Linkshänder können genauso schnell und leserlich schreiben wie Rechtshänder, wenn… Tipps zum Welttag der Linkshänder

6

HEROLDSBERG. Am 13. August ist der Welttag der Linkshänder. Zehn bis 15 Prozent der Menschen betrifft das Phänomen. Worauf Eltern und Lehrkräfte im Umgang mit linkshändigen Kindern achten sollten, erklärt Dr. Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Schreibmotorik Instituts.

„Linkshänder haben es meistens nicht leicht.“ Foto: Shutterstock

Früher wurden linkshändige Kinder häufig „umgeschult“ – sie mussten lernen, mit rechts zu schreiben. Warum macht man das heute nicht mehr?

Diaz Meyer: Nicht wenige Linkshänder leiden unter den Folgen einer früheren Umschulung. Ein linkshändiges Kind auf die rechte Hand umzuerziehen, kann große Probleme hervorrufen. Dies kann das ganze Leben negativ beeinflussen.

Ist Linkshändigkeit also gar kein Problem, wie man früher dachte?

Diaz Meyer: Wir wissen heute: Die Hirnareale sind anders gepolt. Bei Linkshändern ist die rechte, kreative Gehirnhälfte ausgeprägter und deshalb dominanter. Vermutlich deshalb lassen sich Linkshänder öfter in kreativen Berufen finden. Wichtig ist auch: Linkshändigkeit ist keine Benachteiligung. Sie ist genauso gut wie Rechtshändigkeit – das kann man Kindern gar nicht früh und oft genug vermitteln. Bezüglich der motorischen Leistungen gibt es keine offensichtlichen Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändern. Linkshänder können genauso schnell, automatisiert und leserlich schreiben wie rechtshändige Kinder – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Trotzdem heißt es, linkshändige Kinder haben oft motorische Schwierigkeiten…

Diaz Meyer: Linkshänder haben es meistens nicht leicht. Sie wachsen in einer auf Rechtshänder ausgerichteten Welt auf. Zum Beispiel reicht man sich beim Begrüßungsritual die rechte Hand und Linkshänder müssen sich anpassen. Probleme gibt es vor allem dann, wenn Linkshänder versuchen, Rechtshänder zu kopieren, den Stift also spiegelhaft zu Rechtshändern zu halten – was leicht passieren kann, wenn Eltern andersherum gepolt sind.

Welche Folgen kann es haben, wenn ein linkshändiges Kind sich motorisch an rechtshändigen Vorbildern orientiert?

Diaz Meyer: Das führt bei den Kindern häufig zu einem ungünstigen gebeugten Handgelenk, wir sprechen dabei von einer Hakenhaltung. Daraus folgt dann oft ein erhöhter Druck auf den Stift, also Verkrampfungen der Finger. Auch eine ungünstige Sitzhaltung kann vorkommen. Wir haben eine spielerische Übung entwickelt und frei zum Nachmachen online gestellt, die „Glückliche Gans“, mit der sich entgegenwirken lässt. Das Kind malt sich dafür ein Auge auf das erste Gelenk des Zeigefingers der Schreibhand. Die Hand nimmt beim Halten eines Stifts die Form einer Gans ein. Zeigt der Schnabel der Gans nach unten (stark gebeugtes Handgelenk wie bei der Hakenhaltung), sieht man eine traurige Gans. Wenn die Gans glücklich schaut (mit dem Schnabel nach oben), ist die Handgelenkhaltung für das Schreiben optimal. Die ausführliche Beschreibung zeigt ein Video.

Wie sehen gute Rahmenbedingungen aus, die Sie eben angesprochen haben?

Anzeige

Diaz Meyer: Es ist wichtig zu beachten, dass Linkshänder „linksgerecht“ arbeiten. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Licht von rechts oder von vorne kommen sollte. So, dass keine Schatten entstehen, die beim Schreiben stören. Grundsätzlich gilt: Wir leben zwar in einer Welt, die vor allem für Rechtshänder gemacht ist. Aber es gibt mittlerweile viele Werkzeuge, auch für die Schule, die für Linkshänder konzipiert wurden: von Scheren bis zum Füller. Die zu nutzen, erleichtert den Alltag natürlich sehr.

Was raten Sie Eltern, die möglicherweise den Verdacht haben, ihr Kind könnte ein Linkshänder sein?

Diaz Meyer: Kinder beginnen oft schon im Greifalter, alles mit ihrer geschickteren oder bevorzugten Hand anzufassen. Mein Rat an Eltern ist, dass sie keine Angst haben sollen, wenn ihr Kind mit der linken Hand greift. Es ist wichtig, dass Kinder von Anfang an ihre dominante Hand uneingeschränkt benutzen können und dürfen. Die Händigkeit ist von der Natur vorgegeben. Welche vorliegt, ist bei kleinen Kindern nicht immer ganz eindeutig. Dann ist es sinnvoll, dem Kind die Chance zu geben, sich frei zu entwickeln – die Tasse, das Besteck oder die Stifte sollten nicht immer von den Eltern rechts platziert werden. Sie sollten die Gegenstände lieber in der Mitte platzieren, wenn die Händigkeit noch nicht geklärt ist.

Wann ist die Händigkeit bei Kindern denn ausgeprägt?

Diaz Meyer: In den meisten Fällen ist im Alter von vier bis fünf Jahren klar, welche Hand die bevorzugte ist. Linkshänder entwickeln ihre Händigkeit zumeist später, vermutlich unter anderem wegen ihrer Anpassung an das rechtshändige Umfeld. Allerdings gibt es nicht nur Schwarz und Weiß: Es gibt auch Menschen, bei denen die Händigkeit nicht eindeutig oder nur schwach ausgeprägt ist.

Und was empfehlen Sie Lehrkräften, die ja die Kinder beim Schreiben täglich sehen?

Diaz Meyer: Lehrerinnen und Lehrer sollten darauf achten, dass links neben einem Linkshänder kein Rechtshänder sitzt – sonst stoßen beim Schreiben die Arme gegeneinander. Auch gilt: Linkshänder profitieren, wenn die Aufgabenbeschreibungen in ihrem Blickfeld rechts stehen, so dass sie nicht von der schreibenden Hand verdeckt sind. Bei Übungsblättern mit Musterbuchstaben stehen diese meist nur links, am Beginn der Zeile. Das linkshändige Kind verdeckt die zu übenden Buchstaben und muss sich verkrümmen, um diese nachschreiben zu können.

Oder: Linkshändige Schülerinnen und Schüler haben mitunter die Schwierigkeit, dass sie beim Schreiben mit dem Füller die Tinte mit der Hand verwischen. Doch das ist leicht lösbar. Das Schreibheft wird zwischen 30° bis 40° nach rechts geneigt. Die rechte Ecke ist im Vergleich zur linken nach unten verschoben. Dann kommt die linke Hand nicht mit der Tinte in Berührung. Wir bieten Seminare für Lehrkräfte an, in denen sie auf solche Hindernisse und auf Lösungen hingewiesen werden.

Und wenn es bei einem Kind gravierende Probleme mit der Motorik gibt?

Diaz Meyer: Dann ist eine Kinderärztin oder ein Kinderarzt gefordert, um eine Diagnose zu stellen und eine Therapie zu empfehlen, die dann in der Regel bei einer Ergotherapeutin oder einem Ergotherapeuten stattfindet. Inwieweit ein wechselnder Handgebrauch tatsächlich auffällig ist und eventuell einer Intervention bedarf, muss von den Spezialistinnen oder Spezialisten gut geprüft werden. News4teachers

Handschreib-Förderung in der Praxis: „Eine Stunde in der Woche reicht aus, um die Schreibmotorik deutlich zu verbessern“

 

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

6 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Georg
2 Jahre zuvor

Linkshänderlineal und Linkshänderanspitzwr sind toll. Der Linkshänderladen in Erfurt auch. Ich bin übrigens Linkshänder und extrem unkreativ.

Momo
2 Jahre zuvor

Ich kann viele der Erfahrungen im Bericht bestätigen. Linkshänder haben in der Regel nur Rechtshänder als Vorbilder, was zu einem Problem werden kann. Bei den Entwicklungsgesprächen im Kindergarten wurde bei meinem Linkshänder ständig die Feinmotorik kritisiert, obwohl er eigentlich einen Hang zum Filligranen hatte. Mich wunderte es, war mein Junge doch schon immer ein absolutes „Bastel-und-Kleingetüddel-Kind“ und ich hatte Zuhause nie den Eindruck, dass er in Richtung „Feinmotorik“ Förderbedarf hat – im Gegenteil. Irgendwann verstand ich dann, dass wir Zuhause „Linkshänder-Material“ hatten, welches er im Kindergarten nicht hatte. Also brachte mein Kind fortan sein eigenes Etui mit in den Kindergarten, weil Linkshänder-Material nicht vorhanden war. Dann lief alles problemlos. „Ausschneiden lernen“ war aber in der Tat etwas tricky, das hatte ich (selber noch als Kind „umerzogen“ worden) unternommen. Mir hatte das „Umerziehen“ auf Rechtshänder schriftlich gar nicht gut getan, ich hatte als Kind lange Zeit eine Sauklaue. Heute mit meinem Linkshänderkind ist es ein Vorteil, weil ich dadurch beidhändig arbeiten kann. Ich kann ihm also Vieles mit der linken Hand zeigen, was ein Rechtshänder so nicht könnte. Er schreibt mittlerweile genauso ordentlich wie sein Rechtshänder Bruder. Die Tipps im Bericht sind super. Uns hatte die Umsetzung viele dieser Vorschläge auch geholfen.

Pit 2020
2 Jahre zuvor
Antwortet  Momo

@Momo

Die Tipps sind klasse, wenn man sich auf deren Homepage ein wenig durchklickt, gibt es noch mehr – oder gleich diesen Link benutzen 😉
https://www.schreibmotorik-institut.com/index.php/de/fakten-und-tipps/fachwissen
„Hintergrundinformationen, Definitionen und Empfehlungen zum Thema Handschreiben und Schreibenlernen“ … vielleicht auch für Fortgeschrittene jeden Alters noch interessant.

potschemutschka
2 Jahre zuvor

Frage: Gibt es eigentlich auch Beidhänder? Habe bei mir selbst den Verdacht und bei einem meiner Söhne. Nach Aussagen meiner Mutter wurde ich nicht auf rechts umerzogen, mache aber viele Sachen ohne Werkzeug spiegelverkehrt zu Rechtshändern, z. B. Orangen schälen (ist mir im Alter von 40 Jahren zum ersten Mal aufgefallen), mit Werkzeug geht nur rechtshändig. Bei einer Kur machte ein Arzt einen Test (ich hatte selber nichts gesagt, weil gar nicht daran gedacht) und er meinte, ich wäre Linkshänder, da war ich 50. Als ich Anfang 30 war, wunderte ich mich, das mein jüngerer Sohn vieles mit links machte, aber auch vieles mit rechts. Linkshänder gab es bis dahin nicht in der Familie und es soll ja z. T. erblich sein. Ich habe das vor seiner Einschulung sehr genau beobachtet und dann entschieden er soll rechts schreiben lernen und auch Werkzeuge benutzen(Schere…), um ihm im späteren Leben mehr Möglichkeiten zu öffnen (viele Maschinen und Geräte gibt es nur für Rechtshänder). Wäre er eindeutig Linkshänder gewesen hätte ich ihn gelassen, aber es war nicht eindeutig. Er ist jetzt Mitte 30 und die Entscheidung war richtig.

ysnp
2 Jahre zuvor

Ich bin umgelernte Linkshänderin. Damals war das so, dass man alle Linkshänder umgelernt hat. Ich schreibe mit rechts, mache sonst alles mit links. Mir hat diese Art nicht geschadet. Aber ich denke, was einen wesentlichen Einfluss darauf hatte, dass ich mit rechts gut klarkomme, ist, dass ich im Alter von 8 angefangen habe, Klavier zu spielen. Professionellen Unterricht hatte ich die ganze Schulzeit. Im Klavier übt man die Motorik der rechten und linken Hand und lernt vernetztes Denken, indem man komplizierte Notengebilde auf die Handmotorik überträgt. Dadurch, dass die rechte Hand meistens den motorisch schwierigeren Part hat, kam mir das entgegen.
Bei meinen Schülern habe ich Unterschiede bei den Linkshändern festgestellt. Manche haben schön und ohne zu schmieren geschrieben. Andere haben sich – einmal falsch eingelernt – die richtige Neigung des Hefts nicht angewöhnen können und die Schrift war verschmiert.

Darfdaswahrsein
2 Jahre zuvor

Ich bin auch Linkshänder. Ich mußte mich in der Schule auch erst einmal etwas quälen. Hatte aber eine junge und sehr motivierte Lehrerin, die es sofort erkannt hat. Da ich anfangs sogar spiegelverkehrt (Also von rechts nach links) geschrieben habe, hat sie einen Spiegel dagegen gehalten und siehe da , es war richtig. :))
Dann lernte ich von links nach rechts zu schreiben, anfangs mit einer echten Sauklaue…
Mit der Zeit wurde es besser, durch schräg legen des Heftes etc. Auch damals gab es schon Linksfüller.
Im Laufe meines Lebens mache ich auch viele Dinge mit rechts, bin also in einigem beidhändig. Aber schreiben und knifflige Dinge mache ich nach wie vor NUR mit links.
Die inzwischen angebotenen Linkswerkzeuge sind sicher sehr hilfreich
Als Linkshänder kann ich natürlich solchen SuS viel besser helfen.