Der Luftfilter-Skandal: Wie Kommunen versuchen, sich um die Anschaffung zu drücken

15

Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

STUTTGART. Der Luftfilter-Skandal bekommt immer neue Facetten: Jetzt mischen  die Schulträger mit. Sie wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, ihre Kitas und Schulen mit mobilen Luftfiltern auszustatten – jetzt auch mit einer Auftragsstudie. Deren Ergebnisse sind schlicht Nonsense.  

Mobile Luftfilter können Viren aus der Raumluft beseitigen – kosten aber Geld. Das Foto zeigt einen Klassenraum im bayerischen Unterbiberg, der mit Luftfilter und Plexiglas-Schutzwänden ausgestattet ist. Foto: Shutterstock / Alexandra Goertz

Kommunale Schulträger geraten zunehmend unter Druck, für Kitas und Schulen mobile Luftfilter anzuschaffen. Da kommt eine von einer Stadt (Stuttgart) in Auftrag gegebene Studie, die von der Investition abrät, gerade recht. Das Merkwürdige an der nun allein von der Deutsche Presseagentur (dpa) wiedergegebenen, ansonsten unveröffentlichten Arbeit des Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung der Universität Stuttgart ist allerdings, dass sie Eigenschaften der Geräte negiert, die ihnen überhaupt niemand zuschreibt. Die Arbeit weckt zudem Zweifel, ob die Autoren der Studie das Wesen der Corona-Pandemie verstanden haben.

Um das festzustellen, war allerdings keine Studie notwendig. Ein Blick in die Gebrauchsanweisung hätte gereicht

Die Experten sprechen sich in ihrer Analyse dagegen aus, solche Geräte für alle Schulen anzuschaffen. Denn die Wirkung mobiler Luftfilter in Klassenräumen zum Schutz gegen das Coronavirus sei begrenzt. In der Studie heißt es laut dpa: «Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Pilotprojekt ist der flächendeckende Einsatz von Luftreinigungsgeräten nicht indiziert (angezeigt).» Weil? «Beim Einsatz von Luftreinigungsgeräten sollte generell beachtet werden, dass diese keine Alternative zu einem Außenluftwechsel darstellen, sondern lediglich als Unterstützung zur Partikel- und potenziellen Virenreduktion im Raum eingesetzt werden sollten.»

Um das festzustellen, war allerdings keine Studie notwendig. Ein Blick in die Gebrauchsanweisung hätte gereicht. Die Geräte verfügen nämlich über keinen Anschluss nach außen – und können deshalb das Lüften, das allein schon aufgrund eines steigenden CO2-Gehalts notwendig ist, nicht ersetzen.

Das sollen sie auch gar nicht. Sie filtern möglicherweise Corona-belastete Aerosole aus der Atemluft und können so das Fensterlüften auf ein normales Maß beschränken. Das ist in Bildungseinrichtungen keine Kleinigkeit, wie der Unterricht bei Minusgraden für Hunderttausende von Schülern und Lehrern im vergangenen Winter gezeigt hat.

Anzeige

Seltsam ist auch die Empfehlung der angeheuerten Experten, dass in Klassenräumen, die zu kleine oder zu wenige Fenster haben, der Einsatz mobiler Geräte oder der Einbau stationärer Filter sehr wohl geplant werden sollte. In Räumen, die sich nicht belüften lassen, holen die Geräte möglichweise Corona-belastete Aerosole aus der Atemluft – in Räumen, die sich belüften lassen, wirken sie hingegen nicht? Das erscheint, milde formuliert, nicht ganz schlüssig.

Die Studienautoren stellen allen Ernstes fest: Je stärker aufgedreht wird, desto größer ist die Wirkung. Wow!

Geradezu absurd wird es dann bei folgendem Befund: In der Studie heißt es ernsthaft, die Luftreinigungsgeräte hätten «beim Betrieb mit den höchsten Volumenströmen die niedrigsten Aerosolkonzentrationen». Anders ausgedrückt: Je stärker aufgedreht wird, desto größer ist die Wirkung. Wow! Allerdings seien die Geräte dann zu laut und die Luftgeschwindigkeiten zu hoch, als dass sie voraussichtlich langfristig von Menschen im Raum akzeptiert würden – meinen die Autoren. Schulpraktiker sind da anderer Meinung.

Die Fachleute des Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung hatten für die Studie ein halbes Jahr lang an zehn Stuttgarter Schulen die Wirkung der Filter gemessen. Zusammenfassend stellen sie fest, der Einsatz von Luftreinigungsgeräten könne nicht die anderen Schutzmaßnahmen wie das Masketragen oder Testen zur Eindämmung der Infektionsausbreitung ersetzen. Das behauptet aber auch niemand.

Zur Klarstellung: «Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen. Je nach Partikelgröße bzw. den physikalischen Eigenschaften unterscheidet man zwischen den größeren Tröpfchen und kleineren Aerosolen, wobei der Übergang zwischen beiden Formen fließend ist», so schreibt das Robert-Koch-Institut in seinem Corona-Steckbrief. Luftfilter sollen vor Aerosolen schützen – Abstand und Masken vor einer Tröpfcheninfektion. (Unabhängige) Experten haben deshalb ein Konzept für einen weitgehend Corona-sicheren Klassenraum entwickelt, der einen mobilen Luftfilter UND Plexiglas-Trennwände zwischen den Schülern vorsieht. Gelüftet wird dort natürlich weiterhin. Vielleicht sollten sich die Stuttgarter Experten das mal anschauen. News4teachers berichtete ausführlich darüber.

Der baden-württembergische Gemeindetagspräsident Steffen Jäger sieht sich durch die Auftragsarbeit trotzdem in seiner Skepsis gegenüber den mobilen Geräten bestätigt. «Die Studie der Universität Stuttgart bestätigt die bisherige herrschende Meinung der Wissenschaft, dass das Lüften per Fenster mobilen Lüftungsanlagen grundsätzlich vorzuziehen ist», meint Jäger.

Blöd für ihn und die anderen investitionsunwilligen Kommunen: Das Umweltbundesamt hat gestern eingeräumt, dass mobile Luftfilter sehr wohl vor Infektionen in Klassenräumen schützen (und damit bestätigt, was unabhängige Studien schon längst ergeben haben), wie News4teachers berichtet. Im Wortlaut: „Natürlich helfen mobile Luftfilter gegen Viren, wenn es sich um geprüfte Geräte handelt und sie richtig im Klassenraum aufgestellt sind.“ Kurzum: Das Geld für die Untersuchung hätte sich die Stadt Stuttgart sparen können – oder: besser gleich in mobile Luftfilter für Kitas und Schulen investiert. News4teachers / mit Material der dpa

Der Luftfilter-Skandal: SPD-Bildungssenator weist Kritik an Kultusministern zurück – er meint, Schulen würden genug gesichert

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

15 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
KnechtRuprecht
2 Jahre zuvor

Wir haben mündliche Fremdsprachenprüfungen in einem Raum mit großem mobilem Luftfilter durchgeführt, tagelang. Abstand zum Gerät max. 1m. Trotz Sprechen mit Masken gab es keine Verständigungsprobleme. Und Zugluft nullkommanix.

Andre Hog
2 Jahre zuvor
Antwortet  KnechtRuprecht

Glaube ich sofort….aber allein die Tatsache, dass hier ein Praktiker aus dem schulischen Kontext (KnechtRuprecht) diese Rückmeldung zu seiner Beobachtung darlegt ist für die theoretisierenden Fachleute ein weiterer Grund, diesen Einwand bedenkenlos zu verwerfen.

„Alle Theoretiker sagten, dass es nach ihrem Kenntnisstand nicht funktionieren kann, bis einer kam, der das nicht wusste und es einfach machte.“

Traurig aber wahr.

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Andre Hog

@Andre Hog

Altes Sprichwort:
„Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.“

Aus obigem Anlass (Artikel) aktualisiert:
„Und wenn du denkst es geht nicht peinlicher, kommt irgendwo ein dummdreister Schlippsträger her.“

MeinSenf
2 Jahre zuvor

Und das Karussell dreht sich weiter!
Dreimal darf geraten werden, bei wem er schließlich landen wird und steckenbleibt.

Möglich Antworten:
A) Bei den großen Landesfürsten, mit ihrem Speichel leckenden Anhang.
B) Bei den Schulen und Kindergärten, Kindern, Eltern und Lehrpersonal, die schon immer mit dem klar
kommen mussten, was ihnen von oben diktiert oder großzügigerweise zugestanden wurde.
C) Bei den ganz Großen, die sich immer auf die Eigenständigkeit der Länder in der Schulpolitik berufen
können.

Zu gewinnen gibt’s einen Bausatz für eine Selfmade-Luftfilteranlage, bei der aber mindestens 20% der Kosten selbst getragen werden müssen und der nicht vor dem Jahr 2079 ausgeliefert werden wird. Der Einbau muss selbst übernommen werden und wird von der Bauaufsicht nicht genehmigt.

gilmore girl
2 Jahre zuvor

Ich habe da auch mal selbst eine Studie in Auftrag gegeben und habe keine Kosten und Mühen gescheut – Über Sinn und Unsinn vom Einsatz von MinisterInnen, BildungssenatorInnen und anderen mobilen ZeitgenossInnen aus dem gleichen Sektor und das Ergebnis sieht folgendermaßen aus:
„Der Einsatz dieser mobilen WürdenträgerInnen ist in seiner Wirkung zum Schutz gegen das Coronavirus begrenzt und der Einsatz ebendieser ist somit flächendeckend nicht indiziert. Die daraus resultierende Wut in den Schulen wurde im gesamten Verlauf der Pandemie durch Lügenübertragung und Heiße-Luft-Verkünden erzeugt und konnte auch im Zusammenhang mit regelmäßigem Expertenaustausch den gesunden Menschenverstand nicht ersetzen. Sie können so nur zur Unterstützung zur Entlarvung von Machenschaften und potenzieller Eigenreduktion im Raum eingesetzt werden und bieten keine Altenative zum Amtswechsel. Denn: Je stärker abgedreht, desto größer die Wirkung. Auch die Lautstärke, mit der die Lügenübertragung übertönt werden sollte, war irgendwann zu hoch, als dass sie langfristig von Menschen im Raum akzeptiert worden wäre. Das Absetzen per Abwahl ist dem Einsetzen von mobilen WürdenträgerInnen im schulischen Bereich grundsätzlich vorzuziehen.“

Mutter im Coronamodus
2 Jahre zuvor
Antwortet  gilmore girl

Saugut!
Wenn ich das mal so flapsig ausdrücken darf…
:-))

dickebank
2 Jahre zuvor
Antwortet  gilmore girl

Ebenfalls: Daumen hoch und breites Grinsen!

Mary-Ellen
2 Jahre zuvor

Du meine Güte!
Ich erinnere mich dunkel daran, dass es von den Ein-Bildungs-ministern immer hieß: BAUSTEINE!
Jeder für sich allein wirke nicht, jedoch alle zusammen erhöhe die Sicherheit – in Politikertheorie: „Die Schulen sind sicher!“

Bis jetzt hatten wir, wie drollig, immer nur Bausteine, die nix kosteten, (ok, bis auf diese oder jene Maske für das Lehrpersonal, deren Qualität wiederum teilweise auch fragwürdig war/ist).
„Maske ersetzt nicht das Lüften, Lüften ersetzt nicht den Abstand etc.“ wurde uns eindringlich beschrieben.

Man weigert sich jedoch vehement, einen weiteren „Baustein“ (Luftfilter) einzusetzen, wobei ich mir sicher bin, dass, würde er kaum etwas kosten, schon längst in den Klassenräumen stünde.

Also nächster Versuch, die Bevölkerung zu überzeugen, irgendwann muss es doch klappen!

Bin gespannt auf die nächste Version. (Schädliche Strahlung, Explosionsgefahr, lernbehinderndes Design, Tinnitusgefahr, …

(Oje….die Dinger scheinen sich tatsächlich ungünstig auf Intellekt und Lernleistung auszuwirken, erinnern wir uns daran, in wessen Räumen sie seit Längerem täglich in Betrieb sind).

Mary-Ellen
2 Jahre zuvor

…erhöhten die Sicherheit..pardon

BK-Lehrkraft
2 Jahre zuvor
Antwortet  Mary-Ellen

Dabei hapert es schon beim Baustein Abstand, auch wenn es auf irgendwelchen Papierchen steht, dass dieser (wo es geht) einzuhalten ist.
Unsere Schüler haben eine Armlänge Abstand vom Sitznachbarn und tragen meist OP Masken.

dickebank
2 Jahre zuvor
Antwortet  BK-Lehrkraft

Dann haben eure Berufsschüler (m/w/d) aber kurze Ärmchen oder ihr habt grundsätzlich Einzeltische – normalerweise sind Schultische 1,60 m breit (Doppeltisch).
Also Mitte Sitzplatz bis Mitte Nachbarsitzplatz am selben Tisch beträgt der rechnerische Abstand 80 cm.

In einem Klassenraum mit einer Grundfläche von 8,00 m mal 8,00 m und 24 SuS, die in 3 Reihen zu 8 SuS sitzen hat rein theoretisch jeder eine Arbeitsbreite von einem Meter. Bei einem Randabstand von 20 cm und einer Arbeitsplatzbreite von 60 cm beträgt der Abstand von Schulter zu Schulter der Sitznachbarn (m/w/d) höchstens 40 cm.

Natürlich ließe sich das alles auch mit 4 Sitzreihen durchdeklinieren, nur dazu reicht die Raumtiefe mit Tafel, Pult und Regalen oder Schränken auf der hinteren Raumseite im Rücken der SuS nicht aus.

Jan aus H
2 Jahre zuvor

„…an der nun allein von der Deutsche Presseagentur (dpa) wiedergegebenen, ansonsten unveröffentlichten Arbeit…“

Spannend wäre, was in der Studie wirklich steht oder ob seitens der Politik nur gezielt die Sätze veröffentlicht wurden, die passen. Es hat sicher einen Grund, warum man das Ding nicht ganz veröffentlicht.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Uni das genau so produziert hat, wie das im Artikel genannt wurde. Damit runinieren sich die Autoren doch ihren wissenschaftlichen Ruf ziemlich deutlich.

KnechtRuprecht
2 Jahre zuvor
Antwortet  Jan aus H

Zustimmung!

B. aus A.
2 Jahre zuvor

Ich befürchte, es geht nicht (nur) um die Kosten – der flächendeckende Einbau von Luftfiltern wäre ein Eingeständnis, daß die Schulen eben NICHT sicher sind und dies auch in den vergangenen 18 Monaten nicht waren.

Dann lieber zum vierten Mal vor dieselbe Wand laufen…. (und sich öffentlich wundern, daß das Ergebnis dasselbe ist).

KnechtRuprecht
2 Jahre zuvor

Stuttgarter Studie öffentlich machen und schnellstens zum peer review!