Sozialforscherin: «Kinder- und Jugendhilfe hat junge Menschen im Regen stehen lassen»

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DRESDEN. Probleme von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise haben in der ersten Phase der Pandemie kaum eine Rolle gespielt. Erst nach und nach wird das Ausmaß deutlich. Bemerkenswert: Die Landesregierungen begründeten ihre Neigung, die Kitas und Schulen in der Pandemie offenzuhalten, immer wieder mit dem Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Familien und mit deren besonderen Problemen. Dort, wo sie zielgerichtet hätten handeln können – bei der Kinder- und Jugendhilfe -, haben sie versagt.

Wer ohne Abschluss bleibt, hat praktisch keine Chance auf eine Ausbildung. Foto: Shutterstock
«Ein Gefühl der Ohnmacht.» Foto: Shutterstock

Die Corona-Pandemie hat nach Einschätzung der Sozialforscherin Ulrike von Wölfel viele junge Menschen aus der Bahn geworfen. Die Jugendämter in den Kommunen müssten auf diese Situation reagieren und die Hilfen zur Erziehung verlängern und aufstocken, sagte die 40-Jährige in Dresden. In den Behörden würden Auswirkungen der Krise auf junge Menschen zu wenig beachtet. «Die Zeiten von Lockdown und Homeschooling dürfen nicht als Entwicklungszeit gewertet werden. Diese Zeit muss man betroffenen Kindern und Jugendlichen zugestehen. Sie kämpfen jetzt darum, dass ihre Hilfen verlängert werden, sie in der stationären Jugendhilfe oder im betreuten Einzelwohnen bleiben.»

Von Wölfel, die in Dresden als Koordinatorin der Fachstelle für Ombudschaftliche Beratung arbeitet und dort viele Jahre an der Evangelischen Hochschule forschte und lehrte, hatte im Dezember 2020 als Sachverständige der Kinderkommission im Bundestag zu Folgen der Corona-Krise auf die Kinder- und Jugendhilfe gesprochen. Anfangs sei es bundesweit zu massiven Einschränkungen in der ambulanten Hilfe zur Erziehung gekommen.

In den Jugendämtern sei eine fachlich fundierte Arbeit anfangs kaum noch möglich gewesen

Jugendämter seien zur Improvisation gezwungen gewesen und personell ausgedünnt worden, weil sich Mitarbeiter um andere Aufgaben im Corona-Krisenmanagement kümmern mussten. Die Aufnahme und Unterbringung von Kindern im Fall von Notsituationen sei während der Pandemie bundesweit um 20 Prozent gestiegen.

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Eine fachlich fundierte Arbeit sei anfangs kaum noch möglich gewesen, sagte die Expertin. Manche Kommunen hätten eine Weiterführung der Hilfe nur gewährt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls zu erwarten gewesen sei. Räume und Orte der Begegnung, Beratung und Hilfe hätten als Folge der Pandemie dichtmachen müssen. So habe man die labilsten Glieder der Gesellschaft am heftigsten getroffen: «Die Kinder- und Jugendhilfe hat diese Menschen im Regen stehen lassen.» Es werde lange dauern, die Defizite wieder auszugleichen.

«Psychische Erkrankungen werden zunehmen. Da ist eine Kluft entstanden, die man nur schwer überbrücken kann»

«Die Krise hat eine Zuspitzung gebracht. Da gibt es nichts zu relativieren», sagte von Wölfel und befürchtet nun starke Nachwirkungen. Die Benachteiligung betroffener Kinder und Jugendlicher bei der Bildung werde sich noch vergrößern: «Diejenigen, die es bitter nötig hatten, waren von Hilfen vorübergehend abgeschnitten. Psychische Erkrankungen werden zunehmen. Da ist eine Kluft entstanden, die man nur schwer überbrücken kann.» Für Kommunen dürfte es angesichts einer angespannten finanziellen Lage schwer werden, Angebote wie ambulante Hilfen oder Familientherapie in ausreichendem Maße zu finanzieren.

Ulrike von Wölfel sieht aber noch eine andere Gefahr für Betroffene. Viele hätten wegen mangelnder Unterstützung seitens der Verwaltung ein Gefühl der Ohnmacht bekommen. Das könne nun dazu führen, dass sie sich von der Gesellschaft abwendeten, für eine demokratische und partizipative Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr erreichbar seien und in die Fänge von Radikalen gerieten. News4teachers / mit Material der dpa

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fabianBLN
2 Jahre zuvor

Auch hier ist darauf hingewiesen worden, dass die Kinder- und Jugendhilfe mehr finanzielle und personelle Unterstützung bräuchte, aber auch hier hat nur interessiert, wie es den Lehrern geht. Ob sie auch genug verdienen und nicht zu viel arbeiten und ausreichend gesundheitlich geschützt sind. Da finde ich den Seitenhieb ziemlich unangebracht.

Dil Uhlenspiegel
2 Jahre zuvor
Antwortet  fabianBLN

Ich würde gerne ein wenig abändern, wie es mir passender erscheint:

Auch hier ist darauf hingewiesen worden, dass die Kinder- und Jugendhilfe mehr finanzielle und personelle Unterstützung bräuchte, aber hier hat entsprechend der thematischen Ausrichtung der Website in erster Linie interessiert, wie es den Lehrern und Schülern geht. Ob sie auch genug Aufmerksamkeit verdienen und nicht zu viel arbeiten und ausreichend gesundheitlich geschützt sind.

Mthdnmnn
2 Jahre zuvor

„Das könne nun dazu führen, dass sie sich von der Gesellschaft abwendeten, für eine demokratische und partizipative Kinder- und Jugendhilfe nicht mehr erreichbar seien und in die Fänge von Radikalen gerieten“.

In sehr vielen Orten Ostdeutschlands war das bereits weit vor der Pandemie auch schon so! Hat zuvor leider niemanden interessiert, wird es auch jetzt und zukünftig nicht.

Mrs.Braitwhistle
2 Jahre zuvor

Der Fachkräftemangel wird über kurz oder lang hoffentlich das Augenmerk auf die Kinder auch aus finanzieller Sicht/unter wirtschaftlichen Zukunfstaspekten dringlicher machen … erst dann wird es in der Kinder- und Jugendhilfe und im frühkindlichen Bildungsbereich und der Schule auch Ressourcen geben. Jetzt ist ja auch gerade erstmal allen Kindern wirklich geholfen – sie dürfen dicht an dicht mit Dauermaske wieder in der Schule sitzen und den Wechsel ihrer Vertretungslehrer*innen verfolgen … und ab und zu noch ein paar Leistungsnachweise erbringen.

Pit 2020
2 Jahre zuvor

Zwei Beiträge, die die Thematik sehr sachlich und dennoch anschaulich verdeutlichen.

Interessant und wichtig ist im Hinblick auf den ersten Beitrag, dass diese Studie der Charité Berlin weltweit durchgeführt wurde.
Insofern dürfte sich in diesem Kommentarbereich das beliebte Lehrerbashing eigentlich erübrigt haben – Impulskontrolle vorausgesetzt … 😉

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/junge-menschen-und-die-psychischen-folgen-der-corona-pandemie-100.html
„Bei Kindern und Jugendlichen häufen sich psychische Erkrankungen wie Depressionen, Essstörungen und Verhaltensauffälligkeiten. Das bestätigt auch eine bislang unveröffentlichte Studie der Charité Berlin, die weltweit durchgeführt wurde.
Die Wissenschaftler untersuchten die körperlichen und seelischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie: Demnach fühlten sich beispielsweise Kinder um 76 Prozent und Jugendliche um über 60 Prozent einsamer als vor der Pandemie. Kinderärzte und Psychologen schlagen Alarm: Der Dauer-Shutdown gehe zulasten der jungen Generation.“
(15 Minuten)

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/corona-pandemie-migrantenfamilien-im-shutdown-100.html
„Wut, Frust und Angst machen sich bei vielen Schülern und Schülerinnen während der Corona-Pandemie breit. Insbesondere Jugendliche aus finanziell schwachen Haushalten verlieren den Anschluss in den Schulen.
Und wenn ein Migrationsbezug und Sprachbarrieren hinzukommen, verstärkt sich das Problem. Denn es fehlt ein Hilfsnetzwerk, um auf die speziellen Bedürfnisse der Jugendlichen einzugehen.“
(8 Minuten)

Dil Uhlenspiegel
2 Jahre zuvor
Antwortet  Pit 2020

„Studie der Charité Berlin weltweit durchgeführt wurde.
Insofern dürfte sich in diesem Kommentarbereich das beliebte Lehrerbashing eigentlich erübrigt haben“

Man unterschätze niiiemals die globale, alles zermalmende Macht der Lehrer! … mag jemand mal laut vorlesen? Nein? Gar niemand, nicht mal ein bissl? Na gut, les ich halt selber.

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

😉

Fritzchen
2 Jahre zuvor

Experten, die Probleme (er) finden haben wir genug. Experten, die die Lösung von Problemen anpacken und beseitigen, nur wenige.
Handwerker werden gesucht, keine Apokalyptiker und Sternensucher.
Kinder sind anpassungsfähig, Lobbyisten auch.

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Fritzchen

Für solche „Studien“ gibt es Drittmittel, die Handwerker muss die Kommune bezahlen. Das ist der Unterschied.

Classenlehrerin
2 Jahre zuvor

Es ist immer wieder interessant, dass nur von Kindern, Lehrer*innen, Erzieher*innen und Jugenamt oder Jugendhilfe geredet wird. Aber wo werden denn die Eltern bzw. Familien (Oma, Opa, Onkel, Tante etc.) dieser Kinder in die Pflicht genommen, die erstmal vorrangig für die Erziehung und das Wohl der Kinder verantwortlich sind? Warum wird denn von keinem Politiker einmal erwähnt, dass die Eltern in der ersten Verantwortung sind?

Das Argument, was wir die letzten Monate immer wieder gehört haben, dass Schulen/Kindergärten geöffnet bleiben müssen, damit man Kindern, die einer Kindeswohlgefährdung augesetzt werden, helfen kann, ist doch nur vorgeschoben, damit nicht effektiv etwas getan werden muss. Meiner Meinung nach ist Schule in erster Linie eine Bildungs- und keine Verwahrinstitution.
Denn Säuglinge gehen meistens noch nicht in den Kindergarten und in die Schule. Wer schützt die? Und diese Kindeswohlgefährung macht doch keinen Halt vor Ferien, Feiertagen, Nachmittagen und Wochenenden. Müssen wir die deswegen auch abschaffen? Gibt es dann in der Zukunft nur noch Internate unter staatlicher Obhut?
Wie viele Fälle von Misshandlung und Missbrauch bleiben denn unentdeckt, obwohl die Kinder in die Kita und die Schule gehen!? Wenn Eltern nicht fähig sind, Kinder zu erziehen, bzw. wenn das Elternhaus den Kindern nicht den Schutz bietet, den sie brauchen, müssen doch im Vorhinein effektiv Maßnahmen greifen, die Hilfestellungen bieten.

Warum gibt es keine verpflichtenden Kurse für Kinder, die das Selbstbewusstsein stärken und ihnen Selbstverteidigung beibringen. Oder verpflichtende Kurse für Eltern, in denen auch überprüft wird, ob sie Kindern überhaupt ein sicheres Zuhause bieten können? Effektiv wäre es auch, Maßnahmen wie in Finnland zu ergreifen, wo ein Wort eines Kindes über eine Backpfeife, die es von den Eltern bekommen hat, reicht, damit die Polizei sofort zu den Eltern fährt und diese verhört. Als Strafe müssen dort hohe Geldbeträge gezahlt werden, die Eltern werden erstmal festgenommen und müssen dann eine Fußfessel tragen.

Aber solange auch heute noch einige Kinderärzt*innen und Familienrichter*innen nicht wahrhaben wollen, dass es Kindeswohlgefährdung in allen Gesellschaftsschichten gibt, wird es keine wirksame Ahndung geben.

Lange Rede kurzer Sinn, das Problem muss wie so oft an der Wurzel angegangen werden und nicht erst später die Symptome bekämpft werden.
Gebt den Sozialarbeiter*innen und Erzieher*innen endlich das Gehalt, was sie verdienen, schafft mehr Stellen und schult die Familienrichter*innen und Ärzt*innen gezielt.

ViB
2 Jahre zuvor
Antwortet  Classenlehrerin

Ich denke auch, dass hier ein Grundproblem liegt.
Die Eltern bzw die Kompetenz der Eltern zum liebevollen Erziehen sollte gestärkt werden, sodass Kinder unterstützt und gesund (physisch u psychisch) aufwachsen können.
Damit es gar nicht erst soweit kommen muss, dass Dritte eingreifen müssen.
Ich denke aber, dass es der falsche Weg ist, die gemeinsame Zeit der Familie immer weiter zu reduzieren, wie es durch die ganze Ganztagesbetreuung den Anschein macht.
Ich habe den Eindruck, dass einige Eltern deswegen dazu neigen, Verantwortung abzuschieben (nachdem Motto „soll die Kita doch mein Kind trocken bekommen, die sehen es eh öfter“).
Hier sollte auch angesetzt werden.

Susi
2 Jahre zuvor

„Wenn Eltern nicht fähig sind, Kinder zu erziehen, bzw. wenn das Elternhaus den Kindern nicht den Schutz bietet, den sie brauchen, müssen doch im Vorhinein effektiv Maßnahmen greifen, die Hilfestellungen bieten.“

So einfach ist es leider – oder besser gesagt: Gott sei Dank – nicht: Schulen haben neben dem staatlichen Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag; beide Verpflichtungen haben das Kindeswohl im Blick. Im ersten Fall über die ‚Kollateralschäden‘, die körperliche oder psychische Gewalt beim Kind auslösen; für den zweiten Fall lässt sich aus dem Erziehungsauftrag ableiten, dass Schulen parallel zum Bildungsauftrag neben den Eltern als „gleichgeordnete“ Erziehungsträger definiert sind. (vgl. Köpke-Duttler 2014, S. 70 f). Weiteres findet sich z. b. in § 5a Berliner Schulgesetz: „Werden der Schule gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen bekannt, so geht die Schule im Rahmen ihres schulischen Auftrags den Anhaltspunkten nach. Hält sie das Tätigwerden der Kinder- und Jugendhilfe für erforderlich, so hat sie das Jugendamt unverzüglich zu informieren. Die Zulässigkeit der Datenübermittlung richtet sich nach § 64 Absatz 3 Satz 1 des Schulgesetzes. Im Übrigen wirkt die Schule darauf hin, dass Maßnahmen zum Schutz und Wohl des Kindes und zur Unterstützung der Eltern erfolgen. Sie arbeitet hierzu mit den zuständigen Stellen der Bezirke zusammen.“ (Senatsverwaltung für Jugend, Familie und Kinder Berlin 2020)

Kinderschutz sollte stets die Biografie jedes einzelnen Kindes im Blick haben, dazu ist eine Vielzahl von Einzelfallentscheidungen notwendig. Dass Kinderschutz dabei ein Teil von Bildung ist und es umgekehrt, keine Bildung geben kann, ohne dem Kinderschutz gerecht zu werden, rechtfertigt generell z. B. auch ein Umdenken von Rollen. Vernetzungen und Kooperationen sind m. E. grundlegend, damit niederschwellig und nachhaltig effektiver Kinderschutz gewährleistet ist.

„Aber solange auch heute noch einige Kinderärzt*innen und Familienrichter*innen nicht wahrhaben wollen, dass es Kindeswohlgefährdung in allen Gesellschaftsschichten gibt, wird es keine wirksame Ahndung geben.“

Genau! Aber nicht nur diese Gruppen, sondern alle erwachsenen Menschen sind gefragt. Damit einer Verinselung der einzelnen auf allen Ebenen entgegengewirkt werden kann, braucht es einen Zugriff auf einen ‚gemeinsamen Speicher‘, flache Hierarchien und eine flexible Gestaltung von sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten. Bestehende Kooperationsverträge sollten der Dynamik der Sachlage Stand halten. Dies könnte verhindern, dass formale Rechtssicherheit den Kinderschutz gefährdet. Der anhaltende soziale Austausch zwischen den Beteiligten in aller Breite bietet zusätzliche ‚Komplexleistungen‘, die das System verfeinern.

Die Schulleitungen haben m. E. die Pflicht, dieses Verständnis vor dem Hintergrund ihrer eigenen Rolle nachhaltig zu kommunizieren und durch entsprechende Handlungen wie beispielsweise Vernetzungen, Kooperationsverträge, Fortbildungen zum Schutz der Kinder und ihrer Lehrkräfte sowie im Sinne eines erweiterten Bildungsbegriffs praxisnah auszugestalten. Für die (Grund-)Schule (mein Gebiet) bedeutet dies beispielsweise, dass neben Schulleitung, Jugendamt, Lehrpersonal, Eltern und betroffenen Kindern im Einzelfall auch andere Kooperationspartner sowohl bei Präventionsmaßnahmen als auch im Ausgestaltungsprozess bei Kindeswohlgefährdung Gehör finden.

Also: Die Notwendigkeit eines veränderten Rollenverständnisses als Bildungseinrichtung wird meiner Meinung nach durch den Grad der Schutzbedürftigkeit ihrer Kinder in Abhängigkeit zu deren Alter unterstrichen.

Wenn sich eine Lehrkräft nicht (rechts-)sicher fühlt, braucht sie die Hilfe von Kolleg*innen und der Schulleitung, die damit demonstrieren, dass bei Beachtung des Ablaufes der Kooperationsvereinbarungen ein falsches Handeln bei Kindeswohlgefährdung fast unmöglich ist.

Die Schulen sind also mehr als mitten drin – sie haben eine zentrale Rolle beim Kinderschutz.

Aber auch der Gesetzgeber ist mehr als mitten drin, denn die Rechtsträgerschaft der Kinder könnte durch explizite Verankerung der Kinderrechte als Grundrechte in der bundesdeutschen Verfassung gestärkt und damit der Kinderschutz rechtlich maximiert werden, was seinen Stellenwert in der Gesellschaft erhöht. Dies ist ja bereits (leider) in ‚abgeflachter Form‘ auf dem Weg.

Am Ende heißt es aber für den Schutz von Kindern – und da gebe ich Ihnen recht: Schulen mit ihren Vernetzungen können noch so gut und gewissenhaft sowie niederschwellig funktionieren, ein gelingender Kinderschutz kann nur umgesetzt werden, wenn es bei jedem einzenen Erwachsenen ein Rechtsbewusstsein gibt.

Zum eigentlichen Thema – der Rolle der Kinder- und Jugendhilfe:

Die Kinder- und Jugendhilfe soll „gemäß § 1 Abs. 1 SGB VIII 1 durch geeignete Angebote insbesondere junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern.“ (vgl. Fuhs & Brand 2014, S. 119 f). Bereiche, die hier Kindern, Jugendlichen und deren Familien relevante Bildungsangebote zur Verfügung stellen, seien Kindertagesbetreuung, Kinder- und Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit und Hilfen zur Erziehung (vgl. ebd., S. 120).

Für die Einrichtungen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe regelt § 8a SGB VIII neben Art. 6 Abs. 2 GG den Schutzauftrag durch Mitarbeiter*innen und Fachkräfte. Das Jugendamt oder das Familiengericht dürfen bei Gefahr in Verzug im Rahmen einer Inobhutnahme auf die Familiengeschehnisse einwirken (vgl. Ziegler 2020). Konkrete Regelungen des Schutz-auftrages für das Jugendamt finden sich in § 8a SGB VIII Abs. 1: Das Jugendamt ist ver-pflichtet, „gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung nachzugehen und das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen.“ (vgl. LVR-Landesjugendamt Rheinland 2020, S. 8). Dabei seien die Erziehungsberechtigten und das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen, falls der Schutz dadurch nicht gefährdet sei. Notwendige Hilfen zur Abwendung der Gefährdung seien den Erziehungsberechtigten anzubieten. Nach Abs. 4 seien die Jugendämter verpflichtet, Verein-barungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach dem SGB VIII erbringen, über deren Wahrnehmung des Schutzauftrags zu schließen.

Merken Sie was? In der Pandemie ist der Handlugnsspielraum der Kinder- und Jugendhilfe noch mehr eingeschränkt, da sie ihr ‚Wächteramt‘ nur bedingt wahrnehmen konnte.

Die Gemengelage lässt nur einen Schluss zu: Nur wenn ALLE Erwachsenen sich dem Kinder- und Jugendschutz gegenüber verantworlich fühlen, kann er gelingen. Schuldzuweisungen an die Kinder- und Jugendhilfe sind und waren (vgl. Fall Kevin in Bremen) immer schon gut als Instrument – und da nehme ich fast alle Medien explizit nicht aus -, um von dem eigenen Nichtstun abzulenken.

„Wacht auf Ihr Deutschen und blickt auf Eure Kinder!“

Susi
2 Jahre zuvor

nachrichtlich für alle, die über den ‚Fall Kevin‘ und das, was er auslöste, mehr wissen wollen:

„Der Leichnam des unter Vormundschaft stehenden Kleinkindes Kevin wurde am 10. Oktober 2006 in der Wohnung seines Ziehvaters im Bremer Stadtteil Gröpelingen aufgefunden. […] Im Mittelpunkt des Öffentlichen Interesses am ‚Fall Kevin‘ stand aber das Jugendamt. Die Skandalisierung des Verfahrens seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollte weitreichende Wirkungen zeigen und ein verstärktes Sicherheitsdenken unter Fachkräften der Sozialen Arbeit evozieren, die fortan alles daran setzten, nicht selbst in der medialen Öffentlichkeit für den Tod eines Kinders verantwortlich gemacht zu werden.“ (Brandhorst 2015, S. 17).

Dieser tragische ‚Fall‘ kann sozusagen als Beginn der Ausgestaltung der Prozesse zugunsten der Effektivität der Handlungsträger hinsichtlich des Schutzes von Kindern gesehen werden. Bildungswissenschaftlich nähren nunmehr die Probleme von Verinselung durch Zuständigkeiten und Hierarchien der Institutionen einen wissenschaftlichen Diskurs, den Ursachen und Lösungsmodelle begleiten. Interne und externe Vernetzungen für einen wirksamen Kinderschutz kollidieren aber immer noch mit unterschiedlichen Rollenverständnissen. In diesem Kontext steht auch die (Grund-)Schule als wichtige Kooperationspartnerin; ist es doch nach Arnold Köpcke-Duttler (2014, S. 73) ihre „unaufgebbare Aufgabe […], dass sie sich einem Prozess […] der Beschädigung der Kinder verweigert“.

Maja
2 Jahre zuvor

Als Pfadfinderstamm sind wir offizieller Teil der Kinder-und Jugendhilfe.
Wir durften in Hessen ganz offiziell fast die ganze Zeit unser Angebot aufrecht erhalten. Selbstverständlich mit immer wieder veränderten Hygienekonzept, je nach Regelungen.
Wir haben das auch getan, weil wir gesehen haben, wie sehr die Kids leiden. Das hat uns extrem viel Zeit und auch Geld gekostet, das wir ehrenamtlich gestemmt haben. Hätten wir einfach dicht gemacht, hätten wir bis zu 5000€ erhalten können fürs Nichtstun. Weil wir aber die Ärmel hochgekrempelt haben und die Kinder nicht im Regen stehen gelassen haben, haben wir keinen Cent bekommen und hatten ordentlich Mehrkosten…
Zudem war es eine echte Herausforderung immer wieder zu schauen, was denn gerade erlaubt ist und wie man es Coronakonform umsetzen kann. Auch da ist es unglaublich schwierig aktuelle Informationen zu finden. Auch hier wieder keine Hilfe.
Irgendwie verständlich, dass so viele Vereine lieber nichts gemacht haben und die Kinder und Jugendliche die Leidtragenden waren und sind. Das war deutlich einfacher und sogar lukrativer.

Zicke
2 Jahre zuvor

Auch der Schulpsychologische Dienst, die Arbeitsagentur, die Drogenberatung und therapeutische Einrichtungen haben sich abgeschottet! Berufseinstiegsbegleiter haben ihre Klienten nicht gesehen. Alles lag auf den Schultern von Klassenlehrern und den wenigen Schulsozialarbeitern. Ein Viertel meiner Klasse ist in desolatem Zustand und hätte dringend Hilfen gebraucht.