arbeitsplatz

Vielleicht das Geld mal für Luftfilter ausgeben, damit überhaupt adäquat gelernt werden kann? Klatschen und Kniebeugen ist NICHT mit schwerer körperlicher Arbeit gleichzusetzen.

Dil Uhlenspiegel
2 Jahre zuvor

Eine solche Forderung … warum gerade jetzt? Die Pandemie war doch im Juni 2020 schon vorbei, dann im Oktober 2020, dann Ende Februar 2021 und ich glaube, ich habe gehört, sie ist aktuell auch wieder kurz davor vorbei zu sein.

Defence
2 Jahre zuvor

Dieser Herr Meidinger ist eine Witzfigur. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.

Wir werden einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt (Inzidenz200). Und er hat nichts besseres zu tun als ein Konzept vorzulegen, das die Lernlücken schließen soll?!

Da muss man sich mal ganz genau reindenken, um herauszufinden wie devot dieses Verhalten ist!

Schlimm, einfach nur schlimm!

Fridolyn
2 Jahre zuvor
Antwortet  Defence

Das eine tun heißt nicht das andere lassen.
Soviel ich sehe, hat der DL auch ganz klare Forderungen zum Gesundheitsschutz. Dieser unversöhnliche Ton hier bei einigen in diesem Forum bringt uns sicher nicht weiter.

Jan aus H
2 Jahre zuvor

Wenn man die 2 Milliarden im Sommer 2020 für Luftfilter und Plexiglaswände usw. ausgegeben hätte (das hätte für alle Schulen in DE gereicht!), dann würde man jetzt nicht über das Aufholen von Rückständen nachdenken müssen.

h_exe
2 Jahre zuvor
Antwortet  Jan aus H

@Jan aus H
Das ist mich auch als erstes in den Sinn gekommen

h_exe
2 Jahre zuvor
Antwortet  Jan aus H

*mir 😉

Wolfgang Kuert
2 Jahre zuvor

Deutscher Lehrerverband, April 2021

Die Zukunftschancen unserer Kinder und Jugendlichen nach Corona nachhaltig sichern!
Konzept des Deutschen Lehrerverbands für ein umfassendes Lernförder- und Bildungsaktivierungsprogramm
Bestandsaufnahme und Ausgangslage

Nach der ersten Lockdownphase im Frühjahr 2020 bestand noch die Hoffnung, bei einer Normalisierung des Schulbetriebs in diesem Schuljahr durch spezifische begrenzte Zusatzförderung im dann wieder stattfinden Präsenzunterricht die entstandenen Lernrückstände und Wissensdefizite kurz- und mittelfristig weitgehend ausgleichen zu können. Dieses Ziel ist heute in weite Ferne gerückt.

In den meisten Bundesländern summieren sich die Unterrichtsstunden, die nicht in Präsenz erteilt werden konnten, auf inzwischen ungefähr 400 bis 600 Unterrichtsstunden, was in der Spitze etwa einem halben Schuljahr entspricht. Auch wenn der Distanz- und Wechselunterricht nach großen Anfangsschwierigkeiten jetzt deutlich besser läuft, muss konstatiert werden, dass die durchschnittlichen Lernfortschritte dort geringer sind. Allerdings werden auch große Unterschiede deutlich, zwischen Kindern und Jugendlichen, die inzwischen gut mit dem Distanzlernen zurechtkommen, und einem nicht unerheblichen Teil, der inzwischen deutlich hinter der notwendigen Lernprogression liegt.

Dies hat sehr unterschiedliche Gründe. Teilweise liegt es an der technischen Ausstattung, an nicht zur Verfügung stehenden Geräten im Elternhaus. Betroffen sind vor allem auch jüngere Kinder, denen elterliche Unterstützung aus welchen Gründen auch immer fehlt, Schülerinnen und Schüler mit einem besonderen Förderbedarf, mit Handicaps, mit grundsätzlichen Sprachdefiziten, mit Migrationshintergrund oder auch Jugendlichen, deren Leistungsmotivation und Bildungswillen aus anderen Gründen nur gering ausgeprägt ist.

Es würde aber viel zu kurz greifen, den Blick allein auf die entstandenen Wissens- und Kompetenzdefizite in einzelnen Fächern oder auf bestimmte besonders benachteiligte Schülergruppen zu richten. Die schulische Bildung hat durch Corona und die Folgen insgesamt Schaden genommen, die Effektivität von Distanzunterricht hat generell die Wirksamkeit von Präsenzunterricht nicht erreicht. Dazu kommt, dass vieles von dem ausgefallen ist, was schulische Bildungs- und Erziehungsprozesse über die Bildungsinhalte hinaus ausmacht: Gemeinschaftsveranstaltungen, Projekte, musische Bildung (Schultheater, Kunstausstellungen, Musikfeste), Exkursionen, Studienfahrten, Wettbewerbe, Berufsorientierungsveranstaltungen und Schüleraustausch. Was wir also in Deutschland brauchen, ist nicht nur ein Nachholprogramm für eine bestimmte Gruppe, sondern ein umfassendes Bildungsaktivierungs- und Lernförderprogramm, von dem alle Schülerinnen und Schüler profitieren können.

Grundsätzlich lautet aber die Herausforderung, alles zu tun, damit die negativen Folgen von Corona die Zukunfts- und Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen nicht nachhaltig beeinträchtigen.

Bildungspolitik noch ohne tragfähiges Zukunftskonzept
Zunächst sind viele Landesregierungen davon ausgegangen, dass die Phase der Schulschließungen und des Distanzunterrichts so kurz sein werden, dass eine begleitende, auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhende Zusatzförderung von wenigen Stunden ausreichen würde, die entstandenen Bildungsrückstände relativ schnell wieder auszugleichen. Tatsache ist, dass die Lehrkräfte bisher zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit hatten, unter den gegebenen Umständen diese Ausgleichsaufgabe wahrzunehmen.

Ansonsten beschränken sich Schulministerien und Landesregierungen derzeit weitgehend auf Versuche, unzumutbare Härten zu verhindern, bisherige Leistungserhebungs-, Lehrplan- und Versetzungsregelungen zu flexibilisieren oder auch außer Kraft zu setzen sowie Abschlussprüfungen zu verschieben und in Teilen anzupassen. Das ist im Grundsatz nicht zu kritisieren, solange dies nicht zu einem Niveauabsenkungs- und Erleichterungswettbewerb führt, der neue Bildungsungerechtigkeiten zur Folge hat. Allerdings leistet dies im Hinblick auf den notwendigen Ausgleich der Lerndefizite keinen Beitrag und bleibt letzten Endes ein Herumdoktern an den Symptomen.

Bleiben diese Maßnahmen isoliert und folgt ihnen kein Ausgleich, drohen dauerhafte Nachteile. Sollten auch im nächsten Schuljahr wieder – wie schon im letzten Schuljahr – Kinder und Jugendliche unabhängig von ihren Leistungen in die nächste Jahrgangsstufe versetzt werden, laufen diese Gefahr, den Anschluss endgültig zu verpassen und den angestrebten Abschluss nicht zu schaffen. Andernfalls müssten dauerhaft Bildungsstandards und Prüfungsniveaus abgesenkt werden, was dazu führen würde, dass viele Schulabgänger in den nächsten Jahren mit einem geringeren Rüstzeug und Kenntnisstand die Schulen verlassen.

Untaugliche Problemlösungs-Vorschläge
Inzwischen häufen sich Vorschläge, die zu grundsätzlichen Eingriffen in den zeitlichen Ablauf des Schulbetriebs auffordern, um die Lerndefizite aufholen zu können.
Gefordert werden etwa eine Kürzung oder auch Streichung von Ferienzeiten, die Einführung von Samstagsunterricht, die Verlängerung des Schuljahres bis Weihnachten sowie die komplette Streichung und Wiederholung des aktuellen Schuljahres.

Alle diese Vorschläge sind weitgehend untauglich, das Grundproblem zu lösen, also die Schülerinnen und Schülern nach Bedarf wieder an das zu erreichende Leistungsniveau heranzuführen.
Ferienkürzungen und Samstagsunterricht würden zu einer weiteren Überforderung und Überlastung aller Betroffenen führen, also von Lehrkräften, Schülern und Eltern, die schon jetzt an der Belastungsgrenze stehen. Die Verlängerung oder Streichung des Schuljahres würde dazu führen, dass die gesamte Bildungskette, der jährliche Übergang vom Kindergarten zur Primarstufe, von Grundschulen an weiterführende Schulen und von weiterführenden Schulen ins Berufsleben und an Hochschulen unterbrochen würde – mit weitreichenden Folgen für den gesamten Wirtschaftsprozess und im Falle eines zusätzlichen Schuljahres für alle mit einem massiv erhöhten Lehrerbedarf, der nicht aufzufangen ist.

Der Kernpunkt aber ist: Alle diese Vorschläge scheren alle Schülerinnen und Schüler über einen Kamm, sie sind viel zu undifferenziert und werden damit der eigentlichen Herausforderung nicht gerecht. Notwendig ist ein zwar umfassendes, aber differenziertes und flexibles, längerfristig angelegtes Lern- und Bildungsförderungskonzept, angepasst an die unterschiedlichen Bedarfslagen je nach Schülerklientel, Altersstufe und Schulart. Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler mit dem Distanzunterricht inzwischen gut zurechtkommt, so dass bei diesen zwar keine basalen Lernlücken aufgetreten sind, trotzdem aber auch besonderer ergänzender Förderbedarf sinnvoll sein kann. Es geht aber auch darum, Kinder und Jugendliche verstärkt in den Bereichen Angebote zu machen und für einen Ausgleich zu sorgen, die in Pandemiezeiten grundsätzlich zu kurz gekommen sind, also z.B. Projektwochen, musische Bildung, Sport, Wahlangebote, Schüleraustausch und Studienfahrten.
Dafür ist die Bereitstellung erheblicher, zusätzlicher Personal-, Zeit- und Finanzressourcen dringend erforderlich.

Feststellung des Lernbedarfs
Insgesamt brauchen wir in allen Bundesländern dringend ein Gesamtkonzept: Kindern und Jugendlichen, die während der Schulschließungen kaum erreicht wurden, muss eine besondere Förderung und Unterstützung im Schulalltags angeboten werden. Doch auch diejenigen, die nur begrenzte Hilfe nötig haben, dürfen nicht übersehen werden. Um den Umfang der notwendigen Maßnahmen bestimmen zu können, ist eine Bestandsaufnahme

nötig und zwar so rechtzeitig, dass bis zum Ende des Schuljahres genügend Zeit bleibt für eine intensive Beratung von Schülern und Eltern, welche Form der Unterstützung sinnvoll und notwendig ist. Den Aufwand dafür kann man gering halten, da es nicht um eine fein differenzierte Leistungserhebung, sondern lediglich um die Identifizierung größerer grundsätzlicher Wissenslücken und Kompetenzdefizite geht.

Begleitende Zusatzförderung an Schulen
Schon vor Corona gab es Förderprogramme, die neben einer inhaltlich pädagogischen Konzeption auch und gerade die personelle Ressourcenfrage in den Fokus genommen haben. Wir brauchen inhaltlich ein individualisiertes Förderangebot, das auf der pädagogischen und sozialen Fachkompetenz der Lehrkräfte vor Ort aufbaut. Durch den massiven Lehrkräftemangel an unseren Schulen ist dies allerdings nur mit dem vorhandenen Personal- und Planstellenbestand zusätzlich nicht leistbar.

Mehr Flexibilität und Eigenverantwortung der Einzelschulen
Wir fordern deshalb dringend, den Schulleitungen mehr Flexibilität und Eigenverantwortung einzuräumen. Es muss den Schulen ermöglicht werden, zumindest vorübergehend zusätzlich zu den im Rahmen des fest zugewiesenen, an die Stundenpläne und Fächer gebundenen Unterrichtsbudgets besondere Schwerpunktsetzungen vornehmen zu können, also beispielsweise in Lerngruppen und Fächern mit einem hohen Nachholbedarf durch Teilung und Differenzierung mit Hilfe einer integrierten Lehrerreserve. Im Rahmen einer solchen flexiblen Stundentafel könnte jede Schule bedarfsorientiert und flexibel auf unterschiedliche Förderbedarfe reagieren. Die im Gegenzug notwendigen Kürzungen in anderen Lernangeboten und Fächern dürfen aber nicht dazu führen, dass die zentralen Lehrplanziele dort nicht erreicht werden.

Durch Krisensituationen wie jetzt in der Pandemie kommen Schulen meist besser, wenn ihnen mehr Freiraum zur Verwirklichung eigener, passgenauer Lösungen zugestanden wird.

Gewinnung von zusätzlichen Personalressourcen
Zusätzliche Förderangebote am Nachmittag oder im Rahmen eines binnendifferenzierten Unterrichts mit zwei Lehrkräften in einer Klasse setzen voraus, dass dafür mehr Personal zur Verfügung steht.
Um den generellen Lehrkräftemangel, kurzfristig und zeitlich befristet in der Coronakrise auszugleichen und darüber individualisierte Fördermöglichkeiten durch pädagogisch geschultes Fachpersonal in Kleingruppen anbieten zu können, sieht der DL folgende Möglichkeiten:

• Lehramtsstudierende gewinnen, denen die erteilten Unterrichtsstunden und Betreuungsaufgaben bezahlt sowie als Schulpraktika anerkannt werden,
• pensionierte Lehrkräfte zurückholen durch angemessene Vergütungsbedingungen bis hin zur Möglichkeit einer dauerhaften Erhöhung der Pension,
• Teilzeitkräfte zur freiwilligen Aufstockung durch attraktive Rahmenbedingungen motivieren.

Lernförderung durch außerschulische Bildungspartner
In dieser außergewöhnlichen Situation und auch in Zukunft kann es hilfreich sein, wenn Schulen bei der Lernförderung durch externe Partner und Institutionen mit Angeboten unterstützt werden, bzw. mit Bildungspartnern zusammenarbeiten. Voraussetzung dafür ist, dass nicht nur die Finanzierung dieser Zusatzangebote durch Bund und Länder gesichert, sondern auch dass eine klare Qualitätskontrolle sowie eine enge Zusammenarbeit mit Lehrkräften und Schulen gegeben sind.

In Frage kommen für diese unterstützende, außerschulische Zusatzförderung folgende Institutionen und Ämter:
• Volkshochschulen,
• Familienbildungsstätten,
• Jugendämter mit Inklusionsangeboten und individuellen Lernhilfen,
• Jobcenter und Sozialämter mit Leistungen wie Bildung und Teilhabe,
• Jobcenter und Jugendämter im Verbund für Angebote für Berufsschüler/innen,
• Gesundheitsämter und Krankenkassen mit präventiven lernsteigernden Angeboten,
• freie Jugendhilfeträger mit individuellen Hilfen für alle Altersgruppen,
• Anbieter von Nachhilfekursen,
• Anbieter von Lernplattformen,
• Personen in Nebentätigkeit, wie Lehramtsstudierende,
• freie Anbieter mit Mentoringprogrammen in denen außerschulischen Personen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen für eine enge Begleitung von Schülerinnen und Schülern mit einem besonders großen Nachholbedarf gewonnen werden.

Diese Institutionen als Bildungspartner sollen mit ihren Fachkräften wie Schulsozialarbeiter/innen, Inklusionsfachkräfte, Schulpsychologen, Bildungsfachkräfte mit medizinisch-pflegerischer Grundausbildung Maßnahmen und Angebote passgenau für den Schulbereich entwickeln.

Ein zusätzliches freiwilliges Lernjahr
Ein Teil der Schülerinnen und Schüler hat seit dem ersten Lockdown und auch während der derzeitigen Schulschließungsphase erhebliche Lerndefizite angesammelt, die zwei Schuljahre betreffen und kaum mehr bis Schuljahresende aufgeholt werden können. Hier besteht die große Gefahr, dass diese Kinder und Jugendlichen auch mit einer begleitenden Zusatzförderung im nächsten Jahr den Anschluss nicht mehr schaffen können und werden.

Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme über den Förderbedarf und der anschließenden intensiven Beratung der Eltern und Schüler, ob und in welcher Form ein freiwilliges zusätzliches Lernjahr Sinn macht, wird dann eine Entscheidung über die Wahrnehmung dieses Zusatzjahres getroffen.

Der DL sieht hierzu zwei Möglichkeiten:
• Individuelles freiwilliges Wiederholen mit Befreiung von den negativen Folgen einer Pflichtwiederholung sowie eine integrierte Zusatzförderung bei Defiziten aus dem vorangegangenen Schuljahr,
• Das Angebot für Kinder und Jugendliche in eigenen Lerngruppen das Schuljahr zu wiederholen mit einem angepassten Lehrplan, der in erster Linie darauf gerichtet ist, die Lernrückstände, die in zwei Jahren entstanden sind, systematisch abzubauen.

Weil der Lehrermehrbedarf für die Wiederholungsjahre nur in kleinen Schritten, verteilt über ca. 10 Jahre anfallen wird, muss dieses Modell nicht am allgemeinen Lehrermangel scheitern.

Finanzierung und Langfristigkeit
Um diese Herkulesaufgabe schultern zu können, die langfristigen Zukunfts- und Bildungschancen unserer Kinder und Jugendlichen in der Schule trotz und nach Corona zu sichern, bedarf es auch finanziell einer großen Kraftanstrengung, die am besten gemeinsam von Bund und Ländern, analog dem Digitalpakt, zu schultern ist.
Wir fordern dazu ein Lern- und Bildungsförderprogramm in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro allein für den Zeitraum bis Sommer 2022. Ob eine Verlängerung notwendig ist, muss rechtzeitig vor Ende des nächsten Schuljahres geprüft werden.

Verantwortlich: Präsidium des Deutschen Lehrerverbands, April 2021

G.B.
2 Jahre zuvor

tldr

Mona
2 Jahre zuvor
Antwortet  G.B.

So ist das.

Aktuell ballert jede Interessengruppe irgendeine mehr oder minder relevante Stellungnahme raus. Alles was viel länger als eine Seite ist, wird deshalb ohnehin nicht mehr gelesen. Wenn man trotzdem unbedingt so viel schreiben will, muss wenigstens eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen her. Und zwar an den Anfang.

As.
2 Jahre zuvor

G8 und dann noch Zusatzförderung? Wann denn? Die Kinder haben doch schon fast einen Vollzeitarbeitsplatz. Zumindest mit dem Unsinn sollte jetzt für alle Schluss sein. Da ja eh in NRW wo immer möglich bereits wieder zu G9 gewechselt wurde. Da mag das auch funktionieren mit Schulschluss um 13.15 Uhr. Aber nicht mit 15.55 plus Fahrtzeiten. Am besten nur noch Internate mit 24 Stunden Vollbeschulung. Ironie aus.