Thema Kinderrechte auf der didacta: „Es braucht einen Bewusstseinswandel“

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STUTTGART. Zwischen Selbstbestimmung und Fürsorgepflicht: Auf der Bildungsmesse didacta DIGITAL werden unter anderem auch Kinderrechte thematisiert. Als Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind setzte sich Prof. Dr. Jörg Maywald jahrelang für Kinder und deren Rechte ein. Im Interview berichtet er unter anderem, was er von dem Gesetzentwurf zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz hält.

Maywald: „Eine ganze Generation wird mit ihren Interessen nicht angemessen bei den Entscheidungen im Umgang mit dem Coronavirus berücksichtigt.“ Foto: Shutterstock.

Herr Prof. Dr. Maywald, wie definieren Sie Kindeswohl?
Kindeswohl ist ein zentraler Begriff, wenn es um Kinder geht. Eine juristische Definition gibt es nicht. Man könnte sagen, dass darin sämtliche Kinderrechte zusammengefasst werden, also die Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte.

Wie können pädagogische Fachkräfte Kinder und deren Rechte respektieren?
Dazu gehört zunächst einmal, dass die pädagogischen Fachkräfte die Kinderrechte kennen. Die UN-Kinderrechtskonvention ist immer noch nicht in die Ausbildung integriert. Im Alltag kommt es vor allem darauf an, ein gutes Vorbild zu sein, die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtig zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. In vielen Situationen muss man entscheiden: Ist die Selbstbestimmung des Kindes gefragt? Ob und was ein Kind zum Beispiel isst, das haben wir nicht zu bestimmen. Das kann das Kind ganz alleine. An anderer Stelle ist Partizipation gefordert, unter anderem wenn es darum geht, was auf den Tisch kommt. Das sollten Kinder ein Stück weit mitbestimmen können. Schon die Frage, ob es schmeckt, ist eine Form der Beteiligung.

Nienhuis Montessori

Foto: Shutterstock

„Ästhetik und Kunst – Impulse für die Montessori-Pädagogik“: Kostenloser Video-Workshop und Gewinnspiel aus Anlass der didacta DIGITAL 

In diesem Workshop erhaltet Ihr für die verschiedenen Altersstufen kleine Tipps, wie Ihr mit vorhandenen Nienhuis-Materialien oder von diesen inspiriert die Wahrnehmung weiter unterstützen könnt mit den Mitteln der Ästhetischen Erziehung und des freien Experimentierens mit Farbe, Pinseln, Stiften, Papier, Draht, Cutter und anderen Werkzeugen und Malwerkzeugen.

Montessori-Trainerin und Kunstpädagogin Gritje Zerndt vom montessori labor berlin nimmt uns mit auf einen kleinen Ausflug in die Welt des Sehens und Tastens, Konstruierens und Experimentierens, des kunstgeschichtlichen Einordnens und der kulturellen Vielfalt. Sie schaut für etwas mehr als eine Stunde mit uns auf die Montessori-Pädagogik durch die Augen einer Kunstpädagogin.

Gerade in Corona-Zeiten sollten wir uns nicht auf die „Kernfächer“ zurückziehen, sondern dürfen nach dem Vorbild Maria Montessoris der übergeordneten Bedeutung des persönlichen Ausdrucks Raum geben und stellvertretend der künstlerischen Betätigung den roten Teppich ausrollen – in Innenräumen und im Freien. Wir laden Euch ein, mit uns zu feiern, dass wir eine Pädagogik mit ästhetischem Anspruch praktizieren, damit Ihr eure Kinder und Jugendlichen immer wieder einladet, sowohl frei zu explorieren als auch Impulse und Techniken zu erleben, mit denen sie ihre Möglichkeiten erweitern können.

Hier geht’s zum Film sowie Infos zur Rabatt- und Gewinnspiel-Aktion.

Viel Spaß beim Zuschauen!

Gibt es Grenzen der Selbstbestimmung?
Die gibt es selbstverständlich auch, beispielsweise wenn sich Kinder auf Kosten eines anderen Kindes behaupten wollen oder etwas tun, das ihnen nicht gut tut. Ein Klassiker ist, wenn ein Kind bei niedrigen Temperaturen im T-Shirt nach draußen geht. Dann kommt es zu einer Konfliktsituation: Einerseits sollten Kinder weitgehend mitreden können, andererseits haben sie auch ein Recht auf bestmögliche Gesundheitsfürsorge. Hier sind unterschiedliche Rechte in eine gute, kindgerechte Balance zu bringen.

Sie setzen sich dafür ein, dass Kinderrechte ins Grundgesetz aufgenommen werden. Inwiefern entspricht der Gesetzentwurf der Bundesregierung Ihren Anforderungen?
Es gibt vor allem in zwei Punkten noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Das betrifft zum einen den zentralen Begriff des Kindeswohls: Die Formulierung, dass dieses angemessen berücksichtigt werden soll, ist juristisch eine absolute Leerformel. Die Kinderrechtskonvention kennt eine viel stärkere, nämlich dass das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden muss. Der zweite Punkt bezieht sich auf die Beteiligungsrechte von Kindern. Kinder müssen nicht nur vor Gerichten Gehör finden, sondern auch in anderen Bereichen, beispielsweise in jugendamtlichen Verfahren, und ihre Sichtweise muss angemessen berücksichtigt werden.

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Inwiefern hat sich die Pandemie auf die Rechte von Kindern und deren

Prof. Jörg Maywald spricht auf der didacta DIGITAL über Kinderrechte. Foto: didacta.

Wohlergehen ausgewirkt?
Die Rechte von Kindern wurden massiv eingeschränkt, unter anderem was deren sozialen Bedürfnisse, aber auch deren Bildungshunger betrifft. In vielen Fällen waren die Einschränkungen unausweichlich, immerhin haben Kinder ein Recht auf Gesundheitsschutz. Doch ihre Interessen wurden häufig gar nicht in die Abwägung einbezogen. Zum Beispiel gehört Familienministerin Franziska Giffey nicht dem engeren Krisen-Kabinett an. Eine ganze Generation wird mit ihren Interessen nicht angemessen bei den Entscheidungen im Umgang mit dem Coronavirus berücksichtigt.

Wie kann die Situation verbessert werden?
Die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, ist ein erster Schritt. Aber natürlich braucht es mehr, einen Bewusstseinswandel. Denn Kinder können sich nicht wie Erwachsene zu Wort melden. Sie können nicht die Presse einschalten oder einen Anwalt beauftragen. Wir sollten uns in sie hineinversetzen, sie befragen und anhören. Und vor allem sollten wir aus der Krise lernen, denn es wird eine nächste geben, die wir besser meistern sollten. didacta Verband e.V.

Die didacta Digital
Die didacta sollte eigentlich in Stuttgart stattfinden – jetzt digital. Foto: Koelnmesse

Europas größte und Deutschlands wichtigste Bildungsmesse wird nach dem pandemiebedingten Ausfall im letzten Jahr nun doch vom 10. bis 12. Mai 2021 stattfinden – erstmals als Online-Veranstaltung. Dutzende von Workshops, Referate und Diskussionsrunden versprechen wichtige Informationen und Ideen für die berufliche Praxis in Kita, Schule und Ausbildungsbetrieb. 180 Aussteller haben sich angesagt. Die Teilnahme ist kostenlos.

Prof. Dr. Jörg Maywald spricht über „Beteiligung – Förderung – Schutz: Bedürfnisse und Rechte von Kindern ernst nehmen“ (Forum KIAT), 11.05.2021, 11:00 – 11:45 Uhr.

Zum vollständigen Programm und zur Anmeldung geht es hier.

 

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Angelika
2 Jahre zuvor

Soviel vorweg: ich bin dafür, dass die Rechte von Kindern erkannt und beachtet werden. Aber ich teile die Meinung von Juristen, die die Aufnahme von Kinderrechten ins GG für entbehrlich halten. https://taz.de/Juristin-ueber-Kinderrechte/!5659289/
Die Vorstellung, dass Kinderschützverbände sich, gefördert durch Spendengelder, um die Förder- und Beteiligungsrechte von Kindern kümmern werden wollen, behagt mir nicht. Auf dem Markt der Möglichkeiten wurden von den Vereinen zu viele Modetorheiten gehypt.

Kinder „durften“ medienwirksam trommeln für „Kinderrechte ins Grundgesetz“ https://www.fehmarn24.de/heiligenhafen/trommeln-kinderrechte-668594.html, aber der deutsche Kinderschutzbund empörte sich beispielsweise nie darüber, dass immer mehr Kitas ohne einen eigenes Außengelände eine Betriebserlaubnis bekommen haben. Ganz profan gegen versiffte Schultoiletten zu trommeln, war auch kein Thema. Und wie sehr sind organisierte Kinderschützer dagegen, dass immer wieder Kleinkinder gegen ihr erkennbares Sträuben dennoch in Krippen betreut werden? – Kinder, die selbst mit Freude in ihre Kita gehen, müssen diese schmerzlichen Szenen ansehen und anhören. Das ist viel schlimmer als ein mieses Fernsehprogramm.

Wären kleine Kinder Tiere, hätten Tierschützer mit Sicherheit eine Menge mehr gegen die legalen Betreuungskonditionen in vielen Kitas und bestimmt auch an manchen Schulen gesagt und getan.