Kultusministerium knipst 2.000 Schul-Homepages vom Netz ab – und zeigt damit (einmal mehr), wie unzuverlässig Landeslösungen sind

22

STUTTGART. Während der Pandemie setzen die Schulen vor allem auf digitale Lösungen. In Baden-Württemberg befinden sich viele der Webseiten und Lernplattformen für den Unterricht im Hochschulnetz des Landes. Nun gibt die Regierung bekannt, dass sich die Schulen daraus zurückziehen müssen. Das ist für die Betroffenen ein harter Schlag. Mehr noch: Der Fall gibt der Debatte um Microsoft und Co. in Schulen neue Nahrung – aber andersherum, als es eine Initiative von Verbänden im Ländle gerne sähe.

Rund 2.000 Schulen in Baden-Württemberg werden vom Internet abgeklemmt. Foto: Shutterstock

Mitten in der Pandemie mit überwiegendem Wechsel- und Fernunterricht hat die Landesregierung den Schulen bekanntgegeben, dass sie das Hochschulnetz des Landes (Belwü) verlassen müssen. Die Webauftritte von mehr als 2000 Schulen werden eingestellt, wie es in einem Brief von Belwü an die Schulträger im Südwesten heißt. Diese müssten sich für ihre Webauftritte nach und nach neue Anbieter suchen. Für Mailkonten und digitale Lernplattformen falle die Anbietersuche weg, diese sollen auf eine zentrale Plattform verlagert werden.

Zur Begründung heißt es in dem Schreiben, es gebe «veränderte rechtliche Rahmenbedingungen». Zudem werde eine «langfristige Perspektive für einen gesicherten Betrieb» benötigt. Diese könne das Kultus- und Wissenschaftsministerium «aus verschiedenen Gründen nicht verlässlich dauerhaft erbringen».

«Wichtig für die Schulen ist: Moodle und E-Mail-Services stehen weiterhin ohne Einschränkungen zur Verfügung»

Das Kultusministerium sprach am frühen Abend von «zwingenden Veränderungen», die schon länger bekannt seien. Belwü habe die Ansprechpartner an den Schulen in der vergangenen Woche informiert. «Wichtig für die Schulen ist: Moodle und E-Mail-Services stehen weiterhin ohne Einschränkungen zur Verfügung, und es ist ausreichend Zeit für den Übergang», sagte ein Sprecher des Ministeriums.

Die Landesregierung versicherte, dass alle für den Fernunterricht und die Kommunikation der Schulen unerlässlichen Dienste wie E-Mail und Moodle in der Landeslösung bis spätestens 2024 sowohl weiterbetrieben als auch weiterentwickelt würden. «Danach soll Moodle im Rahmen der Digitalen Bildungsplattform fortgeführt werden», sagte der Sprecher des Ministeriums.

Auch das für die Hochschulen verantwortliche Wissenschaftsministerium sagte eine langfristige Lösung für die Schulen zu. «Bis diese steht, ist die Versorgung der Schulen mit IT-Leistungen über das Hochschulnetz sicher», sagte Ressortchefin Theresia Bauer (Grüne). Sie stellte aber auch klar: «Das Hochschulnetz Belwü hat in der Corona-Pandemie den Schulen unmittelbar und gerne geholfen. Dies kann wegen der begrenzten Kapazitäten allerdings nur eine Nothilfe und Brücke sein und ist nicht als Dauerlösung möglich.»

Das Landeshochschulnetz nimmt demnach ab sofort keine neuen Schulen mehr auf und möchte mit Beginn im Oktober die bestehenden Auftritte der Schulen im Hochschulnetz einstellen, wie es heißt. Empfehlungen für alternative Dienstleister könne man aus Wettbewerbsgründen keine geben, so Belwü. Der Umbau soll stufenweise erfolgen und bis ins Jahr 2023 dauern.

Anzeige

„Ohne einen ausgearbeiteten Plan ist ein Abriss bestehender Strukturen, die unter Volllast laufen, schlicht unverantwortlich“

Der Philologenverband Baden-Württemberg übt scharfe Kritik. Mitten im Corona-Lockdown und im digitalen Fernunterricht erfahren tausende Schulen, die den Internetanschluss, ihre Homepage, die Lehrer-Emailkonten und Moodle-Lernplattformen bei BelWü betreiben, dass diese jetzt sukzessive beendet werden sollten, teilte der Landesvorsitzende Ralf Scholl mit. Es sei völlig unverständlich, dass zum zweiten Mal innerhalb von nur drei Jahren eine bestehende Struktur abgerissen werde, ohne dass rechtzeitig ein funktionierender Ersatz bereitstehe. „Ohne einen ausgearbeiteten Plan mit klaren Schritten, wie der Übergang für die Betroffenen möglichst reibungsfrei ablaufen soll, ist ein Abriss bestehender Strukturen, die unter Volllast laufen, schlicht unverantwortlich“, meinte Scholl. Der Verband forderte die Landesregierung auf, den Vertrag mit Belwü zu verlängern und in der Zwischenzeit eine landeseigene Lösung zu schaffen.

Auch die GEW in Baden-Württemberg hält das Vorgehen für falsch. Der Zeitpunkt sei ungünstig und sorge bei den Schulen für Unsicherheit, sagte der GEW-Landesvize David Warneck. Das Land müsse nun schnell klären, ob das Landeshochschulnetz ausgebaut werden könne, um so auch die Schulen abzudecken oder stattdessen auf eine eigene Lösung für die Schulen setzen.

Der Zeitpunkt ist auch noch aus einem anderen Grund pikant: Beide Lehrerverbände, die GEW und der Philologenverband, beteiligen sich an einer Initiative in Baden-Württemberg, die Microsoft und Co. aus Schulen verbannen will – erst in der vorvergangenen Woche war eine entsprechende Erklärung herausgegeben worden. Der zufolge sollen das Kultusministerium und die Schulen verpflichtet werden, stattdessen auf „bewährte datenschutzkonforme Lösungen“ wie die vom Land bereitgestellte Lernplattform Moodle sowie das Videokonferenzsystem BigBlueButton, die Bürosoftware LibreOffice und das Mailprogramm Thunderbird zurückzugreifen.

Ein Argument: Nach Überzeugung der Unterzeichner darf sich ein Bundesland nicht von einem Unternehmen wie Microsoft abhängig machen, das jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes (also der USA) in der Nutzung eingeschränkt oder abgeschaltet werden könne. Ein konkretes Beispiel dafür gibt es nicht, obwohl praktisch jedes Unternehmen in Deutschland seit Jahrzehnten mit Software von US-Konzernen arbeitet. Dagegen illustriert der aktuelle Fall einmal mehr, wie wenig sich Schulen auf selbstgestrickte Landeslösungen verlassen können. Die Debatte, über die News4teachers in der vergangenen Woche berichtete, schlug hohe Wellen.

Der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei sprach nun von einem «digitalen Offenbarungseid». Die Schulleitungen seien am Limit. Ihnen jetzt auch noch so etwas wie die Suche nach einem eigenen Anbieter für die Schul-Homepage aufzudrücken, zeuge von einem unglaublichen Mangel an Sensibilität für die Situation an den Schulen, so der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Es sei unklar, auf wessen Server die Lernplattform Moodle nun ziehen solle und was es das Land kosten werde.

Der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag, Timm Kern, teilte zu der Entscheidung mit, sie komme überraschend und zur Unzeit. Die Beweggründe blieben unklar und die Ministerien die Hinweise für den nunmehr notwendigen Anbieterwechsel der Schulen schuldig, so Kern.

Der Start von „ella“ musste  wegen gravierender technischer Probleme immer wieder verschoben werden – und wurde dann komplett gestoppt

Das Land Baden-Württemberg schlittert beim Thema Digitale Bildung von einer Pleite in die nächste. Seit 2015 hatte das Kultusministerium eine Lernplattform mit dem Namen „ella“ entwickeln lassen. Der Start musste dann wegen gravierender technischer Probleme immer wieder verschoben werden. 2018 wurde das Projekt, in das bereits 6,5 Millionen Euro geflossen waren, dann komplett eingestellt. In eine neue Lernplattform soll praxiserprobte Microsoft-Software integriert werden, wogegen sich aber eben Widerstand regt. Die Perspektive, wann eine komplette Lösung für die Schulen in Baden-Württemberg existiert, wird vom Kultusminsterium aktuell mit Frühjahr 2023 angegeben. News4teachers / mit Material der dpa

Hinter den Zusammenbrüchen der Schulplattformen steckt ein Systemfehler: Ministerien als IT-Entwickler? Das kann nur scheitern

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

22 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Pit 2020
2 Jahre zuvor

Jetzt noch zwei schlechte Nachrichten:
1. Es gibt noch 15 weitere Bundesländer.
2. Heute ist erst Dienstag.

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  Pit 2020

Jaaaa!! …das macht Lust auf mehr… aber vielleicht haben wir ja Glück (??) und hier zeigt sich lediglich der (leicht veränderte 😉 )Wahlspruch des Landes BW:

„Wir können gar nix – nicht mal Hochdeutsch!“

Könnte natürlich die Vorbereitung für das ultimative Totschlag-Argument für komplette Schulöffnungen sein – LaD geht nicht – Bildung und Schule sind Pflicht – also alles wieder rein in die Schulen – „Friss oder stirb!“

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Andre Hog

@Andre Hog

Und wo wir grad bei „Friss oder stirb!“ sind:
Vor dem Fressen kommt das Küchenbauen und das ist auf Distanz auch irgendwie blöd, der Rest („ … oder stirb!“) findet sich schon, wenn man auf Sicht fährt.
Hat sich ja schon mehrfach bewährt.
🙁

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  Pit 2020

…ach deshalb haben die Möbelhäuser in NRW immer mit als erstes geöffnet…man glaubt es nicht… ich bin so blöde…!!!

Schattenläufer
2 Jahre zuvor

Hier zeigt sich mal wieder, das KuMi ist keine Hilfe. Welch eine Überraschung 🙂
Es ist eher so hilfreich wie ein Rucksack voller Steine auf dem Jakobsweg.
Eher noch schlimmer.
Die Steine wollen wenigstens keinen Dank, sie drücken nur ins Kreuz.
Die Steine machen auch keine Pressekonferenz um der kritiklosen Presse zu erzählen, dass sie kein ordinärer Granit sondern feinstes Carrara-Marmor sind und ihre tumben Träger erst befähigen Paläste zu bauen.
Noch besser, den Steinen ist es sogar egal ob ich auf einem festen Weg mit ihnen marschiere oder auf einem gefährlichen, steilen Bergpfad entlang klettere. Das KuMi verlangt sogar, dass ich mir dabei auf dem Bergpfad die Augen verbinde. Expertisen von Leuten aus der norddeutschen Tiefebene haben nämlich ergeben, dass ein Sturz aus großer Höhe gut für die charakterliche Entwicklung ist.
Die Steine bleiben auch im Rucksack! Sie springen nicht, wenn es mal halbwegs problemlos läuft, aus den Rucksack und werfen sich vor die Füße des geplagten Wanderers.
Das einzige was das KuMi wirklich mit Steinen gemeinsam hat ist die Entschlussfreudgkeit.
Fazit: Steine sind halt nur Steine, das KuMi ist eine Freude für alle Beteiligten.

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  Schattenläufer

Vielen Dank für diese Ausführungen zu den Steinen…da fällt mir aber ein solcher vom Herzen – und erfreut haben diese Ausführung letztlich auch noch!!

Ach ja…

„Spur der Steine“ DDR 1966 – Regie Frank Beyer mit Manfred Krug

https://www.youtube.com/watch?v=wbDez50YZGo

Da lehnen sich diejenigen, die die Arbeit an der Basis machen auch gegen politische Strippenzieher auf, die in weiten Teilen von dem, was den eigentlichen Job ausmacht auch keine Ahnung haben. Ersetzt man an einigen Stellen das Wort „Bau“ oder „Baustelle“ durch das Wort „Schule“ oder „Bildung“ dann kommen wir dem Heute verdächtig nahe!

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Andre Hog

@Andre Hog

Och, muss man gar nicht ersetzen: Schule ist eine unübersichtliche Dauerbaustelle, seit Jahrzehnten.
Zack.
Passt.
Lieber noch ne Küche bauen.

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  Pit 2020

….und was nicht passt wird passend gemacht…

Kenne ich noch aus meiner Jugend…da bin ich als Handlanger mit meinem Vater, der Maurer und Fliesenleger war, in den Schulferien auf´n Bau gegangen…Kohle verdienen…jetzt hätten die lieben Kleinen ja gar keine Zeit mehr dafür, weil die ihre Lernrückstände in „Sommerakademien“ aufholen müssen. „tempi mutantur“

Mona
2 Jahre zuvor

Die schon „länger bekannten“ „veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen“ als Ursache für die „zwingenden Veränderungen“ würden mich schon näher interessieren.

Leider ist in Wahrheit gar nichts zu den angeblich veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen bekannt. Alle Quellen und auch N4T bleiben kryptisch exakt beim Wortlaut der Pressemitteilung.

So vorsichtig, wie sich das Land nun mit Empfehlungen für einen externen Anbieter zurückhält: Wurden z.B. die Ausschreibungsregeln nach Vergaberecht verletzt? Was sollte sich an diesen Regeln jüngst „verändert“ haben? Ist es nicht so, dass Vergaberegeln hier noch nie beachtet worden sind? Wenn es so ist, warum macht man da genau jetzt Nägel mit Köpfen? Welcher Konkurrent droht hier mit private enforcement?

In dieser Story wäre m.E. viel Luft für investigativen Journalismus!

Dil Uhlenspiegel
2 Jahre zuvor

Digitaler Detox – megahart statt Microsoft

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

@Dil Uhlenspiegel

Nicht microsoft kommentiert, sondern hammerhart.
Wenn man in den oberen Etagen die Staubfänger jetzt auch noch so „spontan“ detoxen könnte …
🙂

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

…und was kommt dabei raus, wenn man die ganze Welt über seine Computerprogramme unterwerfen will, alle Menschen mit Micro-Chips chippen und manipulieren will???

Man lässt sich von seiner Frau scheiden, mit der man 27 Jahre verheiratet ist / war!!

Ist die Weltherrschaft das wert???

Nun, es kommt auf die Frau an…. 😉

J. Schuhmacher
2 Jahre zuvor

Letztlich scheiter die Nutzung von BelWü für die Schule daran, dass das Wissenschaftsministerium sich mit dem Kultusministerium nicht einigen kann. V.a. ist wieder einmal niemand bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um z.B. wenigstens den BelWü-Admins ein Mindestmaß an Unterstützung zukommen zu lassen. Jenes Admin-Team, das vor einem Jahr in einer Nacht und Nebelaktion tausende Schulen an einem Wochenende ins Landeshochschulnetz aufgenommen hat – weil das KuMi wieder einmal nicht vorbereitet war.

Jetzt also: Kein MS 365 (und keine Alternative), keine Schul-E-Mail-Adressen (gab’s ja offiziell noch nie!), keine einzige zusätzliche Stunden für die Lehrer-IT-Admins an den Schulen (die jetzt hunderte! neuer Geräte pflegen dürfen), keine Next-Cloud, kein BelWü-Support, keine Unterstütung beim Umzug z.B. der Homepage usw.

ABER: Ganz viel Datenschutz! UND: natürlich kostenneutral!

Kleine Erinnerung an das Land: Schulen haben keine IT-Abteilung, Schulen haben kaum Budgets, Schulen stecken mitten in einer Pandemie, Schulen müssen jetzt(!) unterrichten und auch morgen noch…!

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  J. Schuhmacher

Ich komme aus dem Lachen gar nicht mehr raus…aber ich habe ja gut reden…ich lebe und arbeite in NRW, wo alles so viel besser ist…sagt mir zumindest Michael Richter immer.

Andre Hog
2 Jahre zuvor

Sorry – nicht Michael sondern Mattias – so heißt der Kasper, der den Job als Staatssekretär im KM hat…

Ines Murgai
2 Jahre zuvor

Microsoft darf nicht rein, Apple schon…?…

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Ines Murgai

@Ines Murgai

Omma sagte schon früher: „Äppel sind gesund, immer rein damit, Kinder.“
😉

dickebank
2 Jahre zuvor
Antwortet  Pit 2020

Gilt datt auch für Pferdeäppel?

dickebank
2 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

… und jetzt komm mich nich mit Skarabäus.

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

@dickebank

Gildet für alle Äppel.
Auch für Äääärdäppel weil da die dicksten Bauern die Schönsten von haben.
Öh, äh, oder so … Ommmmmmmaaaaaaaaa?
Hömma wie sachste noch für?

D. Orie
2 Jahre zuvor

Wir arbeiten seit vielen Jahren nur noch mit LINUX (Open Office, alles 0,- € und absolut kompatibel) und sind SUPER zufrieden!!!

J. Schuhmacher
2 Jahre zuvor
Antwortet  D. Orie

Das klappt, wenn man leidenschaftliche Linux-Lehrer*innen an der Schule hat, die für n Appel und n Ei die Administration übernehmen! Jetzt wo in ganz Deutschland hunderttausende iPads angeschafft wurden, habe ich große Zweifel, dass OpenSource für die Breite Masse an Schulen eine praktikable Lösung ist. Die Kompatibilität zw. Apple und OpenSource-Systemen erscheint mir – sagen wir mal – zumindest herausfordernd!