Mehr Gewaltdelikte unter Schülern – Ausdruck psychischer Belastungen in der Pandemie?

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SCHWERIN. Obwohl sich Schüler seit mehr als einem Jahr wegen des Distanzunterrichts seltener in den Schulen getroffen haben, verzeichnen die Behörden eine wachsende Zahl von Gewaltdelikten – in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls. Für die Linke ist das auch Ausdruck großer psychischer Belastungen in der Pandemie. Das Bildungsministerium hat bereits reagiert.

Alarmsignal: Gewalt in der Schule nimmt zu – in Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

An den Schulen Mecklenburg-Vorpommerns ist die Gewaltbereitschaft der Schüler anscheinend gestiegen. Im ersten Halbjahr des Schuljahres 2020/2021 seien dort 248 Gewaltdelikte erfasst worden. «Das entspricht bereits etwa 70 Prozent der Fälle des gesamten Vorjahres – obwohl die Schulen coronabedingt lange Zeit geschlossen waren», stellte die Vorsitzende der Linksfraktion im Landtag, Simone Oldenburg, unter Berufung auf die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage ihrer Fraktion fest.

Demnach hatte es im ersten Halbjahr, das zu Beginn noch im Präsenzunterricht stattfand, an den Schulen des Landes 156 Körperverletzungen und 65 Androhungen gegeben. Besonders dramatisch war laut Oldenburg der Anstieg der Vorfälle, die sich gegen das eigene Leben oder das Leben anderer richtete. Davon habe es in einem Halbjahr bereits mehr Fälle als im gesamten Vorjahr gegeben. «Diese Gewaltausbrüche sind offenbar Folge der großen psychischen Belastungen und Versagensängste bei vielen Schülerinnen und Schülern aufgrund der äußerst schwierigen Lernbedingungen der zurückliegenden Schuljahre», erklärte die Oppositionspolitikerin.

«Es bedarf einer intensiven psychologischen und sozialen Betreuung der Schülerinnen und Schüler»

Sie forderte Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) auf, die Alarmsignale zur Kenntnis zu nehmen und zu handeln. «Neben den individuellen Förderungen der Schülerinnen und Schüler beim Schließen der Wissenslücken bedarf es einer intensiven psychologischen und sozialen Betreuung. Die in Aussicht gestellten Maßnahmen des Bildungsministeriums reichen hierfür bei weitem nicht aus», betonte sie.

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Schulsozialarbeit gehöre dauerhaft an jede Schule, und in jedem Schulamt müsse es mindestens ein mobiles Beratungsteam für die psychologische Betreuung der Kinder geben. «Gute Lern- und Arbeitsbedingungen an den Schulen sowie eine frühzeitige Intervention bei Problemen sind der Schlüssel, Gewalt von den Schulen zu verbannen», so Oldenburg.

Nach Angaben des Bildungsministeriums bestehen die von der Linken geforderten Beratungsstrukturen bereits. In den Staatlichen Schulämtern würden Schulpsychologen bereitstehen, um Schülern, Lehrern und Eltern bei Bedarf weiterzuhelfen. Das Land baue zudem die Arbeit des Zentralen Fachbereichs für Diagnostik und Schulpsychologie deutlich aus und nutze dafür Mittel aus dem 200-Millionen-Euro-Paket für die Schulen.

Im Vorjahr seien 36 neue Stellen im Bereich Schulpsychologie eingerichtet worden. Eine zentrale Leitstelle im Ministerium werde eingehende Anfragen der Schulen sofort aufnehmen, eine psychologische Erstversorgung sicherstellen und weitere Hilfe vermitteln. Zusätzlich werde es mobile schulpsychologische Teams geben, die bei akuten Problemen zum Einsatz kämen, teilte ein Sprecher weiter mit. News4teachers / mit Material der dpa

Stichverletzungen: Zwei Schüler außer Lebensgefahr. Schulleitung: „Nicht vorhersehbare Tat“

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Georg
2 Jahre zuvor

Wie wäre es alternativ mit allgemeiner Verrohung der Gesellschaft?

Oder, wenn schon Pandemie, dann geschlossene Sportvereine und damit mangelnder körperlicher Ausgleich?

Biene
2 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

Das ist das Ergebnis, der Unfähigkeit der Eltern sich für ihre Kinder zu interessieren oder gar diese erziehen.

Rosa
2 Jahre zuvor

Die Gewalt an Schulen und in der Freizeit hat stark zugenommen und der Ausnahmezustand hat es stark verstärkt. Die Politik und KM tragen da einen großen Teil dazu bei. Man hat in der außergewöhnlichen Lebensphase der Jugend zu wenig Aufmerksamkeit, Beachtung, Pespektiven angeboten und aufgezeigt. Die junge Generation war sehr lange in der persönlichen Entwicklung und Entfaltung ausgebremst und man hatte an die junge Generation eine Erwartungshaltung was enhalten und erbringen sollen in dieser außegewöhnlichen Lebensphase. Sie haben sehr lange sich zurücknehmen müssen und weiterhin gibt es keine tragbaren konzepte für Schulen. Die Politik betreibt nur Verarschung mit der Jugend und viel Gerede und keine Taten. Die Not der Schüler wird nicht anerkannt und nicht Ernst genommen. G8 ist für Schüler nur noch Frust, Druck…

Klunkerhase
2 Jahre zuvor

@ Georg, ich finde nicht, dass es eine allgemeine Verrohung der Gesellschaft gibt. Es wird nur vieles öffentlicher/bekannter durch die heutige Medienlandschaft. Es ging zu früheren Zeiten nicht „netter“ untereinander zu. Da war es noch „normal“, dass Kinder von Eltern geschlagen wurden, sogar von Lehrern… Da „durften“ noch Ehemänner ihre Frauen schlagen. Da kamen bei Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten noch regelmäßig Menschen ums Leben (1930er Jahre) und wer in Polizeigewahrsam kam, der konnte das Fürchten lernen.

Es wäre schön, wenn man bei solchen „beliebten Phrasen“ doch wirklich auch mal in die Vergangenheit schauen würde, bevor man „Gerüchte dieser Art“ weiterplappert.

Sprich: Die Schulen sind friedlicher geworden, wenn man an „Lehrergewalt gegenüber Schülern“ denkt; sie sind aber gewalttätiger geworden, wenn man an „Schülergewalt gegenüber Lehrern“ denkt. Wie es früher zwischen Schülern zuging, als noch nicht alles in den sozialen Medien auftauchte, vermag ich nicht einzuschätzen. Ich weiß aber aus Erzählungen und Filmen, dass es früher sogenannte „Straßengangs“ gab, die in Feindschaft zu anderen „Straßengangs“ standen. Kinder also.

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Klunkerhase

Zumindest Messer gab es in früheren Zeiten nicht in dem Ausmaß.

Klunkerhase
2 Jahre zuvor
Antwortet  Georg

@Georg, entschuldigen Sie den womöglich leicht bissigen Unterton („weiterplappert“).

Minna
2 Jahre zuvor

Nun, auf Pandemien folgen Unruhen und Aufstände. Irgendwo las ich auch, dass diese im Schnitt zwei Jahre nach Ende der Pandemie ihren Höhepunkt haben. Bei Twitter berichten viele von einer überall zu beobachtenden Zunahme an „road rage“. Das Problem ist gesamtgesellschaftlich, es ist SEHR ERNST, die Schulen müssen sich dringend darauf vorbereiten (statt Risikoeltern mit unglaublichen Tricksereien zu drangsalieren).

Quacksalber
2 Jahre zuvor
Antwortet  Minna

Und was bitte soll „road rage“ sein? Muss man jetzt erst ein Wörterbuch bemühen, um zu verstehen? 🙁

Ansonsten hätte ich gerne mal Beispiele aus der (jüngeren) Vergangenheit, wo das so gewesen ist, dass nach einer Pandemie Aufstände und Unruhen folgten. Nein, die kommunistischen Revolutionen folgten nicht der „Spanischen Grippe“.

eldorado
2 Jahre zuvor

Ist für mich kein Wunder, wenn man von Seiten der Politik meint, die Schüler müssten nach Rückkehr in die Schulen, gleich Leistung bringen, als wäre es ein ganz normales Jahr. Da helfen leider auch keine Berater. Auffällig ist auch, dass der Stresspegel hier nach Rückkehr in die Vollpräsenz gestiegen ist. Scheinbars war das ruhigere Lernumfeld vom Wechselunterricht nach dem psychisch anspruchsvollen Winter gar nicht so schlecht.

Auch schade, dass die Schulen damit ausgelastet waren, ständig kurzfristige Ansagen vom Ministerium umzusetzen. Sonst hätten sie vielleicht sogar die Kapazität gehabt, digital das ein oder andere anzubieten, das den Schülern wenigstens ein bisschen durch den Winter geholfen hätte…

Klunkerhase
2 Jahre zuvor

Interessant ist eigentlich, Georg, dass die (akzeptierte) Gewalt in der Gesellschaft massiv abgenommen hat. Es gibt keine Straßengangs mehr und wir dulden sie auch nicht (normalerweise). Wir akzeptieren auch Gewalt gegen (Ehe-)Frauen nicht mehr. Die „Vergewaltigung in der Ehe“ ist seit Mitte der 1990er Jahre offiziell verboten. Dass Lehrer Schüler schlagen, ist im Westen seit Mitte der 1970er Jahre offiziell verboten (im Osten bereits nach Ende des 2. Weltkrieges). Polizeigewalt wird öffentlich nicht mehr hingenommen und entsprechend sanktioniert. Gewalt gegen Kinder ist auch von Erziehungsberechtigten nicht mehr erlaubt usw.-usf. Sexuelle Belästigung ist heutzutage ein Kündigungsgrund. Täter dieser Art stehen mitunter öffentlich am Pranger!

Das heißt, die tatsächliche Gewalt (unter Erwachsenen!) hat stark abgenommen, auch wenn die Omnipräsenz in den Medien darüber hinwegtäuschen mag. Sie ist eher Ausdruck für eine höhere Sensibilität dagegen = Es ist nicht mehr „normal“. Es wird nicht mehr hingenommen. Ist es aber unter Schülern, also Kindern und Jugendlichen anders??? Wenn man in die Schulen schaut, möchte man meinen, ja, da hat die Gewalt zugenommen. Jetzt mag man sich fragen, warum.

Warum hat die Gewalt unter Erwachsenen abgenommen, aber die Gewalt unter Schülern hat zugenommen? Hat es was damit zu tun, dass die Sanktionen gegenüber gewalttätigen Erwachsenen enorm ausgeweitet wurden, während Sanktionen gegenüber gewalttätigen Schülern eher abgenommen haben???

Quacksalber
2 Jahre zuvor
Antwortet  Klunkerhase

@ Klunkerhase, da könnte was dran sein, in den Schulen sind „Strafen“ heutzutage eher verpönt. Man orientiert eher darauf „positiv zu motivieren“ und eben nicht zu strafen.

Bei Erwachsenen ist es genau umgekehrt, wie Ihre Beispiele zeigen. Strafen wurden neu eingeführt oder Strafen wurden stark ausgeweitet (siehe auch diese schrecklichen Kindesmissbrauchsfälle).

Georg
2 Jahre zuvor
Antwortet  Quacksalber

Das hängt immer vom Einzelfall ab.

Schulleiter sind aber daran interessiert, die eigene Schule nicht als Ort der Gewalt in der Öffentlichkeit präsentiert zu sehen. Zu häufige zu harte Strafen sind da schlecht.

Ursula Schneider
2 Jahre zuvor

Die Pandemie verstärkt alte Gewaltprobleme-nur- in der Pandemie passt man aufgrund der eingeschränkten Freizügigkeit schon aus Selbsterhaltung eher auf solche Sachen auf als in der Vor-Pandemiezeit, wo man eher „falsche Gegenden und Situationen“ meiden konnte, da es weder Ausgangsbeschränkungen gab noch eine Unmöglichkeit, in manchen Berufen Geld zu verdienen.